OLG Düsseldorf: Haftung für fehlerhaftes Medizinprodukt (Septummeißel)

Die fehlerhafte Herstellung eines Operationsinstrumentes (hier eines Septummeißels), das sieben Monate nach Auslieferung bei einer Operation bestimmungsgemäß eingesetzt wird und der in diesem Rahmen auftretenden Beanspruchung nicht standhält, ist nach den Regeln des Anscheinsbeweises als erwiesen anzusehen.

OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.01.1978 – 4 U 154/77
BGB §§ 823 Abs. 1, 831


Sachverhalt:

Am 26.3.1973 wurde im T-Hospital bei dem Kl. eine Nasenscheidewand-Operation durchgeführt. Bei dem Eingriff wurde ein Septummeißel benutzt, den die Bekl. am 31.8.1972 an das Krankenhaus geliefert hatte. Während der Operation brach die Spitze des Septummeißels ab und gelangte in die Lunge des Kl. Eine Entfernung der Meißelspitze aus der Lunge des Kl. war nur operativ durch Eröffnung des Brustkorbs möglich. Der Kl. leidet noch unter den Folgen der Operation. Mit der vorliegenden Klage nimmt der Kl. die Bekl. als Herstellerin des Meißels auf Schadensersatz in Anspruch. Er hat Zahlung eines Schmerzensgeldes und die Feststellung begehrt, dass die Bekl. verpflichtet ist, ihm den durch den Bruch des Meißels entstandenen und künftig entstehenden Schaden zu ersetzen.
Das LG hat dem Kl. 10.000 DM Schmerzensgeld zugesprochen und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Die Bekl. ist verpflichtet, dem Kl. den Schaden zu ersetzen, der ihm in Zukunft aus der durch den Bruch des Septummeißels verursachten Körperverletzung entsteht, und das vom LG zuerkannte Schmerzensgeld zu zahlen.
1. Die Haftung der Bekl. ergibt sich aus §§ 823 Abs. 1, 31, 847 BGB. Als Herstellerin im Sinne der Produzentenhaftung hat die Bekl. ein fehlerhaftes Operationsinstrument in den Verkehr gebracht und dadurch adäquatkausal die Körperverletzung des Kl. (operative Eröffnung des Brustkorbs und Entfernung der Meißelspitze aus der Lunge) verursacht.
Zu Recht hat das LG als erwiesen angesehen, dass die Bekl. den Meißel mit einem Herstellungsfehler am 31.8.1972 an das T-Hospital ausgeliefert hat. Wenn ein Operationsinstrument sieben Monate nach der Lieferung bei einer Operation bestimmungsgemäß eingesetzt wird der Beanspruchung nicht standhält und ein Teil des Instrumentes abbricht, ist nach den Regeln des Anscheinsbeweises als erwiesen anzusehen, dass das Instrument fehlerhaft hergestellt worden ist. Für diese nach den Regeln des Anscheinsbeweises gerechtfertigte Schlussfolgerung ist es – entgegen der Ansicht der Bekl. – ohne Bedeutung, ob der Septummeißel bei der Operation des Kl. zum ersten Mal Verwendung gefunden hat. Ein Operationsinstrument muss so hergestellt werden, dass es während eines Zeitraums von sieben Monaten bei operativen Eingriffen Verwendung finden kann, ohne dass ein Teil des Instrumentes wegen einer Mehrfachbenutzung abbricht. Nach den von der Rechtsprechung zum Anscheinsbeweis entwickelten Grundsätze muss die Bekl., um dem gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis den Boden zu entziehen, darlegen und im Falle des Bestreitens beweisen, dass Umstände vorliegen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit ergibt, dass der Septummeißel ordnungsgemäß und fehlerfrei hergestellt und ausgeliefert worden ist und der zum Bruch führende Mangel nach der Auslieferung aus nicht von ihr zu vertretenden Gründen entstanden sein kann. Das Vorbringen der Bekl. genügt diesen Anforderungen nicht. (Wird dargelegt.)
