OVG Nordrhein-Westfalen: Die nationalen Behörden sind durch die Einstufung eines Produktes als Medizinprodukt durch benannte Stellen anderer Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, dieses Produkt anders (hier: als Arzneimittel) zu qualifizieren.

Die Einstufung eines Pflaster mit bestimmten Wirkstoffen (hier: Kampfer, L-Menthol, Minzöl und Eukalyptusöl) als Arzneimittel begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

§ 27 Abs. 2 MPG ist nicht anwendbar, wenn ein Produkt vermeintlich zu Recht als Medizinprodukt gekennzeichnet wird.

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 11.06.2007 – 13 A 3903/06
Instanzen:
VG Köln - 18 L 2075/05, VG Köln vom 25.06.2006 - 18 K 1232/06
AMG § 2 Abs. 1 Nr. 1
AMG § 2 Abs. 2 Nr. 1
AMG § 2 Abs. 3 Nr. 7
MPG § 3 Nr. 1
MPG § 3 Nr. 2
MPG § 27
VwGO § 86
VwGO § 98
AMG § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
MPG § 27 Abs. 2
ZPO § 295


Erledigungsvermerk: unanfechtbarer Beschluss

Aus dem Tatbestand:

Die Bekl. untersagte der Kl. das Inverkehrbringen eines Produktes mit der Begründung, dass es sich bei dem Produkt um ein Arzneimittel handele, für das keine Zulassung bestehe. Hiergegen erhob die Kl. mit der Begründung Klage, dass das Produkt kein Arzneimittel, sondern ein Medizinprodukt sei. Die Klage und der Antrag auf Zulassung der Berufung blieben erfolglos.

Aus den Gründen:

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des VG (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

Das VG ist davon ausgegangen, dass "U. Pflaster" ein Arzneimittel ist. Insoweit hat es zu Recht zugrunde gelegt, dass Grundlage für die Einstufung von "U. Pflaster" eine überwiegend pharmakologische Wirkung ist. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AMG i.V.m. § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG i.V.m. § 3 Nr. 1 Buchst. a) und b), Nr. 2 MPG sind Arzneimittel gegenüber Medizinprodukten dahingehend abzugrenzen, dass bei überwiegend pharmakologischer Wirkung ein Arzneimittel, bei überwiegend physikalischer Wirkung ein Medizinprodukt vorliegt. Eine pharmakologische Wirkung liegt grundsätzlich jedenfalls dann vor, wenn eine Wechselwirkung vorliegt zwischen den Molekülen des betreffenden Stoffes und einem gewöhnlich als Rezeptor bezeichneten Zellbestandteil, die entweder zu einer direkten Wirkung führt oder die Reaktion auf einen anderen Wirkstoff blockiert. Gründe dafür, im vorliegenden Einzelfall von diesem Ansatz abzuweichen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. (Vgl. zur Definition A. 2 der "Guidelines relating to the demarcation between Directive 90/42/EEC on active implantablemedical devices, Directive 93/385/EEC on medical devices and Directive 65/65/EEC relating to medicinal products and related directives" [abgedruckt bei Schorn, Medizinprodukterecht, Stand Januar 2006, E 2-3/1]; OVG NRW, Urt. v. 17.3.2006 - 13 A 1977/02, 13 A 2095/02 und 13 A 2098/02, juris; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Stand Oktober 2006, § 2 Anm. 4; Schorn, Medizinprodukterecht, Stand Januar 2006, § 3 MPG Anm. 17 f.; Anhalt in Anhalt/Dieners, Handbuch des Medizinprodukterechts, 2003, § 3 Rz. 7 ff.; Doepner, Heilmittelwerbegesetz, 2. Aufl. 2000, § 1 Rz. 104.

Dass dem VG im Rahmen der Anwendung dieses - zutreffend gewählten - Maßstabs ein Fehler unterlaufen ist, wird nicht substanziiert bzw. fristgerecht gerügt. Das VG hat im Einzelnen - gestützt auf die Angaben der Sachverständigen Dr. T. und das Gutachten im Verfahren LG Hamburg 312 O 255/01 - ausgeführt, dass die Wirkungen von "U. Pflaster" ganz überwiegend pharmakologischer Natur seien. Dem tritt die Ast. in ihrem Schriftsatz vom 13.11.2006 nicht substanziiert entgegen (vgl. § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO). An keiner Stelle wird detailliert dargelegt, dass und warum die Annahme einer ganz überwiegenden pharmakologischen Wirkung fehlerhaft sei. Vielmehr wird weitestgehend allein damit argumentiert, dass die Annahme einer überwiegenden pharmakologischen Wirkung unerheblich sei. Darlegungen, die sich substanziiert gegen die Annahme einer ganz überwiegend pharmakologischen Wirkung wenden, finden sich erst im Schriftsatz vom 19.1.2007. Indes liegt dieser nicht in der Frist des § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO.

