EuGH: National abweichende Einstufungen als Medizinprodukt oder Arzneimittel (Milchsäurebakterien)

Die in einem Mitgliedstaat vorgenommene Einstufung eines Erzeugnisses als Medizinprodukt gemäß der Richtlinie 93/42 schließt es nicht aus, dass das Präparat in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund seiner pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkung als Arzneimittels im Sinne von Art. 1 Nr. 2 lit. b) der Richtlinie 2001/83/EG eingestuft wird.

Vor Durchführung eines solchen Einstufungsverfahrens als Arzneimittel ist das (Schutzklausel-)Verfahren nach Art. 18 und ggfls. nach Art. 8 der Richtlinie 93/42/EWG durchzuführen.

Innerhalb eines Mitgliedstaates führt ein identischer Bestandteil bei identischer Wirkungsweise bei unterschiedlichen Erzeunissen grundsätzlich zu einer einheitlichen Einstufung als Arzneimittel bzw. Medizinprodukt.

EuGH, Urteil v. 03.10.2013 – C-109/12
Instanzen:
Finnisches Oberstes Verwaltungsgericht
Korkein hallinto-oikeus
AEUV Art. 267
Richtline 93/42/EWG Art. 1 Abs. 2 lit. a)
Richtlinie 2001/83/EG Art. 1 Nr. 2 lit. b)
Richtlinie 93/42/EWG Art. 8, 18 Abs. 2

Andere Fundstellen: MPJ 2014, 53; MPR 2014, 199 mit Anm. Runge


In der Rechtssache C-109/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 27. Februar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Februar 2012, in dem Verfahren

Laboratoires Lyocentre

gegen

Lääkealan turvallisuus- ja kehittämiskeskus,

Sosiaali- ja terveysalan lupa- ja valvontavirasto

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter J. Malenovský (Berichterstatter), U. Lõhmus, M. Safjan und der Richterin A. Prechal,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Laboratoires Lyocentre, vertreten durch E. Mikkola, asianajaja,

–        der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski und J. Leppo als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch S. Šindelková als Bevollmächtigte,

–        der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigte im Beistand von B. Kennelly und G. Facenna, Barristers,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Sipos, I. Koskinen und M. Šimerdová als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 30. Mai 2013

folgendes

Urteil

[1]

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. L 169, S. 1) in der durch die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 (ABl. L 247, S. 21) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 93/42) sowie der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 (ABl. L 378, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83).

[2]

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Laboratoires Lyocentre, einem pharmazeutischen Unternehmen, das eine lebende Milchsäurebakterien enthaltende Vaginalkapsel zur Wiederherstellung des Gleichgewichts der Bakterienflora in der Vagina unter der Bezeichnung „Gynocaps“ (im Folgenden: Gynocaps) herstellt, auf der einen Seite und der Lääkealan turvallisuus- ja kehittämiskeskus (Zentrale Stelle für die Sicherheit und Entwicklung von Arzneimitteln) und der Sosiaali- ja terveysalan lupa- ja valvontavirasto (Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde für die Bereiche Soziales und Gesundheit) auf der anderen Seite wegen der Einstufung von Gynocaps als Arzneimittel.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 93/42

[3]

Im sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/42 heißt es:

„Bestimmte Medizinprodukte sind dafür ausgelegt, Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel [(ABl. Nr. 22, S. 369) in der durch die Richtlinie 92/27/EWG des Rates vom 31. März 1992 über die Etikettierung und die Packungsbeilage von Humanarzneimitteln (ABl. L 113, S. 8) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 65/65)] abzugeben. In diesen Fällen wird das Inverkehrbringen des Medizinprodukts in der Regel durch die vorliegende Richtlinie geregelt und das Inverkehrbringen des Arzneimittels durch die [Richtlinie 65/65]. Wird ein solches Produkt jedoch derart in Verkehr gebracht, dass Produkt und Arzneimittel eine feste Einheit bilden, die ausschließlich zur Verwendung in der vorgegebenen Kombination bestimmt und nicht wiederverwendbar ist, unterliegt dieses eine feste Einheit bildende Produkt der [Richtlinie 65/65]. Davon zu unterscheiden sind Medizinprodukte, die unter anderem als Bestandteile Stoffe enthalten, welche bei gesonderter Anwendung als Arzneimittel im Sinne der [Richtlinie 65/65] betrachtet werden können. In solchen Fällen, d. h., wenn die in das Medizinprodukt integrierten Stoffe in Ergänzung zu dem Produkt eine Wirkung auf den menschlichen Körper entfalten können, wird das Inverkehrbringen der Produkte durch die vorliegende Richtlinie geregelt. …“

