OLG Karlsruhe: Haftung für Großkopf-Hüfttotalendoprothese

Der Kläger macht Produkthaftungsansprüche wegen Gesundheitsschäden durch erhöhten Metallabrieb einer ihm implantierten Großkopf-Hüfttotalendoprothese geltend. Die Beklagten sind der Hersteller des Prothesensystems (Beklagter zu 2) sowie dessen Importeur in den Europäischen Wirtschaftsraum (Beklagter zu 1).

Der Kläger wurde im Juni 2005 im Krankenhaus der Streithelferin mit einem Prothesensystem des Beklagten zu 2 versorgt. Diese sogenannte Großkopfprothese bestand aus einer Hüftpfanne, einem Prothesenkopf, einem Konusadapter und einem Prothesenschaft. Hüftpfanne und Prothesenkopf bildeten eine Metall-auf-Metall Gleitpaarung.

In der für das Jahr 2005 maßgeblichen Operationsanleitung der Beklagten zu 2 war zur Fügung der Konussteckverbindung zwischen Adapter und Schaft der Hinweis enthalten: „Mit einem leichten Schlag des Einschlagwerkzeugs mit Kuststoffaufsatz wird der Me.-LHD-Kopf auf den Femurschaft montiert“. Der Schaftkonus sei mit Tupfern von jedem verbleibenden Blut zu reinigen und zu trocknen.

Im Januar 2009 ergab eine Routineuntersuchung bei dem Kl. den Verdacht auf erhöhten Metallabrieb. Im August 2009 wurden röntgenologisch Osteolysen (Knochenabbau) im Bereich des Oberschenkelknochens festgestellt. Auf ärztlichen Rat unterzog sich der Kläger am 23.10.2009 einer Revisionsoperation, bei der Hüftpfanne und Prothesenkopf gewechselt wurden. Festgestellt wurden zwei große Osteolysen, eine ausgeprägte Schleimbeutelreizung an der Hüfte sowie eine gräuliche Masse ähnlich einer „Maultaschenfüllung“ und ein schwarz gefärbter Konus mit Kranz. Zwei Blutproben am Tag der Revisionsoperation ergaben Werte von Chrom 1,3 µg/l und 1,6 µg/l sowie Kobalt 4,9 µg/l und 5,6 µg/l.

Der Kläger macht gegenüber den Beklagten Ansprüche auf Schmerzensgeld sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden wegen der Implantation geltend.

Problematisch war, ob das Prothesensystem einen Fehler gemäß § 3 ProdHaftG aufweist wegen eines nicht mehr akzeptablen Maßes an korrosionsbedingtem Metallaustritt an der Adapter-Schaft-Steckverbindung (Konstruktionsfehler) sowie wegen der Operationsanleitung, die lediglich einen „leichten Schlag“ zur Fügung von Adapter und Schaft vorsieht (Instruktionsfehler). Zudem war zu klären, ob eine dadurch bedingte Gefährlichkeit des Prothesensystems nach dem Stand von Wissenschaft und Technik bei Inverkehrbringen nicht erkennbar und damit als ein Entwicklungsfehler im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG zu werten war, für den die Beklagten nicht haften würden.

Das OLG Karlsruhe hat die Berufungen der Beklagten zurückgewiesen und damit die Verurteilung durch das LG Freiburg zur gesamtschuldnerischen Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von  25.000,00 € und Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht bestätigt.

Nach Auffassung des OLG Karlsruhe haften die Beklagten gesamtschuldnerisch als Hersteller (§ 4 ProdHaftG) für das bei Inverkehrbringen fehlerhafte Implantatsystem nach § 1 Abs. 1 Satz 1, § 8 ProdHaftG. Die Beklagten hätten demgegenüber nicht bewiesen, dass die Fehlerhaftigkeit des Systems bei Inverkehrbringen nicht erkennbar im Sinne eines bloßen Entwicklungsfehlers war.

  1. Die für einen Produktfehler gemäß § 3 Abs. 1 ProdHaftG maßgebliche, berechtigte Sicherheitserwartung sei nach den Sicherheitsinteressen der betroffenen Patientengruppen zu bestimmen (hier vorwiegend ältere und gesundheitlich vorgeschädigte Personen). Zudem verweist das Gericht aus regulatorischer Sicht auf die (Risiko-)Klasse III, zu der Hüftendoprothesen gehören, aus der sich auch haftungsrechtlich auf das außergewöhnliche Schadenspotential für Patienten schließen lasse. Gemessen daran sei nach Auffassung des OLG Karlsruhe ein Prothesensystem fehlerhaft, wenn die Möglichkeit eines erhöhten Metallaustritts in den Körper besteht, die gesundheitlich bedenklich ist. Hier hätten die beim Kläger (sowie die in anderen Parallelverfahren bei anderen Patienten) gemessenen Chrom- und Kobalt-Konzentrationen im Blut deutlich höher gelegen, als sie in der Werbebroschüre der Beklagten allgemein für Metall-auf-Metallpaarungen angegeben seien. Dabei sei der Austritt von Metallionen am Adapter, anders als bei einem in gewissem Maß unvermeidlicher Abrieb bei der Metall-auf-Metall-Gleitpaarung, sogar als problematischer zu bewerten. Die gesundheitsschädlichen Auswirkungen (nekrotisches Gewebe als lokale Reaktion auf Metallkonzentration) sind nach Auffassung des Gerichts bei dem Kläger anhand der eingeholten medizinischen Gutachten nicht nur möglich, sondern sogar nachgewiesen.
  2. Unerheblich sei, dass die genauen Zusammenhänge, wie es zu dem erhöhten Metallaustritt am Adapter kommt, wissenschaftlich im Detail nicht geklärt seien. Entscheidend sei, dass alle diskutierten Gründe, insbesondere die galvanische Korrosion, durch eine ausreichende Fügekraft zwischen Adapter und Schaft hätten weitgehend sicher beherrscht werden können. Diese Gründe lägen alle im Verantwortungsbereich der Beklagten. Mit dem in der Operationsanleitung vorgesehenen „sanften Schlag“ sei die erforderliche Fügekraft konstruktiv aber keinesfalls herzustellen gewesen (insofern liege hier auch ein Instruktionsfehler vor). Ein kräftiger Schlag mit einem schweren Hammer (wie in einer späteren Fassung der Operationsanleitung beschrieben) könnte zwar für die nötige Fügekraft ausreichen, das Ergebnis wäre aber nicht sicher immer reproduzierbar und es bestehe dann die Gefahr von Knochenfrakturen. Eine Fügekraft der Konusverbindung die einen potentiell gesundheitsschädlichen Metallaustritt durch galvanische Korrosion am Adapter weitgehend sicher verhindert hätte, sei damit bei der gewählten Konstruktion nicht beherrschbar. Dieser Konstruktionsfehler sei nach Überzeugung des Gerichts aufgrund der eingeholten Gutachten auch ursächlich für die festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen (lokale, implantatassoziierte Reaktionen).
  3. Einen alternativen Kausalverlauf, wie etwa intraoperativ falscher Einbau oder Reinigung der Prothese, hätten die Beklagten nicht nachweisen können (wobei für die darzulegenden Umstände ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit für eine alternative Ursache genüge). Wenn sich die Beklagte auf mögliche Knochen- oder Blutreste am Adapter berufen, sieht das OLG Karlsruhe schon den Hinweis in der Operationsanleitung zur Reinigung von Blutresten als unzureichend an. Denn hieraus geht für den Operateur schon nicht hervor, dass es sich um einen für die Produktsicherheit wichtigen Arbeitsschritt handeln könne.
  4. Schließlich hätten die Beklagten nicht bewiesen, dass die Konstrutkions- und Instruktionsfehler bei Inverkehrbringen des betroffenen Implantats nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkennbar gewesen seien (sog. Entwicklungsfehler oder Entwicklungsrisiko, § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG). Die Beweislast für diese Entlastungsmöglichkeit tragen die Beklagten (§ 1 Abs. 4 Satz 2 ProdHaftG). Für die Erkennbarkeit sei auf das allgemeine, mit der gewählten Konzeption verbundene Fehlerrisiko abzustellen. Bei Inverkehrbringen im Jahr 2005 sei aber durch wissenschaftliche Veröffentlichungen längst bekannt gewesen, dass es bei modularen Steckverbindungen zu korrosionsbedingtem Metallaustritt kommen kann. Insbesondere sei auch das medizinprodukterechtlich durchgeführte Konformitätsbewertungsverfahren, bei dem der Metallabrieb am Adapter nicht erkannt wurde, und die Anbringung der CE-Kennzeichnung nach Auffassung des OLG Karlsruhe ohne Bedeutung für die hier maßgebliche Frage der produkthaftungsrechtlichen Erkennbarkeit bei der gewählten Konstruktion.
OLG Karlsruhe, Urteil v. 08.06.2020 – 14 U 171/18
Instanzen:
LG Freiburg, Urteil vom 15.10.2018 - 1 O 240/10
§ 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 und 5, Abs. 4 Satz 2, § 3, § 8 ProdHaftG


Gründe:

I. Der Kläger macht gegenüber den Beklagten Ansprüche auf Schmerzensgeld sowie auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schadens wegen der Implantierung einer Großkopf-Hüfttotalendoprothese geltend.

Der Kläger litt an einer schweren Coxarthrose (Hüftgelenksverschleiß) der rechten Hüfte und wurde daher am 24.06.2005 im Lo.-Krankenhaus der Streithelferin mit einer Du.Me.kopf-Hüfttotalendoprothese versorgt. Die Beklagte Ziffer 2 ist die Herstellerin dieser sogenannten Großkopfprothese. Die Beklagte Ziffer 1 hat sie erstmals im Jahr 2003 in den Europäischen Wirtschaftsraum importiert. Zuvor wurden sogenannte Kleinkopfprothesen mit einem Durchmesser von 28 mm verwendet.

Das Prothesensystem bestand aus einer Hüftpfanne der Marke Du. Größe 58 mm, einem Prothesenkopf der Marke Me., Durchmesser 52 mm, Größe S, einem Konusadapter der Größe S und einem Prothesenschaft der Größe 12,5 mit einem Konusschaft von 14 mm. Pfanne und Prothesenkopf bilden die Metall-auf-Metall-Gleitpaarung oder Artikulation, die die Bewegung ermöglicht. Der Prothesenkopf verfügt auf seiner Unterseite über einen konischen Hohlraum, in den vor der Implantation der Konusadapter eingeschlagen wird. Der Konusadapter, der auch als Adapterhülse bezeichnet wird, ist ein ebenfalls konisch geformter Hohlkörper, der der Anpassung des Abstands von Oberschenkelknochen und Hüftgelenk dient.

Der Prothesenschaft wurde in den Oberschenkelknochen (Femur) eingeschlagen. Er verfügt im vorderen Bereich über einen ebenfalls konisch geformten Abschnitt, auf den bei der Implantation der Prothesenkopf mit dem dort bereits eingeschlagenen Konusadapter aufgebracht wurde. Das System aus konisch geformten Steckelementen wird auch als Konussteckverbindung bezeichnet. Die Hüftpfanne, der Prothesenkopf sowie der Konusadapter bestehen aus einer Kobalt-Chrom-Molybdän-Legierung (Co-Cr-Mo), wobei auf den äußeren Teil der Hüftpfanne eine Titanlegierung aufgedampft ist. Der Prothesenschaft besteht aus einer Titanlegierung (Ti6Al7Nb).

Der Kläger erlitt bei der Implantation des Prothesenschaftes eine Femurfissur (Oberschenkelknochenspalte/-riss), die mit einer Cerclage (Umschlingung des Knochens mit medizinischen Hilfsmitteln) versorgt wurde. Der sich anschließende Heilungsverlauf war komplikationslos und der Kläger wurde alsbald nahezu schmerzfrei. Im Januar 2009 ergab sich bei einer Routineuntersuchung des Klägers der Verdacht auf einen erhöhten Metallabrieb. Im August 2009 wurden durch Röntgenbildgebung Osteolysen (Knochendefekt/-abbau) am Trochanter major (Rollhügel/Knochenvorsprung des Oberschenkelknochens) festgestellt. Auf Anraten der Ärzte der Streithelferin unterzog sich der Kläger am 23.10.2009 einer Revisionsoperation, bei der Pfanne und Kopf der Prothese gewechselt, der Schaft hingegen im Femur belassen wurde. Die Operateure stellten zwei große Osteolysen am Trochantermassiv des Femurs, eine ausgeprägte Bursitis trochanterica (Schleimbeutelreizung an der Hüfte) sowie eine gräuliche Masse „ähnlich einer Maultaschenfüllung“ und einen schwarz gefärbten Konus mit Kranz fest. Die Pfanne saß ausreichend fest, war jedoch knöchern nicht in den Beckenknochen integriert. Zwei Blutproben am Tag der Revision ergaben folgende Werte: Chrom 1,3 μg/l und 1,6 μg/l sowie Kobalt 4,9 μg/l und 5,6 μg/l. Es wurden zudem Proben des periprothetischen (in der Nähe eines Implantats liegenden) Gewebes entnommen und später untersucht.

Die für die Implantation maßgebliche Operationsanleitung enthielt zur Frage der Fügung der Konussteckverbindung den Hinweis: „Mit einem leichten Schlag des Einschlagwerkzeugs mit Kunststoffaufsatz wird der Me.-LDH-Kopf auf den Femurschaft montiert“. Und zur Reinigung: „Den Schaftkonus mit Tupfern von jedem verbleibenden Blut reinigen und trocknen.“

Der Kläger behauptet, das Du.-Me.-LDH-Prothesensystem sei fehlerhaft, weil es zu Metallabrieb in der Konussteckverbindung gekommen sei. Der Metallabrieb liege über den Grenzwerten bzw. sei gesundheitsschädigend und habe zu Osteolysen, Bursitis und einem unzureichenden Einwachsen der Prothesenpfanne geführt. Die Fehlerhaftigkeit des Produkts hätte bei ordnungsgemäßer Auswertung der wissenschaftlichen Literatur, Durchführung von Tests und klinischen Studien erkannt werden können und müssen.

Die Beklagten haben erstinstanzlich geltend gemacht, das Prothesensystem sei nicht fehlerhaft. Bei jedem Prothesensystem könne es zu (Metall-) Abrieb in der Gleitpaarung kommen. Größere Köpfe führten nicht zu höheren Reibmomenten. Auch die Größe der Adapterhülse habe keinen Einfluss auf die Verbindungsfestigkeit, da die Hebelarme und die Lage des Drehzentrums bei unterschiedlichen Hülsengrößen ähnlich seien. Eine entsprechend der OP-Anleitung gefügte Konussteckverbindung sei zumindest bei erwartbar guter Schmierung des Gelenks stabil. Jedenfalls habe sich eine etwaige Fehlerhaftigkeit der OP-Anleitung nicht ausgewirkt, da die behandelnden Ärzte der Streithelferin die Konussteckverbindung unstreitig mit fünf bis zehn Schlägen aufsteigender Intensität gefügt hätten.

Es kämen zahlreiche Alternativursachen für einen etwa erhöhten Metallabrieb in Frage. So habe der Sachverständige Rückstände von organischem Material wie Blut und Knochensplittern in der Konussteckverbindung gefunden. Hieraus ergebe sich, dass der Operateur die Konussteckverbindung entgegen der OP-Anleitung vor der Fügung nicht sorgfältig gesäubert und getrocknet habe. Jedenfalls werde die Kausalität eines etwaigen Metallabriebs für die festgestellte Bursitis trochanterica, die Osteolysen und die Notwendigkeit der Revisionsoperation bestritten. Der Metallabrieb liege vorliegend im Toleranzbereich und sei für nicht hypersensible Personen unbedenklich.

Für die Beschwerden des Klägers kämen schließlich eine Reihe von Alternativursachen wie etwa Überlastung, hohes Körpergewicht, Allergien, Infektionen, falsche Platzierung oder Lockerungen der Prothese in Betracht. Allergische bzw. immunologische Reaktionen auf Partikel aus der Gleitpaarung seien als sog. Partikelkrankheit seit langem bekannt. Die Beschwerden könnten insbesondere auch Folgen der Grunderkrankung, insbesondere also der degenerativ fortschreitenden Arthrose, sein.

Schließlich sei eine – bestrittene – Fehlerhaftigkeit des Prothesensystems für die Beklagten jedenfalls nicht erkennbar gewesen. Die erforderlichen Testungen nach ISO 14242-1 seien erfolgt (Anlage B 52). Die CE-Kennzeichnung des Produkts bestätige die Konformität mit den maßgeblichen EU-Normen.

Das Landgericht hat mehrere Sachverständigengutachten eingeholt. Durch Urteil vom 15.10.2018 hat es die Beklagten nach §§ 1 Abs. 1 S. 1, 8 ProdhaftG als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 25.000,00 € verurteilt und ihre Pflicht zum Ersatz weiteren Schadens festgestellt. Den weitergehenden Schmerzensgeldantrag (15.000,00 €) hat das Landgericht abgewiesen.

Das Produkt der Beklagten habe einen Fehler i.S.d. § 3 Abs. 1 ProdhaftG. Ein Fehler liege darin, dass die Konussteckverbindung des Prothesensystems Metall in einer Menge verliere, die gesundheitlich bedenklich sei. Hierfür kämen verschiedene Fehlerquellen und Schadensmechanismen in Betracht. Vorliegend habe ein Instruktionsfehler in Bezug auf die bei der Fügung anzuwendende Kraft zu galvanischer Korrosion in der Konussteckverbindung geführt.

Aber auch sämtliche sonst denkbaren Fehlerquellen und Schadensmechanismen fielen in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Die Ersatzpflicht der Beklagten sei auch nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdhaftG ausgeschlossen. Der Produktfehler sei im Zeitpunkt der Inverkehrgabe im Jahr 2005 nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erkennbar gewesen. Ein sog. Entwicklungsfehler (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdhaftG), für den die Beklagte nicht einzustehen hätte, liege nicht vor, denn dieser setze voraus, dass die potenzielle Gefährlichkeit des Produkts im Zeitpunkt seiner Inverkehrgabe nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik nicht habe erkannt werden können. Dabei komme es nicht auf den konkreten Fehler des Schadens stiftenden Produkts, sondern dass auf das mit der gewählten Konzeption verbundene allgemeine Fehlerrisiko an.

Der erhöhte Metallabrieb habe beim Kläger zu Gesundheitsschäden geführt.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände ein Betrag von 25.000,00 € angemessen. Der Feststellungsantrag sei weitgehend begründet. Ein schutzwürdiges rechtliches Interesse im Sinne von § 256 ZPO des Klägers liege vor. Die Feststellung sei jedoch hinsichtlich der immateriellen Schäden wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes auf die nicht vorhersehbaren zukünftigen Schäden zu begrenzen.

Gegen diese Entscheidung haben die Beklagten Berufungen mit dem Ziel einer Klagabweisung eingelegt.

Es sei zwar in einigen Fällen beim Einsatz des Prothesenmodells zu einem Materialverlust an der Konusverbindung gekommen. Jedoch seien die Ursachen bis heute völlig unklar. Die Feststellung des Landgerichts, dass die Verbindung bei dem Kläger nicht mit der erforderlichen Kraft gefügt worden sei, sei unzutreffend. Die Streithelferin habe vorgetragen, dass der Operateur den Gelenkkopf in allen Fällen mit dem herstellerseits zur Verfügung gestellten Werkzeug mit ca. fünf bis zehn Schlägen in steigender Intensität auf den Schaftkonus aufgeschlagen habe, bis man an dem Klang des Knochens beim Schlag gehört habe, dass er bei noch höherer Schlagkraft zu brechen drohte. Der Sachverständige Prof. K. habe auf Rückfrage klargestellt, dass bei suffizienter Schmierung eine Fügekraft von 4 kN ausreichend sei und 6 kN nur bei insuffizienter Schmierung erforderlich seien. Die Anweisungen zum Reinigen des Schaftkonus hätten mit hinreichender Sicherheit dessen Sauberkeit gewährleistet, daran hätten sich die Ärzte der Streithelferin aber nicht gehalten. Eine Gesundheitsschädlichkeit von Kobalt- und Chrom-Konzentrationen im Blut könne schon grundsätzlich nicht festgestellt werden. Zudem könne es nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auch aufgrund des schicksalhaften, unvermeidlichen Abriebs aus der Artikulation (Gleitpaarung) zu Osteolysen bzw. Pseudotumoren kommen. Es sei nicht nachgewiesen, dass sich beim Kläger nicht das allgemeine, mit der Implantation jeder Prothese einhergehende Risiko verwirklicht habe, sondern dass der aufgrund eines Produktfehlers entstandene erhöhte Metallabrieb ursächlich für die Osteolysen und den Pseudotumor gewesen sei. Die Ausführungen des Landgerichts zur vermeintlichen Erkennbarkeit des angeblichen Produktfehlers seien fehlerhaft. Aus den vom Landgericht angeführten Vorschriften der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte ergebe sich keine Notwendigkeit einer klinischen Studie im vorliegenden Fall.

Die Beklagten beantragen,

  1. unter Abänderung des am 15.10.2018 verkündeten und den Beklagten am 22.10.2018 zugestellten Urteils der 1. Zivilkammer des Landgerichts Freiburg, Az. 1 O 240/10, die Klage vollumfänglich abzuweisen,
  2. hilfsweise den Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils zurückzuverweisen (§ 538 Abs. 2 ZPO).

Der Kläger und die Streithelferin beantragen,

die Berufungen kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger und die Streithelferin verteidigen das landgerichtliche Urteil. Das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die konische Verbindung der Hüftprothese nicht mit der erforderlichen Kraft und daher nicht ausreichend gefügt worden sei. Eine ausreichende Verbindungsfestigkeit sei nur bei einer Fügung mit 7 kN zu erreichen. Eine solche könne intraoperativ nicht gewährleistet werden. Nach der übereinstimmenden Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen seien die bei ihm festgestellten Werte gesundheitlich bedenklich. Die Sachverständigen hätten auch keinen Zweifel daran gelassen, dass die Osteolysen auf ein Implantatproblem und somit nicht auf nur üblichen Metallabrieb zurückzuführen seien.

