OLG München: Ärztliche Aufklärungspflicht vor Gracilisplastik-Implantation

1) Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten vor der Implantation eines medizinischen Geräts umfassend aufzuklären, insbesondere über die Funktionsweise des Geräts sowie über Chancen und Risiken des Eingriffs.

2) Entweder ist ein Umstand aufklärungspflichtig oder er ist es nicht. Im ersten Fall muss der Arzt grundsätzlich mündlich aufklären.

3) Ist ein Umstand nicht aufklärungspflichtig, dann kann eine Verletzung der Aufklärungspflicht auch nicht daraus hergeleitet werden, dass eine Bedienungsanleitung, die Vorsichtsmaßregeln zur Vermeidung von nur theoretischen Gefahren enthält, vor dem Eingriff nicht an den Patienten ausgehändigt wird.

OLG München, Urteil v. 23.10.2008 – 1 U 2046/08
BGB § 823


Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einer Behandlung wegen Inkontinenz geltend.

Bei der Klägerin wurde im Jahre 2001 im Krankenhaus O. eine Stuhlinkontinenz diagnostiziert und sie zu weiteren Untersuchungen an die Beklagte überwiesen.

Die Klägerin stellte sich im Oktober 2001 erstmals in der proktologischen Sprechstunde der Beklagten vor. Der behandelnde Arzt, der Zeuge Dr. R., diagnostizierte einen äußerst schwach reagierenden Musculus puborectalis und vereinbarte mit der Klägerin, ein sog.s Biofeedback-Training durchzuführen, um den Muskel zu stärken.

Nachdem sich nach mehrmonatigem Training kein Erfolg gezeigt hatte, empfahl der Zeuge der Klägerin bei einer nochmaligen Vorstellung am 19.12.2002, die Implantation einer Gracilisplastik, zu der sich die Klägerin aber noch nicht entschließen konnte.

Am 2.9.2003 suchte die Klägerin erneut die proktologische Sprechstunde der Beklagten auf. Der Zeuge Dr. R. riet der Klägerin, möglichst bald sich die Plastik implantieren zu lassen und erklärte die Funktionsweise des Gerätes. Zur weiteren Information gab er ihr einen Flyer der Firma M. (Anlage K 1) mit, in der die Funktionsweise der Apparatur u.a. wie folgt dargestellt wird:

"Die dynamische Grazilisplastik ist eine neue Therapieform, die bei bestimmten Patienten wirksam zur Behandlung der Stuhlinkontinenz eingesetzt werden kann. Dazu wird zunächst der dünne Grazilismuskel von der Oberschenkelinnenseite gelöst und um den Anus gelegt. Die Verlagerung dieses Muskels führt nicht zu einer Beeinträchtigung in Hinblick auf die Gehfähigkeit oder sonstige Aktivitäten. Anschließend wird ein implantiertes Stimulationsgerät mit dem verlagerten Muskel verbunden. Das Gerät gibt schwache elektrische Impulse ab, so dass sich der Muskel zusammenzieht und die Funktion des Analsphinkters (Schließmuskels) übernehmen kann. Diese Stimulationsimpulse sind in der Regel kaum zu spüren und werden unter Umständen gar nicht wahrgenommen.

Das Stimulationsgerät, das eine Spezialbatterie und elektronische Schaltkreise zur Steuerung der an den Muskel abgegebenen Stimulationsimpulse enthält, wird in der Regel am Unterbauch an einer zweckmäßigen, kosmetisch günstigen und für den Patienten bequemen Stelle implantiert. ...

Durch die dynamische Grazilisplastik kann eine Besserung der Stuhlinkontinenz erzielt oder auch vollständige Kontinenz erreicht werden. Der Grad der erzielten Verbesserung ist jedoch von Patient zu Patient unterschiedlich. Eine klinische Studie ergab, dass bei bis zu 73 % der Patienten Kontinenz erzielt werden kann. ..."

