BGH: “Fehler” im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie (ICD)

I. Der BGH hat dem Europäischen Gerichtshof zur Auslegung der Richtlinie 85/374/EWG (Produkthaftungsrichtlinie) folgende Fragen vorgelegt:

1. Ist Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG dahin auszulegen, dass ein implantiertes  Medizinprodukt (hier: implantierbarer Cardioverter Defibrillator – ICD) bereits dann fehlerhaft ist, wenn bei einer signifikanten Anzahl von Geräten derselben Serie eine Fehlfunktion aufgetreten, ein Fehler des im konkreten Fall implantierten Geräts aber nicht festgestellt ist?

2. Falls Frage 1 mit ja beantwortet wird: Handelt es sich bei den Kosten der Operation  zur Explantation des Medizinprodukts und zur Implantation eines anderen ICD um einen durch Körperverletzung verursachten Schaden im Sinne der Art. 1, 9 Satz 1 lit. a Richtlinie 85/374/EWG?

II. Für die berechtigte Sicherheitserwartung im Sinne von § 3 Abs. 1 ProdHaftG, Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 85/374/EWG ist maßgeblich auf die Erwartung der Patienten abzustellen, denen der ICD implantiert wird, nicht aber auf die Sicherheitserwartungen der Fachärzte. Angesichts der Lebensgefahr, die von einem fehlerhaften ICD ausgeht, spricht viel dafür, dass der Patient hinsichtlich eines möglichen vorzeitigen Ausfalls des implantierten Geräts “berechtigterweise grundsätzlich eine Fehlerquote gegen Null erwarten darf”.

BGH, EuGH-Vorlage v. 30.07.2013 – VI ZR 327/12
Instanzen:
OLG Düsseldorf v. 20.06.2012, Az.: I-15 U 25/11
LG Düsseldorf v. 03.02.2011, Az.: 3 O 182/10
Art. 1, 6 Abs. 1, 9 Satz 1 lit. a Richtlinie 85/374/EWG, §§ 1 Abs. 1, 3 ProdHaftG


I.

[1] Die Klägerin, eine Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung, begehrt aus übergegangenem Recht ihres Mitglieds F. Ersatz der Kosten stationärer und ambulanter Behandlung wegen des operativen Austauschs eines implantierbaren Cardioverter Defibrillators (im Folgenden: ICD). Die Beklagte, die
die "G. GmbH & Co. Medizintechnik KG" (im Folgenden: G.) im Wege der Verschmelzung übernommen hat, ist die deutsche Vertriebsgesellschaft der vormals als "G. Corporation" firmierenden US-amerikanischen Gesellschaft B. S.
Corporation mit Sitz in St. Paul, USA, die u.a. ICDs herstellt und verkauft. Ausweislich eines von der Klägerin vorgelegten Patientenausweises vom 5. April
2005 wurde F. an diesem Tag ein Herzinsuffizienz-Therapie-System mit ICD-
Funktion (CRT-D) des Typs "G. CONTAK RENEWAL ® 4 AVT ®" mit der Modellnummer M 170 und der Seriennummer 100084 implantiert. Als Hersteller
(Manufacturer) sind in dem Ausweis für Deutschland die G. GmbH & Co. Medizintechnik KG in Giessen, für Österreich die G. Ges.m.b.H. in Wiener Neudorf,
für die Schweiz die G. AG in Zug und für die EU die G. Europa NV/SA in Diegem/Belgien angegeben. Das Formular enthält auf mehreren Seiten unten den
Aufdruck "G." und eine auf G. hinweisende Internetadresse.

