VGH Hessen: Kein Informationsanspruch gegen Benannte Stelle

Gegen eine Benannte Stelle im Sinne des § 3 Nr. 20 MPG besteht kein Informationsanspruch nach § 1 Abs. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG) im Zusammenhang mit der CE-Zertifizierung von Medizinprodukten.

Der Informationsanspruch nach § 1 Abs. 1 IFG kann nur gegen Behörden und beliehene Stellen, denen sich die Behörden zur Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben bedienen, gerichtet werden.

Demgegenüber sind die Tätigkeiten der Benannten Stellen bei der medizinprodukterechtlichen Zertifizierung und der Überwachung nicht als hoheitliches Handeln zu qualifizieren. Vielmehr kommt der Benannten Stelle im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens die Funktion eines privaten Sachverständigen zu. Bei der Erteilung der Konformitätsbescheinigung durch die Benannte Stelle handelt es sich dementsprechend nicht um den verbindlichen Abschluss eines Genehmigungsverfahren- oder Zulassungsverfahrens.

Eine hoheitliche Funktion der Benannten Stellen lässt sich insbesondere nicht der Regelung des § 18 Abs. 1 MPG entnehmen. Nach § 18 Abs. 1 MPG ist die Benannte Stelle befugt, ausgestellte Konformitätsbescheinigungen “zurückzuziehen”, “einzuschränken” und “auszusetzen”. Gerade die Formulierung des “Zurückziehens” belegt den privatrechtlichen Charakter der Tätigkeit, da sich er Wortlaut nach der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers von der verwaltungsrechtlich üblichen Terminologie der “Rücknahme” und des “Widerrufs” unterscheidet.

VGH Hessen, Beschluss v. 02.02.2017 – 6 B 2740/16
Instanzen:
VG Frankfurt - 7 L 2780/16.F
§ 1 Abs. 1 IFG, §§ 6, 18 Abs. 1 MPG, § 3 MPV
Andere Fundstellen: MPR 2017, 87 m. Anm. Handorn; MPJ 2017, 243


Aus den Gründen:

1

I. Die ASt’in begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung von der Ag’in Auskunft im Zusammenhang mit der CE-Zertifizierung von Medizinprodukten. Die Ag’in führt als Benannte Stelle im Bereich der Medizinprodukte u.a. ein Konformitätsbewertungsverfahren durch, das der CE-Zertifizierung dient.

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Die mit Schriftsätzen vom 11.7.2016 und 20.7.2016 begehrten Auskünfte der ASt’in (Bl. 54 ff. und Bl. 114 ff. der GA) lehnte die Ag’in ab, da der geltend gemachte Auskunftsanspruch aus dem Informationsfreiheitsgesetz und gem. § 29 VwVfG nur gegenüber Behörden und beliehenen Stellen, denen sich die Behörden zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben bedienten, bestehe. Sie werde jedoch im Rahmen ihrer Tätigkeit als Prüf- und Zertifizierungsstelle nicht hoheitlich tätig. Die dagegen erhobenen Widersprüche wurden am 8.8.2016 zurückgewiesen. Den begehrten Eilrechtsschutz lehnte das VG Frankfurt/M. mit Beschluss vom 1.11.2016 ab. Der Beschluss wurde der ASt’in am 2.11.2016 zugestellt.

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Gegen den Beschluss wendet sich die ASt’in mit ihrer am 15.11.2016 beim VG Frankfurt/M. eingelegten und gegenüber dem Hessischen VGH am 2.12.2016 begründeten Beschwerde.

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II. Die Beschwerde der ASt’in ist zulässig (§ 146 Abs. 1 und 4 VwGO), insbesondere ist sie fristgemäß i.S.v. § 147 Abs. 1 und § 146 Abs. 4 S. 1 VwGO eingelegt und begründet worden; in der Sache hat sie allerdings keinen Erfolg.

5

Die Darlegungen der ASt’in in der Beschwerdebegründung vom 2.12.2016 und der nach Fristablauf eingegangenen Stellungnahme vom 9.1.2017, auf deren Überprüfung der Senat gem. § 146 Abs. 3 und 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen eine Änderung der angegriffenen Entscheidung nicht.