[4]

Der 17. Erwägungsgrund dieser Richtlinie lautet:

„Die Medizinprodukte müssen im Regelfall mit der CE-Kennzeichnung versehen sein, aus dem ihre Übereinstimmung mit den Vorschriften dieser Richtlinie hervorgeht und das Voraussetzung für den freien Verkehr der Medizinprodukte in der Gemeinschaft und ihre bestimmungsgemäße Inbetriebnahme ist.“

[5]

Die Medizinprodukte, die unter diese Richtlinie fallen, sind in ihrem Art. 1 Abs. 2 Buchst. a wie folgt definiert:

„‚Medizinprodukt‘: alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe oder anderen Gegenstände, einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische und/oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen für folgende Zwecke bestimmt sind:

–        Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten;

–        Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen;

–        Untersuchung, Ersatz oder Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs;

–        Empfängnisregelung,

und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann“.

[6]

Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie bestimmt:

„Produkte, die dazu bestimmt sind, ein Arzneimittel im Sinne des Artikels 1 der [Richtlinie 2001/83] abzugeben, unterliegen dieser Richtlinie unbeschadet der das Arzneimittel betreffenden Bestimmungen der [Richtlinie 2001/83].

Werden diese Produkte jedoch so in Verkehr gebracht, dass Produkt und Arzneimittel ein einheitliches, miteinander verbundenes Produkt bilden, das ausschließlich zur Verwendung in dieser Verbindung bestimmt und nicht wieder verwendbar ist, so unterliegt dieses Produkt der [Richtlinie 2001/83]. Die einschlägigen grundlegenden Anforderungen gemäß Anhang I dieser Richtlinie kommen insofern zur Anwendung, als sicherheits- und leistungsbezogene Produktfunktionen betroffen sind.“

[7]

Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 93/42 lautet:

„Enthält ein Produkt als festen Bestandteil einen Stoff, der – gesondert verwendet - als Arzneimittel im Sinne des Artikels 1 der [Richtlinie 2001/83] betrachtet werden und in Ergänzung zu dem Produkt eine Wirkung auf den menschlichen Körper entfalten kann, so ist dieses Produkt gemäß der vorliegenden Richtlinie zu bewerten und zuzulassen.“

[8]

Die Richtlinie 93/42 gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 5 Buchst. c nicht für Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83. Die Entscheidung darüber, ob ein Produkt unter die Richtlinie 2001/83 oder die Richtlinie 93/42 fällt, erfolgt insbesondere unter Berücksichtigung der hauptsächlichen Wirkungsweise des Produkts.

[9]

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 erlegt den Mitgliedstaaten folgende Verpflichtung auf:

„Die Mitgliedstaaten behindern in ihrem Hoheitsgebiet nicht das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Produkten, die die CE-Kennzeichnung nach Artikel 17 tragen, aus der hervorgeht, dass sie einer Konformitätsbewertung nach Artikel 11 unterzogen worden sind.“

[10]

Nach Art. 8 („Schutzklausel“) der Richtlinie 93/42 können die Mitgliedstaaten folgende Maßnahmen ergreifen:

„(1)      Stellt ein Mitglied[staat] fest, dass in Artikel 4 Absatz 1 bzw. Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich genannte Produkte die Gesundheit und/oder die Sicherheit der Patienten, der Anwender oder gegebenenfalls Dritter gefährden können, auch wenn sie sachgemäß installiert, instand gehalten und ihrer Zweckbestimmung entsprechend verwendet werden, so trifft er alle geeigneten vorläufigen Maßnahmen, um diese Produkte vom Markt zurückzuziehen oder ihr Inverkehrbringen oder ihre Inbetriebnahme zu verbieten oder einzuschränken. Der Mitgliedstaat teilt der Kommission unverzüglich diese Maßnahmen mit, nennt die Gründe für seine Entscheidung und gibt insbesondere an, ob die Nichtübereinstimmung mit dieser Richtlinie zurückzuführen ist auf

a)      die Nichteinhaltung der in Artikel 3 genannten grundlegenden Anforderungen,

b)      eine unzulängliche Anwendung der Normen gemäß Artikel 5, sofern die Anwendung dieser Normen behauptet wird,

c)      einen Mangel in diesen Normen selbst.