Vor diesem Hintergrund - der Annahme einer pharmakologischen Wirkung - stehen der Einstufung des streitgegenständlichen Pflasters als Arzneimittel keine Gründe entgegen. Auf die Frage nach einem Vorrang der arzneimittelrechtlichen Vorschriften kommt es dabei nicht an. Die Frage nach dem Vorrang des einen oder des anderen Regelungsregimes macht Sinn, wenn ein und dasselbe Produkt unterschiedlichen Regelungsregimen unterfallen kann. Durch § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 Nr. 1, 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG und § 3 Nr. 1 und Nr. 2 MPG wird aber - u.a. über das Merkmal der überwiegenden pharmakologischen Wirkung - im Sinne eines formellen Ausschlussverhältnisses sichergestellt, dass entweder das arzneimittelrechtliche oder das medizinprodukterechtliche Regelungsregime Anwendung findet. Insoweit beruht die angegriffene Entscheidung nicht tragend auf der Annahme eines Vorrangs der arzneimittelrechtlichen Regelungen, wie sich im Einzelnen aus der Subsumtion der §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG und § 3 Nr. 1 MPG ergibt. (Vgl. zum Ausschlussverhältnis zwischen AMG und MPG Kloesel/Cyran, a.a.O., § 2 Anm. 154; Doepner, a.a.O., § 1 Rz. 103. Vgl. auch KG Berlin, Beschl. v. 15.6.2000 - 25 W 2146/00, ZLR 2000, 785).

Auch greift die sinngemäße Rüge, das VG habe die Vorschrift des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG fehlerhaft verstanden, nicht durch. Nach dieser Vorschrift gilt die genannte Richtlinie auch in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von "Arzneimittel" als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist. Die Anwendung dieser Regelung setzt voraus, dass ein Zweifelsfall besteht, d.h. das streitgegenständliche Produkt darf weder eindeutig ein Arzneimittel noch eindeutig ein Erzeugnis, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, sein (OVG NRW, Urt. v. 17.3.2006 - 13 A 1977/02, 13 A 2095/02 und 13 A 2098/02, juris).

Genau so hat das VG Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG verstanden. Dies ergibt sich schon daraus, dass es die maßgebliche Rechtsprechung des OVG NRW in Bezug genommen und darauf abgestellt hat, dass die pharmakologische Wirkung von "U. Pflaster" außer Zweifel stehe. Der Einstufung von "U. Pflaster" als Arzneimittel steht auch nicht entgegen, dass das Pflaster in einem anderen Mitgliedstaat als Medizinprodukt angesehen wird. Nach dem eindeutigen Wortlaut der § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 7 AMG und § 3 Nr. 1 und Nr. 2 MPG sind Arzneimittel und Medizinprodukte aufgrund ihrer überwiegend pharmakologischen bzw. physikalischen Wirkung voneinander abzugrenzen. Eine Bestimmung, dass Erzeugnisse, die in einem anderen Mitgliedstaat als Medizinprodukte eingestuft werden, so auch in Deutschland eingestuft werden müssen, obschon es sich bei ihnen nicht um Medizinprodukte (sondern um Arzneimittel) handelt, kennen weder das Gesetz noch das Gemeinschaftsrecht. Insbesondere sehen weder das Medizinproduktegesetz noch die Richtlinie 93/42/EWG vor, dass die Einstufung eines Medizinprodukts durch einen Mitgliedstaat für die anderen Mitgliedstaaten Bindungswirkung entfaltet. Die Regelungen des Medizinproduktegesetzes bzw. der Richtlinie 93/42/EWG, durch die eine Harmonisierung des Medizinprodukterechts bewirkt wird, bauen darauf auf, dass ein Produkt tatsächlich ein Medizinprodukt ist, regeln aber nicht die Harmonisierung der Einstufung (Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2006 - 3 C 40.05, NVwZ 2007, 591; OVG NRW, Urt. v. 10.11.2005 - 13 A 463/03, juris; Schorn, a.a.O., § 13 MPG Anm. 13).

Mit dem Gesagten übereinstimmend hat der EuGH ausgesprochen, dass es beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts möglich sei, dass bei der Einstufung von Erzeugnissen als Arzneimittel Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestünden. Der Umstand, dass ein Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat nicht als Arzneimittel eingestuft sei, hindere somit nicht, ihm im Einfuhrmitgliedstaat dann die Eigenschaft eines Arzneimittels zuzuerkennen, wenn es die entsprechenden Merkmale aufweise. (Vgl. zu alldem EuGH, Urt. v. 9.6.2005 - Rs. C-211/03, C-299/03 und C-316 bis C-318/03 , Slg. I-5141 [HLH und Orthica] m.w.N.).