Mit Verfügung vom 13.09.2019 hat der Senat gegenüber den gerichtlichen Sachverständigen ergänzende Fragen und Vorhalte zum Fehler, zur Kausalität des Fehlers für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers sowie zur Erkennbarkeit und zur Zulassung des Prothesensystems der Beklagten mitgeteilt.

Die Beklagten haben sodann mit Schriftsatz vom 30.12.2019 zu den ergänzenden Fragen aus der Verfügung des Gerichts sowie zu einer vorab hierzu erfolgten schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 15.10.2019 weiter zur galvanischen Korrosion, zur Höhe der erforderlichen intraoperativen Fügekraft sowie zu der im konkreten Fall des Klägers aufgewandten Fügekraft vorgetragen sowie auf die Berufungserwiderung des Klägers vom 18.04.2019 erwidert.

Im Termin vom 13.01.2020 hat der Senat den Kläger ergänzend informatorisch angehört sowie eine Beweisaufnahme durch ergänzende Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. K., Prof. Dr. M. und PD Dr. Kl. und Vernehmung des Zeugen Dr. H. vorgenommen. Wegen des Inhalts im Einzelnen wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II. Die zulässigen Berufungen sind unbegründet.

Das Landgericht hat zutreffend einen Anspruch aus §§ 1 Abs. 1 S. 1, 8 ProdhaftG bejaht. Die Beklagten haben als Hersteller des streitgegenständlichen Prothesensystems ein fehlerhaftes Produkt in Verkehr gebracht, das zu einem Gesundheitsschaden des Klägers geführt hat. Die Beklagten haben nicht bewiesen, dass die Fehlerhaftigkeit des Produkts nicht erkennbar war.

A. Nach § 1 ProdhaftG ist der Hersteller eines Produkts zum Schadensersatz verpflichtet, wenn durch den Fehler des Produkts zur Zeit des Inverkehrbringens jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird.

Ein Produkt hat nach § 3 Abs. 1 ProdhaftG, Art. 6 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Amtsblatt Nr. L 210 vom 7. August 1985, S. 29-33) einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs, und des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann. Für die Beurteilung des Vorliegens eines Fehlers ist auf den Zeitpunkt der Inverkehrgabe des konkreten Produkts, nicht der Produktserie abzustellen (vgl. § 3 Abs. 1 lit. c. ProdhaftG „des Produkts“ Oechsler, in: Staudinger/Oechsler Neubearbeitung 2018, ProdHaftG § 1 Rn. 117 mit Aktualisierung 2020 Rn. 117.1; BGHZ 181, 253). Dies ist hier das Einbaujahr 2005.

1. Der Verkehr erwartet, dass eine Hüftprothese kein Material – Abriebpartikel oder Metallionen – in solchen Mengen in den Körper abscheidet, dass eine Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen werden kann. Etwas anderes gilt nur für solche Abscheidungen, die zwangsläufig hingenommen werden müssen, wie etwa ein Mindestmaß von Abrieb in der Gleitpaarung.

Diese „berechtigten Sicherheitserwartungen“ ergeben sich – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – in wertender Betrachtung nach denselben objektiven Maßstäben wie bei der Bestimmung von Verkehrssicherungspflichten des Herstellers im Rahmen der deliktischen Haftung (vgl. Wagner, in Münchner Kommentar, 7. Aufl. 2017, ProdHaftG § 3 Rn. 6 ff.; BGH, Urteil vom 17.03.2009 – VI ZR 176/08 – juris, Rn. 5 ff.).

Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit hat der Hersteller diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach den Gegebenheiten des konkreten Falles zur Vermeidung bzw. Beseitigung einer Gefahr objektiv erforderlich und zumutbar sind. Art und Umfang der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen steigen mit zunehmender Größe der Gefahren. Bei erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen sind dem Hersteller weitergehende Maßnahmen abzuverlangen, als bei bloßer Gefährdung von Sachwerten (BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 1/12 – Heißwasser-Untertischgeräte, juris, Rn. 13; BGH, Urteil vom 17.03.2009 – VI ZR 176/08 – juris, Rn. 7; BGH, Urteil vom 09.12.1986 – VI ZR 65/86 –, juris, Rn. 24). Die Verantwortung des Herstellers erweitert sich gegenüber diesen allgemeinen Maßstäben, wenn das Produkt an Risikogruppen vertrieben wird (vgl. BGH, Urteil vom 17.03.2009 – VI ZR 176/08 – juris, Rn. 7). Risikogruppen können beispielsweise Kinder oder – wie hier – vorwiegend ältere und gesundheitlich vorgeschädigte Personenkreise sein.

Die Beklagten beanstanden, dass das Landgericht bei der entsprechenden Beurteilung einen falschen Maßstab angelegt hat. Bei der Beurteilung, ob ein Produkt fehlerhaft ist, sei gemäß § 3 ProdHaftG nicht etwa auf die subjektive Sicherheitserwartung des jeweiligen Benutzers, sondern objektiv darauf abzustellen, ob das Produkt diejenige Sicherheit bietet, die die Allgemeinheit, das heißt die Personen, an die sich der Hersteller mit seinen Produkten wendet, für erforderlich hält. Es sei insbesondere verfehlt, von einem erweiterten Maßstab auszugehen, weil das Produkt vorwiegend an ältere und vorgeschädigte Personenkreise vertrieben werde.

Die Beklagten verkennen, dass sich das Produkt auch an diese Risikogruppe richtet, deren Sicherheitserwartungen mitzuberücksichtigen sind. Wird ein Produkt mehreren Adressatenkreisen angeboten, muss es erhöhten Sicherheitsanforderungen genügen, die auf das Wissen und Gefahrsteuerungspotential der am wenigsten informierten und zur Gefahrsteuerung kompetenten Gruppe Rücksicht nehmen (vgl. BGH Urteil vom 17.03.2009 – VI ZR 176/08 –, VersR 2009, 649, Rn. 7 – Kirschtaler; Münchener Kommentar/Wagner, BGB, 7. Aufl., § 3 ProdHaftG, Rn. 10; Kullmann, Produkthaftung, 6. Aufl. 2010, § 3 Rn. 6; Graf von Westphalen in Foerste/Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, 3. Aufl., § 48 Rn. 16, jeweils m.w.N; BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 1/12 –, Rn. 12, juris). Danach hat sich die Frage der Produktsicherheit vorliegend auch an den Erwartungen älterer oder auch jüngerer gesundheitlich vorgeschädigter Personen zu orientieren. Entscheidend ist also die Frage, was ein (angesichts der Notwendigkeit einer Operation gesundheitlich vorgeschädigter) Patient für berechtigte Sicherheitserwartungen an eine Hüftprothese stellen kann. Ein solcher Patient kann erwarten, dass bei diesen Hüftprothesen die als feste Verbindungen konzipierten Prothesenteile fest bleiben und keine solchen Mengen an Metallpartikeln und -ionen an den Körper abscheiden, dass eine Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen ist.

Dabei ist es für das Vorliegen eines Fehlers nicht erforderlich, dass die Gebrauchsfähigkeit des Produkts aufgehoben oder eingeschränkt wird. Gemäß Erwägungsgrund 6 der Produkthaftungsrichtlinie (Richtlinie 85/374/EWG) ist zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts nicht auf dessen mangelnde Gebrauchsfähigkeit, sondern auf einen Mangel an Sicherheit abzustellen, die von der Allgemeinheit berechtigterweise erwartet werden darf (EuGH, Urteil vom 05.03.2015, – C-503/13 –, juris, Rn. 27 ff.).

Bei medizinischen Geräten sind die Anforderungen an ihre Sicherheit, die die Patienten zu erwarten berechtigt sind, in Anbetracht ihrer Funktion und der Situation besonderer Verletzlichkeit der diese Geräte nutzenden Patienten besonders hoch. Um das Maß des Sicherheitsinteresses zu bestimmen, können hierbei insbesondere auch die Anforderungen an die Zulassung des Medizinprodukts nach den Regeln der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte herangezogen werden. Der Generalanwalt/die Generalanwältin des EuGHs leitet besonders hohe Anforderungen bei Herzschrittmachern u.a. aus der Tatsache her, dass diese ausweislich des Anhangs IX dieser Richtlinie in die höchste Klasse III eingestuft werden (vgl. Schlussanträge vom 21.10.2014, – C-503/13 –, juris, Rn. 44). Diese besonders hohen Anforderungen sind auch auf Hüftprothesen übertragbar, da nach der Richtlinie 2005/50/EG im Rahmen einer Neuklassifizierung auch der Gelenkersatz für Hüfte, Knie und Schulter in die Klasse III eingestuft wurde. Außerdem besteht der potenzielle Mangel an Sicherheit, der die Haftung des Herstellers nach der Produkthaftungsrichtlinie (Richtlinie 85/374/EWG) auslöst, auch bei Hüftprothesen in ihrem außergewöhnlichen Schadenspotential für die betroffene Person (vgl. auch KG, Urteil vom 28.08.2015 – 4 U 189/11 –, juris, Rn. 18 ff.; Spickhoff/Mesch in: Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler, Produzentenhaftung, 01/18, Haftung für Medizinprodukte A. IV 2a). Zwar war die genannte Richtlinie 2005/50/EG vom 11. August 2005 zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens der streitgegenständlichen Operation am 24.06.2005 noch nicht in Kraft, sie war aber im Entstehen, der Antrag zur Änderung war am 24.6.2005 gestellt, die Erwägungen waren bekannt.

In den Erwägungen der Richtlinie 2005/50/EG vom 11. August 2005 heißt es:

(2) Frankreich und das Vereinigte Königreich haben beantragt, vollständige Gelenkersatzteile abweichend von den Bestimmungen des Anhangs IX der Richtlinie 93/42/EWG als Medizinprodukte der Klasse III einzustufen, damit sie vor dem Inverkehrbringen einer angemessenen Konformitätsbewertung unterzogen werden.

...

(8) Außerdem erhalten in wachsendem Maße jüngere Menschen mit hoher verbleibender Lebenserwartung künstliche Hüft-, Knie und Schultergelenke. Deshalb müssen solche Implantate möglichst während der gesamten Lebenszeit dieser Patienten einwandfrei funktionieren und die Wahrscheinlichkeit von Nachoperationen mit ihren Risiken muss verhindert werden.

(10) Vollständige Gelenkersatzteile können nach dem Inverkehrbringen und nach dem Beginn ihrer klinischen Verwendung zahlreiche Änderungen erfahren, wie an den auf dem Markt befindlichen künstlichen Hüft- und Kniegelenken ersichtlich ist. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass scheinbar unwesentliche Änderungen, die an bisher komplikationslos funktionierenden Gelenkersatzteilen vorgenommen werden, unerwartete ernsthafte Probleme zur Folge haben können, die zu frühzeitigem Versagen des Gelenks führen können und Anlass zu erheblichen Sicherheitsbedenken geben.

(11) Um bestmögliche Sicherheit zu erreichen und das Risiko konstruktionsbedingter Komplikationen zu minimieren, sollten die Auslegungsdokumentation künstlicher Hüft-, Knie- und Schultergelenke, die vom Hersteller zum Nachweis der angegebenen Leistungen vorgelegten klinischen Daten und die nach ihrem Inverkehrbringen vorgenommenen Änderungen ihrer Konstruktion und Herstellung von der benannten Stelle eingehend geprüft werden, ehe sie für die klinische Verwendung zugelassen werden.

...

(13) Aus den genannten Gründen ist eine Neueinstufung vollständiger Gelenkersatzteile für Hüfte, Knie und Schulter als Medizinprodukte der Klasse III erforderlich.

Selbst wenn die Richtlinie unmittelbar nicht zur Auslegung herangezogen werden kann, würde sich an der in ihr wiedergegebenen Verkehrserwartung der angesprochenen Kreise nichts ändern.

Das Prothesensystem ist danach fehlerhaft, wenn die Möglichkeit des Auftretens eines erhöhten Metallaustritts – insbesondere in der Konussteckverbindung – in den Körper besteht, der gesundheitlich bedenklich ist (so auch Staudinger/Oechsler (2018) ProdHaftG, Aktualisierung vom 28.02.2020, § 3 Rn. 88.1 und 108.1: „Der erhöhte Metallabrieb bei einem künstlichen Hüftgelenk stellt einen Fehler dar“ mit Hinweis auf BGH, Urteil vom 16.04.2019 – VI ZR 157/18 –, VersR 2019, 1105 Rn. 13 ff; ; KG, Urteil vom 27.05.2019 – 20 U 115/17 –, VersR 2019, 1100 Rn. 28: streng allerdings hinsichtlich der Darlegungslast).

Dies gilt auch, wenn die Auswirkungen des Fehlers nicht bei jedem Patienten auftreten und nicht vorhersehbar ist, bei welchem Patienten dies der Fall sein wird, etwa weil das von den Beklagten vorgesehene Verfahren der intraoperativen Herstellung der Konussteckverbindung durch die operierenden Ärzte oder aber die an diese Ärzte gerichtete Anleitung nicht sicherstellt, dass in jedem Einzelfall eine Fügekraft erreicht wird, die das Entstehen von Metallverlust innerhalb der Konussteckverbindung weitgehend ausschließt. Es handelt sich dann um ein in der Konstruktion angelegtes Sicherheitsdefizit, das zwangsläufig allen Einzelstücken der Produktserie im Zeitpunkt des Inverkehrbringens anhaftet. Denn Hüftprothesen, bei denen eine sichere Fügung nicht gewährleistet ist, sind nicht erst dann fehlerhaft, wenn sie tatsächlich versagen und es – wie hier – zu Metallabrieb/-verlust kommt. Vielmehr macht das ihnen anhaftende Sicherheitsrisiko sie schon bei Inverkehrbringen fehlerhaft, wenn das Risiko besteht, dass eine Fehlfunktion entsteht (Münchener Kommentar/Wagner, BGB, 7. Aufl. 2017 ProdHaftG § 3 Rn. 47 ff.; BeckOGK/Goehl, ProdHaftG, Stand 01.12.2018, § 3 Rn. 41 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 26.10.2010 – I-21 U 163/08 –). Der Fehler liegt in der abstrakten Ausfallwahrscheinlichkeit dieses Produkts, nicht darin, dass es einen Funktionsausfall erlitten hat oder erleiden würde. Diese Auslegung steht im Einklang mit den vom Unionsgesetzgeber verfolgten Zielen, die insbesondere, wie sich aus den Erwägungsgründen 2 und 7 der Richtlinie 85/374/EWG ergibt, darin bestehen, eine gerechte Verteilung der mit der modernen technischen Produktion verbundenen Risiken zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller zu gewährleisten (vgl. EuGH, Urteil vom 05.03.2015, – C-503/13 –, juris, Rn. 42).

Die Beklagten weisen in ihrem Schriftsatz vom 06.04.2020 zwar zu Recht darauf hin, dass normalerweise der Arzt vor der Hüftoperation ein Aufklärungsgespräch führt und dabei die jeweiligen Vor- und Nachteile der Systeme vorstellt und der Patient die Nachteile des gewählten Systems grundsätzlich akzeptiert. Diesbezüglich haben die Beklagten bereits im Schriftsatz vom 21.06.2011 (AS 259) auf die Korrosion bei Gleitpaarungen und im Schriftsatz vom 30.08.2018 (AS 1897) darauf hingewiesen, dass sie davon ausgehen durften, dass den Ärzten die Risiken des Artikulationsverschleisses und der Abriebpartikel bekannt gewesen seien und sie die Patienten im Rahmen des Aufklärungsgesprächs darüber informieren würden. Der Patient stimmt aber nicht abstrakt einer gewissen Menge an Abrieb oder sonstigem Metallverlust zu. In den „Wissenschaftlichen Informationen“ der Beklagten wird ein Metallverlust in der Konussteckverbindung nicht erwähnt. Das Landgericht hat festgestellt, dass neben dem technisch unvermeidbaren Abrieb in der Gleitpaarung, der nie auf Null reduziert werden kann, an den sonstigen Bauteilen einer funktionstüchtigen Prothese nicht mit nennenswerten Abrieb gerechnet werden muss (vgl. Sachverständiger PD Dr. Kl. : „in der Konusverbindung eigentlich gar kein Abrieb“ [LG Protokoll I S. 6] und Prof. Dr. K. [LG Protokoll I S.8 unten] „minimaler Abrieb“). Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. K. in der mündlichen Verhandlung am 13.01.2020 vor dem Senat bestätigt. Im Gegensatz dazu hatte die streitgegenständliche Prothese an der Konusverbindung, an der mit keiner bewegungsbedingten Reibung gerechnet wird, erheblichen Metallverlust, während an der Gleitpaarung kein messbarer Abrieb entstanden ist. Außerdem ist der in der Konussteckverbindung entstandene Metallverlust durch galvanische Korrosion problematischer als Abrieb durch Reibekorrosion aus der Gleitpaarung (dazu unten unter 2.b)).

Gerade nachdem für das Metall auf Metall-Metasul-System der Beklagten und speziell auch für das Großkopfsystem mit geringerem Abrieb in der Gleitpaarung geworben wird („Wissenschaftliche Information“, Anlage B 5 S.4, 21; vgl. auch Klagerwiderung AS 57, 63, Schriftsatz vom 21.06.2011 AS 261), wird der angesprochene Verkehr zwar akzeptieren, dass es in der Gleitpaarung je nach den Umständen ggf. zu unvermeidbarem Abrieb und dadurch zu Osteolysen kommen kann. Wenn in der Gleitpaarung tatsächlich nur wenig Abrieb entsteht, akzeptiert der angesprochene Verkehr aber nicht, dass dieses positive Ergebnis dadurch zunichte gemacht wird, dass an einer anderen Stelle, an der nicht mit Abrieb oder Metallverlust gerechnet wird und gerechnet werden muss – und über den der Arzt auch nicht aufgeklärt hat – Metallausscheidungen in einem gesundheitsgefährdenden Maß auftreten. Selbst wenn zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht erkennbar ist, dass ein neuer bei der Herstellung verwendeter Werkstoff ein erhöhtes Risiko für den Produktbenutzer birgt, bleibt das Produkt dennoch hinter den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Sicherheitserwartungen zurück; denn gleichgültig, welche Vorstellungen die Betroffenen von der technischen Beschaffenheit des Werkstoffs haben, erwarten sie doch, bei seiner Benutzung keinem erhöhten Risiko ausgesetzt zu sein (Staudinger/Oechsler (2014) ProdHaftG § 3, Rn. 40).

2. Nach diesen Erwägungen war das von den Beklagten hergestellte Prothesensystem fehlerhaft, denn es kam in der Konussteckverbindung zu einem nicht nur unerheblichen Metallabrieb, der gesundheitlich bedenklich ist.

a) Das Produkt der Beklagten gab Metall (Partikel und Ionen) aus dem Bereich der Konusverbindung an den Körper des Klägers ab. Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat durch Messungen am Innenkonus der Adapterhülse ein Verschleiß- bzw. Deformationsvolumen von 6,1 mm3 eine entsprechende Masse von 50,6 mg mit einer Standardabweichung von 0,2 mm3 bzw. 1,66 mg festgestellt (GA I S.19). Daraus ergibt sich bei ca. vierjähriger Standzeit ein jährliches Verschleiß-/Deformationsvolumen von 1,4 mm3 (bzw. eine Masse von 11,9 mg). Der Sachverständige hat ergänzend durch eine mikroskopische Untersuchung, durch Rasterelektronenmikroskopie (REM) und eine Energiedispersive-Röntgenspektroskopie (EDX) festgestellt, dass ein massiver korrosiver Angriff im Kontaktbereich des Adapter-Innenkonus stattgefunden hat (vgl. GA I S. 18 ff.). Eine daneben ggf. eingetretene Deformation tritt dagegen gänzlich in den Hintergrund (GA I S. 29). Hinzu kommt noch Abrieb am Schaftkonus, der sich auf den intraoperativ gefertigten Lichtbildern sehen lässt (vgl. LG Protokoll I S. 27), der aber nicht näher quantifiziert werden kann. Die Messergebnisse des Sachverständigen wurden durch das Sachverständigenteam der Universität Rostock unter der Leitung des Sachverständigen Prof. Dr. M. extern validiert (GA III S. 6) und werden von den Beklagten nicht ernsthaft angegriffen.

