BGH: Produkthaftung bei fehlerhaftem Zubehörteil

Zu den Gefahrabwendungspflichten eines Endprodukteherstellers, der festgestellt hat, daß bei der falschen Handhabung eines Zubehörteils zu einem von ihm hergestellten Gerät (hier: Elektrodenkabel eines Atemüberwachungsgeräts) schwere Schäden entstehen können.

BGH, Urteil v. 27.09.1994 – VI ZR 150/93
Instanzen:
OLG Karlsruhe; LG Freiburg
BGB § 823


Sachverhalt:

Der Kläger ist der Haftpflichtversicherer der Stadt M. In der Klinik der Stadt M. erlitt die am 20.1.1987 geborene A. am 19.1.1988 beim Einsatz eines von der Beklagten hergestellten Atemüberwachungsgerätes infolge eines Bedienungsfehlers einer Krankenschwester schwerste Gehirnschäden. Der Krankenversicherer hatte den Eltern des Kindes im April 1987 das Gerät einschließlich der Überwachungsleitung und der Einmal-Elektroden Anschlußleitungen

zur Verfügung gestellt und diese in die Bedienung des Gerätes eingewiesen. Sie verwendeten es problemlos über mehrere Monate. Nachdem das Kind in das Krankenhaus eingewiesen worden war, brachten die Eltern das Gerät in die Klinik und erklärten einer Schwester die Bedienung. Am Abend des 19.1.1988 wollte die Krankenschwester R. das Kind an das Gerät anschließen. Sie befestigte die Klebeelektroden am Körper des Kindes. Die Stifte der Elektrodenkabel steckte sie dann nicht, wie es richtig gewesen wäre, in die dreipolige Buchse der Überwachungsleitung (Patientenkabel), sondern in den ebenfalls dreipoligen Stecker für den Anschluß des Geräts an das Stromnetz, der über das Betriebsstromkabel mit der Wandsteckdose verbunden war und nicht im Gerät steckte, sondern auf dem Gerät lag. Dadurch wurde das Kind unter Strom gesetzt und erlitt eine schwere Gehirnschädigung. Die Stadt wurde verurteilt, dem Krankenversicherer Schadensersatz zu leisten.
Im April 1986 war bereits auf ähnliche Weise ein 16 Monate altes Kind ums Leben gekommen. Ähnliche Fälle ereigneten sich auch in den USA. Der Beklagten waren diese Fälle bekannt. Einer ihrer Mitarbeiter war Obmann der Deutschen Elektrotechnischen Kommission im DIN und VDE. Am 29.10.1986 wurden auf der Sitzung des Arbeitskreises dieser Kommission unter dem Vorsitz des Mitarbeiters der Beklagten Lösungen zur Vermeidung von Steckerverwechslungen an Elektrodenzuleitungen beraten. Es wurde beschlossen, sofort einen Text zur Warnung und Erläuterung der richtigen Handhabung von Netzleitung und Patientenkabel zu erarbeiten und schnellstmöglich eine Steckerverbindung zum Anschluß von Elektroden-Anschlußleitungen an Patientenkabel dergestalt zu konstruieren, daß die Einführung des Steckerstiftes der Elektrodenanschlußleitungen an die Gerätesteckvorrichtung der Netzanschlußleitung verhindert wird. Am 19.12.1986 gab diese Kommission zur Veröffentlichung in Fachzeitschriften für Klinik- und Pflegepersonal Warnhinweise heraus, in denen alle Betreiber solcher Geräte gebeten wurden, durch Auswahl und Unterrichtung des Personals dafür Sorge zu tragen, daß die unterschiedliche Funktion und Bedeutung von Netz- und Patientenanschlußleitung erkannt werden. Im Februar 1987 versandte die Beklagte ein entsprechendes Informationsschreiben an ihre Mitarbeiter in Vertrieb und Kundendienst.
Anfang 1988 lieferte die Beklagte ihre Geräte mit neuen Steckerverbindungen aus, bei denen Verwechslungen nicht mehr vorkommen konnten. Im Oktober 1988 trat dann auch eine neue DIN-Norm über eine verwechslungssichere Steckverbindung für den Anschluß der Elektroden in Kraft.
Der Kläger hat von der Beklagten im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs den Ersatz der Hälfte des von ihm an den Krankenversicherer gezahlten Betrages verlangt. In den Vorinstanzen hatte die Klage teilweise Erfolg. Das OLG ging von einem Mitverschulden der Krankenschwester von 3/4aus. Die Revision der Beklagten führte zur Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