[2] Im Juni 2005 versandte die G. GmbH ein Schreiben mit der Überschrift
"Dringende Medizinprodukte Sicherheitsinformation und Korrekturmaßnahmen
für CONTAK RENEWAL ®", das u.a. Geräte des Typs 4 AVT ® mit der Modellnummer M 170 betraf. In dem Schreiben heißt es, die FDA (Food and Drug
Administration - Amerikanische Aufsichtsbehörde) könnte diese Maßnahme als
Recall einstufen. Das Cardiac Rhythm Management Qualitätssystem von G.
habe feststellen müssen, dass bei den genannten Geräten ein Bauelemente-Fehler auftreten könne, der die Therapie-Verfügbarkeit einschränken könne.
Die technische Analyse habe ergeben, dass ein Magnetschalter in der geschlossenen Position hängen bleiben könne. Vier Vorfälle aus einer Anzahl von
46.000 Geräten seien bestätigt worden, ein fünfter Vorfall werde vermutet, könne jedoch noch nicht bestätigt werden. In den vier Fällen, in denen das Gerät
implantiert gewesen sei, seien die Patienten und/oder Ärzte auf den Zustand
aufgrund hörbarer Pieptöne, die von den Geräten ausgegangen seien und ein
Schließen des Magnetschalters signalisiert hätten, aufmerksam geworden. In
diesen vier Fällen seien die Geräte ausgetauscht worden. Ein Ereignis sei vor
der Implantation aufgetreten. Bisher sei es, vom Geräteaustausch abgesehen,
zu keiner Beeinträchtigung der Patienten gekommen. Bei normaler Gerätefunktion schließe der Magnetschalter bei Magnetauflage und der Magnetmodus
werde aktiviert, der dann temporär die Gerätefunktion steuere. Sei die Funktion
"Magnetfunktion aktivieren (Enable Magnet Use)" auf EIN (ON) aktiviert, wie es
in der beschriebenen Fehlersituation der Fall gewesen sei, und bleibe der Magnetschalter in der geschlossenen Position hängen, werde die Behandlung von
ventrikulären und atrialen Arrhythmien unterbunden; die Bradykardie-Stimulation bleibe davon unberührt. Unter diesen Bedingungen sorgten die Sicherheitsfunktionen des Geräts für die Abgabe von Signaltönen; zusätzlich
werde die Batterieentladung beschleunigt.

[3] Im Folgenden wird in dem Schreiben empfohlen, die Magnetfunktion zu
deaktivieren. Diese Programmierung stelle sicher, dass eine angemessene
Therapie für die Behandlung von ventrikulären und atrialen Tachyarrhythmien
zur Verfügung stehe, auch wenn der Magnetschalter in der geschlossenen Position hängen bleibe. Sodann wird darauf hingewiesen, dass bei dieser Programmierung ein Magnet nicht mehr die (Tachykardie-)Therapie inhibiere, die
Funktion der vom Patienten ausgelösten Speicherung jedoch verfügbar bleibe,
eine vorübergehende Inhibierung der Tachyarrhythmietherapie nur mit einem
Programmiergerät vorgenommen werden könne und eine Magnetauflage keinen therapeutischen Nutzen habe und nicht angewendet zu werden brauche.

[4] Abschließend heißt es, Patienten sollten sich unverzüglich mit ihrem
Arzt in Verbindung setzen oder die Notaufnahme eines Krankenhauses aufsuchen, wenn sie Töne von ihrem Gerät hörten. Ärzte sollten sich an ihren örtlichen G. Außendienstmitarbeiter wenden oder telefonisch an den Technischen
Service von G., um Unterstützung zur Beurteilung der Geräte einzuholen.

[5] Das Universitätsklinikum, in dem F. sich in der Zeit vom 28. Februar bis
5. März 2006 befand, teilte dessen Hausarzt mit, bei F. seien am 2. März 2006
ein vorzeitiger AICD-Aggregatwechsel bei defektem Magnetschalter mit nicht
abfragbarem ICD-System durchgeführt und ein Dreikammer-ICD (Contak Renewal 4 AVT, G.) implantiert worden. Bei dem explantierten ICD-Aggregat habe
es sich um einen Contak Renewal 4 AVT, Hersteller G., Serien-Nr. 100084 gehandelt.

[6] Die Klägerin hat von der Beklagten mit Schreiben vom 31. August 2009
Zahlung der für den Krankenhausaufenthalt ihres Versicherten F. entstandenen
Kosten, die sie mit 20.315,01 € beziffert hat, sowie Ersatz ambulanter Behandlungskosten in Höhe von 122,50 € begehrt.

[7] Die Klägerin macht geltend, der Patientenausweis, in den die Klinikärzte
die Daten des implantierten Geräts eingetragen hätten, weise die Rechtsvorgängerin der Beklagten als Herstellerin aus. Der ursprünglich implantierte ICD
sei fehlerhaft gewesen, da er nach dem OP-Bericht einen defekten Magnetschalter mit nicht abfragbarem ICD-System aufgewiesen habe. Da fehlerfreie
Geräte eine Nutzungszeit von mindestens fünf Jahren hätten, handele es sich
bei den entstandenen Aufwendungen nicht um "Sowieso-Kosten". Die Beklagte
hat u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.