Auch wenn der Sachverständige Prof. Dr. K. vor dem Senat erklärt hat, dass er die ihm von den Beklagten mitgeteilten Fertigungstoleranzen nicht erwähnt hat, weil diese Mitteilung der Geheimhaltung unterliegt, hat er aber eigene Messungen vorgenommen und ist danach zu dem Ergebnis gekommen, dass die gemessenen Werte um ca. 1,5 mm3 nach oben oder unten korrigiert werden müssen. Dabei hat er für seine weiteren Untersuchungen die Mitte genommen. Dies gleicht Fehler auf beiden Seiten aus.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass bei ihm gerichtsbekannt weitere Verfahren anhängig sind, bei denen Metallabrieb gemessen worden ist und die den Beklagten, da sie allein oder zu zweit auch dort verklagt wurden, bekannt sind. Folgende Ergebnisse des Metallverlustes an der Konushülse und Blutwerte wurden nach den landgerichtlichen Urteilen, in denen Verlust gemessen wurde, festgestellt, die in der mündlichen Verhandlung ohne Beanstandung verlesen wurden:

Verfahren

 

Menge Metallverlust Konushülse

 

Blutwerte / histologisches Gutachten

 

14 U 24/17

 

8,93 mm3 = jährlich 1,28 mm3

 

Keine Blutuntersuchung

 

14 U 50/17

 

8,11 mm3 1,76 mm3/Jahr

 

Chrom 2,2 μg/l

Kobalt 8,6 μg/l

Gewebeprobe Chrom 200,2 Ko 6 835,5

 

14 U 147/18

 

9,53 mm3 = jährlich 2.03 mm3

 

 
14 U 169/18

 

14,05 mm3 hypothetischen Fehlerwahrscheinlichkeit von +/- 0,75 mm3 = jährlich 2,88 mm3 (3,02/2,76 mm3)

 

Gewebeprobe

Chrom 291,5 mg/kg TS

Kobalt 23,4 mg/kg TS

Titan 3524,6 mg/kg TS

 

14 U 171/18

 

6,1 mm3 =1,4 mm3/ Jahr

 

Chrom 1,3 – 1,6

Kobalt 4.9 – 5,6

 

14 U 14/19

 

8,02 mm3= 1,49/Jahr (1,79 – 1,35)

 

Chrom 0,8 μg/l

Kobalt 1,9 μg/l

 

14 U 17/19

 

6,65 re mm3 = 1,72/Jahr (1,93 – 1,53) 3,92 li mm3 = 1,26/Jahr (1.39 – 0,9)

 

2009 2010

Chrom 5,1 μg/l Kobalt 2,5-2,5 μg/l Chrom 6,6 μg/l Kobalt 5,9-6,2 μg/l Periprothetischer Serom

Chrom 39

Kobalt 364

 

14 U 84/18

 

12,56 mm3 = 2,38 mm3/Jahr

 

Chrom 2,9 / 2,8 / 2,9 μg/l

Kobalt 8,3 / 8,3 /8,5 μg/l

 

14 U 136/18

 

15,31 mm3 = 2,21 mm3 /Jahr

 

Chrom. 2,8 – 2.9 μg/l

Kobalt 9.8 – 9,9 μg/l

 

14 U 137/18

 

12,74 mm3 = 2,19 mm3/ Jahr

 

Chrom 2,6 μg/l. + Kobalt 6,5 μg/l

 

Danach liegt der durchschnittliche jährliche Metallverlust an der Konusverbindung bei den beim Senat anhängigen Fällen, bei denen es zu Metallverlust gekommen ist, bei knapp über 2,0 mm3. Der Senat ist sich dabei zwar der Tatsache bewusst, dass es sich um eine Negativauswahl handelt und zahlreiche Prothesen keinen Metallverlust haben und die Mehrheit der Prothesen bisher nicht ausgetauscht wurde. Es gibt aber einen nicht nur unerheblichen Anteil an Prothesen, bei denen es zu solchem Abrieb kam.

Die Co- und Cr-Konzentrationen liegen gegenüber der Werbebroschüre 8/2006, die diese bei Patienten mit Metall-Metallpaarungen (allgemein) gegenüber Patienten ohne Prothese (= 0,1 – 0,2 μg/l Co und 0,2-0,3 Cr Serumkonzentration) angibt mit

Co-Konzentration

 

Cr Konzentration

 

Im Blut

 

0,84μg/l

 

0,77μg/l

 

und

 

0,78μg/l

 

1,14μg/l

 

Im Serum

 

0,77μg/l

 

und

 

0,8μg/l

 

0,99μg/l

 

beim Kläger bei

 

4,9-5,6μg/l

 

1,3-1,6μg/l

 

bei den o.g. Verfahren bei

 

6,49μg/l

 

2,63μg/l

 

Sie sind damit vor allem bei der Co-Konzentration deutlich höher als in der Broschüre der Beklagten angegeben.

b) Wie das Landgericht in den Gründen unter II 2 a und b zutreffend festgestellt hat, ist es nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern sogar erwiesen, dass diese nicht nur geringfügige Abgabe von Metallpartikeln und vor allem Metallionen in den Körper des Klägers gesundheitsschädliche Auswirkungen hatte.

Schon vor dem Landgericht hat der Sachverständige Prof. Dr. K. ausgeführt, dass eine Auswertung der Studienlage zu Verschleißraten an der Konusverbindung verschiedener Prothesensysteme ein mittleres jährliches Verschleißvolumen an Explantaten von 0,08 mm3 – 0,85 mm3 ergeben habe (GA III S. 11 f.). Die Studien betrafen ausschließlich Revisionsfälle, bei denen die Implantate wegen klinischer Probleme bereits entfernt werden mussten. Der Verschleiß an der Prothese des Klägers liegt sogar noch deutlich über diesen Durchschnittswerten.

Der hier gemessene Verschleiß übersteigt auch das interne Akzeptanzkriterium der Beklagten für Konusverschleiß um ein Vielfaches – nach der Berechnung der Beklagten um den Faktor 9,9 bzw. nach der Berechnung des Sachverständigen um den Faktor 15 (vgl. Schriftsatz vom 26.02.2016, IV AS 1493 bzw. GA III S. 12).

Das Landgericht hat dazu unter Bezugnahme auf das Gutachten des Prof. Dr. K. (GA I S. 29, Protokoll S. 8 Mitte) ausgeführt, dass der Abrieb in einer Größenordnung lag, die üblicherweise mit klinischen Problemen assoziiert werden muss. Dies haben die Sachverständigen Prof. Dr. K. (zur Frage 2a) und Prof. Dr. M. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Zwar hat Prof. Dr. M. in erster Instanz erklärt, dass man bei der Freisetzung von Partikeln oder Ionen nicht wisse, wo die Grenze ist. Prof. Dr. K. hat darauf hingewiesen, dass es wenig Literatur zu Konusverbindungen gebe. Beim Kläger habe aber der Metallverlust in einer Größenordnung stattgefunden, die üblicherweise mit Problemen assoziiert werde. Prof. Dr. K. hat auch in zweiter Instanz erklärt, dass er einen solchen Wert für grundsätzlich bedenklich halte. Diese Menge führe zwar bei der Gleitpaarungen nicht zu Schwierigkeiten. Beim Adapter sei sie aber nicht unbedenklich. Man gehe heute davon aus, dass der Abrieb oder der Materialverlust im Konusadapter aggressiver sei als der in der Gleitpaarung. In der Gleitpaarung würden überwiegend Metallpartikel freigesetzt, während im Konusadapter auch Ionen freigesetzt würden und das scheine das Problematischere zu sein. Die Mengen, die der Senat für die anhängigen Fälle verlesen habe, seien aus seiner Sicht geeignet, zu klinischen Problemen zu führen. Er halte einen solchen Wert für grundsätzlich bedenklich. Prof. Dr. M. und PD Dr. Kl. haben sich dem im Ergebnis angeschlossen.

Ein weiteres Indiz für die Gesundheitsgefährdung hat das Landgericht zu Recht in den beim Kläger am Tag der Revision mittels der entnommenen Blutproben gemessenen Metallkonzentrationen gesehen, die gesundheitlich bedenklich sind. Die für Chrom mit 1,3 und 1,6 μg/l und für Kobalt mit 4,9 und 5,6 μg/l festgestellten Werte (Prof. Dr. K. GA I S. 30, CD AS 547) liegen in einem gesundheitsgefährdenden Bereich. Zutreffend weist die Berufung zwar darauf hin, dass keine Grenzwerte existieren, ab denen eine Gesundheitsgefährdung anzunehmen ist. Ab welchem Umfang Abriebprodukte derartige körperliche Abwehrreaktionen in einem gesundheitsschädlichen Ausmaß hervorrufen und ob bestimmte Arten oder Partikelgrößen gefährlicher sind als andere, ist bisher wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Konkret für Metallionen konnte noch kein Grenzwert, z.B. für einen Nachweis im Blut, bestimmt werden, ab dessen Überschreitung mit einer die Gesundheit des Patienten gefährdenden biologischen Abwehrreaktion sicher zu rechnen ist (vgl. GA III 12-14; B 59 S.10f.). Das hat der Kläger eingeräumt, aber auch darauf hingewiesen, dass nach der Einschätzung des wissenschaftlichen Ausschusses der EU-Kommission jedoch mit Grenzwerten zwischen 2 und 7 μg/l gerechnet wird. Nach der Einschätzung des wissenschaftlichen Ausschusses der EU-Kommission (SCENIHR) können die von Metall-Metall-Gleitpaarungen freigesetzten metallischen Produkte zu lokalen und systemischen Gesundheitsauswirkungen führen, die von kleinen asymptomatischen Gewebeschäden bis hin zur schwerwiegenden Zerstörung von Knochen und Weichteilgewebe reichen könne. Es sei mit einem Grenzwert für klinische Bedenken zwischen 2 und 7 μg/l zu rechnen (vgl. Prof. Dr. K. GA III S. 14 f.). Die Autoren anderer Studien geben ebenfalls Schwellenwerte für klinische Bedenken etwa für Kobalt mit 4,5 μg/l (Sid. et al.) bzw. 4,0 μg/l (van der S. et al.) an (Prof. Dr. K. GA III S. 13 ff.). Gerade die von den Beklagten zitierten Autoren (Sid. et al.) gehen bei Kobalt von einem Grenzwert von 4,5μg/l aus. Dieser Grenzwert ist beim Kläger überschritten. Im Übrigen argumentieren die Beklagten hier mit einem Verweis darauf, dass bei einer Kobaltkonzentration zwischen 2μg/l und 4,5 μg/l nicht auf abnormalen Verschleiß der Prothese geschlossen werden könne. Eine solche Schlussfolgerung muss jedoch vorliegend gar nicht gezogen werden, denn jedenfalls liegt die Menge in einem problematischen Bereich und die Blutwerte sind nur eines von mehreren Indizien. Soweit das Landgericht Bonn (Urteil vom 25.01.2017 – 9 O 125/14 –) eine gegenteilige Ansicht vertritt, ist diese nach den von den Sachverständigen vorgelegten Studien nicht verständlich und zudem auf die Messung von Blutwerten beschränkt.

Hinzu kommen noch die Ergebnisse der beim Revisionseingriff entnommenen Gewebeproben die für Chrom 1694 μg/kg und Kobalt 986 μg/kg ergaben und damit im oberen dreistelligen Bereich lagen, bei dem mit klinischen Problemen zu rechnen ist.

Und ausweislich des histologischen Gutachtens, das Abriebspartikel beschreibt, entspricht das nekrotische Gewebe dem abriebsinduzierten Typ. Der Sachverständige Prof. Dr. M. hat das hier beschriebene nekrotische Gewebe und die dazu passende histologische Befundung als charakteristisch für einen Pseudotumor und als lokale Reaktion auf Metallkonzentration gewertet (Prof. Dr. M.: die Metallkonzentration „im lokalen Gewebe“ war so hoch, dass sich daraus ein deutlicher Hinweis auf ein implantatassoziiertes Problem ergab).

Und letztlich beschreibt der OP Bericht zwei große Osteolysen am Trochantermassiv des Femurs sowie eine gräuliche Masse „ähnlich einer Maultaschenfüllung“ und einen schwarz gefärbten Konus mit Kranz, die eindeutig auf eine abriebbedingte gesundheitliche Beeinträchtigung schließen lassen. Die Osteolyse im Schaftbereich ist gleichfalls Ausdruck des gleichen Implantatproblems. Der Sachverständige hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die Osteolysen „auf ein Implantatproblem“ und eben nicht auf üblichen Metallabrieb zurückzuführen sind. Im ersten Teilgutachten des Prof. Dr. K. wird auch bestätigt (GA I 33/34), dass erhöhter Metallabrieb typischerweise Osteolysen hervorruft.

Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass Metallabrieb zu Osteolysen führen kann. Die Beklagten selbst haben in erster Instanz auf die Existenz und die Folgen der sogenannten Partikelerkrankung hingewiesen (Schriftsatz vom 21.06.2011, S. 52) und haben diese in ihrer Werbebroschüre beschrieben (vgl. Wissenschaftliche Information zu Metasul, S. 25 f. Partikelkrankheit). Und Prof. Dr. Mo., der Privatsachverständige der Beklagten, ist Mitunterzeichner der Handlungsempfehlungen des BfArm, in denen es heißt: „Es sind folgende Feststellungen zu treffen ... wegen Problemen des Konusadapters aus CrCo und Titanschaft – Risiko galvanischer Reaktion“ und B 49 S. 2 biologische Langzeiteffekte noch nicht vollständig bekannt; Abriebspartikel können zu Osteolysen und Prothesenlockerung führen.

Im Übrigen steht nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. M. auch fest, dass das Granulom, der Pseudotumor, gleichfalls auf den Metallabrieb zurückgeht (LG Protokoll II, S. 13).

Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es schicksalhaft immer zu einer nicht zu vermeidenden Menge an Abrieb aus der Gleitpaarung kommt und der Verkehr eine gewisse Menge dieses Abriebs akzeptiert. Der hier entstandene Abrieb stammt nicht aus der Gleitpaarung, sondern aus der Konusverbindung. Es hat sich damit nicht das mit der Implantation jeder Prothese verbundene Risiko (= ggf. unvermeidbarer Abrieb aus der Gleitpaarung) verwirklicht. Ein Patient stimmt dem Risiko, dass es zu einem solchen Metallverlust in den Körper kommen kann, trotz der damit verbundenen potentiellen Gefahren allenfalls zu, wenn und soweit er wegen der Besonderheiten der Gleitpaarung unvermeidbar ist. Der vorliegende Metallverlust stammt dagegen aus der Konusverbindung und war weitgehend vermeidbar. Außerdem handelt es sich überwiegend nicht um Partikel als Folge einer Reibekorrosion, sondern Ionen als Folge einer galvanischen Korrosion. Unter diesem Gesichtspunkt kommt den Beklagten auch nicht zugute, wenn es aufgrund des schicksalhaften, unvermeidlichen Abriebs bei Metall auf Metallgleitpaarungen aber auch anderen Materialien wie Keramik oder Polyethylen aus der Artikulation zu Osteolysen bzw. Pseudotumoren kommen kann.

3. Soweit das Kammergericht (KG Berlin, Urteil vom 27. Mai 2019 – 20 U 115/17 –, Rn. 26 – 31, juris) ausführt,

  • aufgrund der größeren Umfänge der Großkopfprothesen und der Tatsache, dass alle Kunstgelenke Abrieb verursachen, sei klar gewesen, dass Großkopfprothesen einen erhöhten Metallabrieb verursachen würden (GA S.29). ....
  • Abrieb sei Kunstgelenken immanent und werde in Kauf genommen, um die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, die von einem degenerierten oder traumatisch verletzten Gelenk ausgehen, zu beheben.
  • Im Hinblick darauf, dass es insofern eine Frage der Risikoabwägung bzw. der Schaden-Nutzen-Relation der Implantation eines Kunstgelenks ist, ob man erhöhten Metallabrieb zugunsten von gegenüber Kleinkopfprothesen erwarteter besserer Luxationssicherheit und „natürlicherer“ Statik im Gelenk, die man zum Einführungszeitpunkt der Großkopfprothesen nach den Ausführungen des Sachverständigen als deren Vorteile in der medizinischen Community erwartete, in Kauf nimmt, sei es der Beklagten nicht im Sinne einer Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit vorwerfbar, das streitgegenständliche Produkt in den Verkehr gebracht zu haben.
  • Dass die in die Großkopfprothesen gesetzten Erwartungen sich im Laufe der Zeit nicht erfüllten und es zu unerwartet hohen Revisionszahlen kommen würde, war nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen N... zum Zeitpunkt der Einführung der Prothese und der Implantation in den Körper des Klägers nicht zu erwarten,

wird zunächst nicht klar, an welcher Stelle im Fall des Kammergerichts der Metallabrieb stattgefunden hat. Es soll aufgrund der größeren Umfänge der Großkopfprothesen und der Tatsache, dass alle Kunstgelenke Abrieb verursachen, klar gewesen sein, dass Großkopfprothesen einen erhöhten Metallabrieb verursachen würden, wovon im vorliegenden Verfahren nicht die Rede ist und der Kläger darüber auch nicht aufgeklärt wurde. Auch differenziert das Kammergericht nicht zwischen Metallabrieb im Sinne von mechanischer Reibung, wie er in der Gleitpaarung entsteht, und dem Metallverlust durch korrosionsbedingte Ionenwanderung. Wenn im Fall des Kammergerichts Reibung in der Gleitpaarung entscheidend war, hat dies mit dem vorliegenden Sachverhalt nichts zu tun. Wenn der Metallverlust dagegen an der Konusverbindung eingetreten ist, kann die Tatsache, dass der Abrieb an der Gleitpaarung, sofern er unvermeidlich ist, akzeptiert wird, nicht als Rechtfertigung für den weitgehend vermeidbaren Materialverlust in der Konusverbindung dienen.

4. Damit hat der Kläger den Beweis für einen Fehler des Produkts erbracht. Der Geschädigte muss im Prozess zudem zunächst nur darlegen und beweisen, dass das Produkt des von ihm verklagten Herstellers beim Inverkehrbringen einen Fehler aufwies (vgl. etwa BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 1/12 – Heißwasser-Untertischgerät – NJW 2013, 1302, Rn. 12 ff.). Für die schlüssige Darlegung eines Fehlers einer Hüftprothese durch Metallabrieb genügt daher grundsätzlich, (Staudinger/Oechsler (2018) Aktualisierung vom 28.02.2020 ProdHaftG § 1, Rn. 160.2, mit Hinweis auf BGH, Urteil vom 16.04.2019 – VI ZR 157/18 –, VersR 2019, 1105 Rn. 13 ff; ähnlich LG Freiburg, Urteil vom 02.08.2019 – 1 O 223/12 –; LG Freiburg, Urteil vom 02.08.2019 – 1 O 266/12 –; LG Freiburg, Urteil vom 02.08.2019 – 1 O 460/11 –; LG Freiburg, Urteil vom 25.02.2019 – 6 O 83/12 –; LG Freiburg, Urteil vom 15.10.2018 – 1 O 26/17 –; a.A. KG, Urteil vom 27.05.2019 – 20 U 115/17 –, VersR 2019, 1100 Rn. 28), dass nach der Implantation im Blut des Patienten erhöhte Chrom- und Kobaltwerte gemessen werden und der Hersteller die Prothese nicht vor dem Inverkehrbringen auf die Gefahr eines Metallabriebs getestet hatte (BGH, Urteil vom 16.04.2019 – VI ZR 157/18 –, VersR 2019, 1105 Rn. 13 ff).

Der nicht weiter begründeten Ansicht der Beklagten, dass es zu Lasten des Klägers gehe, wenn sich die genaue Ursache für den gemessenen Materialverlust nicht klären lässt, kann nicht beigetreten werden. Wenn es zu gesundheitsgefährdenden Materialverlust an einem vom Hersteller und den Patienten nicht vorhergesehenen Teil der Prothese kommt, ist diese fehlerhaft. Der Fehlerbegriff der §§ 1, 3 Abs. 1 ProdHaftG folgt den Besonderheiten des Produktsicherheitskonzepts. Nach diesem kommt es allein auf die Integritätserwartungen der betroffenen Verkehrskreise an: Diese erwarten von einem medizinisch-technischen Gerät, dass es Leben, Körper und Gesundheit nicht beeinträchtigt. Dann genügt erst recht, dass ein nachgewiesener Metallverlust im Körper zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat.

Ohne Erfolg wenden die Beklagten auch ein, die Regelungen zum Produkthaftungsrecht knüpften an ein Fehlverhalten des Herstellers an. Erforderlich sei daher auch der Nachweis, dass der Hersteller eine ihm obliegende Pflicht verletzt hat und dass diese Pflichtverletzung kausal für den entstandenen Schaden war.

Die Beklagten verkennen, dass für einen Fehler ausreicht, dass das Produkt nicht den Sicherheitserwartungen entspricht. Im Schrifttum wird zwar (so Staudinger/Oechsler, a.a.O., Rn. 120a) die Frage problematisiert, inwieweit in den Fällen des § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG überhaupt von einem Fehler gesprochen werden könne, da nach dem Stand von Wissenschaft und Technik die Verwirklichung eines Produktsicherheitsrisikos nicht voraussehbar sei (BeckOGK/Seibl [01.05. 2020], ProdHaftG, § 1 Rn. 121). Der Fehlerbegriff des § 3 Abs. 1 ProdHaftG folgt jedoch den Besonderheiten des Produktsicherheitskonzepts (BeckOGK/Goehl [01.04. 2020], ProdHaftG, § 3 Rn. 5). Nach diesem kommt es allein auf die Integritätserwartungen der betroffenen Verkehrskreise an: Diese erwarten von einem medizinisch-technischen Gerät, dass es Leben, Körper und Gesundheit nicht beeinträchtigt.

Der Fehler setzt auch nicht die Erkennbarkeit des Produktfehlers voraus. Entscheidend ist allein, dass er gegen die berechtigten Sicherheitserwartungen des jeweils geschützten Personenkreises verstößt (BGH NJW 1995, 2162, 2163). Denn diese Erwartungen richten sich nicht auf die technischen Ursachen des Fehlers, sondern auf das Interesse der beteiligten Verkehrskreise, in ihrer Integritätssphäre nicht beeinträchtigt zu werden. Ist daher zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht erkennbar, dass ein neuer bei der Herstellung verwendeter Werkstoff ein erhöhtes Krebsrisiko für jeden Produktbenutzer birgt, so bleibt das Produkt dennoch hinter den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Sicherheitserwartungen zurück; denn gleichgültig, welche Vorstellungen die Betroffenen von der technischen Beschaffenheit des Werkstoffs haben, erwarten sie doch nicht, bei seiner Benutzung einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt zu sein (Taschner NJW 1986, 611, 615; BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 1/12 –, Rn. 12, juris).

Für die Bejahung der Fehlerhaftigkeit der beim Kläger implantierten Hüftprothese reicht danach aus, dass bei der explantierten Prothese Metallabrieb/-verlust in erheblichem Umfang festgestellt werden konnte.

B. Der Metallverlust am Konus beruht auf Korrosion – galvanischer oder elektrochemischer oder Spaltkorrosion –, die dadurch verursacht wird, dass die Konussteckverbindung in der Operation mit einer unzureichenden, jedenfalls nicht gesichert ausreichenden Krafteinwirkung zusammengefügt wird. Keine der von den Beklagten über die Jahre mehrfach geänderten Einbauanweisungen stellt letztendlich sicher, dass der operierende Arzt beim Einbau der Prothese und beim Zusammenfügen der Konussteckverbindung sicher immer eine Fügekraft erreicht, die geeignet wäre, Metallabrieb an der Konussteckverbindung nahezu auszuschließen.

