OLG Oldenburg: Aufklärungspflicht des Konsiliararztes bei uneingeschränkter Operationsempfehlung

Die uneingeschränkte Operationsempfehlung eines Konsiliararztes begründet allein noch keine Garantenstellung mit Pflicht zu vollständiger und teilweiser Aufklärung, wenn die Untersuchung und das anschließende Gespräch nicht unmittelbar in eine Operationsentscheidung einmünden soll.

OLG Oldenburg, Urteil v. 25.04.1995 – 5 U 186/94
Instanzen:
LG Osnabrück - 9 O 248/93
BGB § 823 I


Sachverhalt:

Die im Jahre 1941 geborene Klägerin litt zumindest seit 1986 an Blasenentleerungsstörungen, die Harninkontinenz und etwa ein- bis zweimal jährlich Blasenentzündungen zur Folge hatten. Sie war deshalb bei verschiedenen Ärzten in ambulanter Behandlung. Eine operative Harnröhrenerweiterung brachte keine Besserung. Zuletzt wurde die Klägerin von dem Urologen Dr. P. behandelt, der sie zu weiteren ambulanten Untersuchungen an das St. B.-Hospital in L. überwies, dessen Träger die Beklagte zu 1) ist. Die Klägerin wurde dort am 17.7. und 17.8.1990 von dem Beklagten zu 3) untersucht. Der Beklagte zu 3) empfahl in einem Arztbrief an Dr. P. vom 14.8.1990 eine Harnröhrensuspension (Blasenanhebung) nach Marshal-Marchetti-Krantz. Nachdem Dr. P. noch ein weiteres Jahr lang vergeblich versuchte, durch Blasenspülungen die Beschwerden der Klägerin zu bessern und eine Operation zu vermeiden, entschloß sich die Klägerin zu der empfohlenen Operation, die am 22.8.1991 im St. B.-Hospital stattfand. Im Zusammenhang mit der Blasenanhebung wurde eine Gebärmutterentfernung durchgeführt.
Während die Klägerin vor der Operation auch ohne Katheter Wasser lassen konnte, ist sie nunmehr auf ständiges Selbstkatheterisieren, das mehrmals täglich durchgeführt werden muß, angewiesen. Auf diese konkrete Operationsfolge ist die Klägerin unstreitig vor der Operation nicht hingewiesen worden. Sie ist insoweit lediglich darüber aufgeklärt worden, daß sich das bisherige Krankheitsbild durch die Operation auch verschlechtern könnte.
Die Klägerin hat vorgetragen, die Operation sei nicht indiziert gewesen. Sie sei über die gravierenden Operationsfolgen auch nicht aufgeklärt worden. Bei umfassender Aufklärung über die mit der Operation verbundenen Risiken hätte sie niemals in die Operation eingewilligt.
Die Beklagten haben ausgeführt, die Operation sei indiziert gewesen. Auch ohne Operation hätte die Klägerin täglich katheterisieren müssen. Über die Möglichkeit einer Befundverschlechterung sei die Klägerin aufgeklärt worden. Da sie sich den Eingriff fast ein Jahr lang überlegt habe, sei davon auszugehen, daß sie sich in jedem Fall hätte operieren lassen, nachdem die konservative Behandlung nicht den gewünschten Erfolg gehabt habe.
Das LG hat die Beklagten zu 1) und 2) wegen Verletzung der Aufklärungspflicht dem Grunde nach verurteilt und die Klage gegen den Beklagten zu 3) mit der Begründung abgewiesen, daß er an der Operation selbst nicht beteiligt gewesen sei und deshalb nicht hafte.