[8] Das Landgericht Düsseldorf hat der Klage durch Urteil vom 3. Februar
2011 (Aktenzeichen 3 O 182/10) stattgegeben. Das Oberlandesgericht Düsseldorf - Berufungsgericht - hat auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten mit Urteil vom 20. Juni 2012 (Aktenzeichen I-15 U 25/11) das erstinstanzliche
Urteil teilweise abgeändert und die Verurteilung der Beklagten in Höhe von
(nur) 5.952,80 € nebst Zinsen aufrechterhalten. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die vollumfängliche Klageabweisung.

II.

[9] Das Berufungsgericht bejaht einen Ersatzanspruch der Klägerin aus § 1
Abs. 1 ProdHaftG in Verbindung mit § 116 Abs. 1 SGB X. Die Beklagte habe
nicht bestritten, dass dem Versicherten F. nach dem Inhalt des Patientenausweises ein ICD CONTAK RENEWAL ® 4 AVT ® mit der Modellnummer M 170
und der Seriennummer 100084 implantiert worden sei. Dahinstehen könne, ob
die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die G. GmbH, das Gerät hergestellt oder
in den europäischen Wirtschaftsraum eingeführt habe. Die Beklagte hafte zumindest als Quasi-Herstellerin im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG, denn
ihre Rechtsvorgängerin habe sich als Hersteller ausgegeben. Entgegen dem
Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 der EG-Produkthaftungsrichtlinie vom 25. Juli 1985
(85/374/EWG, Amtsblatt Nr. L 210 vom 7. August 1985 S. 29 ff.) sei dafür nicht
erforderlich, dass die Anbringung des Namens auf dem Produkt selbst erfolgt
sei. Vorliegend genüge es, dass sich der Name des Herstellers aus dem Patientenausweis ergebe. Die Beklagte habe nicht bestritten, diese Ausweise zu
kennen. Die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG erforderliche Verbindung zwischen dem Produkt (ICD) und dem Ausweis sei durch den von den implantierenden Ärzten auf dem Ausweis angebrachten Aufkleber mit der Modellbezeichnung des Geräts und die von ihnen vorgenommenen handschriftlichen Eintragungen gewährleistet. Diese Darstellung in dem Ausweis habe die Beklagte stillschweigend genehmigt. Die dort befindliche Bezeichnung "Hersteller
(Manufacturer)" lasse keine andere Beurteilung zu, als dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten tatsächlich produziere und nicht nur vertreibe. Unerheblich
sei, dass in dem Ausweis für Österreich und die Schweiz weitere Hersteller benannt seien. In Deutschland gehe ein Patient, der nach der Implantation eines
ICD einen solchen Ausweis erhalte, davon aus, dass sein Gerät von dem dort
genannten in Deutschland ansässigen Unternehmen hergestellt worden sei.

[10] Der dem Versicherten F. implantierte ICD weise einen Produktfehler auf.
Das Gerät gehöre ausweislich des Sicherheitsinformationsschreibens vom
27. Juni 2005 zu einer Produktfamilie, bei der ein Bauelementefehler auftreten
könne, der die Therapie-Verfügbarkeit einschränken könne. Sei die Magnetfunktion aktiviert und bleibe der Magnetschalter nach Entfernen des Magneten
hängen, werde die Behandlung von ventrikulären und atrialen Arrythmien unterbunden. Das bedeute, dass auch im Falle lebensgefährlicher Herzrhythmusstörungen diese nicht erkannt würden bzw. die dann adäquate Abgabe lebensrettender Schocks unterbleibe. Die in dem Sicherheitsinformationsschreiben
ausgesprochene Empfehlung, die Magnetfunktion zu deaktivieren, würde dazu
führen, dass eine Magnetauflage nicht mehr die Tachykardie-Therapie für die
Dauer der Auflage unterbinde und die Magnetfunktion keinen therapeutischen
Nutzen mehr hätte.

