OLG München: Ärztliche Aufklärungspflicht vor kosmetischer Operation

1. Vor einer kosmetischen Operation (hier: Beseitigung einer Trichterbrust) hat der Arzt den Patienten

über die unterschiedlichen Vor- und Nachteile der in Betracht kommenden Implantate aufzuklären.

2. Zu erwartende künftige Schmerzen können bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wegen der Schadensminderungspflicht des Patienten unberücksichtigt bleiben, wenn das Entfernen des schmerzverursachenden Implantates zumutbar ist.

3. Der Honoraranspruch des Arztes für eine kosmetische Operation kann entfallen, wenn der Patient bei Erteilung der gebotenen Aufklärung in den Eingriff nicht eingewilligt hätte und zur Erzielung eines befriedigenden Ergebnisses ein neuerlicher Eingriff notwendig ist.

OLG München, Urteil v. 30.09.1993 – 24 U 566/90
Instanzen:
LG Augsburg - 6 O 4065/88
BGB §§ 823 I, 847 I


Aus dem Tatbestand:

Der Kläger verlangt vom Beklagten Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung seiner Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden wegen einer kosmetischen Operation, die der Beklagte am Kläger vorgenommen hat.
Zur Behebung einer angeborenen Trichterbrust setzte der Beklagte dem damals 53jährigen Kläger am 28.10.1985 unter Vollnarkose ein nach Gipsabdrücken gefertigtes Silikon-Implantat ein. Am 4.2.1986 fixierte der Beklagte in einer ambulanten Nachoperation die untere Implantatspitze an die Umgebung. Der Kläger wurde vom Beklagten vor der Operation nicht über die Vor- und Nachteile der in Betracht kommenden Prothesenarten aufgeklärt. ...

Aus den Entscheidungsgründen:

... a) Die vom Beklagten vorgenommene Operation des Klägers stellt eine schuldhaft begangene Körperverletzung dar, weil der Kläger vor dem Eingriff nicht ausreichend aufgeklärt wurde.
Ein Arzt darf einen Patienten nicht ohne dessen Einwilligung behandeln. Die Einwilligung des Patienten ist nur wirksam, wenn er weiß, worin er einwilligt. Der Umfang der Aufklärungspflicht steht in enger Wechselbeziehung zur Dringlichkeit des Eingriffs. Je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, um so ausführlicher und eindringlicher ist der Patient, dem dieser Eingriff angeraten wird oder den er selbst wünscht, über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren. Das gilt in besonderem Maße für kosmetische Operationen, die nicht, jedenfalls nicht in erster Linie der Heilung eines körperlichen Leidens, sondern eher einem psychischen und ästhetischen Bedürfnis dienen. Es gehört zu der besonderen Verantwortung des Arztes, der eine kosmetische Operation durchführt, seinem Patienten das Für und Wider mit allen Konsequenzen vor Augen zu stellen. Deshalb stellt die Rspr. sehr strenge Anforderungen an die Aufklärung des Patienten vor einer kosmetischen Operation (BGH NJW 1991, 2349).
Gibt es für den konkreten Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden, die gleichwertig sind, aber unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, besteht mithin für den Patienten eine echte Wahlmöglichkeit, so muß ihm durch entsprechende vollständige ärztliche Belehrung die Entscheidung darüber überlassen bleiben, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will (BGH NJW 1992, 2353).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe erweist sich die dem Kläger erteilte Aufklärung als unzureichend. Es handelte sich um eine rein kosmetische Operation; die angeborene Trichterbrust hatte dem Kläger keine gesundheitlichen Probleme bereitet, er hatte nur unter seinem Aussehen gelitten. Den dadurch bedingten hohen Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht wurde der Beklagte nicht gerecht, weil er den Kläger unstreitig nicht über die unterschiedlichen Vor- und Nachteile der in Betracht kommenden Implantatmöglichkeiten aufgeklärt hat. (Wird ausgeführt.)
d) Obwohl bei der Bemessung eines Schmerzensgeldes grundsätzlich alle Verletzungsfolgen einschließlich ihrer naheliegenden künftigen Auswirkungen zu berücksichtigen sind (BGH NJW 1988, 2300), können sich die Schmerzen, die der Kläger in Zukunft durch das Implantat erleiden wird, im vorliegenden Fall nicht anspruchserhöhend auswirken. Dies verbietet die in § 254 II 1 2. Alt. BGB niedergelegte Schadensminderungspflicht des Klägers.
Ein Geschädigter verstößt gegen die Schadensminderungspflicht und muß sich deshalb ggf. eine Kürzung seines Schadensersatzanspruchs gefallen lassen, wenn er es unterläßt, sich einer zumutbaren Operation zur Beseitigung oder Verminderung seiner körperlichen Beeinträchtigung zu unterziehen. Zumutbar in diesem Sinne ist eine solche Operation, wenn sie einfach und gefahrlos und nicht mit besonderen Schmerzen verbunden ist, sowie die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet (BGH NJW 1989, 2332). ...
Dem Beklagten steht für den rechtswidrigen Eingriff beim Kläger kein Honorar zu. Die zur Rechtfertigung eines kosmetischen Eingriffs erforderliche Aufklärung schuldete der Beklagte aufgrund des mit dem Kläger geschlossenen Arztvertrags. Hätte der Beklagte diese Pflicht erfüllt, so hätte der Kläger, wie er nachvollziehbar dargelegt hat, in die vom Beklagten vorgeschlagene Operation nicht eingewilligt und das Honorar nicht bezahlt. Zumindest wäre er in einen Entscheidungskonflikt geraten. Es ist nach st.Rspr. Sache des Arztes, den vollen Beweis dafür zu erbringen, daß sich der Patient gleichwohl zur Operation entschlossen hätte (BGH NJW 1992, 2351). Hierfür hat der Beklagte nichts vorgetragen. Der Schadensersatzanspruch des Klägers kann nicht mit der Erwägung des Erstgerichts verneint werden, daß bei richtiger Aufklärung des Klägers eine entsprechende (andere) Operation durchgeführt worden wäre. Diese Argumentation verkennt, daß das eingesetzte Implantat für den Kläger wegen der damit verbundenen Nachteile nahezu wertlos ist. Um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, müßte er sich ein andersartiges Implantat einsetzen lassen und die damit verbundenen Kosten tragen. Bei richtiger Aufklärung wären ihm die nutzlosen Kosten der Operation durch den Beklagten erspart geblieben. ...

OLGReport München 1993, 326
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