2. Der bei der Herstellung des Meißels entstandene Fehler hat die Körperverletzung des Kl. in haftungsbegründender Weise verursacht. Es ist ohne Bedeutung, ob der Arzt, der die Operation durchführte, bei sachmäßiger Arbeitsweise hätte verhindern können und müssen, dass die abgebrochene Meißelspitze in die Lunge des Kl. gelangte. Erleidet ein Patient eine Körperverletzung, weil ein bestimmungsgemäß verwandtes Operationsinstrument infolge eines Herstellungsfehlers bricht, dann ist der Schaden adäquat kausal vom Herstellungsfehler verursacht. Hat ein Kunstfehler des Arztes den Schaden mitverursacht oder vergrößert, so haftet der Arzt allenfalls dem Patienten neben dem Produzenten des Instrumentes. Da der Schaden des Kl. bei dem bestimmungsgemäßen Gebrauch eines objektiv fehlerhaften Operationsinstrumentes entstanden ist, hätte es der Bekl. als Herstellerin des Instrumentes obgelegen, Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, aus denen sich ergibt, dass ihre satzungsmäßigen Vertreter hinsichtlich des Mangels kein Verschulden trifft (BGHZ 51, 91 = NJW 1969, 269) und – um eine Haftung nach § 831 BGB auszuschließen – dass die mit der Fertigung des Meißels befassten Bediensteten mit der gebotenen Sorgfalt ausgesucht und überwacht wurden. Der Vortrag der Bekl. reicht zu dieser ihr obliegenden Entlastung nicht aus.
Die Bekl. ist als Herstellerin von medizinischen Operationsinstrumenten verpflichtet, mit größter Sorgfalt sicherzustellen, dass die von ihr in den Verkehr gebrachten Instrumente fehlerfrei sind. Materialfehler, die die Tauglichkeit eines Instrumentes beeinträchtigen, führen stets zu einer erheblichen Gefährdung des Patienten, können seinen Tod zur Folge haben und müssen darum, soweit dies überhaupt möglich ist, ausgeschlossen werden. Mit diesen Sorgfaltspflichten der Bekl. war es unvereinbar, wenn die satzungsmäßigen Vertreter der Bekl. darauf verzichtet haben, durch entsprechende Anordnungen und Beschaffung technischer Hilfsmittel dafür Sorge zu trauen, dass die ihr von der Firma B zur Weiterbearbeitung gelieferten Werkstücke so eingehend geprüft wurden, dass ein Materialfehler nicht verborgen blieb. Die Bekl. durfte sich nicht darauf verlassen, dass die Werkstücke bereits in der Ausgangskontrolle der Firma B hinreichend auf Materialfehler geprüft worden waren. Etwas anderes hätte allenfalls dann gelten können, wenn die Firma B es in einer besonderen Vereinbarung mit der Bekl. übernommen hätte, bestimmte Prüfungen zur Entlastung der Bekl. durchzuführen, und wenn die Bekl., sich vergewissert hätte, dass diese Prüfungen von ordnungsgemäß ausgewählten und kontrollierten Bediensteten der Firma B durchgeführt wurden. Zu einer derartigen Vereinbarung mit der Firma B trägt die Bekl. jedoch nichts vor, sie beschreibt nicht einmal, welche Prüfungen von der Firma B im Rahmen der Ausgangskontrolle durchgeführt werden.
Die von den satzungsmäßigen Vertretern der Bekl. angeordneten und im Betrieb der Bekl. durchgeführten Prüfungen und Kontrollen reichen nicht aus, um im Rahmen des Möglichen die Auslieferung fehlerhafter Operationsinstrumente zu verhindern. Das folgt schon aus dem eigenen Vortrag der Bekl. Sie behauptet, der fehlerhafte Meißel, dessen Spitze bei der Operation des Kl. abgebrochen ist, sei vor Auslieferung an das Krankenhaus mit den in ihrem Betrieb üblichen Methoden geprüft worden, der zum Bruch führende Materialfehler sei nicht zu erkennen gewesen, er müsse sich in dem von der Firma B hergestellten Rohling befunden haben; solche Fehler könnten nur durch eine weitere Kontrolle mit Röntgenstrahlen oder Ultraschall sichtbar gemacht werden. Der Ansicht der Bekl., eine zusätzliche Röntgenkontrolle sei wegen der damit verbundenen Kosten unzumutbar, kann nicht gefolgt werden. Es ist auch ohne Bedeutung, ob bei den Produzenten medizinischer Instrumente Röntgenkontrollen nicht üblich sind. Mit Rücksicht auf die großen Gefahren, die von einem fehlerhaften Operationsinstrument für den Patienten ausgehen, können und dürfen die Kontrollen zur Vermeidung von Produktionsfehlern nicht unterbleiben, um die Produktionskosten möglichst gering zu halten. Dass die mit einer zusätzlichen Kontrolle des Stahls durch Röntgenstrahlen oder Ultraschall verbundenen Kosten unzumutbar hoch sind, wird von der Bekl. nicht überzeugend dargelegt.

OLG Düsseldorf vom 24.01.1978
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