Die Klägerin wurde am 10.2.2004 zur Durchführung des Eingriffs in das Krankenhaus der Beklagten stationär aufgenommen. Die Klägerin unterzeichnete nach einem ärztlichen Aufklärungsgespräch, wobei die Frage von Störungswirkungen elektromagnetischer Felder nicht erörtert wurde, die Einwilligungserklärung für den ärztlichen Eingriff.

Am 11.2.2004 wurde der Klägerin die Gracilisplastik eingesetzt.

Fünf Tage nach der Operation erhielt die Klägerin die Gebrauchsanweisung für den Impulsgeber ausgehändigt. Auf Seite 131 der Anweisung werden mögliche Störungen durch elektrische und elektronische Geräte erörtert, wobei es u.a. heißt:

"Die meisten Elektrogeräte, die Sie im täglichen Leben antreffen, haben keinerlei Auswirkungen auf den Neurostimulator. Außerdem wird der Neurostimulator durch spezielle Schaltungen vor extremer elektromagnetischer Belastung geschützt.

Ihr Neurostimulator und das Elekrodensystem können sich mit bestimmten starken Magnetfeldern koppeln, so dass sich eine zusätzliche Stimulation ergibt.

Geräte und Einrichtungen, die Sie meiden sollten:

  • Diebstahldetektoren
  • Sicherheitsdetektoren
  • Elektrische Schweißgeräte
  • Elektrische Induktionsheißgeräte, die in der Industrie beim Verformen von Kunststoffen Verwendungen finden
  • Elektrische Stahlöfen
  • Hochspannungsleitungen
  • Elektrische Umspannstationen und Generatoren"

Die Klägerin lehnte nach der Lektüre der Bedienungsanleitung eine Aktivierung des Systems ab und ließ sich am 15.11.2004 das implantierte System operativ wieder entfernen.

Mit ihrer am 11.8.2006 eingereichten Klage begehrt die Klägerin Schmerzensgeld, den Ersatz eines Haushaltsführungsschadens, die Erstattung von Fahrt- und Behandlungskosten sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden,

Die Klägerin hat vorgetragen:

Sie hätte präoperativ über Risiken im Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern aufgeklärt werden müssen. Sie hätte bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Operation nicht durchführen lassen. Sie leide aufgrund der Operation unter psychischen Problemen. Es bestünden auch erhebliche physische Probleme wie Übelkeit, Schwäche, starke Schmerzen im linken Bein mit Schwellung in Form eines Lymphödems sowie Bauchkrämpfe.

Die Klägerin hat beantragt,

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 50.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5- %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 28.5.2005 zu bezahlen.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin materiellen Schadensersatz i.H.v. 37.892 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 25.495 EUR seit 28.5.2005 sowie aus weiteren 12.397 EUR seit 28.11.2007 zu bezahlen.

III. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin - als Nebenforderung - im Kostenfestsetzungsverfahren nicht festsetzbare vorgerichtliche Anwaltsvergütung i.H.v. 3.343,12 EUR (= in Rechnung gestellte volle 2,0 Geschäftsgebühr + Auslagen + 16 % Mehrwertsteuer) nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu bezahlen.

IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen weiteren, ihr aus der streitgegenständlichen ärztlichen Behandlung im Krankenhaus N. in den Jahren 2003 und 2004 noch entstehenden Schaden zu ersetzen, soweit ein solcher nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergeht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen:

Die in der Betriebsanleitung beschriebenen Probleme mit elektromagnetischen Feldern seien in der Praxis noch nicht aufgetreten und somit nicht aufklärungspflichtig. Der Arzt sei nicht verpflichtet, dem Patienten vor der Implantation jedes Detail einer Gebrauchsanweisung auseinanderzusetzen. Die eingetretenen Folgen sowie die Ursächlichkeit der streitgegenständlichen Behandlung für diese werden bestritten.