Die Berufungen der Beklagten zu 1) und 2) und die Berufung der Klägerin hatten keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Das LG hat mit zutreffender Begründung einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin gegen die Beklagten zu 1) und 2) bejaht. ... Entgegen der Auffassung der Beklagten stellte die konservative Behandlung nach dem Sachverständigengutachten durchaus eine echte Behandlungsalternative dar. Der Berufung ist zwar zuzugeben, daß das Selbstkatheterisieren durch die Klägerin nach dem Sachverständigengutachten auch ohne Operation erforderlich gewesen wäre, wenn nämlich die Klägerin die Blase vollständig entleeren wollte, um unfreiwilligem Harnabgang und der Gefahr von Infektionen entgegenzuwirken. Es besteht aber ein ganz erheblicher Unterschied zwischen der Situation vor der Operation und der Situation nach der Operation, da die Klägerin nunmehr zwingend katheterisieren muß, während sie vor der Operation sich noch niemals selbst einen Katheter gelegt hatte und auch gar nicht wußte, daß es diese Möglichkeit überhaupt gibt. ... Sie hätte daher auf jeden Fall ausführlich über diese von vornherein sehr wahrscheinliche Operationsfolge, die für die gesamte Lebensführung der Klägerin von einschneidender Bedeutung ist, aufgeklärt werden müssen. ...
Das LG ist ferner mit überzeugender Begründung davon ausgegangen, daß die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Der Entscheidungskonflikt ist für den Senat schon aufgrund der Behandlungsalternativen und der im Falle einer Operation mit größer Wahrscheinlichkeit drohenden schwerwiegenden Folgen ohne weiteres nachvollziehbar. Darüber hinaus hat das LG zutreffend ausgeführt, daß die Klägerin sogar in Unkenntnis dieses erheblichen Operationsrisikos die Operation ein Jahr hinausgeschoben hatte. Es leuchtet ein, daß sie bei gehöriger Aufklärung möglicherweise noch länger versucht hätte, mit einer konservativen Behandlung auszukommen. ...
Da die Klägerin einen Entscheidungskonflikt nachvollziehbar dargelegt hat, hätte es nunmehr den Beklagten zu 1) und 2) oblegen, den Nachweis zu führen, daß die Klägerin auch im Falle umfassender Aufklärung in die Operation eingewilligt hätte. Diesen ihr obliegenden Beweis vermögen sie nicht zu führen. Das geht zu ihren Lasten.
Die Klage gegen den Beklagten zu 3) hat das LG zu Recht abgewiesen. Vertragliche Ansprüche gegen ihn kommen nicht in Betracht, weil der Beklagte zu 3) nicht Vertragspartei eines mit der Klägerin abgeschlossenen Behandlungsvertrages geworden ist. Aber auch ein Schmerzensgeldanspruch aus unerlaubter Handlung (§ 847 BGB) ist gegen ihn nicht begründet. Nach der Rspr. des BGH kann allerdings auch der Arzt haften, der die Operation zwar nicht durchführt, aber zur Operation rät und den Patienten

