LG Hamburg: Publikumswerbung mit Äußerungen Dritter

Auf die Publikumswerbung für Arzneimittel findet § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 08.11.2007, Az. C- 374/05) wegen des sonst eintretenden Verstoßes gegen die Richtlinie 2001/83/EG nur dann Anwendung, wenn sich die Äußerungen Dritter in willkürlicher, abstoßender oder irreführender Weise auf Genesungsbescheinigungen beziehen.

Auf Medizinprodukte findet § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG uneingeschränkt Anwendung.

Die Richtlinie 2001/83/EG gilt nicht für Medizinprodukte.

Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG in der für Arzneimittel durch die Richtlinie 2001/83/EG vorgegebenen Art und Weise kommt für Medizinprodukte nicht in Betracht, da diese von Wortlaut und Sinn der nationalen Regelung abweichen würde.

LG Hamburg, Urteil v. 05.08.2008 – 312 O 128/08
HWG § 11 Abs. 1 Satz 2
UWG § 4 Nr. 11
Richtlinie 2001/83/EG Art. 90
HWG § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11


Erledigungsvermerk: in diesem Punkt rechtskräftig

Tatbestand:

Die Parteien sind Wettbewerber beim Vertrieb von Medizinprodukten zur Versorgung von Patienten mit ...

zu Klageantrag 3)

Die aus Anlagen 21 und 22 ersichtliche Einstellung von Patientenschreiben auf der deutschsprachigen Webseite der Beklagten verstößt gegen § 11 Abs. 1 Satz 1, Ziff. 11, Satz 2 HWG und ist darum nach § 4 Nr. 11 UWG wettbewerbswidrig.

Die Webseite der Beklagte ist erkennbar (auch) an Deutsche gerichtet. Die Regelungen des Heilmittelwerbegesetzes finden darum Anwendung.

§ 11 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 11 HWG, der nach § 11 Abs. 1 Satz 2 HWG auch auf Medizinprodukte Anwendung findet, untersagt seinem Inhalt nach gerade solche Werbeelemente.

...

Die Kammer hat allerdings nicht übersehen, dass der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 8.11.2007 (Az. C-374/05) auf ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen des BGH festgestellt hat, dass mit der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung eine vollständige Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung erfolgt ist und die Richtlinie dahin gehend auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat in seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften kein uneingeschränktes und unbedingtes Verbot vorsehen darf, in der Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel Äußerungen Dritter zu verwenden. In Bezug auf die Werbung von Arzneimitteln bedeutet dies, dass wegen des sonst eintretenden Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht in der Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel Äußerungen Dritter nur dann verboten werden dürfen, wenn diese sich in willkürlicher, abstoßender oder irreführender Weise auf Genesungsbescheinigungen beziehen. Handelte es sich bei den von der Beklagten beworbenen Produkten um Arzneimittel, wäre die Einstellung der ausgewählten Patientenschreiben auf der Webseite der Beklagten, die allerdings nicht den Eindruck erwecken, willkürlich zu sein, und weder abstoßend gestaltet sind noch in irreführender Weise eine Genesungsbescheinigung darstellen, wohl nicht zu untersagen.

Vorliegend hat die Beklagte aber nicht für Arzneimittel, sondern für Medizinprodukte geworben. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG ist auf Medizinprodukte uneingeschränkt anwendbar.

Die Richtlinie 2001/83/EG gilt nicht für Medizinprodukte. Dies ist nach ihrer Änderung durch die Richtlinie 2004/27/EG eindeutig, in der der Arzneimittelbegriff in Abgrenzung zu Medizinprodukten formuliert worden ist. Eine Artikel 90 der Richtlinie 2001/83/EG entsprechende Europarechtliche Regelung für Medizinprodukte, die als höherrangiges Recht der Anwendung der bundesdeutschen Norm entgegenstehen könnte, gibt es nicht.

Es kommt auch in Bezug auf den nach § 11 Abs. 1 Satz 2 HWG für Medizinprodukte eröffneten Anwendungsbereich des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG keine richtlinien-konforme Auslegung in der für Arzneimittel in der Richtlinie 2001/83/EG vorgegebenen Art und Weise in Betracht, da diese von Wortlaut und Sinn der bundesdeutschen Norm abweichen würde

Dass die Klägerin auf ihrer englischsprachigen Webseite ähnliche Äußerungen veröffentlicht, lässt ihr Rechtsschutzbegehren nicht missbräuchlich sein.

Dabei kann die Frage, welche Bedeutung der Einwand der "unclean hands" vorliegend haben könnte, dahingestellt bleiben. Die Beklagte hat nämlich nichts dazu vorgetragen, warum sich die englischsprachige Webseite der Klägerin an deutsche Kunden richten und damit überhaupt einen Wettbewerbsverstoß der Klägerin darstellen sollte.

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LG Hamburg vom 05.08.2008
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