[11] In der Gefahr des Ausbleibens einer Schockabgabe bei lebensgefährlichen ventrikulären Herzrhythmusstörungen liege ein Produktfehler im Sinne von
§ 3 ProdHaftG. Das Gerät biete nicht die Sicherheit, die unter Berücksichtigung
aller Umstände berechtigterweise erwartet werden könne. Dabei sei nicht allein
auf die Erwartung der Ärzte, sondern zumindest auch auf die Erwartung der
Patienten abzustellen, denen ein ICD implantiert worden sei. Deren berechtigte Erwartungen seien sehr hoch, weil dem Patienten bei einer - für ihn nicht ohne
Weiteres erkennbaren - Fehlfunktion schwerwiegende Gesundheitsschäden
drohten, die zum Tode führen könnten. Dahinstehen könne, ob das dem Versicherten F. implantierte Gerät tatsächlich einen Bauelementefehler aufgewiesen
habe. Bereits die Möglichkeit des in dem Sicherheitsinformationsschreiben beschriebenen Defekts des Magnetschalters begründe einen allen ICD anhaftenden Produktfehler, ohne dass es im konkreten Fall darauf ankomme, ob der
Magnetschalter tatsächlich defekt gewesen sei. Aufgrund des in dem Sicherheitsinformationsschreiben enthaltenen Hinweises, dass man sich erst am Anfang einer Untersuchung befinde und nicht auszuschließen sei, dass diese
Maßnahme von der Food and Drug Administration als Recall eingestuft werden
könne, sei es auch unerheblich, dass es voraussichtlich nur bei einer geringen
Anzahl von Geräten dieses Typs zu einem Ausfall kommen werde.

[12] Die Haftung der Beklagten sei auch nicht nach § 1 Abs. 2 ProdHaftG
ausgeschlossen. Der dem Hersteller gemäß § 1 Abs. 4 Satz 2 ProdHaftG obliegende Nachweis, dass das Produkt den Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht aufgewiesen habe, sei dadurch zu führen, dass entweder
das Produkt bei Inverkehrgabe den Fehler noch nicht gehabt haben könne oder
dass der Fehler tatsächlich erst danach entstanden sei. Die Beklagte habe nicht
dargelegt, dass der Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch nicht
vorgelegen habe. Nach dem Operationsbericht habe bei dem betreffenden ICD
der Magnetschalterdefekt vorgelegen. Zudem spreche der Umstand, dass nach
dem Inhalt des Sicherheitsinformationsschreibens ein Ereignis vor der Implantation aufgetreten sei, für einen Konstruktionsfehler des Magnetschalters.

[13] Der Produktfehler habe infolge des erforderlichen operativen Geräteaustauschs adäquat kausal zu einer Körperverletzung des Versicherten F. geführt. Die angefallenen Behandlungskosten betrügen (geschätzt) 5.952,80 €. Der Anspruch der Klägerin sei nicht verjährt.

III.

[14] Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung der Art. 1, Art. 9 Satz 1
lit. a der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung
der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung
für fehlerhafte Produkte, Amtsblatt Nr. L 210 vom 07/08/1985 S. 0029-0033, ab.
Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

[15] 1. Ein - gemäß § 116 Abs. 1 SGB X übergegangener - Anspruch der
Klägerin auf Ersatz der Behandlungskosten könnte allein gemäß § 1 Abs. 1, § 3
Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 8 ProdHaftG gegeben sein. Andere Anspruchsgrundlagen
kommen im Streitfall nicht in Betracht.

[16] Die Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung
der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung
für fehlerhafte Produkte (Amtsblatt Nr. L 210 vom 7. August 1985, S. 29-33)
wurde durch das Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz - ProdHaftG) vom 15. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2198), in Kraft
getreten am 1. Januar 1990, in nationales Recht umgesetzt. Dessen maßgebliche Vorschriften lauten:

§ 1 Haftung

(1) Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Im Falle der Sachbeschädigung gilt dies nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist.

(2) Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn

1. er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat,

2. nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in den Verkehr brachte,

3. er das Produkt weder für den Verkauf oder eine andere Form des Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck hergestellt noch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat,

4. der Fehler darauf beruht, daß das Produkt in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller es in den Verkehr brachte, dazu zwingenden Rechtsvorschriften entsprochen hat, oder

5. der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte.

(3) Die Ersatzpflicht des Herstellers eines Teilprodukts ist ferner ausgeschlossen, wenn der Fehler durch die Konstruktion des Produkts, in welches das Teilprodukt eingearbeitet wurde, oder durch die Anleitungen des Herstellers des Produkts verursacht worden ist. Satz 1 ist auf den Hersteller eines Grundstoffs entsprechend anzuwenden.

(4) Für den Fehler, den Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden trägt der Geschädigte die Beweislast. Ist streitig, ob die Ersatzpflicht gemäß Absatz 2 oder 3 ausgeschlossen ist, so trägt der Hersteller die Beweislast.

§ 3 Fehler

(1) Ein Produkt hat einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere

a) seiner Darbietung,

b) des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,

c) des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde,

berechtigterweise erwartet werden kann.