(3)      Ist ein mit dieser Richtlinie nicht übereinstimmendes Produkt mit der CE-Kennzeichnung versehen, so ergreift der zuständige Mitgliedstaat gegenüber demjenigen, der diese Kennzeichnung angebracht hat, die geeigneten Maßnahmen und unterrichtet davon die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten.“

[11]

Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 sieht vor:

„Mit Ausnahme von Sonderanfertigungen und Produkten, die für klinische Prüfungen bestimmt sind, müssen alle Produkte, von deren Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen gemäß Artikel 3 auszugehen ist, bei ihrem Inverkehrbringen mit einer CE-Kennzeichnung versehen sein.“

[12]

Art. 18 („Unrechtmäßige Anbringung der CE-Kennzeichnung“) der Richtlinie bestimmt:

„Unbeschadet des Artikels 8 gilt Folgendes:

a)      Stellt ein Mitgliedstaat fest, dass die CE-Kennzeichnung unberechtigterweise angebracht wurde oder unter Verletzung dieser Richtlinie fehlt, so ist der Hersteller oder sein Bevollmächtigter verpflichtet, den weiteren Verstoß unter den vom Mitgliedstaat festgelegten Bedingungen zu verhindern.

b)      Falls die Nichtübereinstimmung weiter besteht, muss der Mitgliedstaat nach dem Verfahren des Artikels 8 alle geeigneten Maßnahmen ergreifen, um das Inverkehrbringen des betreffenden Produkts einzuschränken oder zu untersagen oder um zu gewährleisten, dass es vom Markt genommen wird.

Diese Bestimmungen gelten auch in den Fällen, in denen die CE-Kennzeichnung nach den Verfahren dieser Richtlinie unzulässigerweise an Erzeugnissen angebracht wurde, die nicht unter diese Richtlinie fallen.“

Richtlinie 2001/83

[13]

Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83 (ABl. L 136, S. 34) sieht vor:

„Daher müssen die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die sich in den wesentlichen Grundsätzen unterscheiden, einander angenähert werden, damit das Funktionieren des Binnenmarktes verbessert und gleichzeitig ein hohes Niveau des menschlichen Gesundheitsschutzes erreicht werden kann.“

[14]

Im siebten Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es:

„Insbesondere aufgrund des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts sollten die Begriffsbestimmungen und der Anwendungsbereich der Richtlinie [2001/83] geklärt werden, damit hohe Standards bei der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Humanarzneimitteln erreicht werden. Damit zum einen das Entstehen neuer Therapien und zum anderen die steigende Zahl von so genannten ‚Grenzprodukten‘ zwischen dem Arzneimittelbereich und anderen Bereichen Berücksichtigung finden, sollte die Begriffsbestimmung des Arzneimittels geändert werden, um zu vermeiden, dass Zweifel an den anzuwendenden Rechtsvorschriften auftreten, wenn ein Produkt, das vollständig von der Definition des Arzneimittels erfasst wird, möglicherweise auch unter die Definition anderer regulierter Produkte fällt. Diese Definition sollte die Art der Wirkung, die das Arzneimittel auf die physiologischen Funktionen haben kann, spezifizieren. Diese Aufzählung der Wirkungen ermöglicht auch, Arzneimittel wie Gentherapie, Radiopharmaka sowie bestimmte Arzneimittel zur lokalen Verwendung abzudecken. Angesichts der Merkmale pharmazeutischer Rechtsvorschriften sollte auch sichergestellt werden, dass diese Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen. Mit dem gleichen Ziel, die Umstände zu klären, unter denen ein bestimmtes Produkt unter die Definition eines Arzneimittels fällt, gleichzeitig aber auch mit der Definition anderer regulierter Produkte übereinstimmen könnte, ist es in Zweifelsfällen und zur Sicherstellung der Rechtssicherheit erforderlich, ausdrücklich anzugeben, welche Vorschriften einzuhalten sind. Fällt ein Produkt eindeutig unter die Definition anderer Produktgruppen, insbesondere von Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, Produkten der Medizintechnik, Bioziden oder kosmetischen Mitteln, sollte diese Richtlinie nicht gelten. Außerdem ist es angezeigt, die Kohärenz der Terminologie der pharmazeutischen Rechtsvorschriften zu verbessern.“

[15]

Nach Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 bedeutet „Arzneimittel“:

„a)      Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder

b)      alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen“.

[16]

Art. 2 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für Humanarzneimittel, die in den Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden sollen und die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt.

