OLG Saarbrücken: Produkthaftung für fehlerhafte Zulieferteile (Venenkatheders)

Verarbeitet ein Medizinproduktehersteller ihm zugelieferte Teile weiter, so ist er verpflichtet, die Zulieferteile auf Fehler zu überprüfen.
Dies gilt insbesondere dann, wenn durch die Verpackung, die Beifügung des Firmensignums, des Herstellervermerks bzw. Kontrollzettels und des Sterilitätszeitraumes jedenfalls konkludent auf die Übernahme einer eigenen Pflicht zur Prüfung und Sicherung hingedeutet wird.

OLG Saarbrücken, Urt. v. 04.11.1987 – 5 U 48/86
BGB § 823 Abs. 1


Sachverhalt:

Die im Jahre 1979 geborene Kl. verlangt von den Bekl. wegen einer Thoraxoperation infolge eines Material- oder Produktionsfehlers an einem bei ihr am 6.7.1982 in den Universitätskliniken H. gelegten und von der Bekl. zu 1) gelieferten Venenkatheders die Zahlung eines Schmerzensgeldes und die Feststellung, dass die Bekl. ihr zur Erstattung künftigen materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet sind. Die Bekl. zu 1), eine KG, betreibt ein Unternehmen, in dem medizinisch-chirurgische Artikel hergestellt und vertrieben werden. Die Bekl. zu 2) ist Komplementärin der Bekl. zu 1). Die Kl. behauptet, ihr sei am 6.7.1982 am linken Arm ein Venenkatheder gelegt worden. Die Zeugin Dr. S. habe oberhalb der Ellenbeuge die linke Vene brachialis freigelegt, diese aufgeschnitten und direkt in die Vene ohne Punktionskanüle einen steril verpackten Originalkatheder des Typs X eingeführt, den die Bekl. zu 1) geliefert gehabt habe. Nach Ablauf von 10 Tagen habe die Zeugin Dr. S. den Katheder gezogen, der nicht mehr benötigt worden sei. Dabei habe die Zeugin festgestellt, dass der Venenkatheder etwa in Höhe der Achselhöhe der Kl. ca. 1,5 bis 2 cm oberhalb der Eintrittsstelle der Oberarmvene abgebrochen gewesen sei. Dies sei die Folge eines Material- oder Produktionsfehlers gewesen. Ein Fehlverhalten der Zeugin Dr. S. oder des übrigen Klinikpersonals vor oder beim Legen des Katheders scheide aus. In einer schwierigen 2 1/2 Stunden dauernden Operation sei das Bruchstück des Katheders aus dem Thorax entfernt worden.
Das LG hat der Kl. 10.000 DM Schmerzensgeld zuerkannt und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Das LG geht zutreffend davon aus, dass die Bekl. der Kl. gem. § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den Grundsätzen zur Produzentenhaftung zum Schadensersatz verpflichtet sind. Aus dieser Grundlage nämlich haftet derjenige, der fertige Produkte in den Verkehr bringt oder im Verkehr weitergibt, für die bei bestimmungsgemäßer Verwendung eingetretenen Produktgefahren, soweit ihm die Vermeidung der Gefahren möglich und nach seiner wirtschaftlichen Stellung zumutbar war (vgl. Mertens, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 823 Rz. 286; Soergel/Zenner, BGB, 11. Aufl., § 823 Rz. 145; grundlegend BGHZ 51, 91 ff. = NJW 1969, 269). Die Haftung trifft hierbei primär den Hersteller des Produktes.
Richtig geht das LG davon aus, dass die Bekl. zu 1) nicht lediglich als Vertreiberin dieser Katheder anzusehen ist. Diese Frage ist deshalb von Bedeutung, weil nach der Rechtsprechung des BGH der Vertriebshändler nur dann deliktsrechtlich für die durch von ihm vertriebene Produkte entstandenen Schäden aufzukommen hat, wenn er aus besonderen Gründen Anlass zu einer Überprüfung und Produktbeobachtung hat (BGH, NJW 1981, 2250; 1987, 1009 [1010]). Dies gilt auch bei enger kapitalmäßiger oder rechtlicher Verflechtung des Produzenten und des Vertriebsunternehmens (BGH, NJW 1981, 2250; Mertens, in: MünchKomm, § 823 Rz. 290). Im vorliegenden Fall aber hat die Bekl. zu 1) die von der Muttergesellschaft hergestellten Kathederschläuche mit Produktionskanülen versehen und durch eigene weitere Tätigkeit – u.a. auch Sterilisieren, Verpacken usw. – zum Endprodukt weiterverarbeitet. Sie kann daher – wie das LG mit näherer Argumentation richtig ausführt – gerade nicht lediglich als Vertriebsunternehmen angesehen werden, da sie einen eigenen maßgeblichen Produktionsanteil beigetragen hat.