Das LG erließ am 9.1.2008 folgendes Teil- und Grundurteil:

I. Die Ansprüche der Klägerin auf Schmerzensgeld und Ersatz des materiellen Schadens aus dem Einsatz der Gracilisplastik am 11.2.2004 sowie auf Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten sind dem Grunde nach gerechtfertigt.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen weiteren ihr aus dem Einsatz der Gracilisplastik am 11.2.2004 noch entstehenden Schaden zu ersetzen, soweit ein solcher nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist oder übergeht.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Das LG führte zur Begründung aus:

Die erhobenen Zahlungsansprüche bestünden dem Grunde nach. Die Klägerin habe zur Überzeugung der Kammer nicht wirksam in den Einsatz der Gracilisplastik mit Verwendung des Neurostimulators eingewilligt.

Die Kammer nehme zwar nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. W. grundsätzlich keine Pflicht des behandelnden Arztes an, im Rahmen des Aufklärungsgesprächs zur Risikoaufklärung auf die Gefahr einer Beeinflussung durch elektromagnetische Felder einzugehen. Es hieße das Aufklärungsgespräch zu überfrachten, müsse der Arzt vor Verwendung eines Medizinproduktes eine umfangreiche Betriebsanleitung komplett mündlich erläutern und dabei auch auf jedes nur theoretisch denkbare Risiko eingehen, selbst wenn sich dieses Risiko, wie im vorliegenden Fall, praktisch noch nie verwirklicht habe. Dies setze aber voraus, dass der Patient die Möglichkeit habe, sich anderweitig über diese Gefahren zu informieren. Bei Medikamenten werde eine Pflicht des Patienten angenommen, sich über den Beipackzettel über die Risiken einer Medikation zu Informieren. Die Annahme einer solchen Pflicht setze aber voraus, dass ein solcher Beipackzettel für den Patienten verfügbar sei. Übertragen auf die Verwendung von Medizinprodukten bedeute dies, dass die mündliche Risikoaufklärung durch den Arzt nicht auf nur theoretisch denkbare Gefahren eingehen müsse. Insoweit müsse sich der Patient aus der Bedienungsanleitung informieren. Dies setze aber voraus, dass er vor Implantation des Medizinprodukts diese erhalten habe. Dies gelte umso mehr, wenn die - äußerst unwahrscheinliche - Verwirklichung das tägliche Leben massiv beeinflussen würde. Da die Klägerin die Bedienungsanleitung vor der Implantation nicht erhalten habe, habe sie keine Möglichkeit gehabt, sich außerhalb des Aufklärungsgesprächs vor der Operation über das äußerst unwahrscheinliche, nur theoretische, im Fall der Verwirklichung aber das tägliche Leben erheblich beeinflussende Risiko einer elektromagnetischen Beeinflussung des Stimulators zu informieren, so dass ihre Einwilligung nicht von einer ausreichenden Kenntnis getragen gewesen wäre.

Die Beklagte legte mit Schriftsatz vom 15.2.2008 gegen das ihr am 15.1.2008 zugestellte Urteil Berufung ein und begründete diese mit Schriftsatz vom 13.3.2008.

Die Beklagte und Berufungsklägerin trägt vor:

Das Urteil des LG sei aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das Erstgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin in den ärztlichen Heileingriff nicht wirksam eingewilligt habe. Dem LG sei insoweit zuzustimmen, dass grundsätzlich keine Verpflichtung des Arztes bestehe, im Rahmen des Aufklärungsgespräches auf die Gefahr einer Beeinflussung durch elektromagnetische Felder einzugehen. Rechtsfehlerhaft werde jedoch dann eine in der medizinischen Literatur noch nie beschriebene Analogie zum Beipackzettel bei Medikamenten gezogen und der Beklagten die Verpflichtung auferlegt, dem Patienten vor der Implantation die Bedienungsanleitung auszuhändigen.

Eine Aushändigung der Bedienungsanleitung sei schon deshalb nicht möglich, da die Bedienungsanleitung sich in der sterilen Verpackung befindet, die erst kurz vor der Operation geöffnet werde.