(2)      In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von ‚Arzneimittel‘ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, gilt diese Richtlinie.“

[17]

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 sieht vor:

„Ein Arzneimittel darf in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der [Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. L 136, S. 1)] in Verbindung mit der [Verordnung Nr. 1901/2006] erteilt wurde.

Ist für ein Arzneimittel eine Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Unterabsatz 1 erteilt worden, so müssen auch alle weiteren Stärken, Darreichungsformen, Verabreichungswege und Verabreichungsformen sowie alle Änderungen und Erweiterungen gemäß Unterabsatz 1 genehmigt oder in die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen einbezogen werden. Alle diese Genehmigungen für das Inverkehrbringen werden insbesondere für den Zweck der Anwendung des Artikels 10 Absatz 1 als Bestandteil derselben umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen angesehen.“

Finnisches Recht

Gesetz über Medizinprodukte

[18]

Nach § 3 Nr. 1 Abs. 1 des Gesetzes über Medizinprodukte und Zubehör (Laki terveydenhuollon laitteista ja tarvikkeista, im Folgenden: Gesetz über Medizinprodukte) in seiner für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung bedeutet

„‚Medizinprodukt‘ alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe oder anderen Produkte oder Waren, einschließlich der für sein einwandfreies Funktionieren eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für den Menschen für folgende Zwecke bestimmt sind:

–        Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten;

–        Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen;

–        Untersuchung, Ersatz oder Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs;

–        Empfängnisregelung.

Die Wirkungsweise des Medizinprodukts im Sinne von § 3 Nr. 1 Abs. 2 kann durch pharmakologische oder immunologische Mittel oder metabolisch unterstützt werden, sofern die bestimmungsgemäße Hauptwirkung nicht durch diese Mittel erreicht wird.“

[19]

§ 19 dieses Gesetzes regelt die Grenzen für die Herstellung und den Vertrieb von Medizinprodukten. Nach § 19 Abs. 1 kann, wenn ein Medizinprodukt nicht dem Gesetz oder den auf seiner Grundlage erlassenen Bestimmungen und Vorgaben entspricht oder wenn es unberechtigterweise mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist, die Lääkelaitos (Nationale Arzneimittel-Agentur), die zum Zeitpunkt des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens die zuständige behördliche Stelle war, bevor ihre Aufgaben mit Wirkung vom 1. November 2009 auf die Lääkealan turvallisuus- ja kehittämiskeskus und die Sosiaali- ja terveysalan lupa- ja valvontavirasto übertragen wurden,

–        dem Hersteller aufgeben, die Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, damit das Produkt dem Gesetz oder den aufgrund des Gesetzes erlassenen Bestimmungen und Vorgaben entspricht, oder

–        die Herstellung oder den Vertrieb des Medizinprodukts oder dessen sonstige Überlassung im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit untersagen.

Nach § 19 Abs. 3 finden diese Vorschriften auch Anwendung, wenn eine CE-Kennzeichnung an einem Produkt angebracht wurde, das kein Medizinprodukt ist.

Arzneimittelgesetz

[20]

Nach § 3 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (Lääkelaki) in seiner für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung bedeutet „Arzneimittel“ alle Stoffe, die bei innerlicher oder äußerlicher Anwendung Krankheiten oder deren Symptome bei Mensch oder Tier heilen, lindern oder verhüten sollen.

[21]

Nach § 3 Abs. 2 gelten als Arzneimittel auch alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die innerlich oder äußerlich angewendet einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder die Ursache der Erkrankung oder des Gesundheitszustands festzustellen.

[22]

§ 3 Abs. 3 sieht vor, dass in Zweifelsfällen, in denen ein Produkt unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition des Arzneimittels als auch unter die Definition eines anderen durch andere Vorschriften oder Unionsakte regulierten Präparats fällt, auf dieses Präparat vorrangig die für Arzneimittel geltenden Vorschriften anzuwenden sind.

[23]

Nach § 6 des Arzneimittelgesetzes entscheidet, soweit erforderlich, die Lääkelaitos, ob ein Stoff oder ein Präparat als Arzneimittel, als traditionelles pflanzliches Arzneimittel oder als homöopathisches Arzneimittel einzustufen ist.

[24]

Nach § 20a des Arzneimittelgesetzes setzt der öffentliche Verkauf einer pharmazeutischen Zubereitung oder jede andere Form ihrer Bereitstellung zum Verbrauch voraus, dass die Lääkelaitos diese Zubereitung genehmigt oder nach diesem Gesetz registriert hat oder dass eine hierfür zuständige Einrichtung mit Sitz in der Union das Inverkehrbringen genehmigt hat.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

[25]

Gynocaps ist eine Vaginalkapsel mit lebenden Milchsäurebakterien zur Wiederherstellung des Gleichgewichts der die Vagina normalerweise schützenden Bakterienflora. Das Präparat ist für Frauen jeden Alters bestimmt und kann während der Schwangerschaft und Stillzeit angewendet werden.