Die Bekl. zu 1) ist auch nicht deshalb schon einer Produkthaftung entzogen, weil ihr jedenfalls der Kathederschlauch von ihrer Muttergesellschaft zugeliefert worden ist, dieser also nicht von ihr selbst hergestellt worden ist. Derjenige, der das Endprodukt herstellt, haftet nämlich grundsätzlich auch für die Fehlerhaftigkeit von Teilen, die er von einem Zulieferer erhalten hat, er ist verpflichtet, sich von der einwandfreien Beschaffenheit der ihm zugelieferten Teile zu überzeugen (Soergel/Zenner, § 823 Rz. 149; Palandt/Thomas, BGB, 44. Aufl., § 823 Anm. 16 Dc aa m.w.N.; BGH, NJW 1975, 1827 [1828]; 1977, 379 [380]). Sicherlich muss ein Unternehmer nicht in allen Fällen die von seinem Zulieferer bezogenen Einzelteile selbst auf ihre Ordnungsmäßigkeit hin überprüfen und die Untersuchungen wiederholen, die der Zulieferer mit seinen besonderen fachlichen Betriebserfahrungen vorzunehmen hatte (BGH, NJW 1975, 1827 [1828]; Soergel/Zenner, § 823 Rz. 149), doch ist im konkreten Fall zu beachten, dass die Bekl. zu 1) die Kathederschläuche u.a. auch durch den von ihr selbst durchgeführten Sterilisierungsprozess einer Weiterbehandlung unterzog. Darüber hinaus hat sie durch die Verpackung, die Beifügung ihres Firmensignums, des Herstellvermerks bzw. Kontrollzettels und des Sterilitätszeitraumes jedenfalls konkludent auf die Übernahme einer eigenen Pflicht zur Prüfung und Sicherung hingedeutet, was eine Produzentenhaftung begründet (vgl. Mertens, in: MünchKomm, § 823 Rz. 289; vgl. auch BGH, NJW 1975, 1827 [1828] zur Anbietung als eigenes Produkt).
Im konkreten Fall ist auch das Abreißen des Katheders und damit die Schädigung der Kl. auf einen Produktfehler, also einen aus dem Gefahrenbereich der Bekl. zu 1) kommenden Umstand zurückzuführen, was die Bekl. bestreiten und wofür der Kl. die Beweislast obliegt (BGHZ 51, 91 [102, 105] = NJW 1969, 269; Soergel/Zenner, § 823 Rz. 147; Mertens, in: MünchKomm, § 823 Rz. 308). Richtig geht das LG davon aus, dass die Kl. hierfür keinen unmittelbaren Beweis zu führen vermochte, da eine Materialprüfung zur Klärung der Abrissursache nicht mehr möglich ist und war, weil der Katheder verlorengegangen ist.
Zutreffend ist es auch, wenn das LG grundsätzlich auch im Bereich der Produzentenhaftung eine Beweisführung durch Indizien für möglich hält (vgl. Mertens, in: MünchKomm, § 823 Rz. 308), es gelten auch die allgemeinen Regeln zum Anscheinsbeweis (Palandt/Thomas, BGB, 44. Aufl., § 823 Anm. 16 De ff. d; Mertens, in: MünchKomm, § 823 Rz. 308).
In Übereinstimmung mit dem LG hält auch der Senat für hinreichend erwiesen, dass der Abriss auf einen dem Gefahrenbereich der Bekl. zu 1) zuzuordnenden Umstand zurückzuführen ist. Ausgangspunkt hierfür ist, dass im Grunde lediglich zwei Bereiche denkbar sind, in denen die Ursache gesetzt worden sein kann: Zum einen die Phase der Herstellung und Lieferung und zum anderen die Phase der Ingebrauchnahme und der Anwendung. (Wird ausgeführt.)
Ist nach alledem von einer Fehlerhaftigkeit des Produktes der Bekl. zu 1) auszugehen, so ist ein pflichtwidriges Verhalten der Bekl. zu vermuten, so dass sie sich nach den zwischenzeitlich allgemein anerkannten Grundsätzen der Produzentenhaftung ihrerseits entlasten müsste (BGHZ 51, 91 ff. = NJW 1969, 269; BGH, NJW 1972, 252; BGHZ 80, 186 [196] = NJW 1981, 1603; Mertens, in: MünchKomm § 823 Rz. 309 m.w.N.; Soergel/Zenner, § 823 Rz. 147 m.w.N.).
Hierzu reicht – wie das LG richtig erkennt – nicht schon die allgemeine Darlegung und Unter-Beweis-Stellung der Bekl., es würden strenge Inprozess- und Endkontrollen durchgeführt. Vielmehr muss der Produzent, um seiner Entlastungsobliegenheit hinreichend nachzukommen, konkret dartun und beweisen, dass er in sachlicher und personeller Hinsicht alles nach Lage des Falles Erforderliche zur Gewährleistung einer einwandfreien Herstellung getan, die zur Vermeidung von Fehlern gebotenen organisatorischen Maßnahmen getroffen und für eine gehörige Überprüfung seiner Erzeugnisse gesorgt hat (BGHZ 51, 91 [104] = NJW 1969, 269; BGH, NJW 1973, 1602; Soergel/Zenner, § 823 Rz. 147; Mertens, in: MünchKomm, § 823 Rz. 309, jeweils m.w.N.). Auch im Berufungsverfahren haben die Bekl. jedoch keine entsprechenden konkreten Umstände dargetan und unter Beweis gestellt, so dass sie insoweit weiter beweisfällig geblieben sind.

OLG Saarbrücken vom 04.11.1987
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