(2) Ein Produkt hat nicht allein deshalb einen Fehler, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde.

§ 6 Haftungsminderung

(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, so gilt § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs; im Falle der Sachbeschädigung steht das Verschulden desjenigen, der die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Geschädigten gleich.

(2) …

§ 8 Umfang der Ersatzpflicht bei Körperverletzung

Im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit ist Ersatz der Kosten der Heilung sowie des Vermögensnachteils zu leisten, den der Verletzte dadurch erleidet, dass infolge der Verletzung zeitweise oder dauernd seine Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert ist oder seine Bedürfnisse vermehrt sind. …

[17] 2. Die Beklagte gilt als Herstellerin des dem Versicherten F. implantierten
ICD. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte aufgrund der in dem Patientenausweis enthaltenen Angaben als Quasi-
Hersteller im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG haftet. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist der Patientenausweis auf einem
Formular von G. gedruckt worden. Der Ausweis enthält im unteren Bereich
mehrfach den Namen G. und die Internetadresse der Beklagten. Unerheblich
ist, dass der Ausweis, wie die Revision geltend macht, dem ICD nicht beigefügt
war. Die erforderliche Verbindung zwischen dem Produkt und dem Ausweis ist
dadurch hergestellt worden, dass die Ärzte den Aufkleber des ICD in den Ausweis eingeklebt und weitere handschriftliche Eintragungen u.a. zur Funktionalität des Geräts sowie zur Person des Patienten und zum Zeitpunkt der Implantation vorgenommen haben. Die Beklagte hat, worauf das Berufungsgericht mit
Recht hinweist, nicht in Abrede gestellt, das verwendete Formular des Patientenausweises zu kennen. Mithin wusste sie, dass es sich um ein ärztlicherseits
auszufüllendes Formular handelt, durch das ihre Rechtsvorgängerin, weil diese
dort als Hersteller genannt ist, mit dem von den Ärzten angegebenen Produkt in
Verbindung gebracht wird. Dadurch, dass die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin dies hingenommen haben, haben sie die Benennung als Hersteller
zumindest stillschweigend genehmigt.

[18] 3. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es darauf an, ob der
dem Versicherten F. implantierte ICD einen Produktfehler im Sinne von § 3
Abs. 1 ProdHaftG, Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG aufwies.

[19] a) Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob der konkrete, dem Versicherten F. implantierte ICD von dem beschriebenen Fehler tatsächlich betroffen
war. Im Revisionsrechtszug ist deshalb zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass dies nicht der Fall war.

[20] b) Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen gehört der
dem Versicherten F. implantierte ICD zu einer Produktfamilie, bei der ein Bauelementefehler auftreten kann. Die bei Geräten dieser Produktfamilie mögliche Fehlfunktion kann die Therapie-Verfügbarkeit einschränken. Ist die Magnetfunktion aktiviert und bleibt der Magnetschalter nach Entfernen des Magneten hängen, wird die Behandlung von ventrikulären und atrialen Arrythmien unterbunden. Das bedeutet, dass auch im Falle lebensgefährlicher Herzrhythmusstörungen diese nicht erkannt werden und die Abgabe lebensrettender Schocks unterbleibt.

[21] c) Aufgrund dieser bei Geräten der betreffenden Produktfamilie möglichen Fehlfunktion könnte anzunehmen sein, dass auch der dem Versicherten
F. implantierte ICD einen Produktfehler hatte, weil das Gerät nicht die Sicherheit bot, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet
werden konnte (§ 3 Abs. 1 ProdHaftG, Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG).
Hinsichtlich der berechtigten Sicherheitserwartungen ist nach Auffassung des
vorlegenden Senats maßgeblich auf die Erwartung der Patienten abzustellen,
denen ein ICD implantiert wird. Der Auffassung der Revision, dass es insoweit
allein auf die berechtigten Sicherheitserwartungen der Fachärzte ankomme
(vgl. Oeben/Schiwek, [Anm. zum Urteil des OLG Hamm, VersR 2011, 637],
MPR 2011, 145, 149), kann nicht gefolgt werden. Dabei kann dahinstehen, ob
in Fachkreisen bekannt sei, dass bei einer ICD-Implantation in den menschlichen Körper eine 100%ige Sicherheit nicht möglich sei und vom Fachpersonal
eine absolute Fehlerfreiheit daher auch nicht erwartet werde. Vorliegend geht
es nicht um gesundheitliche Risiken, die trotz Implantation eines funktionstüchtigen ICD bestehen, sondern um das Risiko eines Geräteausfalls. Dieses betrifft
primär aber nicht den Arzt, sondern das Integritätsinteresse des Patienten, der
auf die Funktionsfähigkeit des ICD vertraut (vgl. Staudinger/Oechsler, BGB,
Neubearb. 2009, § 3 ProdHaftG Rn. 20). Angesichts der Lebensgefahr, die von
einem fehlerhaften ICD ausgeht, spricht viel dafür, dass der Patient hinsichtlich
eines möglichen Ausfalls des implantierten Geräts berechtigterweise grundsätzlich eine Fehlerquote gegen Null erwarten darf (vgl. OLG Hamm, VersR 2011, 637, 638; Juretzek, PHi 2011, 68, 69).