[26]

Bis 2008 wurde Gynocaps in Finnland als mit einer CE-Kennzeichnung versehenes „Medizinprodukt oder Zubehör“ vertrieben. Diese Kapsel wird derzeit als ein mit CE-Kennzeichnung versehenes „Medizinprodukt oder Zubehör“ auch in einer Reihe anderer Mitgliedstaaten, insbesondere im Königreich Spanien, in der Französischen Republik, der Italienischen Republik und der Republik Österreich vertrieben.

[27]

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat sich nicht eigens zur Einstufung von Vaginalpräparaten geäußert, die wie Gynocaps lebende Milchsäurebakterien enthalten. Sie hat jedoch die Auffassung vertreten, dass ein Milchsäurebakterien enthaltender gynäkologischer Tampon aufgrund seines Zwecks und seiner Wirkungen die Voraussetzungen erfülle, um einen solchen Tampon als Humanarzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83 einstufen zu können.

[28]

Die Lääkelaitos wurde über den Vertrieb eines lebende Milchsäurebakterien enthaltenden und daher mit Gynocaps vergleichbaren Vaginalpräparats unterrichtet.

[29]

Aufgrund dieser Information ging die Lääkelaitos davon aus, dass Gynocaps wegen seiner Zusammensetzung und seines Wirkungsmechanismus kein Medizinprodukt, sondern ein als Arzneimittel verwendbares Präparat sei. Nach Auffassung der Lääkelaitos wird die Hauptwirkung einer lebende Milchsäurebakterien enthaltenden Vaginalkapsel wie Gynocaps unter Berücksichtigung des vorgesehenen Anwendungsgebiets aufgrund eines pharmakologischen und metabolischen Wirkungsmechanismus erzielt. Das Präparat beeinflusse bestimmte physiologische Funktionen, korrigiere sie oder stelle sie wieder her. Um ein solches Produkt zu verkaufen und zu bewerben, sei daher eine Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel erforderlich.

[30]

Mit Entscheidung vom 14. November 2008 entschied die Lääkelaitos daher nach Anhörung der französischen Gesellschaft Laboratoires Lyocentre, die Gynocaps herstellt, aus eigener Initiative, dass Gynocaps als Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83 einzustufen sei. Infolgedessen war nunmehr eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erforderlich.

[31]

Am 11. Februar 2009 wurde die Entscheidung der Lääkelaitos der Kommission mitgeteilt. Die Lääkelaitos legte die Richtlinie 93/42 dahin aus, dass im Fall der unrechtmäßigen Anbringung der CE-Kennzeichnung das Schutzklauselverfahren des Art. 8 dieser Richtlinie nicht anwendbar sei, da es sich nicht um einen Fall einer Nichtkonformität im eigentlichen Sinne handele.

[32]

Laboratoires Lyocentre erhob gegen die Entscheidung der Lääkelaitos Klage zum Helsingin hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Helsinki), das die Klage mit u. a. der Begründung abwies, die Einstufung eines Erzeugnisses in einem Mitgliedstaat beispielsweise als Nahrungsmittel schließe nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht aus, dass dasselbe Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat als Arzneimittel eingestuft werde. Die Lääkelaitos habe Gynocaps in Finnland als Arzneimittel einstufen dürfen, auch wenn das Präparat in einer Reihe anderer Mitgliedstaaten der Union als Medizinprodukt vertrieben werde.

[33]

Laboratoires Lyocentre legte gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel zum Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) ein, mit dem sie sinngemäß insbesondere geltend machte, dass sich die Wirkungsweise von Gynocaps auf Wirkungen beschränke, die der Einführung lebender Milchsäurebakterien in den menschlichen Körper zuzuschreiben seien. Unter Berücksichtigung dieser Art der Wirkungsweise, die sich nicht aus einer unmittelbaren pharmakologischen oder anderen Wirkung auf den menschlichen Körper ergebe, dürfe die Gynocaps nicht als Arzneimittel eingestuft werden.

