OLG München: Totalendoprothese bei Oberschenkelhalsbruch

1. Bei einem Oberschenkelhalsbruch einer 59jährigen mit Diabetes ist eine Totalendoprothese indiziert; eine zementlose Prothese ist korrekt.

2. Für die Aufklärung genügt es, neben den sonstigen Risiken darauf hinzuweisen, daß ein bestimmter Erfolg nicht garantiert oder mit Sicherheit vorausgesagt werden kann. Ein Hinweis auf die Erschwerung durch Diabetes, auf künftige Osteoporose ist nicht nötig.

OLG München, Urteil v. 30.06.1994 – 1 U 1970/94
Instanzen:
LG Landshut - 43 O 1633/93
BGB § 823


Aus den Entscheidungsgründen:

... Aufgrund dieser Darlegung muß bei der Klägerin, die noch dazu Diabetikerin ist und die zur Unfallzeit schon im neunundfünfzigsten Lebensjahr war, die Indikation zu einer Totalendoprothese nach der medialen Schenkelhalsfraktur vom 5.8.1987 bestätigt werden (zu erwähnen ist, daß Gewebsheilungen bei Diabetikern fast immer schlechter sind als bei gesunden Menschen - auch das mußte einkalkuliert werden).
Bei einer Hüftgelenkstotalendoprothese kommt entweder eine zementierte oder eine unzementierte Prothese in Frage. Die zementierte Prothese wird rasch fest, ist bald belastbar, hat erfahrungsgemäß aber nur begrenzte Zeit Stabilität, weil sich dann im Laufe der Jahre um den Zement ein Osteolysesaum bildet. Mag sein, daß dafür auch die hohe Hitze und Schädigung der Umgebung ursächlich ist, mit der Bone-Zement sich festigt (= über 100 Grad Celsius). Bei einer einzementierten Prothese rechnet man durchschnittlich mit fünf bis zehn Jahren, nach denen eine neue Implantation erforderlich wird. Allerdings ist die Prothese sofort nach Beendigung der Operation belastbar. Bei einer unzementierten Prothese ist die Belastbarkeit sehr verzögert, denn in Rillen und oft auch in Löcher des Prothesenschaftes muß erst Knochen einwachsen, um eine optimale Festigkeit zu erreichen, d.h. also knöcherne Reaktion, wie bei einer Fraktur. Dies dauert Zeit, macht also für Wochen die Prothese nur sehr eingeschränkt belastbar. Das Risiko einer Lockerung allerdings ist bei einer gut eingewachsenen unzementierten Prothese auf längere Sicht geringer als bei einer zementierten. Erwähnt sei noch, daß die hohe Temperatur mit der Bone-Zement sich festigt, oft eine erhebliche Kreislaufbelastung während der Zeit der Überhitzung bedeutet, was vor allem für kreislaufkranke Menschen intraoperativ eine Gefahr sein kann.
Somit ist die Verwendung einer zementlosen Prothese bei der Klägerin als korrekt zu bestätigen. Diese Verfahrensweise entspricht heute üblichen Vorstellungen. In der Regel werden (wegen der begrenzten Stabilität) nur bei sehr alten Menschen primär zementierte Prothesen verwendet. Zuzugeben ist allerdings, daß es unterschiedliche chirurgische Auffassungen zu dieser Frage gibt, manche also immer zementierte Prothesen einsetzen, andere nicht.
Bis heute ist um die Prothese - weder im Bereich der eingeschraubten Pfanne, noch in Umgebung des Schaftes - ein Osteolysesaum zu erkennen, der eine Lockerung beweisen würde. Verändert hat sich jedoch im Laufe der Zeit im Schaftbereich die Knochenstruktur im Sinne einer Osteoporose - sie wurde "gläsern" und die Knochenkompakta hat sich im Seitenvergleich hochgradig verdünnt, auf unter 1 mm. Das kann aber nicht einem technischen Fehler bei der Implantation angelastet werden.
Der Vorwurf, daß ein ärztlicher Fehler bzw. chirurgisch-technischer Fehler Grund für eine Lockerung der Totalendoprothese wäre, ist somit auszuschließen. Im übrigen haftet das Risiko einer Materiallockerung unvermeidbar jeder Implantation von Metall an.
Auch wegen der zweimaligen Luxation der Totalendoprothese am 26.8. und 4.9.1987 ist ein ärztlicher Fehler als Ursache nicht nachzuweisen.
Während der röntgenologische Sitz der künstlichen Pfanne und des künstlichen Schaftes mit Hüftkopf als korrekt angesehen werden muß, ist klinisch eine Beinverkürzung um knapp zwei Zentimenter und auch eine geringe Dislocatio ad peripheriam nachzuweisen. Solche Verkürzungen sind oft vermeidbar, weil die Länge des frakturierten Schenkelhalses oft nicht ganz exakt bestimmbar ist und auch, weil sowohl im Bereich der Pfanne als auch nach Abtragung der Trochanterregion ein geringer Knochen- und damit Längenverlust unvermeidbar ist.
Zur jetzt - im Untersuchungszeitpunkt - nur beim Liegen erkennbaren geringen Außendrehung des linken distalen Beinabschnittes ist festzustellen, daß dafür keine Implantat-Fehllage als Ursache zu erkennen ist. Solche Fehlstellungen können auch funktionell oder sogar ungewollt, aber aktiv stattfinden.
Der Senat schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen (SV) an. Aus diesen ergibt sich auch, daß gegen die vorgenommene Operation weder der bei der Klägerin vorhandene Diabetes noch die beginnende Osteoporose sprachen. Zu letzterem hat der SV festgestellt, daß es fast keine Frau mittleren Alters gebe, bei der nicht im Ansatz, d.h. eine beginnende Osteoporose bestehe. Das habe hormonelle Gründe. Nicht voraussehbar aber sei die Entwicklung einer so hochgradigen Osteoporose gewesen, wie sie bei der Klägerin zuletzt vorgelegen sei. ...

OLGReport München 1994, 217
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