Das VG ist in der Folge aufgrund der zugrunde gelegten Arzneimitteleigenschaft von "U. Pflaster" zu Recht davon ausgegangen, dass die Verfügung auf das Arzneimittelgesetz gestützt werden könne; das Medizinproduktegesetz sei nicht anzuwenden. Dies ist schon aufgrund des formellen Ausschlussverhältnisses zwischen Arzneimittelgesetz und Medizinproduktegesetz nicht zu beanstanden und gilt auch im Hinblick auf § 27 Abs. 2 MPG. Zwar erfasst § 27 Abs. 2 MPG grundsätzlich auch den Fall, dass ein Nicht-Medizinprodukt unzulässigerweise mit einer CE-Kennzeichnung versehen wird. § 27 Abs. 2 MPG zielt ersichtlich aber allein auf eine missbräuchliche Verwendung gerade der CE-Kennzeichnung (etwa um einem Produkt, dass in Wahrheit kein Medizinprodukt ist, die "Weihen" eines Medizinproduktes zu verleihen). Das folgt aus dem Wort "unzulässigerweise". Um einen solchen "Kennzeichnungsmissbrauch" geht es hier aber nicht. Vielmehr versucht die Kl. ein Produkt, das von der Behörde eines anderen Mitgliedstaats als Medizinprodukt angesehen wird, aber tatsächlich ein Arzneimittel ist, als Medizinprodukt in Verkehr zu bringen. Ein Missbrauch der Kennzeichnung zulasten der CE-Kennzeichnungsregelungen steht nicht im Raum (Vgl. zu dem Gesagten Hill/Schmidt, WiKo, Stand April 2006, § 27 MPG Rz. 5 und OVG NRW, Beschl. v. 14.8.2003 - 13 A 5022/00, ZLR 2004, 208; v. 24.6.1999 - 13 B 96/99, NJW 2000, 891.

Im Übrigen wäre es - wie das VG zu Recht festgestellt hat - nicht nachvollziehbar, dass allein eine Kennzeichnungsregelung die grundlegende Unterscheidung zwischen dem arzneimittelrechtlichen und dem medizinprodukterechtlichen Regelungsgefüge des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts unterliefe. Bei der CE-Kennzeichnung handelt es sich um ein Verwaltungszeichen, das allein deklaratorisch - und nicht rechtsverbindlich - die EG-Konformität und Verkehrsfähigkeit des gekennzeichneten Produkts anzeigt (Vgl. OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 21.1.1999 - 6 U 71/98, juris; OLG München, Urt. v. 15.3.2001 - 6 U 5005/00, ZLR 2001, 614; Rehmann in Rehmann/Wagner, MPG, 2005, Einführung Rz. 31; Ratzel in Deutsch/Lippert/Ratzel, Medizinproduktegesetz, 2002, § 27 Rz. 1).

Die Ausführungen des VG zu Art. 28 EG sind nicht fristgerecht - sondern nur im Rahmen des nicht fristwahrenden Schriftsatzes vom 22.1.2007 - angegriffen worden. Im Übrigen sind sie im Ergebnis nicht zu beanstanden: Ein Verstoß gegen Art. 28 EG durch nationale Behörden kann - wenn sie letztlich sekundäres Gemeinschaftsrecht anwenden - nur vorliegen, wenn das sekundäre Gemeinschaftsrecht seinerseits nicht mit Art. 28 EG vereinbar ist. Art. 28 EG bindet zwar grundsätzlich auch den Gesetzgeber von sekundärem Gemeinschaftsrecht. Er ist aber aufgrund dieser Norm nicht verpflichtet, Harmonisierungsregelungen zu erlassen. Maßgeblich hierfür sind allein die Art. 94 ff. EG, die eine Harmonisierungspflicht grundsätzlich nicht kennen. Hier hatte die Bekl. über die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten zu entscheiden. Die Unterscheidung von Arzneimitteln und Medizinprodukten beruht auf sekundärem Gemeinschaftsrecht (Art. 1 Nr. 2, Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2001/83/EG, Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) Richtlinie 93/42/EWG). Dieses lässt es aber bei dem gegenwärtigen Stand der Harmonisierung zu, dass hinsichtlich der konkreten Einstufung von Erzeugnissen als Arzneimittel - wie oben gezeigt - Unterschiede zwischen den nationalen Behörden der Mitgliedsstaaten bestehen.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen. (Wird ausgeführt.)

OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.06.2007
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