OLG Frankfurt: Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten im Rahmen eines Eilverfahrens

Kann im Rahmen eines Eilverfahrens nicht geklärt werden, ob eine Augenspüllösung ein metabolisch wirkendes

Arzneimittel oder lediglich ein Medizinprodukt im Sinne von § 3 MPG ist, kommt ein Verbot der Spüllösung wegen Fehlens einer Zulassung als Arzneimittel nicht in Betracht.

Dies gilt vor allem dann, wenn ein unverbindliches “Borderline-Papier” eines Expertengremiums als Arbeitspapier der EU-Kommission bei der Auslegung der durch das MPG umgesetzten Richtlinie 93/42/ EWG einen engen Metabolismus-Begriff zugrundelegt, der – bezogen auf die streitgegenständliche Lösung – eher für die Annahme eines Medizinprodukts spricht.

OLG Frankfurt, Urteil v. 19.12.1996 – 6 U 183/96 (rechtskräftig)
Instanzen:
LG Frankfurt – 2/6 O 265/96
UWG § 1; AMG § 2 I Nr. 3; MPG § 3; Richtlinie 93/42/EWG


Aus den Gründen:

Das Landgericht ist zu Recht und mit zutreffenden Gründen davon ausgegangen, daß sich die Frage, ob es sich bei dem ophtalmologischen Spülmittel der Antragsgegnerin "I. BSS" (= Balanced Salt Solution) um ein Medizinprodukt i.S. von § 3 Abs. 1 Medizinproduktgesetz vom 2.8.1994 (MPG) oder um ein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Ziff. 3 und/oder 5 Arzneimittelgesetz (AMG) handelt, mit den Mitteln des Eilverfahrens nicht hinreichend zu klären ist, was zu Lasten der Antragstellerin geht.
An dieser Sachlage hat sich im Berufungsverfahren nichts geändert.
Im einzelnen:
1. § 2 Abs. 1 Ziff. 3 AMG, wonach Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, u.a. vom menschlichen Körper erzeugte Körperflüssigkeiten zu ersetzen, Arzneimittel sind, scheint allerdings dafür zu sprechen, daß "I. BSS" ein Arzneimittel ist. Denn "I. BSS" dient ebenso wie das identisch zusammengesetzte Mittel der Antragstellerin "A. BSS" etwa bei einer Katarakt-Operation neben dem mechanischen, also rein physikalischen Vorgang des Ausspülens des Auges u.a. auch dazu, das bei der Operation ausfließende Kammerwasser des menschlichen Auges zu ersetzen und den Stoffwechsel aufrecht zu erhalten, indem es die dafür nötigen Elektrolyten liefert und dadurch aus ophtalmologischer Sicht das Hornhautendothel schützt.
Seit dem 1.1.1995 ist jedoch das MPG in Kraft, das zu einer Ergänzung des § 3 Abs. 3 Ziff. 7 AMG geführt hat. Danach sind keine Arzneimittel Medizinprodukte i.S. des § 3 MPG. Für das Vorliegen eines Medizinprodukts ist im Streitfall gemäß dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 MPG entscheidend, ob nach der Zweckbestimmung die bestimmungsgemäße Hauptwirkung von "I. BSS" weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch - und allein dies kommt vorliegend in Betracht - durch Metabolismus erreicht wird.
Nach der Produktinformation der Antragsgegnerin steht bei "I. BSS" die rein mechanische Spülwirkung im Vordergrund. Auch Prof. Dr. B. hat bei seiner Anhörung im Senatstermin eingeräumt, daß für viele operierende Augenärzte der überwiegende Zweck von "BSS" die Spülwirkung sei, auch wenn er dies damit erklärt hat, daß diesen Augenärzten aus seiner Sicht die ursprüngliche Zweckbestimmung der Spüllösung nicht mehr bewußt sei. Diese Vorgaben können aber nur dann ausschlaggebend sein, wenn sie wissenschaftlich haltbar sind. D.h., es kommt auf eine objektivierbare Zweckbestimmung aus der Sicht der operierenden Augenärzte an.
Damit erlangt im Streitfall die Frage, was unter dem Begriff des Metabolismus, der metabolischen Wirkung, zu verstehen ist, zentrale Bedeutung. Da dieser Begriff vom Gesetz vorgegeben ist, kann die Frage der Zweckbestimmung nicht unabhängig von ihm beantwortet werden.
Die Antragstellerin will Metabolismus weit dahin auslegen, daß jede metabolische Wirkung aus einem Mittel ein Arzneimittel mache, ohne daß es darauf ankomme, ob durch das Mittel eine Änderung des normalen chemischen Prozesses bewirkt werde. Folglich sei auch eine durch das Mittel bewirkte Aufrechterhaltung des normalen Stoffwechsels eine metabolische Wirkung.
Demgegenüber stellt die Antragsgegnerin auf eine enge Auslegung des Begriffs Metabolismus ab. Sie verlange - so die Antragsgegnerin - eine Wirkung, die zur Abänderung des normalen chemischen Prozesses führe, was bei der Spüllösung "I. BSS" nicht stattfinde.
2. Welcher Auslegung zu folgen ist, ist eine Frage, für deren Beantwortung der Senat als deutsches Gereicht an sich nicht der gesetzliche Richter ist. Denn bei dem MPG (hier: § 3) handelt es sich um umgesetztes Gemeinschaftsrecht im Mantel des nationalen Rechts, und zwar um die Umsetzung der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14.6.1993 (hier: Art. 1 Nr. 2 lit. a).
Ob die Richtlinie eine weite oder eine enge Auslegung des Begriffs Metabolismus meint, ist offen und müßte, wenn die Entscheidung davon abhinge, u.U. vom EuGH als dem für die Auslegung von Gemeinschaftsrecht zuständigen Gericht geklärt werden. Im Eilverfahren scheidet eine Vorlage an den EuGH nach ständiger Senatsrechtsprechung aber aus.
Der Senat kann jedoch dahin entscheiden, daß bereits angesichts des Boderline-Papiers vom Juli 1995 betreffend die vorerwähnte Richtlinie jedenfalls im Eilverfahren kein Verbot der Spüllösung der Antragsgegnerin ausgesprochen werden kann, sofern dafür - wie dies der Fall ist - der weite Metabolismus-Begriff benötigt würde. (Wird ausgeführt.)
6. Nach alledem lassen die vorgelegten Glaubhaftmachungsmittel erkennen, daß selbst bei sachverständigen Personen bzgl. des Begriffs "Metabolismus" i.S. der EU-Richtlinie 93/42 und des § 3 grundlegende Meinungsverschiedenheiten bestehen. Das gilt zudem im Hinblick darauf, daß "BSS" auch in anderen Mitgliedsstaaten der EU (Frankreich, England) unterschiedlich eingestuft wird, einmal als Medizinprodukt, einmal als Arzneimittel. Diese Frage läßt sich somit ohne gerichtlichen Sachverständigen und/oder Vorlage der Rechtssache zum EuGH nicht klären. Ein solches Verfahren muß aber, wie bereits oben erwähnt, einem etwaigen Hauptsacheprozeß vorbehalten bleiben.

OLGReport Frankfurt 1997, 43
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