Auf einem Beipackzettel für Medikamente würden keine noch nie gefundenen Zwischenfälle beschrieben, sondern es werde nur auf mögliche Risiken und Nebenwirkungen hingewiesen, die - wenn auch nur äußerst selten - in Studien oder in der Praxis irgendwann einmal beschrieben worden seien oder aufgetreten seien. Eine überobligatorische Erwähnung tatsächlich noch nie aufgetretener Probleme in einer Bedienungsanleitung habe einen ganz anderen Hintergrund. Im Übrigen könne der Verwender einer Plastik das theoretische Risiko allein schon dadurch ausschließen, dass er das Gerät mit der mitgelieferten Fernbedienung ausschalte.

Es verbleibe bei dem allgemeinen Grundsatz, dass eine Aufklärungspflicht nur dann bestehe, wenn ernsthafte Stimmen in der medizinischen Wissenschaft auf bestimmte mit einer Behandlung verbundene Gefahren hingewiesen hätten, die nicht als unbeachtliche Außenseitermeinungen abgetan werden könnten. Vorliegend seien in der wissenschaftlichen Literatur keine ernsthaften Stimmen vorhanden, die auf die Gefahren hinweisen würden, welche in der Betriebsanleitung vom Hersteller angesprochen worden seien. Die dort erwähnten möglichen Zwischenfälle seien in der Praxis noch nie aufgetreten.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt:

Das am 9.1.2008 verkündete Urteil des LG München I mit dem AZ: 9 O 14483/06 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt:

Die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor:

Die Berufung sei zurückzuweisen. Das LG habe völlig zu Recht hervorgehoben, dass der Klägerin wenigstens vor dem Eingriff die Bedienungseinleitung mit den dort dargestellten streitgegenständlichen Risiken und Beeinträchtigung hätte überlassen werden müssen.

Bei dem Umfang der Aufklärungspflicht sei zu beachten, dass die Implantation nicht zwingend medizinisch indiziert gewesen sei, mit der Folge, dass ein erhöhtes Maß und höherer Genauigkeitsgrad der Aufklärung zu fordern sei.

Nach der Rechtsprechung des BGH müsse auch über höchst seltene Risiken aufgeklärt werden, wenn die Verwirklichung eines möglichen Risikos im Einzelfall für die Patienten einschneidende Folgen haben könne. Dies sei sicher der Fall. Wenn die Klägerin zur Diagnose einer schweren, möglicherweise lebensgefährlichen Erkrankung eine Magnetresonanztomografie machen lassen müsse, könnte durch den implantierten Pacer eine Diagnose verhindert werden, verschleiert und schlimmstenfalls unmöglich sein. Als Argumente dagegen könne auch nicht angeführt werden, dass die Klägerin das Gerät ausstellen könne, weil ihr nämlich gerade eben zum Beispiel dann dies nicht möglich sei, wenn sie - aus welchem Grund - auch immer ohne Bewusstsein sei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren nimmt der Senat Bezug auf die Schriftsätze der Klägerin vom 26.3.2008 (Bl. 129/130 d.A.), vom 10.6.2008 (Bl. 141/143 d.A.) und vom 19.9.2008 (Bl. 160/164 d.A.), sowie der Beklagten vom 13.3.2008 (Bl. 122/128 d.A.) und vom 1.7.2008 (Bl. 148/150 d.A.)

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einvernahme von Dr. R. und der informatorischen Anhörung der Klägerin (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.9.2008, Bl. 152/159).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten erwies sich als erfolgreich.

A. Das Urteil des LG war aufzuheben und die Klage abzuweisen, da die Klägerin wirksam in die Implantation der Grazilisplastik eingewilligt hat.