Der Fehler entfällt auch nicht nachträglich durch eine zufällig ausreichende Fügung durch den operierenden Arzt, auch wenn es dann zu keinem oder nur geringem Abrieb kommt.

1. Die Schadensmechanismen für den erhöhten Metallverlust sind in der Wissenschaft – ohne dass es für die Bejahung des o.g. Fehlers darauf ankommt – noch nicht abschließend geklärt und voraussichtlich multifaktoriell. Als wesentliche Ursache für den erhöhten Metallverlust in der Konussteckverbindung werden verschiedene Arten von Korrosion diskutiert. Bei der galvanischen Korrosion führen unterschiedliche Spannungspotenziale der verwendeten Metalllegierungen (hier Co-Cr-Mo und TiAl7Nb) zu einer elektrochemischen Reaktion und Auflösung der elektrochemisch instabileren Verbindung (hier Co-Cr-Mo). Bei der Reibkorrosion beruht der korrosive Angriff hingegen auf mechanischer Bewegung der Bauteile. Bei der Spaltkorrosion führen Konzentrationsunterschiede des Flüssigkeitsmediums in einem nicht abgeschlossenen Spalt zu einem korrosiven Angriff.

Als konstruktive Ursachen für das Auftreten von erhöhtem Metallabrieb bei den hier streitgegenständlichen Prothesensystemen werden verschiedene Ursachen erwogen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Sachverständige Prof. Dr. K. auf Frage des Gerichts, wie es zu dem Metallverlust im konkreten Fall und in den neun anderen beim Senat anhängigen Verfahren gekommen sei, erklärt, dass dies bis heute nicht im Detail geklärt sei. Man wisse aus Laborexperimenten, dass einige Faktoren eine Rolle spielen, man könne aber heute immer noch nicht eindeutig nachstellen, was man an den Implantaten, die man ausgebaut hat, sehe.

Der Senat hält die Feststellung des Landgerichts, dass eine unzureichende Krafteinwirkung bei der Fügung der Konusverbindung letztlich zu verschiedenen Arten und damit auch zu galvanischer oder elektrochemischer oder Spaltkorrosion und zum Versagen der Prothese geführt hat, für überzeugend. Dies ergibt sich aus folgenden Gründen:

a) Es kam in beiden vor dem Landgericht zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Fällen zu Korrosion am Innenkonus der Adapterhülse. In beiden Fällen wurde dort ein sog. Imprinting, also ein Einprägen der Rillenstruktur des aus einer Titanlegierung bestehenden Schaftkonus in die aus einer Kobalt-Chrom-Legierung bestehende Adapterhülse festgestellt (vgl. Prof. Dr. K. GA III S. 24, Prof. Dr. M., PD Dr. Kl. GA I S. 42). Dieses Phänomen ist auf den ersten Blick erstaunlich, da der Schaftkonus aus der mechanisch weicheren Verbindung besteht und bei rein mechanischer Korrosion eine umgekehrte Einprägung zu erwarten wäre. Da aber die Titanlegierung im Vergleich zur Kobalt-Chrom-Legierung das negativere Potential besitzt und die elektrochemisch stabilere ist (Protokoll LG Freiburg – 1 O 26/17 – vom 17.05.2018, S. 9 ff.), kann aus dem Imprinting auf eine stattgehabte galvanische Korrosion geschlossen werden (vgl. Prof. Dr. K. LG Protokoll I S. 9 f.).

Dass es im vorliegenden Fall zu einer die Legierung verändernden Korrosion gekommen ist, ergibt sich aus der Feststellung des Prof. Dr. K., wonach die ursprüngliche Legierung an der Stelle, an der die Korrosion zu sehen war, massiv Kobalt verloren hatte. Statt des ursprünglichenAnteils von 62,87% Kobalt in der Legierung des unbeschädigten Bereichs wurden im beschädigten Bereich nur noch 23,3 % Kobalt in der Legierung gemessen, was zur Folge hatte, dass sich die anderen Bestandteile der Legierung prozentual erhöht haben (GA I 26). Das fehlende Kobalt stand damit frei im Körper des Klägers zur Verfügung.

b) Ohne Erfolg haben die Beklagten gegen die Annahme einer galvanischen Korrosion zunächst eingewandt, die Äußerungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. zur galvanischen Korrosion und der damit verbundenen Versagenskaskade beruhten auf einer falschen Prämisse und das Landgericht habe erheblichen Gegenvortrag unberücksichtigt gelassen, insbesondere den diesbezüglichen Beweisantritt rechtsfehlerhaft übergangen. Entgegen der Ausführungen des Sachverständigen besitze Titan mit -1,60 V ein niedrigeres Standardpotential als Kobalt (-0,28 V) und Chrom (-0,56 V bzw. -0,74 V) und nicht umgekehrt (vgl. Seite 16 f. des Schriftsatzes vom 30.08.2018). Lege man das von Prof. K. behauptete Phänomen der galvanischen Korrosion zugrunde, wäre demnach – wenn überhaupt – mit Korrosion am Titanschaft zu rechnen gewesen.

Diesen Einwand haben die Beklagten allerdings kurz vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Anschluss an die von den Beklagten eingeholte Antwort von Wi. (Anlage BB 1) fallengelassen. Die Prozessbevollmächtigte der Beklagten, Rechtsanwältin Krause, hat dies in der mündlichen Verhandlung nochmals klargestellt und darauf hingewiesen, dass es den Beklagten nicht mehr darauf ankommt, ob das Standardpotential von Titan weit geringer ist. Der Einwand wäre auch nicht stichhaltig gewesen. Es kann als richtig unterstellt werden, dass das Standardpotential von reinem Titan niedriger ist als das von reinem Kobalt und oder reinem Chrom. Dieser Umstand ist vorliegend nicht ausschlaggebend, weil es sich sowohl bei der Adapterhülse wie auch beim Schaftkonus nicht um reines Titan, Kobalt oder Chrom, sondern um Verbindungen und Legierungen (Co-Cr-Mo u. TiAl7Nb) handelt. Je nach Art der Legierung oder Verbindung ändern sich jedoch die elektrochemischen Eigenschaften. Die hier verwendete Kobalt-Chrom-Molybdän-Legierung hat das negativere elektrochemische Potenzial (vgl. Protokoll LG Freiburg – 1 O 26/17 – vom 17.05.2018, S. 11). Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat zur Begründung im Ergänzungsgutachten vom 22.11.2017 (Anlage B 59 zu LG Freiburg – 5 O 323/10 –, S.16) ausgeführt „In der Studie von Jacobs werden keine Standardpotentiale der Legierungen genannt, sondern nur die Potentiale einzelner Elemente. Entscheidend für das Korrosionsverhalten ist aber der Legierungszustand“. Und nach der Veröffentlichung von Sogür et al. weist die dort verwendete CoCR-Legierung ein niedrigeres Potential aus als die Titanlegierung.

c) Auch mit dem kurz vor der mündlichen Verhandlung erhobenen neuen Einwand der Beklagten, die Voraussetzungen für eine galvanische Korrosion lägen bei den für das streitgegenständliche Prothesensystem verwendeten Werkstoffen in einem der menschlichen Synovialflüssigkeit vergleichbaren Medium nicht vor, weil nach Wi. und nach der Studie von So. et al. die Gefahr der galvanischen Korrosion praktisch ausgeschlossen werden könne, denn das Korrosionspotential von CoCr- und Titanlegierungen sei vergleichbar, haben sie keinen Erfolg. Sie verkennen, dass Songür Ti6AL4V und CoCrMo mit 27,6 % Cr, 5.96 % Mo und 65,4% Co untersuchte, während vorliegend Ti6AL7Nb und eine CoCrMo-Legierung mit 26,56 % Cr, 5,19 % Mo und 62,87 % Co verwendet wurde.

Außerdem wurde in dem beschädigten Teil der Legierung statt ursprünglich 62,87% Kobalt nur 23,3 % Kobalt gemessen. Es kann also dort nicht nur zu einer Reibekorrosion gekommen sein. Vielmehr beruhen die von den Sachverständigen ermittelten Materialverluste vor allem auf einer solchen Art von Korrosion, die bestimmte Ionen aus der Legierung gelöst hat. Dass eine solche Korrosion aus dem Zusammentreffen von CoCr-Legierung und Ti-Legierung herrührt, ergibt sich auch aus der Handlungsempfehlung der Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik, auf den die Empfehlung des BfArM v. 22.07.2016 verweist, in der es heißt:

Die in der Vergangenheit verwendeten Titan-Halsstücke bei bi-modularen Prothesen zeigten unter den Einwirkungen der Körperflüssigkeiten vermehrt Brüche, so dass für den Konus-Adapter vermehrt Chrom-Kobalt-Legierungen anstatt Titan-Legierungen verwendet wurden. Damit wurden zwar die Brüche vermieden, jedoch ergibt sich nun durch die Kombination aus Chrom-Kobalt-Konus und Titan-Schaft das Risiko der elektrochemischen (galvanischen) Korrosion. Beide Metalle haben unterschiedliche Potentiale mit der Folge, dass die Kobalt-Chrom-Komponente Material durch die Korrosion verliert. Dies geht mit einer erhöhten Konzentration von Kobalt und Chrom im Blut einher, wobei der Kobalt-Wert meist höher als der Chrom-Wert ist. Dieses Verhältnis erlaubt somit auch die Abgrenzung zum Verschleiß von Metallgleitpaarungen, bei welchen der Chrom-Wert gleich hoch oder höher liegt.

Daneben ergibt sich dies auch aus dem von der Beklagten vorgelegten „white paper“ ihres Privatsachverständigen Prof. Dr. Mo..

Und auch Wi. beschreibt in seiner Dissertation bei den von ihm untersuchten Verbindungen, dass Titanlegierungen den besten Korrosionswiderstand haben. Außerdem zeigten explantierte Komponenten aus Titan praktisch keine Korrosionsanzeichen, dies im Gegensatz zu Komponenten aus CoCr-Legierung. Titan ist, so W. S. 105, über einen größeren Potential- und pH-Bereich stabiler als eine CoCr-Legierung. Unter den Bedingungen der Spaltkorrosion kann die CoCr- Legierung aktiv werden und korrodieren.

d) Die Passivierungsschicht kann durch Reibkorrosion, Spaltkorrosion oder Mikrobewegungen abgetragen worden sein, wodurch die galvanische Korrosion initiiert wird (vgl. Prof. Dr. K. Protokoll S. 9 unten und 10). Die verschiedenen Korrosionsformen können dabei auch zusammenwirken und sich wechselseitig verstärken, so dass eine sog. Versagenskaskade entsteht (Prof. Dr. K. GA III S. 23). Insgesamt sind korrosive Prozesse zwar schwer durchschaubar und noch nicht in allen Details im Laborversuch nachgebildet. Es ist allerdings mit dem Sachverständigen Prof. Dr. K. davon auszugehen, dass es zu einem solchen Schadensmechanismus gekommen ist (vgl. Protokoll LG Freiburg – 1 O 240/10 – I S. 9 „es spreche mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit alles dafür“). Auch der Sachverständige PD Dr. Kl. geht überzeugend vom Vorliegen galvanischer Korrosion aus, wenn er auch daneben auf die Säurebeständigkeit der verwendeten Materialien als wichtigen Faktor abhebt und letztlich von einem Mix aus verschiedenen Korrosionsarten ausgeht (vgl. Protokol LG Freiburg – 1 O 240/10 – I S. 7 f.). Die Materialauswahl fiel jedoch in den Verantwortungsbereich der Beklagten (siehe auch unten unter IV.) und es muss davon ausgegangen werden, dass das Materialverhalten in saurer Umgebung auch bereits im Jahr 2004 bekannt bzw. zumindest durch Testung erkennbar war.

Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat dem Senat erklärt, dass er verschiedene Arten der Korrosion und Reib-Korrosion für die Ursache halte. Korrosion als solche sei das Wesentliche. Normalerweise finde im Körper keine galvanische Korrosion zwischen Titan und Kobalt-Chrom statt. Diese hätten jeweils schützende Oxidationsschichten um sich aufgebaut. Wenn die Schutzschicht, die Oxidschicht, zerstört oder gestört werde, kämen die Metalle in einen lokal aktiven Zustand. Wenn man das und das Fretting dazu nehme, gehe er davon aus, dass in dem Spalt galvanische Korrosion doch einen Anteil habe. Unter einer mechanischen Aktivierung spielten galvanische Prozesse eine Rolle, im gesamten Korrosionsprozess.

Der Sachverständige PD Dr. Kl. hat ergänzt:

Bei der Spaltkorrosion ist es so, dass der Sauerstoff aufgebraucht wird und mit der Zeit kein Sauerstoff mehr da ist, dass Oxidation sich bilden könnte. Dann ist das Metall ohne Passivierungsschicht und dann kann es eben doch zur Korrosion kommen.

Das Ergebnis einer Diskussion in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zwischen dem Privatsachverständigen Prof. Mi. und den Sachverständigen hat Prof. Dr. K. wurde wie folgt zusammengefasst: „Wir sind uns einig, dass zunächst eine Reibkorrosion stattfindet und diese verschiedenen Mechanismen auslöst“. Offen ist letztlich lediglich, wie die Korrosion in Gang gesetzt worden ist. Denn an sich bildet sich beim Kontakt zweier Metallverbindungen mit unterschiedlichen Spannungspotenzialen innerhalb von Millisekunden durch Oxidation eine schützende Passivierungsschicht (vgl. Prof. Dr. K. GA III S. 23, Prof. Dr. M., PD Dr. Kl. GA I S. 42 und Protokoll I S. 10).

Weiter hat der Sachverständige auf Frage des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausgeführt, dass die Kombination von Kobalt, Chrom und Titan eigentlich günstig ist und nach den Implantatregistern keine Probleme verursacht, er hat dies aber eingeschränkt „aber nur bei Kleinkopfprothesen. Das sind die beiden häufigsten eingesetzten Metalle im Körper, die sind auch bei Wirbelsäulenimplantaten gelegentlich gemeinsam verarbeitet.“ Zugleich hat er dem Sachverständigen PD Dr. Kl. zugestimmt, der darauf hingewiesen hat, dass diese günstige Beurteilung nur unter der Voraussetzung gilt, dass es keine Relativbewegungen gibt.

e) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kopf fest gefügt gewesen sein soll.

Der Zeuge H., der die Revisionsoperation durchgeführt hat, konnte nicht mehr sagen, wie fest der Kopf saß. Wenn er im OP-Bericht „problemlos“ geschrieben habe, gehe er davon aus, dass er den Kopf mit ein bis zwei Schlägen entfernt habe. Es wäre nicht sein Ausdruck dafür, dass er ihn mit der Hand weggezogen habe. Selbst wenn aber der Kopf der Prothese bei der Revisionsoperation nicht lose war, widerlegt dies nicht die Annahme, dass Korrosion Ursache des Metallverlusts war.

Zum einen heißt „nicht lose“ nicht, dass er so fest wie nötig gefügt war, zum anderen konnte es auch bei fester(er) Fügung zu Materialverschleiß kommen. So hat der SV Prof. Dr. K. auf die Frage des Gerichts, ob der Korrosion als Ursache des Materialverlusts entgegenstehe, wenn sich bei der Revisionsoperation gezeigt hätte, dass der Prothesenkopf fest auf dem Schaft verankert war, unter dem 15.10.2019 geantwortet: Nein nicht zwingend. Anhand der durchgeführten Explantatanalysen ließ sich eindeutig nachweisen, dass Korrosionsprozesse begleitet von Fretting und lmprinting auch dann – in geringem Umfang – auftreten können, wenn sich die Konusverbindung in einem noch fest gefügten Zustand befindet. Zudem wurde festgestellt, dass diese Vorgänge auch mit einem Materialverschleiß einhergehen können. Es ist naheliegend, dass eine Verbindung, die nicht fest gefügt ist, Korrosionsprozesse begünstigt und so in einem zunehmenden Ausmaß zu Materialverschleiß führen kann. Daraus kann aber nicht zwangsläufig geschlussfolgert werden, dass sich Korrosion und Materialverlust bei einer Konusverbindung ausschließen lassen, wenn die Verbindung (bei der Wechseloperation) noch fest verbunden ist. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige zur Bedeutung der Lockerung erklärt, dass der Kopf entweder von vornherein lose war oder im Laufe der Zeit lose geworden ist. Bei einem lockeren Kopf erwarte er eine höhere Materialschädigung. Aber auch wenn der Kopf fest gewesen sei, könne es Korrosionsveränderungen gegeben haben. Er gehe davon aus, dass im Laufe der Zeit der Kopf durch die Korrosionsprozesse locker werden kann, aber nicht muss.

Von Bedeutung ist in dem Zusammenhang aber auch, dass der Zeuge H. auf Frage des Prozessbevollmächtigten des Klägers bestätigt hat, dass es keine Schwarzfärbung um den Kopf herum gegeben hätte, wenn der Kopf ganz festgesessen hätte. Das heißt, er kann nicht richtig festgesessen haben. Dem steht nicht entgegen, dass hier im Arztbrief von dieser Operation von fest verankerten Prothesenkomponenten die Rede ist, in der Regel wird nicht die Festigkeit des Kopfes beurteilt. Der Zeuge konnte daher ausschließen, dass damit der Kopf gemeint war.

2. Sämtliche möglichen Ausgangspunkte insbesondere der galvanischen Korrosion hätten durch eine ausreichende Fügekraft beherrscht werden können.

a) Weiter ist der Senat davon überzeugt, dass sämtliche möglichen Ausgangspunkte für die Initiierung der Korrosion durch eine ausreichende Fügekraft weitgehend sicher hätten beherrscht werden können.

Denn es lassen sich Reibkorrosion wie auch Mikrobewegungen durch eine Fügekraft von mindestens 7 kN weitgehend minimieren. Auch Ströme entlang des Spalts können durch eine solche Fügekraft praktisch auf Null reduziert werden (vgl. Prof. Dr. K. Protokoll LG Freiburg – 1 O 240/10 – I S. 9 ff. und PD Dr. Kl. Protokoll LG Freiburg – 1 O 240/10 – I S. 10 ff. und mündliche Verhandlung vom 13.01.2020 „Fügekraft als wesentlich für das System“ und „Tragkraft mit der Konusfestigkeit in Verbindung steht“).

Die Beklagten selbst haben dazu in der Klagerwiderung S. 16 (AS 277) vorgetragen:

(6) In den Jahren 2008/2009 wurden zudem weiter spezifische Tests zur Charakterisierung der Korrosion bzw. des Abriebs in der Konusverbindung durchgeführt. Die Resultate zeigten, dass das Korrosionsverhalten des LDH Systems vergleichbar mit anderen klinisch bewährten Systemen ist. Die Korrosion konnte dabei durch eine gute Operationstechnik stark reduziert werden. Damit sich die Kammer ein vollständiges Bild von den Untersuchungsergebnissen machen kann, legen wir die interne Studie „Effect of Assembly Conditions on Fretting Corrosion Performance of the LDH Femoral Head System“ vom 8.3.2010 zunächst nur im englischen Original vor, – Anlage B 19 –.

In dieser Studie wurde unter Anwendung des sogenannten ACF-Tests (Accelerated Corrosion Fatigue Test) die Auswirkungen der Einbaumethode auf den Abrieb an der Konusverbindung untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass die Einbaumethode erheblichen Einfluss auf den Abrieb hat. Wurden die Einbauvorgaben von 7 kN beachtet, lag der Abrieb bei 0 mg. Wurden hingegen die Einbauvorgaben missachtet, z.B. die Komponenten nur mit der Hand zusammengesteckt, wurde ein Abrieb vom 2,02 mg gemessen. Die Bilddokumentation auf Seite 11 der Studie zeigt dieses Ergebnis eindrücklich. Bei einem fehlerhaften Einbau kommt es zu deutlich sichtbarem Abrieb an der Konus-Schaft-Verbindung, wohingegen bei einem ordnungsgemäßen Einbau die Konus-Schaft-Verbindung keinerlei Abriebsspuren aufwies.

Aus der Studie vom 08.03.2010 / dem AFC-Test der Beklagten (Anlage B 19) ergibt sich danach, dass eine mit 7 kN (statisch) gefügte Verbindung zu keinem messbaren Materialverlust im Bereich des Konus, eine mit 6,7 kN gefügte Verbindung zu einem Materialverlust von 0 bis 2,36 mg und eine mit 1,5 kN gefügte Verbindung zu einem Materialverlust von 0,49 bis 3,08 mg in der Testreihe führte. Dass ein Zusammenhang zwischen Fügekraft und Festigkeit der Konusverbindung bewiesen war, ist damit eindeutig. Eine sichere Montagemethode hat erheblichen Einfluss auf eine etwaige Korrosion/Metallabrieb/Fretting.

Prof. Dr. K. hat weiter ausgeführt: „Wenn man die Verbindung mit 7 kN fügt, ist das quasi nicht mehr messbar, bei Fügen durch Hand ist es aber nur wenig, was relevant ist. Wenn die Fügekraft sehr gering ist, müssen wir davon ausgehen, dass die Bewegungen im System sehr viel stärker sind und dass das die Korrosion begünstigt“.

b) Dass die Fügekraft von entscheidender Bedeutung ist, haben zudem die Laborversuche des Sachverständigen Prof. Dr. K. ergeben. Denn nur eine Fügung von mindestens 7 kN gewährleistet eine für alle Fälle ausreichend sichere Verbindung (GA II S.69 f.).

