OLG Düsseldorf: Kostenerstattung einer Zahnbehandlung nach Außenseitermethode des „Disk-Implantat-Systems”

Die Zahnbehandlung durch Versorgung mit Implantaten nach der Außenseitermethode des „Disk-Implantat-Systems” kann unter besonderen Umständen bis zur Höhe der Kosten als medizinisch notwendig angesehen werden, die bei Verwendung der medizinisch anerkannten crestalen Implantate angefallen wären.

OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.1998 – 4 U 205/97 (rechtskräftig)
Instanzen:
LG Wuppertal - 7 O 492/93
MB/KK §§ 1 II 1, 4 II


Aus den Gründen:

Dem Kläger steht gegen die Beklagte aufgrund der zahnärztlichen Behandlung durch die Ärzte der Streithelferin aus dem Krankenversicherungsvertrag der Parteien eine Versicherungsentschädigung i.H.v. insgesamt 24.988,31 DM zu. Weitergehende Ansprüche des Klägers bestehen nicht, weil insoweit die Einwendungen der Beklagten gegen die medizinische Notwendigkeit der zahnärztlichen Heilbehandlung berechtigt sind.
Der Versicherungsfall ist eingetreten. Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 AVB, entspr. MB/KK 76).
1. Daß hier Heilbehandlungen (zum Begriff vgl. BGH v. 17.12.1986 – IVa ZR 78/85, MDR 1987, 390 = VersR 1987, 278, 279; v. 26.6.1993 – IV ZR 135/92, MDR 1993, 841 = VersR 1993, 957, 959; v. 10.7.1996 – IV ZR 133/95, MDR 1996, 1125 = VersR 1996, 1224, 1225) stattgefunden haben, steht fest. Die von den behandelnden Ärzten veranlaßten Behandlungsmaßnahmen sind als Heilbehandlung anzusehen. Daß der Kläger die F.-Klinik im Dezember 1992 und später aufgesucht hat, um bestehende Beschwerden behandeln zu lassen, ist außer Streit.
2. Umstritten ist, ob die Heilbehandlung im Streitfalle medizinisch notwendig war. Die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung wegen Krankheit ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Sie ist dann zu bejahen, wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Zeit der Behandlung vertretbar war, die Behandlung als notwendig anzusehen, um den Heilerfolg zu erreichen (BGH VersR 1979, 221, 222; v. 10.7.1996 – IV ZR 133/95, MDR 1996, 1125 = VersR 1996, 1224, 1225 und ständig). Beweispflichtig für das Vorliegen dieser Voraussetzung ist der Versicherungsnehmer (BGH VersR 1979, 222).
Im Streitfall kann der Senat die medizinische Notwendigkeit nicht generell bejahen oder verneinen. Vielmehr ist nach der Art der Zahnbehandlung – konservierende Leistungen, prothetische Behandlung und Implantatversorgung – zu unterscheiden.
a) Was die Implantatversorgung durch Dr. S. anbelangt, so ist grundsätzlich von der medizinischen Notwendigkeit auszugehen. Dies hat der Sachverständige Dr. W. in seinem Gutachten vom 30.12.1995 (ausdrücklich) hervorgehoben, in dem er eine „klare medizinische Indikation zur Implantatbehandlung” angenommen hat. Daran hat er auch in seinem ergänzenden Gutachten vom 18.10.1996 festgehalten. Einzige Alternative wäre der Einsatz einer Totalprothese beim Kläger gewesen. Im Oberkiefer verbot sich aber eine solche Versorgung deshalb, weil die einzigen noch vorhandenen Zähne 13 und 23 auf Dauer nicht mehr zu erhalten waren. Im Unterkiefer war eine