6

Das VG Frankfurt/M. hat den Eilantrag mangels Anordnungsanspruchs abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass der von der ASt’in geltend gemachte Informationsanspruch auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 S. 1 IFG gegenüber der Ag’in ins Leere gehe. Der in der Hauptsache gegen die Ag’in gerichtete Anspruch bestehe nicht, weil es sich bei der Ag’in nicht um eine Behörde des Bundes handele und diese auch nicht im Wege einer Beleihung Behördenfunktion wahrnehme. Die Ag’in werde im Rahmen der sog. Konformitätsbewertungs- oder Zertifizierungsverfahren nach dem MPG als Benannte Stelle beteiligt, bevor die entsprechenden Produkte in den Verkehr gebracht werden dürften. Dieses Tätigwerden der Benannten Stelle im Rahmen der Konformitätsbewertungsverfahren sei nicht als Ausübung öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit anzusehen. Daher habe auch die Beteiligung der Benannten Stelle nicht die Funktion einer beliehenen Stelle; die Tätigkeit könne nicht als öffentlich-rechtlich qualifiziert werden. Die Ag’in erfülle auch keine Aufgaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten. Die Konformitätsbewertung sei keine Aufgabe des Bundesinstituts oder der Zentralstelle, so dass sich die Inanspruchnahme der Ag’in nicht unter dem Gesichtspunkt eines Verwaltungshelfers qualifizieren lasse.

7

Zur Begründung der Beschwerde wird vorgetragen, dass der Auskunftsanspruch Bezug auf die hoheitliche Tätigkeit der Ag’in gem. § 18 MPG nehme. Die in § 18 MPG vorgesehene Befugnis rechtfertige es, das Konformitätsverfahren einheitlich als hoheitliche Aufgabe zu bewerten. Daher handele die Ag’in bei diesen Konformitätsverfahren insgesamt hoheitlich. Die nicht zutreffende Aufspaltung nach hoheitlicher und nicht hoheitlicher Tätigkeit der Benannten Stelle widerspreche dem Sinn des IFG.

8

Diese von der Beschwerde aufgezeigten Bedenken an der von dem VG Frankfurt/M. vorgenommenen Einstufung greifen nicht durch. Das Tätigwerden der Benannten Stelle im Rahmen der Zertifizierung ist nicht als hoheitliches Handeln zu qualifizieren. Auch die Tätigkeit der Benannten Stelle im Rahmen der Überwachung stellt keine hoheitliche Tätigkeit dar, so dass die Ausführungen zum angeblichen Wertungswiderspruch in der Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht mit Erfolg angeführt werden können.

9

Das MPG weist den Benannten Stellen infolge der Umsetzung entsprechender Vorgaben der Europäischen Harmonisierungsrichtlinien, z.B. Medizinprodukte (Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14.6.1993 über Medizinprodukte, ABl. EG L. 169 vom 12.7.1993, S. 1 ff., zuletzt geändert durch Richtlinie 2001/104/EG, ABl. EG Nr. L 6, 50), die Marktzugangskontrollen von Medizinprodukten zu. In § 6 MPG wird das Inverkehrbringen von Medizinprodukten geregelt, das an eine CE-Kennzeichnung anknüpft. Voraussetzung für diese CE-Kennzeichnung ist nach § 6 Abs. 2 S. 1 MPG sowohl die Konformität der Medizinprodukte mit grundlegenden Sicherheitsanforderungen als auch die Feststellung dieser Konformität in standardisierten Konformitätsbewertungsverfahren. Das durch den Hersteller durchzuführende Verfahren der Konformitätsbewertung (§ 3 MPV vom 20.12.2001 – BGBl. I, 3854, zuletzt geändert durch VO vom 10.5.2010, BGBl. I, 542) erfolgt aufgrund der europäischen Vorgaben unter Beteiligung einer zu bestimmenden privatrechtlich organisierten Prüfstelle – sog. Benannte Stelle. Die materiellen Produktsicherheitsanforderungen werden in § 7 MPG festgelegt, während sich die einzelnen Konformitätsbewertungsverfahren aus den §§ 4 bis 6 MPV ergeben. Innerhalb der Konformitätsbewertung kann der Hersteller zwischen verschiedenen Verfahrensbausteinen wählen. Stimmen die Medizinprodukte mit den grundlegenden Sicherheitsanforderungen überein, ist die Benannte Stelle zum Ausstellen einer Konformitätsbescheinigung berufen (Anh. III, Ziff. 5 der Richtlinie über Medizinprodukte, ABl. EG Nr. L 169 vom 12.7.1993, S. 1 [S. 22]), die den Hersteller zur Anbringung des CE-Kennzeichens berechtigt. Die im Verantwortungsbereich des Herstellers liegende CE-Kennzeichnung ist die nach außen sichtbare Bestätigung der Übereinstimmung mit den entsprechenden Anforderungen (§ 9 MPG).

