OLG Köln: Mangelnde Kontrolle und Dokumentation ist Anwendungsfehler und führt zur Beweislastumkehr

Unterläßt es ein Zahnarzt entgegen medizinischer Notwendigkeit und Üblichkeit, den ordnungsgemäßen Sitz eingefügter Implantate in bezug auf Achsneigung und genügende Tiefe röntgenologisch zu kontrollieren und das Ergebnis zu dokumentieren, trifft ihn die Beweislast, daß später aufgetretene Komplikationen nicht auf fehlerhafter Insertion beruhen, wenn fehlerhafte Ausführung und deren Schadensursächlichkeit jedenfalls nicht unwahrscheinlich sind.

OLG Köln, Urteil v. 18.04.1994 – 5 U 48/94
Instanzen:
LG Bonn - 3 O 379/91
BGB §§ 242, 611, 823, 847


Aus den Entscheidungsgründen:

Der Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin die materiellen und immateriellen Schäden auszugleichen, die sie deshalb erlitten hat, weil die vom Beklagten eingefügten Implantate infolge Unbrauchbarkeit wieder entfernt werden und durch anderweitigen Zahnersatz ersetzt werden mußten. Diese Verpflichtung beruht auf unerlaubter Handlung (§§ 823, 847 BGB) und, soweit es um die materiellen Schäden geht, auch auf schuldhafter Vertragsverletzung (§§ 611, 242 BGB).
Nach den vorbezeichneten Anspruchsgrundlagen ist der Arzt verpflichtet, seinem Patienten Ersatz zu leisten, wenn er ihm durch eine vorwerfbare Fehlbehandlung Schaden zufügt. Darlegungs- und beweispflichtig für sämtliche anspruchsbegründenden Merkmale ist grundsätzlich der Patient. Unter bestimmten Umständen können ihm aber Beweiserleichterungen, die bis zur Beweislastumkehr

führen können, zugute kommen. Eine Verschiebung der Beweislast ist generell dann in Betracht zu ziehen, wenn durch Umstände, die vom Arzt zu vertreten sind, besondere Aufklärungserschwernisse in bezug auf die Ursachen der aufgetretenen Komplikationen herbeigeführt werden, wie es bei einem groben Behandlungsfehler gegeben sein kann (vgl. OLG Köln, Urteil vom 28.3.1990 - 27 U 125/89 mit Nichtannahmebeschluß des BGH, VersR 1991, 669), etwa im Falle eines fundamentalen Diagnoseirrtums (vgl. OLG Köln VersR 1991, 1288) und bei Nichterheben von Kontrollbefunden (vgl. BGH VersR 1992, 831), wenn Befunderhebung und deren Sicherung unterlassen worden ist, obwohl dies medizinisch zweifelsfrei geboten war (vgl. BGH NJW 1988, 2949) oder Dokumentationsmängel dazu führen, daß nicht feststellbar ist, ob gebotene Maßnahmen tatsächlich getroffen worden sind (vgl. Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 5. Aufl., S. 163).
Im Streitfall kommen die dargelegten Beweislastgrundsätze ebenfalls zum Nachteil des Beklagten zum Tragen.
Bei der Klägerin haben sich rund 1 Jahr nach Abschluß der Behandlung des Beklagten Schmerzen im Insertionsbereich eingestellt, als deren Ursachen ein Bruch des Implantats 33, Entzündungen und Vereiterungen des Zahnfleisches und Abbau des Kieferknochens, Gründe, die schließlich zur Lockerung auch des Implantats 43 führten, ermittelt wurden. Ob diese Komplikationen auf vorwerfbar fehlerhafter Insertion der Implantate durch den Beklagten beruhen, ist nicht feststellbar. (Wird ausgeführt.)
Eine Feststellung, ob die Komplikationen durch fehlerhafte Insertion oder davon unabhängige, vom Behandler nicht zu vertretende Entzündungsprozesse verursacht seien, könnte - so der Sachverständige (SV) - nicht mehr getroffen werden, weil es an unmittelbar im Anschluß an die Implantation gefertigten Röntgenbefunden fehle. Die mangelnde Aufklärbarkeit geht indessen zu Lasten des Beklagten. Unter den gegebenen Umständen obliegt ihm nämlich der Nachweis, daß die Komplikationen nicht Folge einer vorwerfbar fehlerhaften Insertion sind. Unterläßt es ein Zahnarzt entgegen medizinischer Notwendigkeit und Üblichkeit, den ordnungsgemäßen Sitz eingefügter Implantate in bezug auf Achsneigung und genügende Tiefe röntgenologisch zu kontrollieren und das Ergebnis zu dokumentieren, trifft ihn die Beweislast, daß später aufgetretene Komplikationen nicht auf fehlerhafter Insertion beruhen, wenn fehlerhafte Ausführung und deren Schadensursächlichkeit jedenfalls nicht unwahrscheinlich sind. So liegt es hier.
Die Röntgenkontrolle war im Streitfall geboten. Der SV Prof. W. hat vor dem LG bekundet, es sei medizinisch üblich und notwendig, nach Einbringen von Implantaten deren ordnungsgemäßen Sitz röntgenologisch zu kontrollieren, weil mißlungene Insertionen sofort korrigiert werden müßten. Eine nicht kompensierte Achsfehlstellung und/oder ungenügend tiefe Versenkung von Implantaten führe nämlich zu ungünstigen Belastungsverhältnissen des Gebisses insgesamt und damit zu Knochenabbau, wobei eine ungenügende Tiefe zu einem schnellen Knocheneinbruch im Bereich der Kortikalis und später auch in den tiefen Knochenarealen und damit zu irreparablen Schäden führe. Somit dient die Röntgenkontrolle nicht bloß der Sicherung von Beweisen, sondern sie erweist sich vielmehr als medizinisch notwendige Maßnahme zur Verhinderung von Schäden. Durch das Unterlassen dieser einfachen und üblichen Kontrollmaßnahme hat der Beklagte besondere Aufklärungserschwernisse in bezug auf die Ursachen der aufgetretenen Komplikationen herbeigeführt, ein Umstand, der im Arzthaftungsprozeß regelmäßig zur Verlagerung der Beweislast führt. Das Unterlassen des Beklagten hat gerade dazu geführt, daß ungeklärt geblieben ist, ob der Bruch des Implantats 33 und die Lockerung beider Implantate infolge Knochenabbaus mit der Notwendigkeit deren Entfernung auf fehlerhafter Insertion oder auf Knochenabbau infolge eines entzündlichen Prozesses und einer Neigung der Beklagten zu Parodontalerkrankungen beruhen. Da ein Insertionsfehler als Ursache mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie eine andere Ursache, weil tatsächlich eine Achsendivergenz besteht und ein postoperativ im Jahre 1988 gefertigtes Röntgenbild eine unzureichend tiefe Versenkung zeigt, hat der Beklagte letztlich den Nachteil mangelnder Aufklärbarkeit zu tragen. ...

OLGReport Köln 1994, 225
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