prothetische Versorgung nicht indiziert, weil die Zähne 32 bis 42 aufgrund ihrer pathologischen Merkmale eine prothetische Versorgung ohne sachgemäße Vorbehandlung ausschlossen, aber auch nach einer entsprechenden Vorbehandlung eine ausreichende Versorgung fraglich war. …
b) Auch die Anzahl der Implantate war medizinisch vertretbar, wie der Sachverständige Dr. W. festgestellt und in seinen Ergänzungsgutachten bestätigt hat. Danach war der Einsatz von 14 Implantaten – acht im Oberkiefer, sechs im Unterkiefer – gerechtfertigt.
c) Ob allerdings die Disk-Implantate ihrer speziellen Art nach als medizinisch notwendig anzusehen sind, ist zwischen den Parteien heftig umstritten. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. bejaht der Senat auch diese Frage.
Der Einwand der Beklagten, es handele sich um ein nicht wissenschaftlich allgemein anerkanntes Verfahren, ist unerheblich. Wie der BGH in der Entscheidung zur Wissenschaftsklausel (v. 26.6.1993 – IV ZR 135/92, MDR 1993, 841 = VersR 1993, 957) ausgeführt hat, kann nicht allein maßgebend sein, was allgemein unter dem Begriff der „Schulmedizin” verstanden wird. Ein verständiger Versicherungsnehmer geht nämlich davon aus, daß im Interesse der Versichertengemeinschaft nur Kosten für diejenigen Behandlungsmethoden erstattet werden, die sich in der Praxis als erfolgversprechend bewährt haben, wenn solche Methoden für die behandelt Krankheit zur Verfügung stehen. Sie müssen allerdings in ihrer Wirksamkeit den von der Schulmedizin gebilligten Methoden gleichzustellen sein und keine höheren Kosten verursachen (BGH v. 26.6.1993 – IV ZR 135/92, MDR 1993, 841 = VersR 1993, 957, 960). Davon kann nur abgesehen werden, wenn es sich um Behandlungsmethoden zur Linderung einer schweren, lebensbedrohenden oder gar lebenszerstörenden Krankheit handelt (vgl. BGH v. 10.7.1996 – IV ZR 133/95, MDR 1996, 1125 = VersR 1996, 1224, 1226 zu HIV-Infektionen). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Disk-Implantatbehandlung schon als gleichwertig anzusehen. Zwar hat der Sachverständige Dr.W. in seinem Ergänzungsgutachten vom 2.4.1997 ausgeführt, daß die verwendeten Disk-Implantate eindeutig als Außenseiterverfahren anzusehen sind: Während die Implantologie generell heute in Deutschland ein wissenschaftlich anerkannter und bewährter Teilbereich der Zahnheilkunde ist, die an allen wesentlichen Universitäten in Forschung und Lehren vertreten ist, spielen die Disk-Implantate, wie die Kongresse und Publikationen der verschiedenen Gesellschaften zeigen, keine Rolle. Die Disk-Implantate werden nicht diskutiert, sondern wegen ihrer Inkompatibilität mit den allgemein anerkannten Regeln der Implantologie ganz überwiegend abgelehnt. Die Behandlungsmethode ist auch quantitativ als Außenseiterverfahren anzusehen. Nach Angaben der Streithelferin hatte das System 1996 in Deutschland einen Marktanteil von ca. 5% und wurde nur von etwa 200 Zahnärzten verwendet, während Implantate im gleichen Zeitraum insgesamt in einer Zahl von 180.000 von etwa 5.000 Zahnärzten eingesetzt wurden, wie der Sachverständige Dr.W. ausgeführt hat. Dies führt aber nach Auffassung des Senats nicht dazu, daß