im Verlaufe eines solchen Gesprächs über Art und Umfang sowie mögliche Risiken der Operation aufklärt, weil er damit einen Teil der ärztlichen Behandlung des Patienten übernimmt. Das begründet seine Garantenstellung gegenüber dem sich ihm anvertrauenden Patienten, von dem er Gesundheitsgefahren abzuwenden hat. Er ist bei unvollständiger Aufklärung mitverantwortlich, wenn andere Ärzte den Patienten ohne wirksame Einwilligung operieren, weil er mittelbar die rechtswidrige Körperverletzung mitverursacht hat (BGH NJW 1980, 1905 ff). So liegt der Fall hier aber nicht, weil der Beklagte zu 3) es nicht übernommen hat, die Klägerin über die Operation aufzuklären. Der Beklagte zu 3) hat zweimal bei der Patientin Untersuchungen durchgeführt, die zu einer zunächst eingeschränkten Operationsempfehlung gegenüber dem überweisenden Urologen geführt haben. Der Senat geht nach dem Ergebnis der Anhörung der Parteien davon aus, daß der Beklagte zu 3) diese Operationsempfehlung nicht nur in seinem an Dr. P. gerichteten Arztbrief niedergelegt, sondern sich entsprechend auch gegenüber der Klägerin geäußert hat. Der Beklagte zu 3) hat seine allgemeine Handhabung dahin gehend geschildert, daß er den Patienten im Anschluß an die Untersuchung z.B. die Röntgenbefunde zeigt und die Diagnose erläutert. Davon, daß dies geschehen ist, geht der Senat auch in diesem Fall aus. Der Senat ist ferner aufgrund der Anhörung der Klägerin, des Beklagten zu 3) und der Vernehmung des Zeugen O. der Überzeugung, daß der Beklagte zu 3) am 17.7.1990 eine - wahrscheinlich zunächst eingeschränkte - Operationsempfehlung ausgesprochen und diese Empfehlung nach der zweiten Untersuchung am 17.8.1990 gegenüber der Klägerin uneingeschränkt wiederholt hat. Das ist in der mündlichen Verhandlung im Kern auch unstreitig geworden. Ein Aufklärungsgespräch, in dessen Rahmen die Klägerin über Art und Umfang der Operation und über deren Risiken informiert worden wäre, hat aber unstreitig weder im Anschluß an die erste noch nach der zweiten Untersuchung stattgefunden. Der Beklagte zu 3) hat also jedenfalls nicht dadurch eine Garantenstellung gegenüber der Klägerin eingenommen, daß er durch ein Aufklärungsgespräch eine Behandlung übernommen hat. Wenn der Beklagte zu 3) die Klägerin über Risiken, die mit der Operation verbunden sind, aufgeklärt hätte, wäre er damit nach der Rspr. des BGH zu einem der behandelnden Ärzte geworden und würde im Falle unvollständiger Aufklärung für die später ohne wirksame Einwilligung vorgenommene rechtswidrige Operation und deren Folgen haften (BGH a.a.O.). So liegt der Fall hier aber nicht.
Der Senat hat erwogen, ob auch ohnedies ein Arzt, der Befunde zur Abklärung einer Operationsindikation erhebt, jedenfalls dann, wenn er schon gegenüber dem Patienten eine uneingeschränkte Operationsempfehlung gibt, wenigstens auf sehr wahrscheinliche, für den Patienten aber unerwartete Folgen hinweisen muß, zumindest wenn es sich um solche Folgen handelt, die den Patienten in einschneidender Weise nachhaltig in seiner Lebensführung beeinträchtigen, wie es der Fall ist, wenn der Patient mit großer Wahrscheinlichkeit nach der Operation zwingend auf einen Katheter angewiesen ist, den er mehrmals täglich selbst anlegen muß. Der Senat hat aber jedenfalls eine haftungsauslösende Verantwortlichkeit des Beklagten zu 3) wegen unerlaubter Handlung aufgrund einer Garantenstellung für den vorliegenden Fall noch nicht bejahen können, weil sich der Umfang und der genauere Ablauf des Gesprächs nicht mehr klären läßt und insbesondere auch nicht festgestellt werden kann, daß das Gespräch zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 3) die Entscheidung zur Operation unmittelbar vorbereiten sollte. Deshalb greifen auch nicht die Grundsätze ein, die der BGH für den Fall einer Operationsempfehlung aufgestellt hat. Eine deliktische Haftung kann nach der Rspr. des BGH auch ohne vertragliche Beziehungen begründet sein, wenn ein Arzt aufgrund der von ihm erhobenen Befunde zur Operation rät und dem Patienten bereits eine Entscheidung abverlangt, indem er beispielsweise einen festen Operationstermin vereinbart (BGH VersR 1992, 960, 691). Dann beginnt seine ärztliche Verantwortung als Operateur bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem er den Patienten von der Notwendigkeit der Operation überzeugt und eine Vorentscheidung verlangt (BGH a.a.O.). Im vorliegenden Fall kann aber auch nach Anhörung der Parteien und der Vernehmung des Zeugen O. nicht festgestellt werden, daß die im Anschluß an die Untersuchungen geführten Gespräche bereits unmittelbar in eine Operationsentscheidung der Klägerin einmünden sollten. Sowohl die Klägerin als auch der Beklagte zu 3) gingen davon aus, daß die Klägerin sich zunächst wieder in die Behandlung von Dr. P. begeben würde, wie es tatsächlich auch geschehen ist. Die Klägerin hat sich noch nicht alsbald für eine Operation entschieden. Die Operation ist vielmehr erst etwa ein Jahr später durchgeführt worden. Allein die ein Jahr zurückliegende Operationsempfehlung als solche reicht dem Senat für die Annahme einer deliktischen Haftung in diesem Fall nicht aus, da der genauere Verlauf des möglicherweise nur kurzen Gesprächs zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 3) sich nicht ermitteln läßt und auch der zeitliche Abstand zwischen den Untersuchungen und der Operation Zweifel daran begründen, daß der Beklagte zu 3) die Klägerin so weitgehend beraten hat, daß die Annahme einer Garantenstellung begründet erscheint. ...

OLGReport Oldenburg 1995, 217
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit verschlagwortet. Setzen Sie ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.