BGH: Behandlungsfehler bei Notfalleinsatz eines Subclavia-Katheters

Bei schwierigen anatomischen Konstellationen ist das nicht geplante Punktieren einer Vene nicht ohne weiteres ein Behandlungsfehler. Um einen Behandlungsfehler handelt es sich jedoch, wenn das nicht geplante Punktieren einer Vene unerkannt bleibt.

BGH, Urt. v. 18.12.1984 – VI ZR 23/83
Instanzen:
Karlsruhe
BGB § 823


Aus den Gründen:

Dem Anästhesisten Dr. G ist bei der Vorbereitung zur Operation der Kl. möglicherweise ein ärztlicher Behandlungsfehler unterlaufen. Zwar kann Dr. G nicht schon angelastet werden, daß er bei dem Versuch, die vena subclavia zu punktieren, um dort eine Kanüle zu legen und so Blutplasma sowie Medikamente zur Operationsvorbereitung zu infundieren, versehentlich die arteria vertebralis getroffen hat. Angesichts der schwierigen anatomischen Verhältnisse kann das versehentliche Anpunktieren einer Arterie auch dem erfahrensten Arzt unterlaufen und läßt nicht auf mangelnde Sorgfalt schließen. Indessen hätte Dr. G alsbald erkennen müssen, daß er möglicherweise eine Arterie getroffen hatte. Die weitere Aufklärung des Sachverhaltes kann ergeben, daß seine Entscheidung für die Infusion von Blutplasma ohne vorherige Korrektur der Lage des Katheters medizinisch nicht zu verantworten war.
Die Lage des Katheters war „kritisch zu beurteilen”. Der Anästhesist mußte damit rechnen, daß er statt der Vene die arteria subclavia und durch diese hindurch die arteria vertebralis getroffen haben konnte. Daraus ergab sich nach der Ansicht des Sachverständigen Dr. P bei einer Infusion von Blutplasma durch den arteriellen Zugang eine schwere Gefahr für Leben und Gesundheit der Kl., die sich dann im Streitfall auch verwirklicht hat. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S hat die arteria vertebralis einen relativ kleinen Querschnitt, der durch den 1,7 mm dicken Katheter eingeengt wurde. Dadurch und infolge des hohen Druckes des Dextrans, der größer war als der Blutdruck in der Aorta, stieg im wesentlichen nur die Lösung in das Gehirn und ließ kein Blut von der Arterie nachkommen. Das bedeutete, daß die Sauerstoffzufuhr zu der von der arteria vertebralis versorgten Hirnseite für viele Minuten vollständig unterbrochen war, solange ein Überdruck des Dextrans gegenüber dem arteriellen Blut bestand.
Das mußte zwangsläufig zu irreversiblen Hirnschädigungen führen. Diese medizinischen Zusammenhänge mußte Dr. G kennen. Es liegt auf der Hand, daß Dr. G, sofern medizinisch irgendwie vertretbar, die dargelegte schwere Gefahr für die Gesundheit der Kl. unter allen Umständen vermeiden mußte.
Die bisherigen Feststellungen des OLG tragen nicht seine Annahme, das Belassen des Katheters in der kritischen Lage und seine Benutzung als Infusionsweg sei wegen der Notsituation, in der sich die Kl. befunden habe, vertretbar gewesen. Soweit das OLG meint, auch in der medizinischen Fachliteratur werde empfohlen, bei lebensbedrohendem Schock selbst nach sofortigem Erkennen einer irrtümlichen arteriellen Lage des Katheters diesen in der Arterie zu belassen, widerspricht diese Auffassung offensichtlich der des Sachverständigen Dr. P. Dieser hat keineswegs uneingeschränkt bestätigt, daß in Notsituationen ohne Schaden Infusionen und Transfusionen in das arterielle System vorgenommen werden könnten. Er hat das nur für den Fall bejaht, daß die punktierte Arterie viel weiter peripher, etwa am Arm gelegen ist, dann aber betont, es sei eben „keinesfalls belanglos, daß Infusionen von Plasmaexpandern, die dazu noch unter Druck vorgenommen werden, in das dem zentralen Nervensystem nahegelegene Gefäßsystem

infundiert werden”. Das kann in diesem Zusammenhang eigentlich nur bedeuten, daß der Sachverständige auch in Notsituationen einer arteriellen Transfusion nach versuchtem Zugang durch die vena subclavia äußerst kritisch gegenübersteht und sie eben nur für den äußersten Fall für vertretbar hält. Wenn das OLG in diesem Punkte das Gutachten anders würdigen wollte, hätte es Zweifel durch Befragen des Gutachters klären müssen. Davon beeinflußt ist die weitere Ansicht des OLG, es sei angesichts des bedrohlichen Zustandes der Kl. nicht festzustellen, daß das vom Sachverständigen Dr. P für richtig erachtete medizinische Vorgehen, nämlich eine Wiederholung der Punktion, tatsächlich der risikoärmere Weg gewesen wäre. Nach dem zuvor Gesagten ist zunächst zu unterstellen, daß nur ein eindeutig lebensbedrohlicher Zustand der Kl. das Vorgehen des Dr. G medizinisch hätte rechtfertigen können.
Bei der Beurteilung des Schweregrades des von der Kl. erlittenen hämorrhagischen Schocks kann entscheidend nur sein, was der Anästhesist Dr. G in der Behandlungssituation feststellen und verwerten konnte. Das deutete sicher darauf hin, daß zur Rettung der Kl. sofort etwas unternommen werden mußte. Der Sachverständige Dr. P hat aber den Gesamtkreislaufzustand der Kl. dahingehend beurteilt, er hätte eine erneute Punktion der Vene, die etwa 5-10 Minuten Zeit in Anspruch genommen hätte, durchaus noch zugelassen. Allein entscheidend muß sein, wie ein erfahrener Anästhesist den Zustand der Kl. vor dem Eingriff ohne laborchemisch gewonnene Werte aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes und der Blutdruckmessung beurteilen mußte, und ob er danach davon hätte ausgehen müssen, daß ohne unmittelbare Lebensgefahr für die Kl. infolge der dadurch eintretenden kurzen zeitlichen Verzögerung der Operation um 5-10 Minuten ein weiterer Punktionsversuch zu verantworten war. Das OLG wird das gegebenenfalls weiter aufzuklären haben. Das Unterlassen einer erneuten Punktion, wenn sie nach dem vorstehend Ausgeführten medizinisch geboten gewesen wäre, kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß ihr Erfolg zweifelhaft gewesen wäre. Es liegt auf der Hand, daß eine neue Punktion mit den üblichen medizinischen Risiken einer solchen Maßnahme behaftet war. Sofern indessen eine erneute Punktion indiziert war und angesichts des Allgemeinzustandes der Kl. auch noch zeitlich durchgeführt werden konnte, mußten solche nicht sehr große Risiken, die dazu noch beherrschbar waren, gegenüber der Gefahr irreversibler, schwerer Schäden in Kauf genommen werden.

MDR 1985, 833
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