BGH: Notwendige Aufklärung über Risiko möglicher Folgeoperation

Besteht bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Operation (hier: Nierenbeckenplastik) stets ein Risiko (hier: Anastomoseninsuffizienz), dessen Verwirklichung zu einer Nachoperation mit erhöhtem Risiko einschneidender Folgen für den Patienten (hier: Verlust einer Niere) führt, ist der Patient auch über dieses Risiko der Nachoperation schon vor dem ersten Eingriff aufzuklären.

BGH, Urteil v. 09.07.1996 – VI ZR 101/95
Instanzen:
OLG Frankfurt/M.; LG Darmstadt
BGB §§ 276, 823


Sachverhalt:

Der beklagte Urologe, zu dem der Kläger von seinem Hausarzt überwiesen worden war, stellte aufgrund der Diagnose einer subpelvinen Harnleiterenge rechts und einer parapelvinen Nierenzyste rechts bei geringer Funktionseinschränkung der Niere die Indikation für eine Nierenbeckenplastik rechts. Die Behandlungskarte enthält den Vermerk „Gespräch OP”. Am 31. 1. 1989 unterzeichnete der Kläger ein mit „OP-Einwilligungserklärung” überschriebenes Schriftstück mit dem Wortlaut:
„Hiermit bestätige ich durch meine Unterschrift, daß ich über die Art der vorzunehmenden – N.B. Plastik re – Operation und deren evtl. Folgen aufgeklärt und mit deren Ausführung einverstanden bin. Desgleichen gebe ich zu allen noch während der Operation sich evtl. als notwendig erweisenden weiteren Operationen meine Zustimmung”.
Am 16. 2. 1989 resezierte der Beklagte im A.-Krankenhaus Nierenbeckenanteile. Die anschließende Sondierung des Harnleiterabgangs gelang nicht. In der Folgezeit kam es zu Urinabfluß über die Wunddrainage. Nach Kontrastmittel-Röntgenaufnahmen entfernte der Beklagte den Katheter, doch ging weiterhin Urin über die Wunddrainage ab. Auch ließ sich die Drainage in ihrer Lage nicht verändern. Am 15. 3. 1989 unterzeichnete der Kläger eine Einwilligungserklärung, er sei mit der Entfernung der rechten Niere einverstanden. In dem Eingriff am Folgetag tauschte der Beklagte jedoch lediglich die Drainage aus. Es kam weiterhin zu Urinabgang über die neue Wunddrainage. Am 31. 3. 1989 wurde der Kläger in die urologische Universitätsklinik F. verlegt. Nachdem sich trotz mehrfacher Operationen ein nahezu vollständiger Funktionsverlust der rechten Niere

zeigte, wurde diese entfernt. Deswegen und wegen ihm verbliebener weiterer Dauerschäden fordert der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld.
In den Vorinstanzen wurde die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers führte zur Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

Erfolg hat die Revision mit ihrer Rüge, das OLG habe eine Haftung des Beklagten aus Verletzung der diesem obliegenden Aufklärungspflicht rechtsfehlerhaft verneint.
Im Ausgangspunkt bedenkenfrei hat das OLG ausgeführt, die formularmäßigen Bestätigungen vom 31.1. und vom 15. 1. 1989 genügten den Anforderungen an den Inhalt eines ordnungsgemäßen Aufklärungsgesprächs ebensowenig wie der Hinweis des Beklagten auf ein Aufklärungsgespräch im Krankenblatt vom 31. Januar 1989.
Das OLG durfte indessen seiner Beurteilung nicht ohne weiteres die vom Kläger bestrittenen schriftsätzlichen Ausführungen des Beklagten über den Inhalt des von diesem behaupteten Aufklärungsgesprächs zugrunde legen und für ausreichend erachten. Dieser vorgetragene Inhalt des Aufklärungsgesprächs genügte nicht den Anforderungen, die in der Rspr. des Senats an den Inhalt einer Eingriffsaufklärung gestellt werden. Der Beklagte hat nicht behauptet, den Kläger auf das bei Reoperationen gesteigerte Risiko eines Nierenverlustes i.H.v. etwa 10 % hingewiesen zu haben. Darüber aber hatte der Beklagte den Kläger schon vor dem ersten Eingriff in Kenntnis zu setzen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist auch bei einer ordnungsgemäß ausgeführten Nierenplastik stets das Risiko einer Anastomoseninsuffizienz gegeben, die eine Nachoperation mit dem erhöhten Risiko eines Verlustes der Niere erforderlich macht. Dann aber muß auf dieses Risiko schon vor dem ersten operativen Eingriff hingewiesen werden (vgl. Senatsurteil VersR 1996, 330, 331). Wie der Senat dargelegt hat, kommt es maßgeblich darauf an, ob das in Frage stehende Risiko (hier: einer Nachoperation mit dem erhöhten Risiko des Verlusts der Niere) dem Eingriff spezifisch anhaftet und bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet. Ein solches schweres in Betracht kommendes Risiko, welches dem Eingriff spezifisch anhaftete, war der Verlust der Niere infolge einer wegen möglicher Anastomoseninsuffizienz erforderlich werdenden Nachoperation. Deshalb durfte das OLG, wenn ein Hinweis auf die möglicherweise erforderlich werdende Nachoperation mit dem gesteigerten Risiko eines Verlusts der Niere nicht erfolgt war, nicht von einer ausreichenden Eingriffsaufklärung ausgehen.

MDR 1996, 1015
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