[22] d) Im Streitfall ist mithin entscheidend, ob ohne Feststellungen zur Fehlerhaftigkeit des konkreten, dem Versicherten F. implantierten ICD allein die
Möglichkeit eines Defekts des Magnetschalters deshalb als Fehler im Sinne von
§ 3 Abs. 1 ProdHaftG, Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG zu bewerten ist,
weil nach Feststellungen des Herstellers bei einer signifikanten Anzahl von Geräten derselben Serie eine Fehlfunktion aufgetreten ist.

[23] 4. Für den Fall, dass die Möglichkeit eines Defekts des Magnetschalters
als Fehler im Sinne von § 3 Abs. 1 ProdHaftG zu bewerten ist, stellt sich die
Frage, ob es sich bei den Kosten der Operation zur Explantation des Produkts
und zur Implantation eines anderen ICD um einen durch Körperverletzung verursachten Schaden im Sinne der Art. 1, Art. 9 Satz 1 lit. a der Richtlinie
85/374/EWG handelt. Dies erscheint fraglich, da der operative Austausch des
dem Versicherten F. implantierten ICD zur Abwendung einer Gesundheitsgefahr nicht erforderlich war. Der von einem fehlerhaften Magnetschalter gegebenenfalls ausgehenden Gesundheitsgefahr konnte durch bloße Deaktivierung
der Magnetfunktion wirkungsvoll begegnet werden. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen begründet der Umstand, dass der therapeutische Nutzen der Magnetfunktion bei deren Deaktivierung wegfällt, keine Gefahr für Leib und Leben des Patienten. Wie sich aus dem Sicherheitsinformationsschreiben der Klägerin ergibt, bleibt auch im Falle der Deaktivierung der
Magnetfunktion die Speicherung der Patientendaten verfügbar. Dass eine vorübergehende Inhibierung der Tachyarrhythmietherapie in diesem Fall nur mit
einem Programmiergerät vorgenommen werden kann, führt deshalb nicht zu
einer Gesundheitsgefahr, sondern lediglich zu einer Beschränkung der Gebrauchstauglichkeit des Geräts. Der sich daraus ergebende Nachteil beträfe nicht das Integritätsinteresse des Versicherten F., sondern das deliktisch (vgl.
Senatsurteil vom 16. Dezember 2008 - VI ZR 170/07, BGHZ 179, 157 Rn. 24)
wie auch im Produkthaftungsgesetz nicht geschützte Äquivalenzinteresse des
Betroffenen (vgl. Erman/Schiemann, BGB, 13. Aufl., § 1 ProdHaftG Rn. 2 f.;
NK-BGB/Katzenmeier, 2. Aufl., § 1 ProdHaftG Rn. 3).

[24] 5. Ein gegebenenfalls bestehender Anspruch der Klägerin ist auch nicht
verjährt.

[25] IV.

Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt deshalb von der Beantwortung
der Frage ab, ob der implantierte ICD bereits deshalb einen Produktfehler im
Sinne von § 3 Abs. 1 ProdHaftG, Art. 6 der Richtlinie 85/374/EWG aufwies, weil
nach Feststellungen des Herstellers bei einer signifikanten Anzahl von Geräten
derselben Serie eine Fehlfunktion aufgetreten ist, und, falls diese Frage bejaht
wird, ob es sich bei den geltend gemachten Kosten der Operation zur Explantation des Produkts und zur Implantation eines anderen ICD um einen durch Körperverletzung verursachten Schaden im Sinne von § 1 Abs. 1, § 8 ProdHaftG,
Art. 1, Art. 9 Satz 1 lit. a der Richtlinie 85/374/EWG handelt.

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