[34]

Unter diesen Umständen hat der Korkein hallinto-oikeus beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Schließt eine in einem Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie 93/42 vorgenommene Einstufung eines Präparats als mit einer CE-Kennzeichnung versehenes Medizinprodukt im Sinne dieser Richtlinie es aus, dass die zuständige nationale Behörde eines anderen Mitgliedstaats dieses Präparat aufgrund seiner pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkungen als Arzneimittel im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 einstuft?

2.      Falls die erste Frage verneint wird: Kann diese zuständige nationale Behörde das Präparat lediglich unter Einhaltung des Verfahrens nach der Richtlinie 2001/83 als Arzneimittel einstufen oder sind, bevor mit dem Verfahren zur Einstufung als Arzneimittel nach dieser Richtlinie begonnen wird, das Schutzklauselverfahren nach Art. 8 der Richtlinie 93/42 oder die Vorschriften über die unrechtmäßige Anbringung der CE-Kennzeichnung nach Art. 18 dieser Richtlinie zu befolgen?

3.      Schließen die Richtlinie 2001/83, die Richtlinie 93/42 oder das sonstige Unionsrecht (u. a. der Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen und der Verbraucherschutz) es aus, dass Präparate, die denselben Bestandteil enthalten und dieselben Wirkungsweisen haben, auf dem Gebiet ein und desselben Mitgliedstaats einerseits als Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83, die eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erfordern, und andererseits als Medizinprodukte im Sinne der Richtlinie 93/42 auf dem Markt sind?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

[35]

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in einem Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie 93/42 vorgenommene Einstufung eines Erzeugnisses als mit einer CE-Kennzeichnung versehenes Medizinprodukt es ausschließt, dass die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats dieses Präparat aufgrund seiner pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkungen als Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 einstufen.

[36]

Bezüglich des Begriffs „Arzneimittel“ enthält Art. 1 Nr. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/83 zwei Definitionen. Ein Erzeugnis ist ein Arzneimittel, wenn es unter die eine oder die andere dieser beiden Definitionen fällt (Urteil vom 9. Juni 2005, HLH Warenvertrieb und Orthica, C-211/03, C-299/03 und C-316/03 bis C-318/03, Slg. 2005, I-5141, Randnr. 49).

[37]

Nach der zweiten Definition dieses Begriffs in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 gelten als Arzneimittel „alle Stoffe oder Zusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen“.

[38]

Der Begriff „Medizinprodukt“ erfasst gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe oder anderen Gegenstände, die vom Hersteller zur Anwendung beim Menschen für die Zwecke der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.

[39]

Zum jeweiligen Anwendungsbereich dieser beiden Begriffe geht aus Art. 1 Abs. 5 Buchst. c der Richtlinie 93/42 hervor, dass diese Richtlinie nicht für Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83 gilt.

[40]

Darüber hinaus verlangt Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 in Zweifelsfällen die Anwendung dieser Richtlinie, indem er vorsieht, dass, wenn ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von „Arzneimittel“ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere unionsrechtliche Rechtsvorschriften geregelt ist, die Richtlinie 2001/83 über Arzneimittel zu gelten hat.

[41]

Infolgedessen ist ein Erzeugnis, das der Definition des Begriffs „Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 entspricht, als Arzneimittel anzusehen und kann nicht als Medizinprodukt im Sinne der Richtlinie 93/42 eingestuft werden.

[42]

Die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Funktionsarzneimittels im Sinne der Richtlinie 2001/83 fällt, haben die zuständigen nationalen Behörden, die unter der Kontrolle der Gerichte tätig werden, von Fall zu Fall zu treffen und dabei alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen –, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann (Urteile vom 15. Januar 2009, Hecht-Pharma, C-140/07, Slg. 2009, I-41, Randnr. 39, und vom 30. April 2009, BIOS Naturprodukte, C-27/08, Slg. 2009, I-3785, Randnr. 18).

[43]

Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung sind die pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften eines Erzeugnisses der Faktor, auf dessen Grundlage ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses zu beurteilen ist, ob es im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 im oder am menschlichen Körper zur Wiederherstellung, Korrektur oder Beeinflussung der physiologischen Funktionen angewandt werden kann (Urteil BIOS Naturprodukte, Randnr. 20).

[44]

Speziell zur Unterscheidung zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten schreibt Art. 1 Abs. 5 Buchst. c der Richtlinie 93/42 den zuständigen Behörden im Einzelnen vor, insbesondere der hauptsächlichen Wirkungsweise des Produkts Rechnung zu tragen. So ergibt sich aus Art. 1 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie, dass nur ein Produkt, dessen bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, als Medizinprodukt eingestuft werden kann.