Der Hinweis der Beklagten, eine sichere Konusverbindung könne auch mit einer Fügekraft von weniger als 7 kN hergestellt werden, so seien beispielsweise in den Untersuchungen von Prof. K. für sein zweites Teilgutachten vom 15.07.2014 vier von fünf der mit 2 kN gefügten Verbindungen fest (vgl. Seite 22 ff. des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 17.05.2018 vor dem LG Freiburg; Seite 69 des zweiten Teilgutachtens vom 15.07.2014 und Seite 47 des als Anlage B 59 vorgelegten Ergänzungsgutachtens aus dem Verfahren vor dem LG Freiburg – 5 O 323/10 –), hat schon deshalb keinen Erfolg, weil in dem erwähnten Fall eine von fünf Verbindungen gerade nicht gehalten hat und dieses Ergebnis zudem nur bei Zugrundelegen guter Bedingungen (Schmierung des Gelenks) gilt. Eine gute Schmierung wird auch vorausgesetzt, soweit der Sachverständige Prof. Dr. K. bei 4 kN zu ausreichender Fügekraft kommt; dagegen kann bei schlechter Schmierung auch eine höhere Fügekraft als 4 kN erforderlich sein. In diesem Sinne hat Prof. Dr. K. im Termin vor dem Senat zur Frage 3 d) erklärt: Bei guter Schmierung können 4 kN reichen, bei einer schlechten Schmierung haben sich auch Verbindungen mit 6 kN und darunter gelöst. Eine feste Verbindung lasse sich danach auch mit geringeren Aufschlagkräften als 7 kN erreichen, aber nur wenn die Gleitpaarung auch gut geschmiert ist.“ (Seite 29 des Ergänzungsgutachtens vom 03.12.2015)

Prof. Dr. K. hat vor dem Senat zwar ausgeführt, dass 7kN wahrscheinlich nur selten, nämlich nur unter klinischen Extrembedingungen erforderlich seien; es gebe nicht nur zwei Zustände, ausreichende Schmierung und keine Schmierung, sondern weitere Zwischenzustände. Es sei auch nicht zwangsläufig so, dass etwa Metall auf Metall blank liege. Da seien auch gewisse Moleküle dazwischen. Umso weniger Moleküle da seien, desto höher sei die Reibung und desto höher ist der Verschleiß. Prof. Dr. K. hat weiter auf von ihm durchgeführte Tests hingewiesen, bei denen, wenn man vom geschmierten Zustand ausgegangen sei, 4 kN gereicht haben. Wenn die Sache ungünstiger und schlecht geschmiert gewesen sei, hätten es auch mehr als 4 kN sein können. Die Frage, wie viel Sicherheitsmarge dazugegeben werden muss, konnte der Sachverständige aber nicht beantworten: Man sei da im Bereich, wo man sich an Erfahrungswerten orientieren müsse, wenn es ein vergleichbares Produkt gebe. Als Sicherheitsmarge werde ingenieurwissenschaftlich häufig Faktor 2 angesetzt, z.B. in der Statik. Bei Medizinprodukten haben man die nötigen Kennwerte allerdings häufig nicht.

Der Sachverständige PD Dr. Kl. hat dazu ausgeführt: Die 7 kN werden hier mit einer sicheren Fügekraft und dem Verhindern von Fretting zusammengebracht. Es kann geschlossen werden, dass das Fretting verhindert oder zu geringen Werten geführt werden kann, wenn man fest fügt.

Während Prof. Dr. K. meinte, in der Praxis könne man damit rechnen, dass es immer irgendwelche Proteine gibt, die zu einer besseren Schmierung führen, hat Prof. Dr. M. darauf hingewiesen, dass man bei Revisionen oder Punktionen häufig erlebe, dass diese Flüssigkeitsmenge sehr gering ist. Als Beispiele gibt es viele Punktionen, so genannte Sicca-Punktionen, bei denen keine oder nur sehr geringe Mengen Flüssigkeit gewonnen werden können. Wenn das Gelenk keinen Erguss habe, gebe es keine Art von Druckschmierung, bei der Flüssigkeit zwingend in den Spalt gedrückt werde, dann finde die Schmierung allenfalls durch Benetzung statt. Es könne sein, dass unterschiedliche Flüssigkeitsmengen, teilweise geringe Volumina im Gelenkraum vorliegen. Aber das heiße nicht, dass sie in den Gelenkspalt gedrückt werden, um den es hier geht.

Bei dem Kläger sei es so gewesen, dass eine Reizung stattgefunden hat infolge derer es zu einer verstärkten Schmierung kommen kann. Man habe im Parallelverfahren auch Patienten gesehen mit einem ausgesprochenen Gelenkerguß. Dann ist nachträglich eine verbesserte Schmierung entstanden. Man wisse dann aber häufig nicht, in welcher Konzentration sich in dem Erguss Partikel und Ionen befinden. Daher könne man in dieser Situation auch nicht von einer Idealschmierung ausgehen.

c) Soweit danach bei einer erheblichen Anzahl von Patienten wegen guter Schmierung des Gelenks auch geringere Fügekräfte ausreichen können, damit die Korrosion weitgehend eingedämmt wird, ändert dies indes am Erfordernis der 7 kN nichts. Eine Fügekraft von nur 4 kN reicht nicht aus, um gesichert eine sichere Verbindung herzustellen. Denn es ist im Vorhinein nicht ersichtlich, ob und wie gut ein Gelenk geschmiert sein wird und mit ungünstigen Umständen ist aus Sicherheitsgründen immer zu rechnen.

Soweit die Beklagten die Ergebnisse der von Prof. Dr. K. durchgeführten Untersuchungen so verstehen, dass eine Fügekraft von 4 kN ausreicht, um eine sichere Verbindung herzustellen, verkennen sie, dass Prof. Dr. K. erklärt hat, dass bei einer schlechten Schmierung sich auch Verbindungen mit 6 kN und darunter gelöst haben.

C. Die danach grundsätzlich erforderlichen 7 kN sind bei dem in der Einbauanleitung zum Zeitpunkt der Operation des Klägers vorgesehenen sanften Schlag, aber auch bei einem stärkeren Schlag konstruktiv nicht sicher gewährleistet, zumal der Kläger beim Einbringen des Schaftes eine Fissur des Femurs erlitten hatte.

Nach der im fraglichen Zeitpunkt vorliegenden Anleitung bedurfte es lediglich eines sanften Schlages (so auch noch die deutschsprachige Version 8/2006). Ein schwerer Hammer wurde in diesem Zusammenhang (im Gegensatz zum Einschlagen des Konus in die Kugel außerhalb des Patienten) nicht erwähnt. Ein sanfter Schlag mit einem nicht schweren Hammer reicht nach der übereinstimmenden Feststellung aller Sachverständiger nicht aus, um die erforderlichen 7 kN oder auch nur 6 kN sicher zu erbringen. Ein kräftiger Schlag mit einem schweren Hammer kann dagegen ausreichen, um eine Kraft von 7 kN hinzubringen. Dieses Ergebnis ist aber nicht sicher reproduzierbar.

Erst in der Broschüre vom Mai 2009 (Anlage B 8) heißt es, „dass die Adapterhülse mit dem Aufschlaghandgriff... mit einem oder zwei festen und kräftigen Schlägen mit einem schweren Hammer in den Großkugelkopf einschlagen. ... Den ausgewählten Hüftkopf auf den Schaftkonus aufstecken in... Dem Me.-LDH Großkugelkopf mit dem Kunststoff-Aufschlagaufsatz mindestens 3 kräftige Schläge versetzen... Mit kräftiger Schlag ist ein Schlag ähnlich dem letzten Schlag beim Einbringen eines zementlosen Schafts in den Femurkanal gemeint...“.

Ein Instruktionsfehler ist danach offensichtlich.

Daneben ist aber – selbst, wenn man die erforderliche Schlagkraft etwa mit „starkem Schlag“ beschreiben würde – nicht ausreichend sicher gewährleistet, dass der Operateur dann auch immer reproduzierbar 7 kN oder auch nur 6 kN erreicht. Der Senat hält es nach den gewonnenen Erkenntnissen für ausgeschlossen, dass mit den zur Verfügung gestellten Mitteln, d.h. einem Hammer mit einem Schlag sicher immer die geforderten 7 kN oder auch nur 4 kN zu erreichen sind.

Nach der nachvollziehbaren Studienauswertung des Prof. Dr. K. liegt die von Operateuren angewandte Einschlagskraft meistens im Bereich von 1 bis 2 kN und nur selten über 4 kN und es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich im Rahmen einer Operationssituation eine Fügekraft von 7 KN immer gewährleisten lässt (GA II 73, 76). Na. et al erzielten bei 39 Chirurgen eine mittlere Spitzenstoßkraft für den Sitz eines Keramikkopfes von 2,93 kN.

Prof. Dr. M. hat dazu weiter angegeben, ein normaler Operateur schaffe 4 bis 6 kN. Schwankungen würden sich aber durch den Winkel und das Nachgeben des Körpers ergeben, die von Patient zu Patient variieren könne. Es sei schließlich auch von Bedeutung, ob man Rechtshänder oder Linkshänder ist und ob man auf der rechten Seite oder auf der linken Seite einschlägt. Prof. Dr. M. hierzu: „Wenn ich Rückhand einschlagen muss, habe als Operateur weniger Kontrolle und mehr Streuung im Einschlagwinkel, als wenn ich an gleicher Stelle per Vorhand einschlagen könnte.“ Zudem sei, wenn der Zugang klein sei, das Risiko erhöht, dass nicht genau in dem richtigen Winkel geschlagen wird. Prof. Dr. M. hat im Termin vor dem Senat – wie schon früher – auf die in seinem Haus seit längerer Zeit durchgeführten Einschlagsversuche – inzwischen 130 davon dokumentiert – hingewiesen und ausgeführt: „Auch bei uns zeigte sich, dass nicht nur die Einschlagskräfte, sondern auch die Einschlagswinkel stark variieren und zwar sogar beim selben Operateur innerhalb derselben Operation. Bei den Winkeln sind Schwankungen über 30° hinausgehend beobachtet worden. Beides ist auch stark abhängig davon, welchen Hammer Sie verwenden. Der Winkel mit dem die Kraft ausgeübt wird, kann zu einer geringen Kraft führen.“ So ist auch in den von den Beklagten mit Anlage B 21 vorgelegten Untersuchungsergebnissen auf S. 5 ausgeführt, Abweichungen von mehr als 20 % von der Konus-Achse während der Schlageinwirkung können die Stärke der Verbindung schwächen. Er selbst erziele bspw. mit einem Hammer von 750 g, wenn er die kunststoffbeschichtete Seite verwende, Werte von etwa 4.000 Newton, wenn er die Metallseite verwende 8.000 Newton, kann aber auch bis auf 10.000 oder 12.000 Newton kommen (Protokoll I S. 8 f.).

Die von den Beklagten selbst durchgeführte Studie (B Research Memo, Anlage B 62) widerlegt dies nicht. Zu der Studie hat Rechtsanwältin K. erläutert, dass die Einschlagsversuche an vollständigen Leichen durchgeführt worden sind, so dass die Operationssituation realistisch nachgebildet werden konnte. Vorgabe sei gewesen, die Verbindung so herzustellen, wie in der Operationsanleitung aus dem Jahr 2009 vorgesehen, was zwar nicht den hier streitgegenständlichen Operationsanleitungen entspreche, allerdings der von Dr. R. angewendeten Fügemethode. Der Sachverständige Prof. M. hat allerdings darauf hingewiesen, dass er aus dieser Studie keine neuen Erkenntnisse gewinnen kann. Die Studie war bereits wegen der geringen Anzahl an Einschlagsversuchen wenig aussagekräftig (vgl. Einschätzung von Prof. Dr. M., Protokoll I S. 8). Man sehe auch hier, dass, obwohl nur acht Einschlagsversuche durchgeführt worden sind, die Einschlagskraft sehr stark schwanke und die Abzugskraft auch. Bei dieser Studie wurde zudem den Chirurgen ein Hammer mit einem Gewicht von 1,3 kg empfohlen, obwohl dies in der Endoprothetik ein Gewicht ist, das am oberen Ende des Üblichen liegt, und die Chirurgen wurden angewiesen, starke Stöße anzuwenden. Die OP-Anweisungen gaben, so Prof. Dr. M., zwar in diesem Fall keine klare Vorgabe bzgl. der Hammermasse oder des Hammergewichts, schwerere Hämmer waren nicht verboten. Üblich sind aber Hämmer zwischen 500 und 1.000 Gramm, während 1,3 kg am oberen Bereich dessen sind, was im OP-Saal in der Endoprothetik üblich ist. Man kann daher nicht erwarten, dass solche ohne Aufforderung benutzt werden. Die von den Beklagten genannten 7,9 kN waren auch das Mittel aus dem jeweils stärksten Schlag jedes Chirurgen. Tatsächlich lagen die Schlagkräfte zwischen 4,3 kN und 10,6 kN und im Mittel bei 6,98 kN. Und es ist nicht beschrieben, wie die Leichenknochen fixiert waren und wieviel sie bei den Schlägen nachgaben. Die Beklagten räumen zudem ein, dass sie weder im streitgegenständlichen Prothesen-System einen 1,3 kg Hammer zur Verfügung stellten noch einen solchen empfohlen haben.

Eine Erklärung findet die Schwierigkeit der kontrollierten Kraftaufwendung in den in den Fragen des Senats vor der mündlichen Verhandlung angesprochenen Angaben des Dr. R. (Chefarzt der Streithelferin) im Verfahren vor dem LG Freiburg – 6 O 83/12 –, dortiges Protokoll I 25, bestätigt vom SV Prof. M. : Der Oberschenkel des Patienten, in den der Schaft bereits eingeschlagen sei und auf den dann die Kugel mit dem Adapter eingeschlagen werden müsse, sei nicht fest fixiert; er werde während des Einschlagens vielmehr von zwei Assistenten gehalten und gebe dabei um ca. 2 bis 3 cm nach. Dieses Nachgeben hat zur Folge, dass die beim Schlag ausgeübte Kraft wesentlich variieren und geringer sein kann.

Ein Schulbuchbeispiel zeigt dies anschaulich. Wenn ein Hammer der Masse 500 g waagerecht mit 4,0 ms auf einen Nagel schlägt und dieser 2 cm oder aber nur um 0,5 mm nachgibt, hat dies erhebliche Auswirkungen auf die wirkende Kraft. Unter Berücksichtigung des Newtonschen Grundgesetzes ist das Ergebnis, dass die Kraft mit härter werdendem Gegenstand steigt, da die Kraft umgekehrt proportional zur Eindringtiefe ist. Damit beträgt die wirkende Kraft, wenn der Nagel bei einem Schlag 2 cm nachgibt, 200 N. Sitzt er fester und gibt nur 0,5 mm nach, ist die wirkende Kraft 8000 N groß (https://beuche.info/physik_gk/aufgaben_newton.pdf Aufgabe 1)

In diesem Zusammenhang hat Prof. Dr. K. erklärt, dass es im Prinzip / theoretisch gesehen für die Konusfestigkeit zwischen statischer und dynamischer Kraft keinen Unterschied gibt. Aber bei einem System, das nachgibt und elastisch ist, würde aus einer gleichen Hammerenergie eine geringere Kraft folgen. Und weiter: Es ist richtig, dass in der operativen Situation das Nachgeben des Körpers dazu führt, dass die Kraft, die auf den Konus wirkt, geringer ist, als wenn man das auf einer harten Unterlage macht. Auf Frage erklärte Prof. Dr. K. :

Wir haben kaum Daten, die belegen, was in der operativen Situation beim Patienten an Kraft ankommt. Ausgehend von Laborkenntnissen hat er ausgeführt, dass wenn man auf den Körper einschlage, man schon eine sehr hohe Schlag-Kraft brauche, um 7 kN zu erreichen, wenn der Körper nachgibt. Ich halte 3 – 4 kN für durchaus realistisch im Operationssaal. 7 kN, da muss sich der Operateur aber schon mit einem schweren Hammer ganz schön anstrengen.

Dies zeigt auch eine Veröffentlichung eines Vortrags zur Entwicklung eines Messsystems zur Untersuchung des Krafteintrags und der Dämpfungssituation bei der Herstellung der konischen Klemmung zwischen HTEP-Schaft und -Kopf; T. We., S. Sch.(Leipzig/DE), T. Pr. (Leipzig, Blankenhain/DE) Vortrag auf der 10. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Biomechanik (DGfB) vom 29.–31. März 2017 Medizinische Hochschule Hannover:

„Erste Laboruntersuchungen zeigen, dass man mit einem üblichen OP-Hammer mit 416 gr und deutliche starrerem Aufbau als es in situ der Fall ist, die Größenordnung (4kN) mit einem normalen Hammerschlag erreichen kann. Lagert man die Messprothese jedoch auf einem Block aus Gummi, erreicht man bei ähnlich hartem Schlag nur noch ein Drittel der angestrebten Vorgabe. Demnach ist die Dämpfung neben der Schlaghärte einer der größten Einflussfaktoren auf die Impaktionskraft.

Und in einer „Untersuchung der Fügekräfte bei der Herstellung der konischen Klemmung zwischen HTEP-Schaft und -Kopf“ von Toni We. et. al, Universitätsklinikum Leipzig, Vortrag auf dem deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie vom 23. bis 26.10.2018 in Berlin, veröffentlicht am 06.11.2018, gibt dieser wieder:

Bei Mitwirkung von 31 Operateuren wurden Fügekräfte zu von 823 N bis 3855 N erzielt. Angesichts der großen Spannweite der Fügekräfte und den Risiken, wie periprothetische Frakturen bei zu großen und Korrosion durch Fretting bei zu kleinen Fügekräften, wird eine Standardisierung des Fügeprozesses, beispielsweise durch ein neuartiges Instrumentarium, empfohlen.

Ein solches Instrument ist für den dortigen Bereich im: „Leitfaden Modulare Revisionsendoprothetik“, 2017 u.a. herausgegeben von Prof. Dr. Mo. vorgestellt werden.

Prof. Dr. Mo. kommt zudem zu dem Ergebnis, (u.a.) wegen der Gefahr des Versagens der Prothese oder des Knochenbetts bei unsachgemäßer Kombination oder unsachgemäßer Handhabung der Komponenten beim Zusammenbau von modularen Systemen sei eine vom Hersteller zertifizierte Schulung am Prothesensystem eine absolute Voraussetzung für dessen Verwendung. Nach dem Leitfaden war weiter die Entwicklung und erfolgreiche Markteinführung eines neuartigen Vorspanninstruments eine zentrale Maßnahme zur Optimierung der Fügung der Steck-Konus-Verbindung. Durch dieses Instrument werde eine vereinfachte Verspannung der Steck-Konus-Verbindungen zwischen Schaft, Hals und gegebenenfalls Verlängerungshülse während der intraoperativen Montage ermöglicht und gleichzeitig der Verspannungsvorgang um mehrere Risikoaspekte reduziert. Die reproduzierbar hohe Fügekraft werde durch einen so genannten Abreißbolzen garantiert, welcher als steriler Einmal-Artikel zur Verfügung gestellt wird. Dieser übernehme die Kraftregulierung.

Der Privatsachverständige der Beklagten Prof. Dr. Mo. hat in dem Leitfaden weiter ausgeführt:

„Hammerschlag

Die Verspannmethode per Hammerschlag ist als sehr kritisch zu betrachten, da eine wiederholte und ausreichende Verspannung der Konusverbindung vom jeweiligen Empfinden des Operateurs abhängig ist. Ein Teil des Impulses geht über die Flexiblität der Weichteile verloren.“

Die Beklagten weisen zwar zu Recht darauf hin, dass es bei der von Prof. Dr. Mo. beschriebenen Arbeit nicht um ein Instrument zur Fügung der Konusverbindung zwischen Kopf und Schafthals bei einer Primärprothese geht. Die Probleme der Kraft mittels Hammerschlages sind aber vergleichbar.

Im Termin hat der als Privatsachverständiger der Beklagten anwesende Prof. Dr. Mo., dazu zwar erklärt, dass seine Untersuchungen sich nicht auf eine primäre Kopfkonusverbindung einer Hüftprothese beziehen. Er hat aber eingeräumt, dass es hier wie dort schwierig ist, die Kraft genau zu bestimmen, die per Hammerschlag ausgeübt wird. Das kann zwischen 100 N und 8000 N sein. Zur Frage, ob man in dem Operationsbereich überhaupt mit etwas anderem als mit dem Hammer arbeiten kann, hat er darauf hingewiesen, dass es auf dem Markt Geräte gibt, die einen festen Impuls auf den Kopf ausüben können. Die Geräte benutze nur keiner. Sie seien in dem System, das die Beklagten vertrieben habe, nicht vorgesehen. Sie stammten von Fremdanbietern. Die Beklagten gingen beim Angebot der streitgegenständlichen Prothesensysteme vom Einsatz eines Hammers aus. Prof. Dr. M. hat bestätigt, dass es bis heute keine Verbindungstechnik mittels eines Hammers gibt, mit der eine entsprechende Fügekraft sicher in jedem Einzelfall hergestellt werden kann (Protokoll S. 25).

Hinzu kommt, dass bei Kräften um die 7 kN die Gefahr besteht, die Knochen zu schädigen. So hat Prof. Dr. K. berichtet, dass man Versuche mit Leichenknochen gemacht habe, die bereits bei einem anderen Winkel mit 2 bis 3 kN frakturiert seien. Das seien zwar alte Leichenknochen gewesen, so dass man das nicht ohne Weiteres 1:1 auf die operative Situation übernehmen könne. Als Ergebnis sehe er aber trotzdem, dass man nicht mit voller Kraft zuschlagen kann, weil sonst die Gefahr besteht, dass die Knochen frakturieren. Der SV Prof Dr K. hat in seinem Gutachten unter 2.4.1.4. zur Behauptung der Beklagten, dass es auch bei Aufschlagkräften von im Mittel 7,9 kN dazu kommen kann, dass keine Knochenfissuren auftreten, als Ergebnis ausgeführt, dass es bei Aufschlagskräften von 7, 9 kN nicht zwangsläufig zu Fissuren kommen muss, die Wahrscheinlichkeit dafür aber sehr hoch ist. Bei der Gefahr der Frakturierung komme es auch, so Prof. Dr. M., auf das Design der Prothese an. Bei der Untersuchung von Win. et. al war die Kraft, die toleriert wurde, bei bis 10 kN für das eine System und 3 bis 11 kN für das andere System, das ist ein System mit scharfen Kanten.

