BGH: Verbrühung eines Säuglings durch schadhafte Wärmflasche

1. Der Chefarzt einer Kinderklinik ist verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, daß bei Wärmflaschen aus Gummi, die zur Verwendung in Inkubatoren bestimmt sind, zumindest das Anschaffungsdatum erfaßt wird, daß sie vor jedem Einsatz äußerlich geprüft und nach vergleichsweise kurzer Gebrauchsdauer ausgesondert werden.

2. Zur Frage der Beweislastumkehr für die Kausalität bei Verletzung von Organisationspflichten des Chefarztes.

BGH, Urteil v. 01.02.1994 – VI ZR 65/93
Instanzen:
OLG Hamm; LG Paderborn
BGB § 823; ZPO § 286


Sachverhalt:

Der Kläger wurde als Frühgeburt durch Kaiserschnitt entbunden. Unmittelbar nach seiner Geburt wurde er in intubiertem Zustand in die Kinderklinik des Krankenhauses in L. verbracht und dort auf deren Intensivstation in einen Inkubator gelegt, wo er weiter künstlich beatmet wurde. Nach zwei Tagen nahm der Beklagte, der Chefarzt der Kinderklinik ist, die Extubation vor. Dem Kläger wurde dann nur noch eine Atemhilfe verabreicht. Als seine Körpertemperatur auf 35,8 Grad abgefallen war, wurden von der Nachtschwester zwei mit heißem Wasser gefüllte Gummiwärmflaschen abseits vom Kind in den Inkubator gelegt, wie dies auf der Station zur Bekämpfung von Untertemperatur gelegentlich geschah. Bald darauf ergab sich, daß aus einem etwa 3 cm langen Riß einer der Flaschen, die später vernichtet wurde, nahezu der gesamte Inhalt ausgelaufen war und auch die den linken Fuß des Klägers umhüllende Gaze durchtränkt hatte. Die dabei eingetretene Verbrühung hatte zur Folge, daß der Fuß später teilweise amputiert werden mußte.
Die darauf gestützte Schadensersatzklage des Klägers hat das LG abgewiesen, das OLG hat ihr stattgegeben. Die Revision des Beklagten führte zur Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

(Zu 1:) Nach Auffassung des OLG war der Beklagte verpflichtet, alle erdenklichen organisatorischen Vorkehrungen zu treffen und alle notwendigen Kontrollen durchzuführen, um das mit dem Einbringen von Wärmflaschen in den Inkubator verbundene Risiko auf ein Mindestmaß herabzusetzen. Es sei deshalb erforderlich gewesen, bei den für den Einsatz im Inkubator bestimmten Flaschen mindestens den Anschaffungszeitpunkt zu erfassen; auch hätte eine sorgfältige und gesonderte Aufbewahrung der Flaschen, eine Beschränkung auf Verwendungen der hier in Rede stehenden Art, ihre sorgsame, zumindest äußerliche Prüfung vor jedem Einsatz und schließlich ihre Aussonderung nach vergleichsweise kurzer Gebrauchsdauer veranlaßt und sichergestellt werden müssen.
Damit überspannt das OLG nicht die Anforderungen an die dem Beklagten obliegenden Sorgfaltspflichten. Die Erfassung des Anschaffungszeitpunktes der Flaschen ist keineswegs unzumutbar, da dies nicht bei allen in der Kinderklink verwendeten Wärmflaschen erforderlich war, sondern im wesentlichen nur bei denjenigen Flaschen, die in den Inkubatoren verwendet wurden. War dieses Datum festgehalten, dann mußte nur noch geregelt werden, wann die Flaschen auszusondern waren. Das hängt von der Art und Weise sowie der Intensität der Nutzung, aber auch von der Art der Lagerung ab und ggf. auch von der Art des Sterilisationsverfahrens, dem sie vor der Verwendung im Inkubator ausgesetzt wurden.
Der erkennende Senat folgt dem OLG auch darin, daß der Beklagte durch entsprechende Anweisungen sicherstellen mußte, daß vor jedem Einsatz einer Wärmflasche in einem Inkubator eine äußere Kontrolle der entsprechenden Flaschen erfolgen mußte.
(Zu 2:) Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch dagegen, daß das OLG eine Haftung des Beklagten bejaht, obwohl nicht ausgeschlossen ist, daß es sich bei der verwendeten Wärmflasche um eine neuere Flasche gehandelt hat und die Rißbildung auf einen nicht erkennbaren Materialfehler zurückzuführen ist.
Für den Kausalitätsbeweis greifen nur ganz ausnahmsweise Beweiserleichterungen ein. Das kann der Fall sein bei groben Behandlungs- und auch Organisationsfehlern (vgl. Sen.Urt. MDR 1971, 206 = VersR 1971, 227). Dem Beklagten fällt jedoch kein grober ärztlicher Organisationsfehler zur Last, also ein Fehler, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ist (zu dem Begriff vgl. Sen.Urt. MDR 1992, 561 = VersR 1992, 238, 239).
Auch aus dem Gesichtspunkt mangelnder Befundsicherung muß der Beklagte nicht den Beweis dafür führen, daß die Wärmflasche nur wegen eines nicht erkennbaren Materialfehlers gerissen ist. Eine Beweislastumkehr für die Kausalität ist zwar anerkannt, wenn der Arzt es unterlassen hat, bei Patienten Befunde zu erheben, deren Sicherung medizinisch geboten gewesen wäre (vgl. Sen.Urt. BGHZ 99, 391 = MDR 1987, 573). Darum geht es im Streitfall nicht. Die von dem

Beklagten zu treffenden organisatorischen Vorkehrungen sollten lediglich dazu dienen, das Alter und die Gebrauchsdauer der Wärmflaschen festzuhalten, nicht aber dazu, Materialfehler aufzudecken.
Die nicht mehr vorhandene Möglichkeit, den Nachweis zu führen, daß die Gesundheitsschädigung des Klägers nicht ihre Ursache in der Verletzung der dem Beklagten obliegenden Organisationspflichten hatte, könnte nur dann zu Lasten des Beklagten gehen, wenn insoweit eine Beweislastumkehr wegen Beweisvereitelung in Betracht kommen könnte. Eine solche Beweislastumkehr ist zwar in entsprechender Anwendung des § 444 ZPO auch möglich bei nur fahrlässiger Beweisvereitelung (BGH MDR 1985, 669 = ZIP 1985, 312, 314). Voraussetzung ist nur, daß für denjenigen, der einen Gegenstand vernichtet oder vernichten läßt, der später als Beweismittel in Betracht kommt, bereits vor der Vernichtung erkennbar ist, daß dieser einmal eine Beweisfunktion haben kann. Im Streitfalle muß zwar davon ausgegangen werden, daß auch dem Beklagten die Beweisfunktion der Wärmflasche bekannt war. Nach den vom OLG getroffenen Feststellungen hat er jedoch keinen Beitrag dazu geleistet, daß die Wärmflasche vernichtet worden ist.

MDR 1994, 451
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , verschlagwortet. Setzen Sie ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.