Zutreffend geht das OLG davon aus, daß die Beklagte verpflichtet war, im Rahmen des ihr Zumutbaren alle Gefahren abzuwenden, die sich bei der Benutzung ihres Atemüberwachungsgerätes ergaben und von denen sie im Rahmen der Produktbeobachtung Kenntnis erhalten hatte (Sen.Urt. MDR 1987, 396 = VersR 1987, 312, 313). Dazu gehörten auch die Gefahren, die aus der falschen Handhabung der Elektrodenkabel entstehen konnten, welche sie zwar nicht selbst hergestellt, aber als Zubehör ihres Atemüberwachungsgerätes mitgeliefert hatte.
Der Senat folgt dem OLG auch darin, daß die Beklagte die Pflicht gehabt hätte, andere Elektrodenzuleitungen (mit Buchsenanschluß) als Zubehör anzubieten, wenn solche im Jahre 1986 bereits im Handel waren. Aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen ergibt sich jedoch noch nicht, daß die Beklagte verpflichtet war, den Eltern des Kindes andere Elektrodenzuleitungen zur Verfügung zu stellen.
Aus dem Bericht des Gewerbeaufsichtsamtes vom 25.6.1986 ergab sich nicht, daß die damals schon im Handel befindlichen anderen Zuleitungen auch für das von der Beklagten hergestellte Gerät verwendbar waren. Es ist nicht ersichtlich, wie die Beklagte als reiner Gerätehersteller in der Lage gewesen sein sollte, kurzfristig solche Zuleitungen mit Kabeln und anderen Anschlüssen selbst herzustellen.
Das Berufungsurteil könnte nur dann aufrechterhalten bleiben, wenn die Beklagte bereits vor dem 19.1.1988 verpflichtet gewesen wäre, andere Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, und wenn dadurch der Schaden hätte verhindert werden können.
Für die Beklagte bestand bereits 1987 die Pflicht, ihren Zulieferer zu veranlassen, kurzfristig andere Anschlußleitungen herzustellen und ihr zu liefern. Da es um Lebensgefahren ging, hatte sie alles in ihren Kräften Stehende zu unternehmen, um auf eine entsprechende Konstruktionsänderung hinzuwirken. Aufgrund der bisherigen Feststellungen kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß die Beklagte diese Pflicht verletzt hat. Der Senat kann, obwohl die Entwicklung der neuen Elektrode erst Anfang Dezember 1987 abgeschlossen war und es bis zu deren Herstellung und Auslieferung nochmals vier Monate dauerte, nicht beurteilen, ob die Beklagte die Möglichkeit hatte, auf eine schnellere Änderung der Kabelanschlüsse durch ihren Zulieferer hinzuwirken. Ein Hersteller, der für seine Produkte nur gebrauchsfertige Einzelteile verwendet, wie sie allgemein im Handel erworben werden können, hat auf deren Konstruktion im allgemeinen nur einen geringen Einfluß. Auch er muß selbstverständlich dafür sorgen, daß er grundsätzlich nur solche Teile erwirbt, die für den Produktverwender oder für Dritte nicht gefährlich werden können. Er hat deshalb durch Zielvorgaben an seinen Zulieferer sicherzustellen, daß das Zulieferprodukt keine sicherheitsrelevanten Mängel aufweist (vgl. Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 25 Rn. 38; Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kz. 3250, S. 6).
Muß der Endproduktehersteller allerdings erkennen, daß die Produktionsumstellung bei seinem Zulieferer viele Monate beträgt, obwohl die Konstruktion eines gefahrlosen Produkts „technisch leicht machbar” ist, dann muß er versuchen, schnellstens von einem anderen Unternehmen nicht gefahrträchtige Zubehörteile herstellen zu lassen.
Aufgrund der getroffenen Feststellungen läßt sich auch nicht beurteilen, ob die Beklagte die Benutzer vor der Gefahr der Verwechslung des Steckers hätte warnen müssen und ob damit der Schaden hätte verhindert werden können.
Mit Recht geht das OLG davon aus, daß durch Warnhinweise, wie sie die Beklagte und die Deutsche Elektrotechnische Kommission im DIN und VDE an die beteiligten Fachkreise verschickt hatten, keine ausreichende Sicherheit vor den drohenden Gefahren geschaffen werden konnte.
Ungeklärt ist bisher auch, ob Alternativlösungen wie die Anbringung eines deutlichen Warnschildes an der Front- oder der Oberseite des Geräts bzw. an der Patientenleitung und dem stromführenden Kabel den Schaden mit einigermaßener Aussicht auf Erfolg hätten vermeiden können. Diese Frage kann nur von dem Tatrichter nach sachverständiger Beratung beantwortet werden.

MDR 1995, 46
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