10

Aufgrund dieser Regelungen ist davon auszugehen, dass es sich bei dieser durch den Hersteller zu veranlassenden Überprüfung nicht um ein verwaltungsrechtliches Genehmigungsverfahren handelt (so auch: BPatG, Beschl. v. 23.3.2010 – 15 W (pat) 25/80, juris). Die Beteiligung der Benannten Stelle entbindet den Hersteller nicht von der rechtlichen Verantwortung dafür, dass die rechtlichen Anforderungen für das in Verkehr zu bringende Medizinprodukt erfüllt sind. Der Benannten Stelle kommt dagegen im Rahmen des Konformitätsverfahrens die Funktion eines privaten Sachverständigen zu (Lücker in Spickhoff, Medizinrecht, MPG, 2. Aufl., § 18 Rz. 1 m.w.N.). Insofern unterscheidet sich dieses Verfahren von dem im Arzneimittelrecht ausdrücklich vorgesehenen behördlichen Zulassungsverfahren (§ 21 Abs. 4 AMG). Die CE-Kennzeichnung im Bereich des Medizinprodukterechts enthält lediglich die widerlegliche Feststellung, dass das Produkt den vorgeschriebenen Anforderungen entspricht und somit EU-weit verkehrsfähig ist. Die Überwachungsbehörden können unabhängig von der erfolgten Zertifizierung im Rahmen ihrer Überprüfung nach § 26 MPG den Vertrieb unterbinden. Daher ist das durch die Benannte Stelle durchzuführende Bewertungsverfahren auch nicht einem Zulassungsverfahren gleichzusetzen.

11

Die Aufgabenverteilung belegt, dass das Konzept des nationalen Medizinprodukterechts auf eine private Aufgabenwahrnehmung Benannter Stellen zugeschnitten ist, die ohne Befehls- und Zwangsgewalt auskommen. Erst dann, wenn dieser private Mechanismus versagt, schreiten staatliche Behörden ein, denen umfangreiche Gefahrenabwehrinstrumente – §§ 26 ff. MPG – zur Verfügung stehen. Dabei sind die im Fünften Abschnitt des Gesetzes geregelten, hoheitlichen Tätigkeiten der Überwachungsbehörden klar von der im dritten Abschnitt des Gesetzes geregelten Aufgabenwahrnehmung Benannter Stellen getrennt. Unter Berücksichtigung eines privaten Tätigwerdens der Benannten Stellen ist dies nachvollziehbar.