Der Kläger hat beim Einbringen des Schafts in den Oberschenkelknochen einen Riss des Knochens erlitten. Deshalb liegt es nahe, dass der Operateur nicht mit der höchsten ihm möglichen Kraft geschlagen hat. Wie Prof. Dr. M. ausgeführt hat, geht der Operateur nach einer Fissur vorsichtiger vor und wird wahrscheinlich eine etwas geringere Kraft benutzen. Man beobachtet dann den Spalt der Fissur und schlägt mit zunehmender Kraft ein. Man will vermeiden, dass der Bruchspalt sich wieder öffnet.

Wie stark Dr. Hi. als Operateur des Klägers aufgeschlagen hat, ist im OP-Bericht nicht beschrieben. Dies räumen auch die Beklagten ein, wenn sie ausführen, dass es unabhängig vom verwendeten Prothesenmodell der chirurgischen Praxis entspricht, die Fügung des Kopfes auf den Schafthals nach Auftreten einer Femurfissur zur Vermeidung weiterer Schäden auch nach Setzen einer stabilisierenden Cerclage nur noch mit vorsichtigen Schlägen auszuführen. Die Schlussfolgerung, dass sich im Fall des Klägers also ein seltenes, aber nicht untypisches lmplantationsrisiko verwirklicht habe, infolgedessen der Operateur bei der Fügung der Konusverbindung möglicherweise nicht die erforderliche Kraft aufgewandt hat, dies sei dann aber völlig unabhängig von den Operationsanweisungen des Herstellers geschehen, überzeugt indes nicht, vielmehr durfte sich der Operateur – auch wenn er in der Regel mehr Kraft aufwandte –, in diesem Fall auf die Operationsanweisung halten, die eine geringere Kraftentfaltung empfahl.

Insoweit lassen sich auch aus der von Dr. R. oder seinen Mitarbeitern angewandten Operationstechnik mit mehreren festen, sich in der Kraft steigernden Schlägen keine Rückschlüsse auf die von diesen jeweils konkret erreichte Fügekraft ziehen.

Angesichts der nicht sicher beherrschbaren Fügekraft lässt sich aber eine überzeugende Erklärung für die unterschiedlichen Ergebnisse bei den Patienten (erheblicher oder kein Metallabrieb) finden.

Soweit die Beklagten darauf hinweisen, Prof. Dr. M. habe in Parallelverfahren erklärt, die Operationsanweisung aus dem Jahr 2009 sei nicht zu beanstanden, ist dies nicht richtig. Tatsächlich hat der Sachverständige erklärt:

„Zur Frage der Montage des Kopfes erklärten die Sachverständigen: Dr. R. hat gestern erklärt, dass er sich bei der Montage an die Anweisung aus dem Jahr 2009 gehalten hat, nicht an die, die 2005, 2006 und 2007 galten. Aber wenn er sich an die Anweisung aus dem Jahr 2009 gehalten hat, wird es wohl nicht falsch gewesen sein.“ (Seite 22 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 267.7.2016 in den Verfahren Az. 6 0 316/10 und 60359/10, Hervorhebung durch die Unterzeichner).

Dies besagt nur, dass sich Dr. R. dann – unbekannterweise – an die Anweisung aus dem Jahre 2009 gehalten hätte – es besagt dagegen nicht, dass mit diesem Schlag die richtige Kraft ausgeübt und 7, 6 oder auch nur 4 kN sicher gewährleistet wird.

Danach sind die Sicherungsmaßnahmen, die nach dem im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts vorhandenen neuesten Stand der Wissenschaft und Technik konstruktiv möglich sind (BGHZ 104, 323, 326; 129, 353, 361; BGH, Urteil vom 17.10.1989 – VI ZR 258/88 – VersR 1989, 1307, 1308) und als geeignet und genügend erscheinen, um Schäden zu verhindern, nicht gewahrt. Dabei darf der insoweit maßgebliche Stand der Wissenschaft und Technik nicht mit Branchenüblichkeit gleichgesetzt werden; die in der jeweiligen Branche tatsächlich praktizierten Sicherheitsvorkehrungen können durchaus hinter der technischen Entwicklung und damit hinter den rechtlich gebotenen Maßnahmen zurückbleiben.

D. Der Fehler des Produkts war auch für die wesentlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers verantwortlich.

Der Materialverlust in der Konusverbindung, der mittels Abrieb oder Ionen im Körper frei verfügbar wird und reagiert, hat beim Kläger auch zu dessen vom Landgericht festgestellten gesundheitlichen Problemen geführt. Nur die vorgefundene Bursitis konnte nicht sicher auf den Metallabrieb zurückgeführt werden, weil andere Ursachen nicht ausgeschlossen waren. Tatsächliche Anhaltspunkte für andere Ursachen der Beschwerden des Klägers wie Infektionen, Allergien oder die Grunderkrankung selbst bestehen nicht (vgl. oben).

Die Kausalität ist aufgrund folgender Umstände erwiesen:

  • Der Metallverlust in der beim Kläger gemessenen Größenordnung wird üblicherweise mit klinischen Problemen assoziiert (vgl. Prof. Dr. K., GA I S. 29, Protokoll S. 8 Mitte; Prot. vom 13.01.2020, so auch Prof. Dr. M.).
  • Das mittlere jährliche Verschleißvolumen an Explantaten von 0,08 mm3 – 0,85 mm 3, das ebenso wie das interne Akzeptanzkriterium der Beklagten für Konusverschleiß um ein Vielfaches – nach der Berechnung der Beklagten um den Faktor 9,9 bzw. nach der Berechnung des Sachverständigen um den Faktor 15 überstiegen wurde.
  • präoperative Röntgenaufnahmen
  • Die beim Kläger am Tag der Revision mittels der entnommenen Blutproben gemessenen Metallkonzentrationen für Chrom mit 1,3 und 1,6 μg/l und für Kobalt mit 4,9 und 5,6 μg/l festgestellten Werte (Prof. Dr. K., GA I S. 30, CD AS 547) liegen in einem gesundheitsgefährdenden Bereich.
  • Die Ergebnisse der beim Revisionseingriff entnommenen Gewebeproben, die für Chrom 1694 μg/kg und Kobalt 986 μg/kg ergaben, lagen im oberen dreistelligen Bereich, bei dem mit klinischen Problemen zu rechnen ist.
  • Das histologische Gutachten bestätigt eine periprothetische Membran vom abriebinduzierten Typ I nach der Konsensus-Empfehlung sowie einen inflammatorischen Pseudotumor mit subtotalen Nekrosen. Es stützt sich dabei auf eine umfangreiche histopathologische Untersuchung von Schnittpräparaten des periprothetischen Gewebes und einer Metallkonzentrationsbestimmung desselbigen durch das Institut für Geowissenschaften, H. (vgl. GA Prof. Dr. K. vom 25.11.2013 (AS 893) sowie EGA vom 28.03.2014- AS 1137). Das nekrotische Gewebe entspricht dem abriebsinduzierten Typ, d.h. das hier beschriebene nekrotischen Gewebe und die dazu passende histologische Befundung können als charakteristisch für einen Pseudotumor als lokale Reaktion auf Metallkonzentration gewertet werden.
  • Der OP-Befund, zwei große Osteolysen am Trochantermassiv des Femurs sowie eine gräuliche Masse „ähnlich einer Maultaschenfüllung“ und einen schwarz gefärbten Konus mit Kranz, sprechen eindeutig für eine korrosionsbedingte Ursache.
  • Der hier entstandene Abrieb stammt nicht aus der Gleitpaarung. Der in diesem Bereich gemessene Abrieb war so gering, dass er nicht zu abriebsbedingten Beschwerden geführt hat.

Die Sachverständigen haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch einmal den Metallverlust als den Grund für Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers bestätigt (Prof. Dr. K. „Das Gericht hat zahlreiche Argumente aufgeführt, die dafür sprechen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Abrieb im konkreten Fall gesundheitsgefährdend war.“ Prof. Dr. M.: „Wir haben zwei Gründe: 1. Die lokalen Feststellungen, wir haben den intraoperativen Zustand per Fotos festgestellt. Der 2. Punkt ist eine generelle Gesundheitsgefährdung, die wir heute nicht absehen können. .... Ich stelle klar, die lokale Auswirkung ist evident“). Auf Frage, ob der Abrieb zu dem intraoperativ vorgefundenen Bild beim Kläger geführt hat, erklärte Prof. Dr. M.: „Es gibt keine andere Erklärung als den Abrieb und Korrosionsprodukte.“ Prof. Dr. K. ergänzte: „Ich sehe die Menge des Abriebs als sehr wahrscheinlich an für die Revision und den vorgefundenen Zustand beim Kläger.“

Danach ist mit der erforderlichen Sicherheit erwiesen, dass der Metallabrieb an der von den Beklagten hergestellten und importierten Prothese zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers geführt hat.

Soweit die Beklagten darauf hinweisen, dass es – auch bei Einsatz von Keramik oder Polyethylen – als typisches Risiko aufgrund des schicksalhaften, unvermeidlichen Abriebs aus der Artikulation zu Osteolysen bzw. Pseudotumoren kommen kann, ändert dies am vorliegend gefundenen Ergebnis nichts. Der hier entstandene Abrieb stammt nicht aus der Gleitpaarung. Der dort gemessene Abrieb war zudem so gering, dass er nicht zu abriebsbedingten Beschwerden geführt hat.

Der Metallabrieb beruht, wie vorstehend ausgeführt, auf der unzureichenden Fügekraft, wobei dahingestellt bleiben kann, ob neben der unzureichend vorgeschriebenen Fügekraft weitere Fehlerquellen (siehe hierzu sogleich) zum erhöhten und gesundheitlich bedenklichen Metallabrieb beigetragen haben. Denn für die zivilrechtliche Haftung ist anerkannt, dass eine kumulative Gesamtkausalität ausreichend ist (vgl. BGHZ 174, 205, Rn. 11; BGH, Urteil vom 10.05.1990 – IX ZR 113/89 – Rn. 22 – jeweils zitiert nach juris). Dabei hat der Bundesgerichtshof entschieden (BGHZ 174, 205, Rn. 19; Urteil vom 10. Mai 1990 – IX ZR 113/89 –, Rn. 22, juris), dass wenn ein Schaden haftungsrechtlich auf mehreren Ursachen beruht, die von verschiedenen Personen gesetzt worden sind, diese grundsätzlich als Gesamtschuldner haften (§§ 830, 840 BGB). Zivilrechtlich wird in diesen Fällen nicht danach unterschieden, ob einzelne Ursachen wesentlicher sind als andere (BGH, Urteil vom 13.05.1968 – III ZR 207/67 –, VersR 1968, 773, 774; Urteil vom 07.06.1968 – VI ZR 42/67 –, VersR 1968, 804, 805 unter II 2; Staudinger/Schiemann, BGB (2017), § 249 Rn. 35ff. Münchener Kommentar/Oetker, BGB 8. Aufl., § 249 Rn. 133 ff.). Das gilt grundsätzlich auch, wenn eine Ursache für sich allein den Schaden nicht herbeigeführt hat, es dazu vielmehr des Hinzutretens weiterer Ursachen im Sinne einer kumulativen Gesamtkausalität bedurfte (RGZ 73, 289f; BGH, Urteil vom 19.05.1970 – VI ZR 8/69 –, VersR 1970, 814, 815; vgl. auch RGZ 69, 57, 58; BGH, Urteil vom 28.06.1962 – VII ZR 8/61 –, WM 1962, 1196, 1197 f.).

Soweit es auf den Grund der Korrosion – eine zu geringe Fügekraft – ankommt, lässt sich zwar nicht mehr nachweisen, mit welcher Kraft der Operateur im Fall des Klägers geschlagen hat. Es ist aber erwiesen, dass die Konusverbindung infolge galvanischer Korrosion Material verloren hat, dies zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers geführt hat und die Korrosion eine typische Folge von zu geringer Fügekraft ist. Zudem war beim Kläger aufgrund der beim Einbringen des Schafts entstandenen Fissur nicht mit einer ausreichenden Fügekraft zu rechnen. Damit ist ein Anscheinsbeweis, der im Produkthaftungsrecht anerkannt ist, (Staudinger/Oechsler, ProdHaftG, § 1 Rn. 160; Arens ZZP 104 [1991] 123, 128; Buchner DB 1988, 32, 33; Brüggemeier/Reich WM 1986, 149, 153;9; BeckOGK/Seibl [1. 10. 2017] Rn. 149; MünchKomm/Wagner Rn. 74, Rn. 18 Baumgärtel/Katzenmeier, 2019 § 823 Anhang iv), erbracht. Der der Rechtsgutsverletzung zugrunde liegende Geschehensablauf ist typischerweise auf einen bestimmten Fehler zurückzuführen, wie ihn das betreffende Produkt aufweist. Für die schlüssige Darlegung eines Fehlers einer Hüftprothese durch Metallabrieb genügt demnach sogar schon (so Staudinger/Oechsler, a.a.O., Aktualisierung vom 28.02.2020 Rn. 160.2), dass nach der Implantation im Blut des Patienten erhöhte Chrom- und Cobaltwerte gemessen werden und der Hersteller die Prothese nicht vor dem Inverkehrbringen auf die Gefahr eines Metallabriebs getestet hatte (BGH, Urteil vom 16.04.2019 – VI ZR 157/18 –, VersR 2019, 1105 Rn. 13 ff;).

Nach der Rechtsprechung des EuGHs genügt es aus europarechtlicher Sicht, wenn der Geschädigte in der Lage ist, für das Vorliegen eines Produktfehlers ein Indizienbündel im Sinne von ernsthaften, klaren und übereinstimmenden Hinweisen darzutun, um „mit einem hinreichend hohen Grad an Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Schlussfolgerung“ eines Produktmangels der Wirklichkeit entspricht (EuGH, Urteil vom 21.06.2017, – C-621/15 – Erwägung Nr. 28). Dies ist hier der Fall.

Soweit die Beklagten alternative Ursachen, nämlich Fehler beim Einbau und die Erkrankungen des Klägers genannt haben, hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend deren Bedeutung verneint. Selbst wenn man – wie die Beklagten – von der Unaufklärbarkeit einzelner Ursachenzusammenhänge des Korrosionsgeschehens ausgeht, lag doch die Auswahl der Materialien und die Herstellung einer festen Verbindung in ihrem Verantwortungsbereich.

Soweit die Beklagten die Kausalität mit der Behauptung verneinen wollen, dass das von ihnen in Verkehr gegebene Produkt nachträglich negativ verändert oder negativ beeinflusst worden sein kann, tragen sie die Beweislast. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 1 Abs. 4 Satz 2 ProdHaftG muss der Hersteller darlegen und beweisen, dass nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den schadensverursachenden Fehler im Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht hatte.

Im Urteil vom 09. Mai 1995 (– VI ZR 158/94 –, BGHZ 129, 353-366) hat der Bundesgerichtshof zu Haarrissen ausgeführt, dass in einem solchen Fall die Haftung der Beklagten aus § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG nur entfallen könnte, wenn der Hersteller beweisen könnte, dass nach den Umständen davon auszugehen ist, dass der Haarriss noch nicht vorhanden war, als er die wiederbefüllte Flasche in den Verkehr gegeben hat. Der Hersteller muss in den Grenzen des Abs. 2 Nr. 2 den Nachweis führen, dass gerade ein später hinzugetretenes Sicherheitsdefizit zur Verletzung geführt hat. Insoweit genügt allerdings ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit. Der Hersteller kann den Beweis auf zweierlei Weise führen. Zum einen kann er nachweisen, dass der Fehler im Zeitpunkt der Inverkehrgabe noch nicht vorlag und folglich später entstanden sein muss. Dazu kann eine zuverlässige Dokumentation der Ein- und Ausgangskontrolle des konkreten Produktes ausreichen. Zum anderen kann der Hersteller nachweisen, dass der Produktfehler nachträglich entstanden ist (Staudinger/Oechsler a.a.O. § 1 Rdn. 71). Als mögliche Geschehensabläufe, auf die diese Beweislastregelungen anzuwenden sind, werden in Betracht gezogen: Die unsachgemäße Lagerung des Produkts durch einen Abnehmer des Herstellers, die mangelhafte Installation des Produkts durch den Geschädigten, fehlerhafte Bedienung durch den Benutzer, sachfremde oder übernormale Benutzung, unzureichende Pflege und Wartung (Staudinger/Oechsler aaO § 1 Rn. 75f.; Arens ZZP 104 [1991] 123, 130). Die Beweislastregel ist damit auf angebliche Fehler bei der Operation wie falsches Einbauen der Prothese und fehlerhafte Reinigung anzuwenden.

Die Beklagten haben nicht bewiesen, dass eine Kontamination mit Blut oder Knochenresten vorhanden war, die die Fügefestigkeit beeinflusst und die Schadenskaskade in Gang gesetzt hat. Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat zwar organische Rückstände festgestellt und erklärt, dass diese die verbleibende Festigkeit der Verbindung beeinflusst haben können. Woher sie gekommen sind, konnte er aber nicht sagen. Prof. Dr. M. hat darauf hingewiesen, dass dies auch erst durch die Explantation geschehen sein kann. Man kann nachträglich nicht unterscheiden, ob die Verschmutzung in der Konusverbindung beim Einbau oder später, letztlich auch beim Ausbau, eingetreten ist.

Im Übrigen enthält die damals relevante Anleitung keine Hinweise dazu, dass es sich bei der Reinigung um einen wichtigen, die Produktsicherheit betreffenden Arbeitsschritt handelt und wie genau gereinigt werden soll. Dazu hat Prof. Dr. M. ausgeführt:

Aus der Anweisung geht auch nicht ganz klar hervor, wie ich als Operateur auch Fettreste entfernen soll. Allein mit Tupfer und Wasser bekomme ich Fett aus Spalten nicht heraus. Wie tatsächlich gereinigt wurde, geht aus dem Operationsbericht von 2005 nicht hervor. Wir haben nur Angaben von Dr. R. aus anderen Verfahren, wie das damals üblicherweise gehandhabt wurde.

Nach meiner Erinnerung hat Dr. R. gesagt, dass mit Wasser und Kompresse gereinigt wurde, das steht so im Operationsbericht aber nicht drin.

Dann gehen aber Fehler bei der Reinigung zu Lasten der Beklagten. Dies stützt zudem die nach Zustimmung der Parteien (AS 1769) verwertbare Aussage des Zeugen Dr. R. zur Reinigung im Verfahren vor dem LG Freiburg – 6 O 359/10 – und zu den Angaben des Dr.R. vor dem Senat (Protokoll v. 13.01.2020 II S. 22f), zu der der Sachverständige Prof. M. erklärt hat, dass diese – wenn sie wie von Dr. R. angegeben erfolgt sei – nicht falsch gewesen sei.

Soweit einzelne Kausalzusammenhänge unklar sind und als weitere Ursachen des Metallabriebs in der Konussteckverbindung genannt werden

  • Großkopfprothesen führen zu höheren Reibmomenten sowie Mikrobewegungen und damit zu einer höheren Belastung der Konussteckverbindung
  • Pfannendeformation
  • Ein kürzerer Schaftkonus beeinträchtigt die Stabilität der Konussteckverbindung
  • Die in unterschiedlichen Größen hergestellten Adapterhülsen (Größen S-XL) könne je nach Größe zu erhöhtem Abrieb führen
  • Fertigungsmängel der Adapterhülse wie unregelmäßige Drehriefen, Kratzer oder Fehlstellen

handelt es sich um mögliche Mitursachen, die aber ihrerseits dem Produkt selbst als Konstruktionselement anhaften und daher sämtlich in den Verantwortungsbereich der Beklagten fallen und deshalb keinesfalls eine Entlastung der Beklagten rechtfertigen können.

Die Beklagten hatten weiter genannt

  • Ärztliche Fehler etwa die Herstellung einer falschen Anteversion/Inklination – oder ein zu tiefes oder breites Ausfräsen des Beckenknochens. Letzteres sei insbesondere deswegen nicht ausgeschlossen, weil die Operateure der Streithelferin nach eigenem Bekunden nicht die von der Beklagten zur Verfügung gestellte Probepfanne verwendet hätten.
  • Dazu hat das Landgericht fehlerfrei darauf hingewiesen, dass dahingestellt bleiben kann, ob hier ggf. ärztliche Fehler beim Einbau der Pfanne – eine nicht fachgerechte Präparation des Acetabulums kann zu einer Pfannenlockerung und über Mikrobewegungen auch zu Konusverschleiß führen – vorliegen. Denn zum einen war auch hier die OP-Anleitung im Hinblick auf die Beschreibung der Subhemisphäre der Pfanne (in 165° „angeschnittene“ Halbkugel) und das Verankerungsprinzip mittels Rippen unzureichend (vgl. Prof. Dr. K., GA I S. 46 ff.). Zum anderen haben die Beklagten in beiden Fällen unstreitig gestellt, dass sich die konkrete Beschaffenheit der Pfanne nicht auf die Konussteckverbindung ausgewirkt hat (vgl. Schriftsatz vom 30.10.2014, Band III AS 1245; Protokoll LG Freiburg I S. 28).
  • Zum Vorwurf, es sei wegen des beim Kläger festgestellten flachen Inklinationswinkels der eingebauten Pfanne zumindest möglich, dass ein Impingement aufgetreten sei, was sowohl eine Pfannenlockerung wie auch negative Auswirkungen auf die Konussteckverbindung gehabt haben könne.
  • Dazu hat das Landgericht fehlerfrei darauf hingewiesen, dass ein im Hinblick auf Inklination und Anteversion fehlerhafter Einbau der Pfanne und ein darauf beruhendes Impingement, also ein wiederholtes Zusammenstoßen, Reiben und Klemmen von Prothesenschaft und Pfannenrand, ausgeschlossen werden kann. Läge ein Impingement vor, so hätte sich am Prothesenschaft bei festsitzender Pfanne eine langgezogene Schleifspur zeigen müssen, was aber nach Inaugenscheinnahme der intraoperativ gefertigten Lichtbilder nicht der Fall war (vgl. Prof. Dr. M. Protokoll LG Freiburg I S.27). Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht auch nicht von typischen Impingementzeichen wie einschießendem Schmerz oder plötzlich blockierenden Bewegungen berichten (Protokoll LG Freiburg I S. 27 unten). Schließlich hat der Sachverständige Prof. Dr. K. bei seiner Untersuchung der Pfanne und des Kopfes keinerlei Kratzspuren aufgefunden, was bei einem Impingement ebenfalls zu erwarten gewesen wäre (Protokoll LG Freiburg I S. 28 oben).