Disk-Implantat-Verfahren generell als nicht gleichwertig anzusehen sind. Alle bisherigen Implantatsysteme wurden entwickelt, um Nachteile anderer, bestehender Systeme auszugleichen, wie der Sachverständige ausgeführt hat. Allerdings hat er auch auf systemspezifische Nachteile hingewiesen. Im Rahmen von Gutachtenaufträgen durch Gerichte und Versicherungen hat der Sachverständige bei Disk-Implantaten stets gleichartige Fehler festgestellt. Dennoch hat es der Sachverständige als nicht vertretbar angesehen, das Disk-Implantat-Verfahren generell als wissenschaftlich nicht anerkannt abzulehnen. Ein Grund dafür mag darin liegen, daß der Sachverständige stets problematische Fälle von Disk-Implantationen beurteilt haben mag.
Generell ist die Implantologie inzwischen der Schulmedizin zuzurechnen, auch wenn sie erst seit 1988 in der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) anerkannt ist. Zudem ist die Implantologie allgemein noch in der Entwicklung begriffen. Dies ergibt sich aus der von der Streithelferin im Berufungsrechtszug überreichten Studie von Winter und anderen. Danach ist die Therapie eines extrem atrophierten Oberkiefers durch Onlayosteoplastik und simultane Implantatinsertion mit hohen initialen Implantatverlustraten von 25% und einem relativ ausgeprägten vertikalen Knochenabbau in den ersten beiden Jahren behaftet. Diese Verlustrate von crestalen Implantaten ist nur unwesentlich geringer als diejenige bei der Behandlung des Klägers, bei der vier von 14 Disk-Implantaten erneuert werden mußten.
Hinzu kommt, daß das Disk-Implantatsystem gegenüber der Versorgung mit crestalen Implantaten Vorteile bietet, wenn bei diesen nur mit einer Knochentransplantation gearbeitet werden kann. Das Disk-Implantatsystem erspart dem Patienten den Aufbau des Kieferknochens durch Beckenknochen-Transplantate und führt im übrigen zu schnellerer Belastbarkeit der Implantate, wie die Beklagte nicht substantiiert bestritten hat. Vielmehr sprechen die Ausführungen von Dr. I. in der Zeitschrift „Spezialzahnheilkunde” für die Richtigkeit der Darstellung der Streithelferin. Auch im Fall des Klägers war die Disk-Implantatmethode mit Vorteilen verbunden. Es bedurfte nicht der unbelasteten Einheilzeit von mindestens drei Monaten im Unterkiefer und sechs Monaten im Oberkiefer. Unsubstantiiert ist das Vorbringen der Beklagten, soweit sie die Notwendigkeit von Transplantaten in Abrede gestellt hat. Insoweit hätte sie im einzelnen aufgrund der ihr vorliegenden medizinischen Unterlagen vortragen müssen, daß die Knochensubstanz beim Kläger eine Verwendung von crestalen Implantaten ohne Einbringung von Knochenchips aus dem Beckenkamm ermöglicht hätte.
Daß auch der Sachverständige Dr. W. dem Disk-Implantatsystem keineswegs mehr generell ablehnend gegenübersteht, ist dem für die G. Versicherung erstellten Gutachten vom 3.5.1998 zu entnehmen. Dort ist in einem vergleichbaren Fall, in dem ebenfalls die Implantatversorgung einer Vollprothese vorzuziehen war, ausgeführt, daß die Verantwortung für die Auswahl eines geeigneten Implantatsystems der Behandler trage. Wenn dieser sich aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen für den Gebrauch