[45]

Daher lässt es sich beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts kaum vermeiden, dass bei der Einstufung von Erzeugnissen im Kontext der Richtlinie 2001/83 Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen bleiben, solange die Harmonisierung der zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes erforderlichen Maßnahmen nicht vollständiger ist (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 6. November 1997, LTM, C-201/96, Slg. 1997, I-6147, Randnr. 24, und Hecht-Pharma, Randnr. 28).

[46]

Wie nämlich die Generalanwältin in Nr. 63 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, lässt sich mit Asymmetrien bei wissenschaftlichen Informationen, neuen wissenschaftlichen Entwicklungen oder unterschiedlichen Bewertungen der Gefahren für die menschliche Gesundheit und des gewünschten Schutzniveaus erklären, dass von den zuständigen Behörden zweier Mitgliedstaaten unterschiedliche Entscheidungen in Bezug auf die Einstufung eines Erzeugnisses getroffen werden.

[47]

Der Umstand, dass ein Erzeugnis in einem Mitgliedstaat nach der Richtlinie 93/42 als Medizinprodukt eingestuft wird, verwehrt es daher nicht, ihm in einem anderen Mitgliedstaat die Eigenschaft eines Arzneimittels im Sinne der Richtlinie 2001/83 zuzuerkennen, wenn es die entsprechenden Merkmale aufweist (vgl. entsprechend Urteile vom 29. April 2004, Kommission/Österreich, C-150/00, Slg. 2004, I-3887, Randnr. 60, und HLH Warenvertrieb und Orthica, Randnr. 56).

[48]

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die in einem Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie 93/42 vorgenommene Einstufung eines Erzeugnisses als mit einer CE-Kennzeichnung versehenes Medizinprodukt es nicht ausschließt, dass die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats dieses Präparat aufgrund seiner pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkungen als Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 einstufen.

Zur zweiten Frage

[49]

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, um ein in einem anderen Mitgliedstaat bereits nach der Richtlinie 93/42 als mit einer CE-Kennzeichnung versehenes Medizinprodukt eingestuftes Erzeugnis als Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83 einzustufen, vor Durchführung des in der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen Einstufungsverfahrens das Verfahren nach Art. 8 beziehungsweise das nach Art. 18 der Richtlinie 93/42 anwenden müssen.

[50]

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich aus Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 ausdrücklich ergibt, dass unbeschadet des Art. 8 dieser Richtlinie die Bestimmungen dieses Art. 18 in den Fällen gelten, in denen die CE-Kennzeichnung nach den Verfahren dieser Richtlinie unzulässigerweise an Erzeugnissen angebracht wurde, die nicht unter diese Richtlinie fallen.

[51]

Daher ist zu prüfen, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die CE-Kennzeichnung, die an einem Erzeugnis, das in einem anderen Mitgliedstaat bereits als Medizinprodukt eingestuft wurde und das die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats als Arzneimittel einzustufen beabsichtigen, angebracht wurde, als im Sinne von Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 unzulässigerweise angebracht anzusehen ist.

[52]

Aus der Antwort auf die erste Vorlagefrage ergibt sich insoweit, dass der Umstand, dass ein Präparat in einem Mitgliedstaat als Medizinprodukt eingestuft wird, es nicht ausschließt, dass die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats beschließen, ein identisches Präparat als Arzneimittel einzustufen.

[53]

Sobald die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, die unter eventueller Kontrolle durch die Gerichte tätig werden, beschließen, ein in einem anderen Mitgliedstaat bereits als Medizinprodukt eingestuftes Erzeugnis als Arzneimittel einzustufen, müssen sie die auf dem fraglichen Erzeugnis nach seiner Einstufung als Medizinprodukt angebrachte CE-Kennzeichnung als unzulässigerweise angebracht ansehen. Nach ihrer Entscheidung stellt sich die fragliche Kennzeichnung nämlich so dar, dass sie auf einem Produkt angebracht wurde, das nicht unter die Richtlinie 93/42 fällt.

[54]

Daraus folgt, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die Verfahrensvorschriften des Art. 18 und nötigenfalls sogar die des Art. 8 der Richtlinie 93/42 angewandt werden müssen.

[55]

Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, um ein in einem anderen Mitgliedstaat bereits nach der Richtlinie 93/42 als mit einer CE-Kennzeichnung versehenes Medizinprodukt eingestuftes Erzeugnis als Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83 einzustufen, vor Durchführung des in der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen Einstufungsverfahrens das Verfahren nach Art. 18 und nötigenfalls sogar das nach Art. 8 der Richtlinie 93/42 anwenden müssen.

