OLG Frankfurt: Produkthaftung und fehlende CE-Kennzeichnung Medizinprodukt

  1. Eine Herstellerhaftung folgt nicht bereits ohne Weiteres daraus, dass ein Medizinprodukt keine CE-Kennzeichnung trägt. Auch wenn es sich bei einem Verstoß gegen § 6 MPG um eine Schutzgesetzverletzung handeln dürfte, hat der Anspruchsteller  die Ursächlichkeit des Verstoßes für den eingetretenen Schaden und das Verschulden des Anspruchsgegners zu beweisen.
  2. Aus der allgemeinen Erfahrung, dass Implantate, die für eine lebenslange Nutzung ausgelegt sind, bei gewöhnlicher Belastung nicht innerhalb weniger Wochen brechen, kann im Wege des Anscheinsbeweises geschlossen werden, dass das Implantat im konkreten Fall den konstruktiven Anforderungen hinsichtlich der Bruchsicherheit nicht entsprach und deshalb brach.
OLG Frankfurt, Urteil v. 13.01.2015 – 8 U 168/13
Instanzen:
LG Frankfurt, Urt. v. 03.07.2013 - 2-4 O 111/06
MPG § 6 Abs. 1, ProdHaftG § 1, BGB § 823 Abs. 2
Andere Fundstellen: GesR 2015, 276; OLG Report Mitte 7/2015 Anm. 3; jurisPR-MedizinR 4/2015 Anm. 1; MPR 2015, 101 m. Anm. Oeben


Gründe:

I. Der Beklagte zu 1 belieferte die Beklagte 2 des ersten Rechtszugs (A-Klinik, O1, welche am Berufungsrechtsstreit nicht beteiligt ist) mit Titan-Cages, die er durch seine Streithelferin, die Nebenintervenientin, hatte produzieren lassen.

Die Ärzte der Beklagten zu 2 setzten der Klägerin nach einem Bandscheibenvorfall (zwischen dem 6. und 7. HW) am … 2004 einen vom Beklagten zu 1 vertriebenen und gelieferten Cage („… Cage Nr …“) ein, für den keine CE-Kennzeichnung vorlag.

Die Klägerin wurde zunächst schmerz- und beschwerdefrei.

Im … (Folgemonat) 2004 brach der eingesetzte Cage an mehreren Stellen. Er konnte deswegen die Halswirbel 6 und 7 nicht mehr auseinander halten. Die Klägerin litt unter Schmerzen und musste sich am … 2005 einer Revisionsoperation unterziehen.

Mit der Behauptung, nach der Revisionsoperation seien Beschwerden verblieben und sie leide bis heute physisch und psychisch an den Folgen des Cage-Bruches, hat die Klägerin in erster Instanz von beiden (dort) Beklagten als Gesamtschuldnern begehrt:

Materiellen Schadensersatz (wegen behauptet fortdauernder Einschränkung der Haushaltsführung seit 2.2.2005, errechnet und als Leistungsantrag geltend gemacht bis 28.2.2006) i.H.v. 8.780 €, daneben Anwaltskosten (811,88 €); ein unbeziffertes Schmerzensgeld, welches die Klägerin zunächst in Höhe 20.000 € und später (erstinstanzlicher Schriftsatz vom 24.4.2013, S. 4/Bl. 613 d.A.) i.H.v. 50.000 € als angemessen erachtet hat; eine unbezifferte („angemessene“) monatliche Schmerzensgeldrente ab dem 1.4.2006, wobei der Wertvorstellung in der Klageschrift (12.000 €) zu entnehmen ist, dass der Klägerin ein Monatsbetrag von 200 € vorschwebte, was ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Senatsverhandlung bestätigt hat, sowie die Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihr vorbehaltlich eines Forderungsübergangs sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr auf Grund des Cage-Bruches künftig entstehen, (erstinstanzlich angenommenes Interesse: 5.000 €).

Die Beklagten haben sich gegen die Inanspruchnahme verteidigt.

Das LG hat Beweis erhoben durch Einholung von schriftlichen Sachverständigengutachten (B, TU O2 – Staatliche Materialprüfungsanstalt; C, D-Klinik O3) und die mündliche Anhörung des Sachverständigen B.

Durch das Grund- und Teilurteil vom 3.7.2013 hat das LG gegen beide Beklagten die begehrte Feststellung ausgesprochen und die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 630 ff. d.A.) Bezug genommen.

Während die Beklagte zu 2 ihre Verurteilung hat rechtskräftig werden lassen, hat der Beklagte zu 1 Berufung eingelegt mit dem Ziel der Abänderung und Klageabweisung, soweit die Klage gegen ihn gerichtet ist.

Die Berufung des Beklagten zu 1 rügt im Wesentlichen, das LG habe die Frage der konstruktiven Produktsicherheit fehlerhaft zum Nachteil des Beklagten zu 1 entschieden, das LG habe übersehen, dass das (Fort-)Bestehen von Schäden vom Beklagten zu 1 in seiner Klageerwiderung bestritten worden sei und das LG sei zu Unrecht von der Herstellereigenschaft des Beklagten zu 1 ausgegangen.

Der Beklagte zu 1 beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, soweit sie gegen ihn gerichtet ist.

Die Klägerin beantragt die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Standpunkte. Im Hinblick auf den Streitwert des Berufungsverfahrens verweist sie auf eine Klageerweiterungsschrift vom 20.1.2014, auf Grund derer im erstinstanzlich betriebenen Betragsverfahren inzwischen von einem Wert von 143.180 € auszugehen sei (vgl. Bl. 785 ff. d.A.).