12

Auch aus der Vorschrift des § 18 Abs. 1 MPG kann entgegen der Ansicht der Beschwerde weder die hoheitliche Organisation der Benannten Stellen abgeleitet werden, noch dass diese Benannte Stelle eine hoheitliche Funktion wahrnimmt (s.a. Lücker in Spickhoff, Medizinrecht, MPG, 2. Aufl., § 18 Rz. 1 m.w.N.). Gemäß § 18 Abs. 1 MPG ist die Benannte Stelle befugt, ausgestellte Konformitätsbescheinigungen einseitig zurückzuziehen, einzuschränken oder auszusetzten, soweit sich nachträglich herausstellt, dass eine Bescheinigung nicht hätte erteilt werden dürfen. Die verwendeten Begrifflichkeiten „zurückzuziehen“, „einzuschränken“ oder „auszusetzten“ belegen den auch in diesem Bereich privatrechtlichen Charakter der Tätigkeit der Benannten Stelle. Gerade der Formulierung des „Zurückziehens“ kommt bei der Einordnung der Tätigkeit der Benannten Stelle ein erhebliches Gewicht zu. Dem Medizinproduktegesetz sind die Begriffe „Rücknahme“ und „Widerruf“ nicht fremd. Zum Vergleich ist das in § 15 MPG geregelte Verfahren über die Akkreditierung und Benennung von Stellen in Anlehnung an die im Verwaltungsverfahrensgesetz übliche Terminologie als „Rücknahme“ bzw. „Widerruf“ bezeichnet. Dass der Begriff des Zurückziehens bewusst verwendet wird, um das privatrechtliche Tätigwerden zu beschreiben, verdeutlicht die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Medizinproduktegesetzes (2. MPG-ÄndG). Mit der neu eingefügten Regelung (§ 18) sollte zum einen weitgehend die bisherige Vorschrift des § 4 MPV übernommen werden; darüber hinaus sollte sie auch Art. 16 Abs. 5 bis 7 der Richtlinie 93/42/EWG umsetzen. Da jedoch der im europäischen Recht verwendete Begriff „Widerruf“ dem öffentlichen Recht zuzuordnen sei, werde abweichend davon der Begriff „Zurückziehung“ verwendet (BT-Drucks. 14/6281, 33).

13

Dieser Wertung kann die Beschwerde nicht mit Erfolg mit dem Einwand entgegen treten, es entspreche der Regel, dass die Erteilung einer Bescheinigung als verbindliche Anforderung zum positiven Abschluss eines Genehmigungsverfahrens als hoheitliche Maßnahme angesehen werde. Entgegen der Ansicht der Beschwerde handelt es sich bei der Zertifizierung im Bereich des Medizinprodukterechts – wie oben ausgeführt – nicht um den verbindlichen Abschluss eines Genehmigungsverfahrens. Zumal die eigentliche Überwachung nicht der Benannten Stelle, sondern den Überwachungsbehörden (§ 26 MPG) zugewiesen ist.

14

Sofern die Beschwerdebegründung zur Einordnung der Tätigkeit der Benannten Stelle als hoheitlich unter Bezugnahme auf die Begründung der Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen (EuGH, Schlussantrag v. 15.9.2016 – C 219/15) auf die Auswirkungen der Entscheidungen über die Zertifizierung, die Unabhängigkeit der Benannten Stelle und die Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis verweist, rechtfertigt dies ebenfalls keine andere Einordnung. Weder kommt der Benannten Stelle eine Entscheidungsbefugnis zu, noch kann aus der Unabhängigkeit der Benannten Stelle auf die Einordnung ihrer Tätigkeit als hoheitlich geschlossen werden. Auch der Hinweis darauf, dass die CE-Zertifizierung im Ergebnis darüber entscheide, ob ein Produkt in den Verkehr gebracht werde, rechtfertigt es nicht, die Tätigkeit als hoheitlich zu qualifizieren. Nach den gesetzlichen Vorgaben handelt es sich nicht um ein Zulassungsverfahren. Der Benannten Stelle kommt eine Entscheidungsbefugnis nicht zu, sondern sie bestätigt lediglich die für ein Inverkehrbringen erforderliche Konformität des Produkts.

15

Darüber hinaus lassen sich entsprechende Aussagen über die Einordnung der Tätigkeit der Benannten Stelle den lediglich Haftungsfragen betreffenden Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston nicht entnehmen. In den Schlussanträgen äußerte sich die Generalanwältin zum Umfang der Sorgfaltspflicht, überließ eine rechtliche Einordnung dieser Pflicht jedoch den nationalen Gerichten (EuGH, Schlussanträge v. 15.9.2016 – C 219/15, juris, Rz. 59).

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Da der Beschwerde schon wegen des fehlenden Anordnungsanspruchs nicht entsprochen werden konnte, kommt es auf weitere Ausführungen zum Anordnungsgrund nicht an.

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