eines Disk-Implantatsystems entschieden habe, so bestünden dagegen keine generellen wissenschaftlich begründeten Bedenken. Mißerfolge bei der Verwendung von Disk-Implantaten im Einzelfall könnten keine allgemeine Ablehnung des Systems begründen. Diese Ausführungen, deren Echtheit die Beklagte nur unsubstantiiert bestritten hat, machen deutlich, daß auch der Sachverständige Dr. W. das Disk-Implantatsystem inzwischen als gleichwertig ansieht. Er fordert allerdings eine besonders umfassende Risikoaufklärung, weil das System – nach wie vor – ein Außenseitersystem und nicht vergleichbar dokumentiert sei wie viele Konkurrenzsysteme, die auf dem Brånemark-System aufbauten.
Schließlich ist zu berücksichtigen, daß der Kläger gegenüber dem Sachverständigen ausgeführt hat, daß er mit den Implantaten keine Probleme habe und mit seiner Versorgung sehr zufrieden sei. In Anbetracht der früheren Versorgung durch abnehmbare Modellgußprothesen scheute sich der Kläger nicht, dem Sachverständigen zu sagen, daß er durch die Implantatversorgung zu einem neuen Menschen geworden sei.
Unter diesen Umständen erscheint es dem Senat nicht vertretbar, dem Kläger die Kostenerstattung für den Einsatz von Disk-Implantaten gänzlich zu verweigern, auch wenn es sich bei diesem System um eine Außenseitermethode handelt. Vielmehr ist die medizinische Notwendigkeit anzunehmen, soweit nicht höhere Kosten durch Disk-Implantate im Vergleich zu crestalen Implantaten angefallen sind. Dem Kläger ist ein Anspruch auf Kostenerstattung in der Höhe zuzubilligen, wie sie bei herkömmlichen Implantaten zu leisten wäre. Denn es läßt sich nicht feststellen, daß das herkömmliche System zu einer besseren Versorgung beim Kläger geführt hätte.
Da nach Auffassung des Gutachters implantologische Maßnahmen indiziert, d.h. medizinisch vertretbar waren, hat die Beklagte nach Schätzung gem. § 287 ZPO im aufgezeigten Rahmen die Kosten der Implantationsbehandlung zu ersetzen. Danach ist bei den Materialkosten ein 50%iger Abzug vorzunehmen. Denn der Sachverständige Dr. W. hat in seinem Ergänzungsgutachten daran festgehalten, daß das Disk-Implantat-System die Kosten anderer Systeme um ca. 100% überschreite. Soweit die Streithelferin demgegenüber vorträgt, daß die Behandlungskosten für eine Knochentransplantation als Voraussetzung crestaler Implantate die Mehrkosten der Eingliederung von Disk-Implantaten mindestens aufwiegt, ist ihr Vorbringen unsubstantiiert. Insoweit trifft die Streithelferin (wie den Kläger) die Beweislast, daß keine höheren Kosten verursacht werden. Es geht hier nicht um das Übermaßverbot nach § 5 Abs. 2 MB/KK, weil die vorgenannte Behandlung nur dann medizinisch notwendig ist, wenn sie gleichwertig ist und keine höheren Kosten verursacht (BGH v. 26.6.1993 – IV ZR 135/92, MDR 1993, 841 = VersR 1993, 957, 960). Im übrigen ist die Streithelferin auch durchaus in der Lage, eine Kostenaufstellung für die von ihr verworfene Alternativbehandlung vorzutragen.
Im Hinblick auf die Notwendigkeit des Knochenaufbaues und die dadurch bedingten aufwendigen, schwierigen Behandlungsmaßnahmen bei der Implantation von crestalen Implantaten geht der Senat aber davon aus, daß der Kostenaufwand für die Einpflanzung herkömmlicher Implantate jedenfalls nicht geringer ist als derjenige für den Einsatz von Disk-Implantaten, soweit sie nach der GOZ gerechtfertigt sind.
Einer Erstattungspflicht insoweit steht nicht entgegen, daß die Streithelferin möglicherweise mangelhafte Arbeit geleistet hat. Die Ex ante-Betrachtung bei medizinischer Notwendigkeit verbietet es, nachträglich vom Erfolg oder Mißerfolg einer Behandlung auszugehen. Entscheidend ist, ob eine medizinische Maßnahme generell geeignet ist, ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall der bezweckte Erfolg erreicht wird (vgl. Bach/Moser, MB/KK 2. Aufl., § 1 Rz. 25, 33). Schädlich sind nur schuldhaft falsche ärztliche Maßnahmen, soweit davon die Eignung von Diagnostik und Therapie berührt wird. In diesem Sinne hat sich auch der Sachverständige Dr. W. zutreffend geäußert.
Dies führt zunächst zu einer Herabsetzung der Implantat-Materialkosten gemäß Rechnung Nr. 2274/3446 von 21.990,50 DM auf die Hälfte, also 10.995,25 DM. Die übrigen Materialkosten der Rechnung sind vom Sachverständigen gebilligt worden.
d) Im übrigen ergeben sich noch Kürzungen bei den Einzelabrechnungen, soweit implantologische Leistungen in Rede stehen. (Wird ausgeführt.)

OLGReport Düsseldorf 1999, 466
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