Soweit die Beklagten behaupten, es liege im vorliegenden Fall nicht fern, dass die Femurfissur zu Mikrobewegungen der Prothese geführt habe, die ihrerseits wiederum zu Metallabrieb geführt hätten, hat das Landgericht überzeugend ausgeführt, dass ausgeschlossen werden kann, dass die durch die Implantation verursachte Femurfissur zu einer Instabilität, zu Mikrobewegungen und erhöhtem Metallabrieb geführt hat. Denn die Femurfissur war bereits auf den 6 Wochen postoperativ angefertigten Röntgenbildern erkennbar folgenlos verheilt. Auch bei der Revisionsoperation zeigte sich der Schaft fest (vgl. OP-Bericht vom 23.09.2009, Anlage K 3). Ein Zusammenhang zwischen Femurfissur und erhöhtem Metallabrieb ist daher nicht nachvollziehbar (vgl. Prof. Dr. K., GA I S. 54 unten).

Zudem hat das Landgericht die Behauptung, dass die Femurfissur mit einer kobalthaltigen Cerclage fixiert worden sei und die im Blut nachgewiesenen Kobaltwerte auch auf diesem Osteosynthesematerial beruhen könnten, mit dem Hinweis widerlegt, dass die zur Stabilisierung der Femurfissur bei der Erstimplantation eingebrachte Cerclage keinen nennenswerten Einfluss auf Metallabrieb und/oder Kobaltkonzentrationen im Blut hatte. Denn sie lag deutlich unterhalb des Gelenks und stand auch nicht unter Reibung (Prof. Dr. M. Protokoll LG Freiburg II S. 12).

Auch für alle sonstigen von Beklagtenseite angeführten Alternativursachen bestehen keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Der Kläger war mit einem Gewicht von 76 kg bei einer Körpergröße von 183 cm bei der Implantation (vgl. Behandlungsunterlagen, Anlage K 1) nicht übergewichtig. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine Überbeanspruchung, zumal das Prothesensystem von den Beklagten als für jüngere und aktive Personen besonders geeignet beworben wurde (vgl. etwa Wissenschaftliche Information S. 5, Anlage B 15). Schließlich lagen auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Allergie, von Infektionen oder einer Prothesenlockerung vor. Die Grunderkrankung der Coxarthrose kommt jedenfalls für den erhöhten Metallabrieb und die darauf beruhenden Beschwerden ebenfalls nicht in Betracht.

E. Die Haftung ist auch nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG ausgeschlossen. Die Beklagten haben nicht bewiesen, dass der Produktfehler im Zeitpunkt der Inverkehrgabe im Jahr 2005 nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war.

Sowohl die Ersatzpflicht des Herstellers nach dem Produkthaftpflichtgesetz (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG) als auch die deliktische Produkthaftung sind ausgeschlossen, wenn der den Schaden verursachende Fehler des Produkts im Zeitpunkt seiner Inverkehrgabe nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war (sogenannter Entwicklungsfehler; vgl. BGHZ 181, 253 Rn. 27 f; m.w.N.). Dabei wird auf die Begründung des Landgerichts Bezug genommen und ergänzend auf Folgendes hingewiesen:

Die in § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG vorgesehene Entlastungsmöglichkeit kommt grundsätzlich auch für Konstruktions- und Instruktionsfehler in Betracht. Die Annahme eines haftungsausschließenden Entwicklungsfehlers setzt voraus, dass die potenzielle Gefährlichkeit des Produkts nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkannt werden konnte (Kullmann, ProdHaftG, 6. Aufl. 2010, § 1 Rn. 63), weil die Erkenntnismöglichkeiten (noch) nicht weit genug fortgeschritten waren. Für die Erkennbarkeit maßgeblich ist das objektiv zugängliche Gefahrenwissen; auf die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des einzelnen Herstellers kommt es nicht an (Münchener Kommentar/Wagner, a.a.O., Einl. ProdHaftG Rn. 15, § 1 ProdHaftG Rn. 53; Staudinger/Oechsler, a.a.O., § 1 ProdHaftG Rn. 126 f; zur deliktischen Produkthaftung: Kullmann/Pfister, a.a.O., Kza 1520, S. 15; Münchener Kommentar/Wagner, a.a.O., Einl. ProdHaftG Rn. 15). Entwicklungsrisiken sind dabei nur Gefahren, die von der Konstruktion eines Produkts ausgehen, aber nach dem neuesten Stand der Technik nicht zu vermeiden waren (BGH, Urteil vom 09.05.1995 – VI ZR 158/94 –, BGHZ 129, 353; Kullmann, ProdHaftG, 6. Aufl. 2010, § 3 Rn. 46). Zum Stand der Wissenschaft und Technik gehören nicht nur die allgemein anerkannten Regeln der Technik bzw. die allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Auch vereinzelte Erkenntnisse können den „Stand“ der Wissenschaft und Technik bestimmen (Kullmann, ProdHaftG,6. Aufl. 2010, § 1 Rn. 68 a.E.). Gerade neue wissenschaftliche Erkenntnisse sind häufig der Arbeit von Abweichlern zu verdanken. Käme es auf ihre Ansichten nicht an, wäre der Hersteller solange entlastet, bis sie sich allgemein durchgesetzt haben, was häufig erst der Fall ist, nachdem sich die Richtigkeit ihrer Behauptungen durch entsprechende Schadensfälle erwiesen hat. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, wie groß oder intensiv das behauptete Gefahrenpotential ist. Je schwerwiegender die Gefahren sind, auf die von Minderheitsauffassungen hingewiesen wird, desto eher ist der Hersteller gehalten, diesen Ansichten nachzugehen (Münchener Kommentar/Wagner, BGB, 7. Aufl. 2017, § 1 ProdHaftG Rn. 56). Dies gilt erst recht für ein Produkt mit dem mit einer neuen Konstruktion technisches Neuland betreten wird (Staudinger/Oechsler, BGB, Bearb. 2018, § 1 ProdHaftG Rn. 122).

Dabei ist unter potenzieller Gefährlichkeit des Produkts nicht der konkrete Fehler des schadensstiftenden Produkts, sondern das zugrunde liegende allgemeine, mit der gewählten Konzeption verbundene Fehlerrisiko zu verstehen (BGH, Urteil vom 16.06.2009 – VI ZR 107/08 –, BGHZ 181, 253 Rn. 27 f.; BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 1/12 – juris Rn. 10). Erkennbar/Vorhersehbar sein muss damit nicht etwa der Haarriss in einer konkreten Mineralwasserflasche oder hier die klinischen Auswirkungen, sondern das zugrunde liegende allgemeine Fehlerrisiko, d.h. die Gefahr, dass gläserne Mineralwasserflaschen Risse ziehen und unter Druck explodieren können – hier die grundsätzlich möglichen Auswirkungen des Materialverlusts inklusive der Kenntnis der Auswirkung von Metallverlust im Körper – (BGH NJW 1995, 2162, 2163; BGHZ 181, 253 = NJW 2009, 2952 Rn. 28 und 31; BGH NJW 2013, 1302 – Heißwasser-Untertischgerät Rn. 9; OLG Frankfurt NJW 1995, 2498, 2499; OLG München Urteil vom 11.01.2011 – 5 U 3158/10 –, juris Rn. 19: explodierende Piccoloflasche; vgl auch OLG Frankfurt, Urteil vom 20.05.2010 – 1 U 99/09 –, MPR 2010, 311 – juris Rn. 8 und OLG Hamm, Urteil vom 26.10. 2010 – 21 U 163/08 –, VersR 2011, 637, juris Rn. 21 zu einem undichten Herzschrittmacher: Nicht die Undichtigkeit des einzelnen Herzschrittmachers ist ausschlaggebend, sondern der Fehler der Baureihe, der im Einzelfall die Gefahr der Undichtigkeit begründet). Es muss nicht erst zum konkreten Schadensfall kommen, damit ein Fehler nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erkennbar wird. Denn es kommt nicht darauf an, dass der Fehler im Einzelfall mangels konkreter Voraussehbarkeit nicht vermeidbar war; nach dem insoweit unmissverständlichen Wortlaut des Abs. 2 Nr. 5 entlastet allein die fehlende Erkennbarkeit (s.a. Foerste JZ 1994, 1063). Auch bei einer Hüftprothese muss nicht die konkrete Gefährlichkeit des einzelnen Implantats erkannt werden, sondern allein die Gefährlichkeit der Konstruktion des Prothesentyps (Staudinger/Oechsler (2018) ProdHaftG § 1, Rn. 120.1; Aktualisierung vom 28.02.202 LG Freiburg 24.2.2017 – 6 O 359/10, juris Rn. 188). Liegt diese Voraussetzung aber vor, geht der Hersteller mit dem Inverkehrbringen eine Risikoentscheidung ein, gegenüber deren Folgen er sich nicht deshalb entlasten kann, weil er den Risikoeintritt im Einzelfall nicht vermeiden konnte (Staudinger/Oechsler (2018) ProdHaftG § 1, Rn. 120.1).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze war der Fehler erkennbar. Im Jahr 2005 war seit langem bekannt, dass aus modularen Steckverbindungen wegen Korrosions- und Verschleißprozessen Metallpartikel und/oder -ionen austreten können und dies zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. Ergänzend zu den Ausführungen des angegriffenen Urteils des LG Freiburg vom 15.10.2018 – 1 O 240/10 – (bei juris RN 180 ff) weist der Senat auf folgendes hin:

Seit den 70er Jahren – so der Sachverständige Prof. Dr. M. – war bekannt und veröffentlicht („es ist allgemeines medizinisches Wissen“), dass metallische Abscheidungen größerer Menge Gewebereaktionen hervorrufen können. Im Jahr 2005 war mit Sicherheit bekannt, dass ein Overload an Metallionenfreisetzung zu Gewebeveränderung gab in den 90er Jahren verschiedene Grundlagenuntersuchungen, die nahegelegt haben, dass bei modularen Systemen Phänomene wie Reibkorrosion („Fretting“) oder Spaltkorrosion („Crevice-Korrosion“) zu Metallionenfreisetzungen führen können. Die Beklagten selbst haben in ihrer Werbebroschüre auf den Zusammenhang zwischen Abriebpartikeln und gesundheitlichen Beeinträchtigungen hingewiesen (vgl. Anlage B 5, S. 2).

Auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 23.11.2016 im Verfahren vor dem LG Freiburg – 8 O 48/11 – vorgelegt im hiesigen Verfahren als Anlage B 60 – ergibt sich, dass die Gefahr von Metallionen und Abrieb aus Konusverbindungen – das Risiko von Korrosionsprozessen und die Freisetzung von Verschleißprodukten an modularen Verbindungen – ebenso wie der Zusammenhang von Design, Fügekraft, Belastung und Festigkeit der Konusverbindung im Jahr 2003 bekannt waren. Es war danach bei Inverkehrgabe im Jahr 2005 für Fachkreise ein gesichertes Wissen, dass der Fügekraft für die Herstellung einer stabilen Konussteckverbindung und zur Vermeidung von Korrosion eine wesentliche Bedeutung zukommt. Zu diesem Zeitpunkt konnte auch die Studie von Na. et al. so gewertet werden, dass sie auf einen Zusammenhang zwischen Kopfgröße und Reibungskräften hinweist. Und es hatten – so Prof. Dr. K., Protokoll S. 24 – zahlreiche Untersuchungen gezeigt, dass ein hochgradig linearer Zusammenhang zwischen der Fügekraft und dem Korrosionsmoment besteht. Es zählte bereits seit langem zum medizinischen Grundlagenwissen, dass die Freisetzung von Metallpartikeln bzw. -ionen zu Gesundheitsschäden wie entzündlichen Gewebeprozessen oder Prothesenlockerung und -versagen führen kann. Es war so Prof. Dr. K. vor dem Senat (Protokoll S. 12), im Jahr 2003 „bekannt, dass es zu Abrieb kommen kann bei dieser Kombination. Es war aber nicht klar, in welcher Menge.“ Dagegen hat PD Dr Kl. zurecht ergänzt, „Die Beklagte selbst hat im Jahr 2003 in der Risikobewertung festgestellt, dass es zum Verlust der Verbindungssicherheit kommen kann, die dann mit Metallabrieb, Metallose und Revision verbunden ist. Dies ist der eindeutige Nachweis, dass die Beklagte bereits damals im Jahr 2003 ein klinisches Problem, also die Revision, mit der Lockerung der Konusverbindung und einer Auflösung von Metall, hier Metallose, gesehen hat. Revision ist der operative Austausch von Komponenten der Hüftendoprothese“. Das Risiko als solches war danach bekannt.

Eine zumindest theoretische Kenntnis hat sich, so Prof. Dr. K., auch aus der Arbeit von Wi. ergeben, der die Korrosion als solche zwischen Titan und Kobalt Chrom untersucht habe. Dieser habe verschiedene Prothesen untersucht und dabei Korrosion festgestellt. Er habe aber nicht bestimmt, wieviel Material dadurch freigesetzt wurde. Das sei aber letztlich ausschlaggebend dafür, ob das zu Beschwerden wie beim Kläger geführt habe. Die klinischen Auswirkungen ließen sich, im Zusammenhang mit dieser Arbeit weder negativ noch positiv beantworten. Es fehlten klinische Daten der Patienten, um dies auswerten zu können.

Aber auch W., der bei der Fa. Z. GmbH von 1989 bis 2011 in verschiedenen Positionen tätig war und von der Centerpulse bei seiner Dissertation unterstützt wurde, hat in seinem Schreiben an die Beklagten vom 11.02.2014 (Anlage B 47) erklärt, dass er in seiner Dissertation zwar nicht den Zusammenhang zwischen Verschleißpartikeln und Osteolyse untersucht hat, er hat aber in einem Kapitel „Gewebereaktionen und biologische Effekte“ beschrieben, dass Abriebpartikel zu Osteolysen und letztlich zur Prothesenlockerung führen, ohne dass dies nach dem damaligen Kenntnisstand eine zwingende Folge war. Er habe darauf hingewiesen, dass die biologischen Effekte von Metallionen insbesondere die Langzeiteffekte noch nicht vollständig bekannt gewesen seien. Weiter habe er festgestellt, dass bei 30 % der Explantate, die zwar einen Konus aber keine Konushülse gehabt hätten, Oberflächenveränderungen festgestellt worden seien, die auf einen korrosiven Angriff hindeuteten. Korrosive Angriffe in modularen Konusverbindungen seien nicht zu verhindern. In seiner Dissertation hat er die Veränderungen im Konus weder quantitativ erfasst noch diese medizinisch bewertet. Er hat die Frage zum Einfluss von Metallionen oder Metallpartikeln auf das Immunsystem oder auf das Auftreten von Krebs als offen bezeichnet und in seiner Zusammenfassung die Konuskorrosion unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet und diskutiert. Auf die Behauptung, aus der Dissertation ergebe sich, dass viele Risiken bekannt waren und nicht weitergegeben oder nicht berücksichtigt worden seien, hat er lediglich erklärt, dass er Centerpulse nicht aufgefordert habe, diese Themen zu bearbeiten. Seine Erkenntnisse seien von B. intern diskutiert worden, man habe aber im Jahr 2003 keine Indizien gehabt, dass sich das Du.LDH-System anders verhalten könnte als die von ihm untersuchten Metasul-Kugelköpfe.

Zwar hat Wi. die mit der Terminierung aufgeworfene Frage des Senats, ob nicht die von ihm für seine Dissertation 2003 untersuchten Prothesen gerade wegen durch Metallabrieb verursachten körperlichen Beeinträchtigungen ausgebaut worden seien, in einem Schreiben an die Beklagten verneint. Aus Seite 50 der Dissertation folge, dass die Revisionsgründe des von ihm untersuchten Kollektiv vielfältig gewesen seien wie Prothesenlockerung, Schmerzen, Osteolysen, Ossifikationen und gebrochene Hüftschäfte. Eine Gemeinsamkeit wie z.B. Metallabrieb und/oder körperliche Beeinträchtigung als mögliche Revisionsursache habe es hier nicht gegeben. Ausweislich der Arbeit wies aber jedenfalls ein relevanter Anteil der Wi. zugesandten explantierten Prothesenteile Metallverlust auf, wie er auch bei den streitgegenständlichen Prothesen aufgetreten ist. In der Zusammenfassung den Explantatuntersuchungen ist schließlich davon die Rede (S. 78, auch 103), dass von 155 explantierten CoCr-Kugelköpfen mit 12/14-Konus, die bis zu 113 Monaten implantiert waren 29,6 % der Kugelkonen vorwiegend am Konuseingang Korrosionsnarben mit Ablagerungen von chromreichen Korrosionsprodukten zeigten. Bei acht Kugelkonen war Fretting und Lochkorrosion nachweisbar. In 47 Fällen wurde der Hüftschaft auch revidiert und konnte mituntersucht werden, Bei 16 von 39 Hüftschäften aus Titanlegierung war der Konus schwarz verfärbt. Die Resultate aus Laboruntersuchungen waren dagegen nicht vergleichbar. Auf S. 105 ff. sind weitgehend die Mechanismen beschrieben, von denen auch vorliegend ausgegangen wird.

Im Ergänzungsgutachten hat Prof. Dr. K. ausgeführt (II 81 ff), dass sich in den Einzelfallgutachten (LG Freiburg, Verfahren – 5 O 323/10 –, – 8 O 48/12 –, – 1 O 240/10 –) an den Innenkonen der Adapter ein erhöhter Materialabtrag zeigte, der durch massive Korrosionsspuren gekennzeichnet war, den der Sachverständige als Mangel bewertet. Er hat dazu erläutert, dass mit Einführung modularer Verbindungen in der Endoprothetik in den 80er Jahren, die sich vorwiegend an der Verbindungsstelle zwischen Prothesenkopf und Prothesenhals befanden, es zu zahlreichen Untersuchungen und Veröffentlichungen kam, die sich mit dem Korrosionsrisiko an modularen Verbindungen auseinandersetzten. Allerdings wird in diesen Veröffentlichungen nicht der korrosionsbedingte Verschleiß quantifiziert, sondern nur anhand subjektiver oder semiquantitativer Verfahren beschrieben. Bereits 1991 zeigten Mathiesen et al., dass es an vier von neun klinisch explantierten lmplantatkomponenten zu Korrosionsprozessen kam. Der Spalt zwischen den modularen Komponenten wurde als potentielle Quelle für Korrosionsprozesse betrachtet. Als korrosionsbedingtes Risiko wird in diesen und weiteren Studien eine Freisetzung von Metallpartikeln und -ionen aus der modularen Verbindung und dadurch ein erhöhtes Risiko für den Dreikörperverschleiß, partikelinduzierte Osteolysen und aseptische Lockerungen gesehen. Somit war das Risiko, dass es an modularen Verbindungen zu Korrosionsprozessen und zur Freisetzung von Verschleißprodukten kommen kann, zum Zeitpunkt der Einführung des Du.-LDH-lmplantatsystems grundsätzlich bekannt (vgl. auch Gutachten K. III 2.4.1.3 zu Prof. Dr. Mo.s Privatgutachten; Anlage B 59; LG Freiburg – 5 O 323 10 – K. GA I 153: 2002 war eindeutig ein Zusammenhang zwischen Fügekraft und Verbindungsfestigkeit bekannt; Anlage B 60 LG Freiburg – 8 O 48/ 12 – S.21: Die Gefahr von Metallionen und Abrieb aus Konusverbindungen war 2003 bekannt).

Soweit Prof. Dr. K. weiter ausführt, dass für ein potentielles Risiko bewertet werden müsse, mit welcher Wahrscheinlichkeit es auftritt und welche Folgen und Konsequenzen sich hieraus ergebe, insbesondere ob sich ein reales klinisches Problem vorhersehen lasse, und (S. 107 des Gutachtens) hieraus den Schluss zieht, die Mängel seien zum Zeitpunkt der lnverkehrbringens nicht vorhersehbar gewesen, ist dies nach der zitierten Rechtsprechung nicht erforderlich. Nicht der konkrete Fehler des schadensstiftenden Produkts muss erkennbar sein, sondern das zugrunde liegende allgemeine Fehlerrisiko. Dieses war aber bekannt.

Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die vorgelegten Laborberichte auf eine ausreichende Testung (in Bezug auf den Wissensstand zum Zeitpunkt der lnverkehrbringens der Implantate) hinweisen, aus denen sich keine Fehlerhaftigkeit der Implantate hätte erkennen lassen können und ob die Prüfungen nicht am Gesamtsystem, sondern teilweise an einzelnen Systemkomponenten erfolgten, weil dies dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprach. Es geht nicht um die subjektive Vorwerfbarkeit, sondern die Frage der Erkennbarkeit.

Prof. Dr. Mo., der Privatsachverständige der Beklagten, hat in dem von den Beklagten vorgelegten „white paper“ zum Stand der Kenntnisse 2003 als Zusammenfassung der Explantatanalysen ausgeführt:

Fast alle Studien fanden und finden Korrosion an der Konusverbindung mit den entsprechenden Auswirkungen: Implantatversagen, vermehrter Metallabrieb am Konus sowie Ionen.- und Partikelfreisetzung. Der Einfluss der Materialpaarung wurde ebenfalls früh gesehen (mehr Probleme bei gemischten Metallen), das Ausmaß ist jedoch unterschiedlich. Die Schlussfolgerungen gehen aber nahezu alle in die Richtung von Forderungen hinsichtlich Designverbesserungen und nicht in Richtung Warnungen. Auch dies dokumentiert, dass 2003 keine gesicherten Erkenntnisse zu Produktionsrisiken vorlagen.

und unter 2.4. Meinungen:

Zusammenfassung. Dass an der Konusverbindung Probleme entstehen könnten, war Mitte der 90er Jahre bekannt. Das mögliche Ausmaß wurde aber nicht gesehen, da die Auftretenshäufigkeit von tatsächlichen klinischen Problemen sehr niedrig bzw. die Revision nicht ausdrücklich aufgrund der an den Explantaten beobachteten Phänomene durchgeführt wurden. Neben Reibkorrosion wurde auch Spaltkorrosion für die Schädigung verantwortlich gemacht. Insgesamt gab es keine Anhaltspunkte für eine negative Vorteils-/Nachteilsabwägung.