Die Einwilligung der Klägerin war wirksam, da die Aufklärung über die Risiken und Folgen des Eingriffs sowie der Verwendung des Gerätes ausreichend war.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH muss die Patientin im Großen und Ganzen über die Chancen und Risiken des Eingriffs aufgeklärt werden. Sie ist nicht nur über die Art des Eingriffs, sondern auch über seine nicht ganz außer Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken ins Bild zu setzen, soweit diese sich für sie als medizinischem Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für ihre Entschließung von Bedeutung sein können. Zwar müssen ihr nicht die Risiken in allen denkbaren Erscheinungsformen aufgezählt werden, aber ihr muss eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, insb. soweit diese, wenn sie sich verwirklichten, ihre Lebensführung schwer belasten würden und sie mit ihnen nach der Natur des Eingriffs nicht rechnen konnte, wobei für die ärztliche Hinweispflicht nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insb. nicht eine bestimmte Statistik entscheidend ist (vgl. BGH, NJW 1984, 1397; NJW 2000, 1784). Über sehr seltene, die Lebensführung aber im Fall des Eintritts stark belastende gefährliche Nebenwirkungen oder Folgen eines Eingriffes ist aber nur dann aufzuklären, wenn nach dem medizinischen Erfahrungsstand im Zeitpunkt der Behandlung ein solches Risiko bekannt und mit seinem Eintritt zu rechnen gewesen ist (BGH, NJW 1990,1528). Es müssen zumindest ernsthafte Stimmen in der medizinischen Wissenschaft auf das Risiko hinweisen, die als gewichtige Warnungen anzusehen sind. Weiter gilt der Grundsatz, dass je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindrücklicher die Patientin, der dieser Eingriff angeraten wird oder den sie selbst wünscht, über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren ist. Schließlich hat die Aufklärung mündlich zu erfolgen, wobei die Rechtsprechung bei Routinemaßnahmen wie Impfungen und bei Medikationen unter bestimmten Voraussetzungen eine schriftlicher Aufklärung durch Merkblätter bzw. Beipackzettel als ausreichend bewertet (vgl. BGH, NJW 2005, 1716; NJW 2000, 1784).

Nach diesen Grundsätzen bedurfte es keiner Aufklärung der Klägerin über mögliche Störungen des Neurostimulators.

I. Es bedurfte keines Hinweises in dem Aufklärungsgesprächs über die Möglichkeit, dass die Funktion der Apparatur durch starke Magnetfelder anderer Geräte beeinträchtigt wird, da derartige Fehlsteuerungen in der Praxis bisher nicht aufgetreten sind und Untersuchungen die theoretische Möglichkeit nicht bestätigt haben.

Es kann zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des LG unter II.1-3 der Entscheidungsgründe Bezug genommen werden.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen W. sind in der Literatur keine Berichte über Zwischenfälle im Zusammenhang mit in der Funktion vergleichbaren Geräten (Stimulatoren; Herzschrittmacher) oder dem konkreten Typ auffindbar, vielmehr sind Berichte über Untersuchungen vorhanden, die die in der Bedienungsanleitung enthaltenen Warnhinweise nicht bestätigen konnten. Der Gutachter berichtete von Studien, die sich mit der Beeinflussung des Stimulators bzw. von Herzschrittmachern durch die magnetischen und elektromagnetischen Felder bei der Kernspintomographie (MRT) befassen, wobei er die Erkenntnisse aus den MRT-Untersuchungen als repräsentativ für das Auftreten und den Einfluss anderer leistungsstarker Störfelder, die jedoch in den überwiegenden Fällen nicht die enorme Intensität des MRT aufweisen, bewertet. Die drei von dem Sachverständigen erwähnten Untersuchungen konnten in einer Probandengruppe keine negativen Einwirkungen registrieren, obwohl an diesen Personen MRT-Untersuchungen bei 1,5 Tesla (Einheit für magnetische Flussdichte) vorgenommen worden sind.

Den Ausführungen des Sachverständigen kann entnommen werden, dass die grundsätzliche physikalische Möglichkeit der Koppelung von Magnetfeldern, die zu einer Fehlfunktion des Stimulators führen kann, in der Praxis nicht aufgetreten ist und die konstruktiven Vorkehrungen der Vorrichtungen ausreichen, um einen Schutz vor extremen elektromagnetischen Belastungen zu gewährleisten.