Zur dritten Frage

[56]

Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass die Entscheidung der Lääkelaitos, Gynocaps die Einstufung als Medizinprodukt zu entziehen, um es sodann als Arzneimittel einzustufen, offensichtlich dadurch begründet war, dass in Finnland ein anderes, mit Gynocaps zwar nicht völlig identisches Erzeugnis, das aber denselben Bestandteil wie Gynocaps enthält und dieselbe Wirkungsweise wie dieses hat, bereits als Arzneimittel vertrieben wurde. Laboratoires Lyocentre macht jedoch geltend, dass dies eine solche Entscheidung nicht rechtfertige.

[57]

In Anbetracht genau dieses Kontexts des Ausgangverfahrens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in ein und demselben Mitgliedstaat ein Erzeugnis, das mit einem anderen als Arzneimittel eingestuften Erzeugnis zwar nicht identisch ist, aber denselben Bestandteil wie dieses enthält und die gleiche Wirkungsweise wie dieses hat, als Medizinprodukt nach der Richtlinie 93/42 vertrieben werden kann.

[58]

Soweit ein anderes Erzeugnis mehrere erhebliche Eigenschaften von den in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 genannten aufweist, nämlich das Vorhandensein desselben Bestandteils und dieselbe Wirkungsweise wie das bereits als Arzneimittel eingestufte Erzeugnis, müsste es grundsätzlich auch als Arzneimittel eingestuft und in Verkehr gebracht werden. Vor diesem Hintergrund ist es Sache des vorlegenden Gerichts, im Rahmen der Einzelfallprüfung, von der in Randnr. 42 des vorliegenden Urteils die Rede ist, zu prüfen, ob eine andere im Hinblick auf Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 relevante Eigenschaft eines solchen Erzeugnisses es nicht ausschließt, dass dieses als Arzneimittel eingestuft und als solches in Verkehr gebracht wird.

[59]

Im Übrigen ist zu beachten, dass nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von „Arzneimittel“ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere unionsrechtliche Rechtsvorschriften geregelt ist, das Erzeugnis als Arzneimittel einzustufen ist.

[60]

Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass in ein und demselben Mitgliedstaat ein Erzeugnis, das mit einem anderen als Arzneimittel eingestuften Erzeugnis zwar nicht identisch ist, aber denselben Bestandteil wie dieses enthält und dieselbe Wirkungsweise wie dieses hat, grundsätzlich nicht als Medizinprodukt nach der Richtlinie 93/42 vertrieben werden kann, es sei denn, eine andere im Hinblick auf Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 relevante Eigenschaft verlangt, dass es als Medizinprodukt eingestuft und vermarktet wird, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Kosten

[61]

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die in einem Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte in der durch die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 geänderten Fassung vorgenommene Einstufung eines Erzeugnisses als mit einer CE-Kennzeichnung versehenes Medizinprodukt schließt es nicht aus, dass die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats dieses Präparat aufgrund seiner pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkungen als Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 geänderten Fassung einstufen.

2.      Die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats müssen, um ein in einem anderen Mitgliedstaat bereits nach der Richtlinie 93/42 in der durch die Richtlinie 2007/47 geänderten Fassung als mit einer CE-Kennzeichnung versehenes Medizinprodukt eingestuftes Erzeugnis als Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83 in der durch die Verordnung Nr. 1901/2006 geänderten Fassung einzustufen, vor Durchführung des in der Richtlinie 2001/83 in der durch die Verordnung Nr. 1901/2006 geänderten Fassung vorgesehenen Einstufungsverfahrens das Verfahren nach Art. 18 und nötigenfalls sogar das nach Art. 8 der Richtlinie 93/42 in der durch die Richtlinie 2007/47 geänderten Fassung anwenden.

3.      In ein und demselben Mitgliedstaat kann ein Erzeugnis, das mit einem anderen als Arzneimittel eingestuften Erzeugnis zwar nicht identisch ist, aber denselben Bestandteil wie dieses enthält und dieselbe Wirkungsweise wie dieses hat, grundsätzlich nicht als Medizinprodukt nach der Richtlinie 93/42 in der durch die Richtlinie 2007/47 geänderten Fassung vertrieben werden, es sei denn, eine andere im Hinblick auf Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 relevante Eigenschaft verlangt, dass es als Medizinprodukt eingestuft und vermarktet wird, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Unterschriften

* Verfahrenssprache: Finnisch.

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