Die Beklagten haben eingeräumt, dass die Phänomene „Abrieb“ und „Immunreaktion auf Abrieb“ von den Kleinkopfprothesen bekannt waren. Diese seien aber 2005 schon lange erfolgreich auf dem Markt gewesen und seien dies bis heute, ohne dass es zu klinischen Problemen gekommen wäre. Selbst wenn es vereinzelt Patienten gegeben habe, die negativ auf diesen bekannten Abrieb an Kleinkugelkopfprothesen reagiert hätten, sei hierin kein Produktfehler zu sehen. Es handele sich vielmehr um das jeder Prothese immanente und akzeptierte Grundrisiko. Prof. Dr. K. hat im diesem Sinne auf Frage zu den potentiellen damals bekannten Gefahren in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt: Theoretisch waren vor allem Laborarbeiten bereits vorhanden, aus denen sich die Möglichkeit der Gefährdung ergab. Es wurden Gefahren benannt. Ein neueres Problem, das erst seit den Großkopfprothesen bekannt geworden ist, sind die Pseudotumore. Die waren vorher nicht bekannt. Zumindest nicht in dieser Ausprägung. Es habe zumindest keine klinischen Untersuchungen gegeben, die dies als größeres Problem dargestellt hätten. Es sei nicht bekannt, dass man mit diesen Prothesen erhöhte Revisionsraten erreicht hat. Bis 2005 habe er keine Erkenntnisse dazu gehabt, dass es zu vermehrten klinischen Problemen komme, bei Metall auf Metallpaarungen – auch kleinen. Dass es einzelne Berichte gab, will ich nicht ausschließen. Ob es Berichte über einzelne Patienten gab, bei denen Probleme aufgetreten sind, kann ich nicht sagen. Da es auch bei Kleinkugelkopfprothesen zu Korrosionsprozessen komme, ohne dass hiermit ein klinisches Problem verbunden gewesen wäre, stellten diese „verschwindend geringen“ Mengen des Materialverlusts keinen Hinweis auf ein wie auch immer geartetes Problem dar. Entscheidend sei, dass sie die potenzielle Gefährlichkeit des streitgegenständlichen Prothesenmodells nicht hätten erkennen können. Der BGH (– VI ZR 107/08 –, NJW 2009, 2952, 2955, Rn. 28, 73) knüpfe die Erkennbarkeit des potentiellen Risikos explizit an die gewählte Konzeption (des Produkts). Daraus folge, dass die Erkennbarkeit nicht losgelöst von der Ausgestaltung bzw. Konstruktion eines Produkts erfolgen könne. Vielmehr müsse festgestellt werden, dass ein etwaiger Schadensmechanismus auf die konkrete Konzeption des Produkts zurückzuführen sei. Der der Airbag-Entscheidung des BGH zugrundeliegende Sachverhalt sei mit dem hiesigen Sachverhalt nicht vergleichbar. Denn anders als im Fall der Airbag Entscheidung habe die hiesige Beklagte gerade nicht geglaubt, durch die Konstruktion des streitgegenständlichen Prothesensystems ein bereits bekanntes Risiko ausgeschlossen zu haben. Es hätten gerade keine Hinweise darauf vorgelegen, dass die auch an Kleinkugelköpfen beobachteten Korrosionsphänomene klinische Auswirkungen haben könnten (so auch ausdrücklich der Sachverständige Prof. K. vgl. Seite 27 des Urteils). Es sei für die Beklagten (und für alle anderen Hersteller und die gesamte Wissenschaft) weder erkennbar, dass es aufgrund eines oder mehrerer konstruktiver Merkmale des streitgegenständlichen Prothesensystems überhaupt zu Korrosion in einem über das übliche (und unvermeidbare) Maß hinausgehenden Umfang kommen könnte, noch sei erkennbar gewesen, dass aufgrund der gewählten Konstruktion ein erhöhter Materialverlust an der Konusverbindung auftreten könnte. Erst recht sei nicht erkennbar gewesen, dass hiermit negative klinische Folgen verbunden sein könnten (vgl. auch SS v. 05.08.2018, Seite 7 ff.).

Damit haben die Beklagten keinen Erfolg. Im Rahmen der Feststellung eines Entwicklungsfehlers kommt es auf das mit der gewählten Konzeption allgemein verbundene Fehlerrisiko an. Dieses war den Beklagten aber bekannt. Sie wussten im Zeitpunkt der Inverkehrgabe, dass es bei Prothesen mit verschiedenen Materialien zu korrosiven Problemen kommen konnte, die wiederrum geeignet waren, gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorzurufen. Es war ihnen nur nicht bewusst, dass die Gefahr bei Großkopfprothesen vermehrt auftrat (Gutachten K. vom 22.11.2017 LG Freiburg – 3 O 323 10 – S. 40 australisches Implantatregistern nicht speziell bei Produkten der Beklagten höher; mündliche Verhandlung vor dem Senat zu den Revisionsraten der streitgegenständlichen Prothese, verglichen mit konventionellen Prothesen : Prof. Dr. K. : Ich habe im australischen Register eine Fünf-Jahres-Revisionsrate für konventionelle Prothesen von 4 % und für die streitgegenständliche Prothese von 7,1 % gefunden. PD Dr. Kl. ergänzt: Im australischen Register von 2018 gibt es Zehn-Jahres-Ergebnisse 16,2 % für Großkopfprothesen, konventionelle Prothesen hatten zwischen 5 % und 10 %. Prof. Dr. M. erklärt: Ich habe hier eine neuere Untersuchung aus dem Jahr 2019 von Ridon et. al.. Danach wurde die hier streitgegenständliche Prothese verglichen mit einer Kappenprothese desselben Herstellers untersucht. Da waren nach 10 Jahren bei den Kappenprothesen noch 97,7 % in Ordnung, bei der LDH-Lösung waren noch 67,1 % in Ordnung. Da sind keine Registerdaten, das sind Daten aus einem Krankenhaus bei dem gleichen Operationsteam.), sie also trotz aller technischen Bemühungen noch keine Problemlösung zur Vermeidung der bekannten Gefahr gefunden hatte. Die unzutreffende Annahme des Herstellers, eine bekannte Gefahr durch konstruktive Verbesserungen des bestehenden Systems behoben zu haben, reicht aber nicht aus, um einen Entwicklungsfehler anzunehmen, für den der Hersteller nicht einzustehen hat (BGH, Urteil vom 16.06.2009 – VI ZR 107/08 –, BGHZ 181, 253).. Dies gilt erst recht, wenn es darum geht, ob sich der Hersteller aufgrund von Erfahrungen mit einem bestimmten Prothesentyp darauf verlassen darf, dass Veränderungen zu keinen Problemen führen können. Für ein solches Verständnis des Begriffs der Erkennbarkeit spricht auch, dass in den Erwägungen der RICHTLINIE 2005/50/EG DER KOMMISSION vom 11. August 2005 zur Neuklassifizierung von Gelenkersatz für Hüfte, Knie und Schulter im Rahmen der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte ausgeführt ist, dass die Erfahrung zeigt, dass scheinbar unwesentliche Änderungen, die an bisher komplikationslos funktionierenden Gelenkersatzteilen vorgenommen werden, unerwartete ernsthafte Probleme zur Folge haben können, die zu frühzeitigem Versagen des Gelenks führen können und Anlass zu erheblichen Sicherheitsbedenken geben.

Dies gilt auch soweit Prof. Dr. K. erklärt hat: Wie es zu den konkreten Materialverlusten gekommen sei, sei im Detail bis heute nicht geklärt. Man könne auch heute anhand von Laboruntersuchungen nicht nachstellen, was man an den Implantaten, die man ausgebaut hat, sieht. Daraus ergebe sich, dass Erfahrung Testung und Studien eine besondere Bedeutung gehabt hätten. Heute verlange man Studien, nach der damaligen Gesetzeslage sei dies aber nicht verlangt worden, wenn es ein vergleichbares Produkt gegeben hätte. Damals habe der Hersteller geschaut, ob es vergleichbare Prothesen – hier solche mit einem kleinen Kopf – gebe und habe schauen müssen, wo die Unterschiede sind und habe das Risiko bewerten – was durch den großen Kopf anders sein könne. Den Beklagten war somit das zugrundeliegende allgemeine Fehlerrisiko bekannt oder hätte bekannt sein müssen, ihnen war lediglich nicht bewusst, dass sie die Gefahr von Metallabrieb mit den Großkopfprothesen nicht minimiert hatten, sondern dass es auch zu erheblichem Abrieb an der Konussteckverbindung kam.

Prof. Dr. M. hat die Ausführungen des Prof. Dr. K. zudem so kommentiert, dass es, wenn es, vor diesen Zeiten keine derartigen Großkopfprothesen, insbesondere Großkopfprothesen mit Adapter gegeben hat, eben auch keine klinischen Probleme zu erkennen gab. Es gab zwar Großkopfprothesen des Typs Wagner mit Polyethylen, Polyethylen auf Metall und ohne Adapter. Dann gab es Berichte über Titanprothesen mit Zement, das war Spalt- und Reibkorrosion zwischen Titan und Zement. Kleine Metallköpfe wurden nicht als großes Problem gesehen, aber Informationen aus den Problemen mit den hier verwendeten Werkstoffen und anderer Werkstoffkombination bezüglich Korrosion waren schon in der Endoprothetik bekannt. Auch das Problem Spaltkorrosion und Reibkorrosion war in der Literatur bekannt.

Auch der Sachverständiger PD Dr. Kl. hat im Termin bestätigt: „Wir wussten, dass bei der Konusverbindung Abrieb entstehen kann. Wir wussten aber nicht, welche Menge an Korrosion da entstehen kann und welche klinische Bedeutung das hat. Während Prof. Dr. K. darauf hingewiesen hat, dass die Konusverbindung zwischen dem Schaft und der Hülse der Konusverbindung, wie man sie bei Kleinkopfprothesen hatte, entspreche, und weiter erklärt hat, dass es eine Verkürzung des Konus auch bei den Kleinkopfprothesen gegeben habe, hat PD Dr. Kl. überzeugend zahlreiche Abweichungen genannt. So wurden bei dem vorliegenden Prothesensystem erstmals (abgesehen von Kappenprothesen) große Köpfe (>40 mm statt wie zuvor < 30 mm) mit einer Metall-auf-Metall-Gleitpaarung konzipiert. Die Pfanne wurde nicht wie zuvor üblich mit einem Inlay, sondern als dünne Monoblockpfanne entwickelt. Von Anfang an wurde die Konussteckverbindung mit einer Adapterhülse kombiniert (vgl. insgesamt zu den wesentlichen Designänderungen Prof. Dr. M. und PD Dr. Kl. Protokoll I S. 4 f.). Zwar war keine der einzelnen Designänderungen völlig neu. Jedoch war der Innovationsgehalt des Systems insgesamt als hoch zu bewerten, da sich bei gleichzeitiger Änderung mehrerer Variablen Risiken potenzieren können (vgl. Prof. Dr. M., Protokoll II S. 6). Gegen die Annahme, dass mit Blick auf die Kleinkopfprothesen bei Großkopfprothesen mit Sicherheit Probleme ausschließbar waren, spricht, worauf PD Dr. Kl. hingewiesen hat, dass

  • ein Unterschied der Einlaufverschleiß bestand, der Großkopf hatte beim Einlauf laut der Untersuchung von B. dreimal so viel Verschleiß wie der Kleinkopf.
  • Unterschied in den Reibmomenten. Es gibt die Arbeit von Streicher im Jahr 1990. Dieser hat mit steigender Kopfgröße eine höhere Reibung festgestellt. Weiter hat er festgestellt, dass man hat sich offensichtlich bezüglich des großen Durchmessers der Gleitpaarung in der Monoblockpfanne nicht auf den Vergleich mit den Kleinköpfen verlassen, sondern eine klinische Studie durchgeführt ab dem Jahr 2001. Das Gleitverhalten der Großkopfprothesen, das sich auf die Konusverbindung auswirken kann, hat man in der klinischen Studie aber nicht untersucht.

Gerade zur Konusverbindung hat PD Dr. Kl. darauf hingewiesen, dass eine Adapterhülse nicht die gleiche Situation widerspiegeln muss, wie ein fester Adapter, der vom Schaft herkommt. Die Adapterhülse im Inneren muss nicht genauso aussehen, wie ein Standardkugelkopf ohne Hülse. Weil die Hülse mit viel Kraft eingeschlagen wird. Inwieweit sich die innere Geometrie der Hülse verändert durch das Einschlagen, ist nicht untersucht worden.

Prof. Dr. K. musste auf Frage, ob aufgrund der Erfahrungen bei Kleinkopfprothesen eine Schädigung durch Metallabrieb bei Großkopfprothesen sicher ausgeschlossen war, einräumen, dass dies mit Sicherheit nicht der Fall gewesen sei. Auf Frage des Gerichts, ob es ausschließbar war, dass klinische Probleme auftreten können, nachdem bekannt war, dass es prinzipiell zum Abrieb kommen kann und dieser gesundheitsgefährdend ist, erklärte Prof. Dr. K.:

Es war aus meiner Sicht nicht vorhersehbar, dass es klinische Probleme gibt. Ausschließbar war das aber nicht.

Letzteres ist aber entscheidend. Danach konnte aufgrund der Erfahrungen bei Kleinkopfprothesen eine Schädigung durch Metallabrieb bei dem von den Beklagten neu vertriebenen Großkopfsystem nicht sicher ausgeschlossen werden.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung haben die Beklagten die Anlage BB 4 vorgelegt, der nach den Angaben der Beklagten Untersuchungen zugrunde lagen, die bereits vor Markteinführung im Jahr 2003 durchgeführt worden waren. Aus diesen Unterlagen ergibt sich mit aller Deutlichkeit, dass den Beklagten die Bedeutung der Ionen-Konzentration und damit des Metallverlustes bekannt war, denn es wurde ausweislich der Beschreibung unter 5.4 der Kobalt- und Chrom Gehalt im Vollblut bei verschiedenen System gemessen. Unter 6. werden die Risiken unter Abwägung des Patientennutzens vorgestellt. Unter 6.4 heißt es „ein kritischer Aspekt ist jedoch bis heute der in der Metall/Metall-Gleitpaarung gemessene Metallionenspiegel in Blut ....“. Man kannte danach die Risiken, glaubte aber, sie zu beherrschen können.

Eine Ersatzpflicht der Beklagten ist auch nicht gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG ausgeschlossen, weil den Beklagten das Zeichen „CE Kennzeichnung“ zuerkannt worden ist. Allein der Umstand, dass der Produktfehler – die Möglichkeit des Abriebs – anlässlich der Sicherheitsüberprüfung zwecks Zuerkennung des CE-Zeichens nicht entdeckt wurde, besagt nicht, dass die potenzielle Gefährlichkeit des Produkts unter Zugrundelegung des im Zeitpunkt seiner Inverkehrgabe objektiv zugänglichen Gefahrenwissens nicht hätte erkannt werden können (vgl. Kullmann, ProdHaftG, 6. Aufl. 2010, § 1 Rn. 65; BGH, Urteil vom 05.02.2013 – VI ZR 1/12 –, Heißwasser-Untertischgerät Rn. 10, juris). Daher ist auch die Frage, ob alle nach dem damaligen Stand vorgesehenen Tests absolviert wurden, für die Frage der Erkennbarkeit nicht von Bedeutung.

Die Beklagten können sich auch nicht darauf berufen, dass unter Berücksichtigung ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit, ihrer Art, ihres Umfangs und andererseits des Produktnutzens, (BGH a.a.O., Rn. 17) eine Abwägung der Vorteile mit den unvermeidbaren Risiken eine Inverkehrgabe gerechtfertigt habe. Im medizinischen Bereich darf ein Produkt nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn der Verbraucher über die bestehenden Risiken aufgeklärt wird. Lassen sich mit der Verwendung eines Produkts verbundene Gefahren nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durch konstruktive Maßnahmen nicht vermeiden oder sind konstruktive Gefahrvermeidungsmaßnahmen dem Hersteller nicht zumutbar und darf das Produkt trotz der von ihm ausgehenden Gefahren in den Verkehr gebracht werden, so ist der Hersteller grundsätzlich verpflichtet, die Verwender des Produkts vor denjenigen Gefahren zu warnen, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch oder nahe liegendem Fehlgebrauch drohen und die nicht zum allgemeinen Gefahrenwissen des Benutzerkreises gehören (vgl. BGHZ 181, 253; 105, 346, 351; 106, 273, 283; 116, 60, 65, 67; Münchener Kommentar/Wagner, a.a.O., § 823 Rn. 636, 638; Kullmann/Pfister, a.a.O., Kza 1520, S. 38 ff.; Schmidt-Salzer, a.a.O., Rn. 4.780, 4.1114; Staudinger/Oechsler, a.a.O., § 3 ProdHaftG, Rn. 46 ff.). Denn den Verwendern des Produkts muss eine eigenverantwortliche Entscheidung darüber ermöglicht werden, ob sie sich in Anbetracht der mit dem Produkt verbundenen Vorteile den mit seiner Verwendung verbundenen Gefahren aussetzen wollen (vgl. BGHZ 64, 46, 49; Foerste, aaO, § 24 Rn. 173, 225; Schmidt-Salzer, aaO, Rn. 4.780, 4.1114). Sie müssen darüber hinaus in die Lage versetzt werden, den Gefahren soweit wie möglich entgegenzuwirken (vgl. BGHZ 181, 253; 64, 46, 49; Foerste, a.a.O., § 24 Rn. 173; Meyer aaO, S. 8; Fürer a.a.O., S. 121 f.).

F. Die Entscheidung des Landgerichts zur Höhe des Schmerzensgeldes ist rechtfehlerfrei. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Landgericht insbesondere die festgestellten kausalen Gesundheitsschäden in die Abwägung eingestellt. Dabei stachen die Osteolyse, die Notwendigkeit einer Revisionsoperation und die Ungewissheit über den Krankheitsverlauf bis zu diesem Eingriff hervor. Andererseits war der Heilungsverlauf nach dem Revisionseingriff komplikationsfrei, so dass das Landgericht 25.000,00 € zusprach.

Die Beklagten beanstanden, es habe im Fall des Klägers keine Ungewissheit über den weiteren Krankheitsverlauf gegeben. Darauf beruhe allerdings auch die Feststellung des Gerichts, der Kläger habe unter einer Ungewissheit hinsichtlich des weiteren Krankheitsverlaufs gelitten. Der Kläger sei nach seinem Vortrag nach der Versorgung mit der Prothese bis in das Jahr 2009 hinein subjektiv beschwerdefrei gewesen und habe die Hinweise im Rahmen der Routineuntersuchung im Januar 2009 (vgl. Seite 4 des Urteils) nicht in Zusammenhang mit einem möglichen Versagen der Prothese gebracht. Die Nachricht, dass er sich einer Zweitoperation unterziehen müsse, habe ihn ausgesprochen getroffen, da er darauf vertraut habe, die einmal verwendete Prothese würde doch mehrere Jahrzehnte halten. Die Aussicht sich nur vier Jahre nach der Erstoperation einer weiteren Operation unterziehen zu müssen mit allen Risiken und Folgen, die sich hieraus ergeben, habe den Kläger sehr belastet und belastet ihn noch. Diese Nachricht habe den Kläger aber erst im August und damit 2 Monate vor der Operation erreicht. Der Sachverständige habe zudem erklärt, dass die Standzeit bei Wechseloperationen nicht so lang sei, wie bei Erstoperationen. Es solle nicht in Abrede gestellt werden, dass die Notwendigkeit einer Revisionsoperation ein für den jeweiligen Patienten beunruhigendes Ereignis sei. Eben diesen Aspekt habe das Landgericht jedoch als eigenständigen Faktor bei der Bemessung des Schmerzensgelds berücksichtigt. Für eine darüber hinausgehende Verunsicherung lägen indes keine Anhaltspunkte vor.

Damit haben die Beklagten keinen Erfolg. Im Tatbestand ist ausgeführt, dass im Januar 2009 anlässlich einer Routineuntersuchung der Verdacht auf erhöhten Metallabrieb aufkam. Im August 2009 wurden durch Röntgenbildgebung Osteolysen am Trochanter major festgestellt. Das Gericht hat die Ungewissheit über den Krankheitsverlauf nicht vom Zeitpunkt der Erst-Operation aus bewertet, sondern den Zeitraum Januar 2009 (Entdeckung von Unregelmäßigkeiten) über die Indikationsstellung für die Revisionsoperation im August 2009 bis hin zur Revisionsoperation berücksichtigt. Hierbei handelt es sich um einen Zeitraum von zehn Monaten, währenddessen der Kläger die Ungewissheiten ertragen musste. So war er zunächst mit der Befürchtung konfrontiert, sich einer zweiten Operation unterziehen zu müssen, dann wurde die Befürchtung Gewissheit und er musste sich mit der Revisionsoperation selbst auseinandersetzen. Dies kann auch neben der Tatsache der Revisionsoperation selbst berücksichtigt werden. Als weiteres Argument für die Höhe des Schmerzensgeldes kann noch die Ungewissheit über den Verlauf nach der Revisionsoperation herangezogen werden, denn dieser ist durch den Feststellungsantrag nicht abgegolten, der lediglich noch nicht vorhersehbare immaterielle Schäden erfasst.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10,711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht vor.

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