Die in der Bedienungsanleitung enthaltenen Warnhinweise vor möglichen Störungen des Stimulators durch andere elektrische und elektronische Geräte sind nicht durch ernstzunehmende Stimmen in der Literatur belegt. Es ist lediglich die theoretische Möglichkeit der Koppelung von Magnetfeldern bekannt, nicht aber, dass sich diese Möglichkeit bei den Stimulatoren auch verwirklicht. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass die Verkuppelung von Magnetfeldern ein praktisch relevantes Risiko bei Verwendung der Geräte darstellt, über das der Patient vor dem Eingriff aufzuklären ist.

II. Der Senat hat darüber hinaus erhebliche Bedenken, ob die Einhaltung der in der Bedienungsanleitung empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen eine schwere Belastung der Lebensführung der Klägerin darstellen kann. Es wird nur die Meidung der oben im Tatbestand aufgeführten Geräte empfohlen. Des Weiteren kann - wie auf Seite 135 der Bedienungsanleitung beschrieben - der Beeinflussung des Stimulators durch Magnetfelder anderer Geräte ohne großen Aufwand dadurch begegnet werden, dass der Patient sich von dem Elektrogerät oder dem Magneten räumlich entfernt bzw. das Gerät abschaltet.

Die von der Klägerin beschworene Gefahr von Fehldiagnosen bei einer MRT-Untersuchung erscheint in Anbetracht der Ausführungen des Sachverständigen W. konstruiert und würde neben der Bewusstlosigkeit bzw. Artikulationsunfähigkeit der Klägerin weiter ein ärztliches Versagen bei der Durchführung der Untersuchung und bei der Auswertung der MRT-Bilder voraussetzen.

III. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht kann nicht daraus hergeleitet werden, dass die Klägerin die Bedienungsanleitung des Stimulators erst nach dem Eingriff erhalten hat.

Es besteht keine Verpflichtung eines Arztes einem Patienten vor der Implantation eines medizinischen Gerätes die Bedienungsanleitung auszuhändigen.

Der Arzt ist allerdings verpflichtet, den Patienten umfassend nach den oben dargestellten Grundsätzen aufzuklären, insb. über die Funktionsweise des Geräts sowie über Chancen und Risiken des Eingriffs. Grundsätzlich hat die Aufklärung mündlich zu erfolgen. Es ist Sache des Arztes, ob und ggfs. welche schriftliche Zusatzmaterialen er dem Patient überlässt und sein Risiko, inwieweit er eine mündliche Aufklärung durch Übergabe von schriftlichen Informationen ersetzt. Wie oben dargestellt, lässt die Rechtsprechung des BGH Ausnahmen von dem Grundsatz eines Aufklärungsgesprächs zu. Diese Entscheidungen (vgl. BGH, NJW 2005, 1716; NJW 2000, 1784) befassen sich nur mit der Frage, ob die grundsätzlich gebotene mündliche Aufklärung durch den Beipackzettel bzw. Merkblätter ersetzt werden konnte. Der Inhalt der Merkzettel bzw. der Beipackzettel bestimmt aber nicht den Umfang der Aufklärungspflicht, sondern der Umfang folgt aus den oben unter I. dargestellten Grundsätzen. Im Ergebnis bedeutet dies, entweder ist ein Umstand aufklärungspflichtig, dann muss der Arzt darüber grundsätzlich mündlich aufklären (ausnahmsweise durch Merkblätter, Bedienungsanleitungen etc.) oder er ist es nicht, dann ist es im Rahmen der Eingriffsaufklärung unschädlich, ob in Bedienungsanleitungen Vorsichtsmaßregeln zur Vermeidung von nur theoretischen Gefahren empfohlen werden.

B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

C. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

D. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben. Dem Rechtsstreit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, da Art- und Umfang der Aufklärungspflicht vor einem ärztlichen Heileingriff höchstrichterlich geklärt ist. Die Anwendung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ist Sache des Tatrichters.

OLG München vom 23.10.2008
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