Der Senat hat Beweis erhoben durch die mündliche Anhörung des Sachverständigen C, für die auf die Verhandlungsniederschrift vom 5.8.2014 (Bl. 761 ff. d.A.) verwiesen wird. Der Senat hat in der gleichen Verhandlung zu mehreren Punkten Hinweise erteilt (Bl. 763 d.A.). Anträgen des Beklagtenvertreters aus dieser Verhandlung und aus dem Schriftsatz vom 13.8.2014 ist der Senat nicht nachgekommen. Während des Laufs der Frist nach § 128 Abs. 2 S. 2 ZPO oder danach haben die Parteien keine weiteren Erklärungen abgegeben.

II. Die Berufung ist zurückzuweisen. Sie ist unbegründet.

1) Das angefochtene Urteil ist ein zulässiges Teilendurteil (§ 301 Abs. 1 ZPO), soweit es die begehrte Feststellung ausspricht. Das angefochtene Urteil ist im Übrigen ein Zwischenurteil über den Grund und als solches zulässig, weil es den Prozessstoff (soweit nicht auf Feststellung gerichtet) dem Grunde nach vollständig erledigt.

2) Der Beklagte haftet nicht auf Grund des Umstands, dass er gegen § 6l MedProdG verstoßen hat, indem er den Cage ohne CE-Kennzeichnung in Verkehr brachte, der Cage infolge dessen nicht verkehrsfähig war. Es dürfte sich hierbei zwar um eine Schutzgesetzverletzung i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB handeln (so ausdrücklich, wenngleich ohne Begründung, Lippert in: Deutsch u.a., Kommentar zum MPG, 2. Aufl. 2010, § 6 MPG Rz. 9). Auch dann hat der Anspruchsteller jedoch grundsätzlich die Ursächlichkeit des Verstoßes für den eingetretenen Schaden und das Verschulden des Anspruchsgegners zu beweisen, wobei ihm allerdings Beweiserleichterungen zu Gute kommen können, für die Ursächlichkeitsfrage in Gestalt eines Anscheinsbeweises oder, in engen Grenzen, einer Beweislastumkehr, wenn Wesen und Inhalt der materiellen Schutznorm und der in ihr enthaltenen Verhaltensanweisung es gebieten, dem Schädiger aufgrund einer von ihm geschaffenen unklaren Beweislage die Sachverhaltsaufklärung und ihre Risiken aufzuerlegen (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.1984 – III ZR 20/83, MDR 1985, 1774).

Eine unklare Beweislage hat der Beklagte zu 1 durch den aus Sicht des Senats fraglos schuldhaften Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht nicht geschaffen. Denn die behauptete Fehlerhaftigkeit des Cages ist unabhängig von einer CE-Zertifizierung noch aufklärbar (vgl. im Übrigen § 6 Ziff. 4 MedProdG).

Der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Gesetzesverstoß (Inverkehrbringen ohne CE-Kennzeichnung) und dem konkreten Schaden (Bruch des Cages, Folgeschäden) lässt sich indes nicht herstellen und zwar auch nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises. Dem Senat ist kein Erfahrungssatz bekannt, nach dem der konkrete Schadenseintritt bei der Klägerin eine typische Folge des Haftungsgrundes, nämlich des Inverkehrbringens eines Medizinprodukts ohne CE-Zertifizierung, ist. Zwar soll das Erfordernis einer CE-Zertifizierung grundsätzlich und in erster Linie die Patienteninteressen (daneben auch die Anwender und Dritte) schützen, dieses aber in vielfältiger Weise, nämlich hinsichtlich der Konstruktion und der Fertigung eines Medizinprodukts und der Instruktion im Hinblick auf seine Verwendung. Warum eine Zertifizierung im Streitfall fehlte und ob sie gerade wegen behaupteter konstruktiver Defizite des Caches nicht beantragt oder erteilt wurde, ist nicht zu erkennen.

3) Soweit an einen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Nr. 1 MPG, § 823 Abs. 2 BGB zu denken ist, setzt das voraus, dass der begründete Verdacht bestand, der hergestellte Cage sei verwendungsuntauglich. Dass es sich so verhielt, ist nicht vorgetragen.

4) Die Haftung des Beklagten zu 1 folgt indes aus §§ 1 Abs. 1 S. 1, 8 ProdHaftG.

Zur Anspruchsbegründung nach dem Produkthaftungsgesetz kommt es, anders als die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils jedenfalls teilweise zu verstehen sein könnten, nicht auf das Verschulden eines in Anspruch genommenen Herstellers an; dieser trägt ggf. aber die Beweislast für einen Ausschlusstatbestand nach § 1 Abs. 2 oder 3 ProdHaftG (§ 1 Abs. 4 S. 2 ProdHaftG). Demgegenüber trägt nach der eindeutigen Regel des § 1 Abs. 4 S. 1 ProdHaftG der Geschädigte die Beweislast für den Fehler, den Schaden und den Ursachenzusammenhang.

Der Beklagte zu 1) ist nach Maßgabe des unstreitigen Sachverhalts und mit den vom LG getroffenen Wertungen (S. 4f der Urteilsgründe) ohne weiteres als Hersteller des Cages gem. § 4 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG anzusehen. Die Berufung greift dies zwar an, begründet aber ihre Auffassung, wonach sich dieses nicht schlüssig aus den vom LG festgestellten Tatsachen ergebe, nicht näher.

Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass der Cage fehlerhaft produziert war. Einen Material- oder Produktionsfehler hat der materialtechnische Sachverständige B nicht festzustellen vermocht (vgl. die Sitzungsniederschrift des LG vom 20.3.2013, Bl. 543 d.A.).

Der Cage war mangelhaft konstruiert (§ 4 Abs. 1 Buchst. b ProdHaftG). Er bot nicht die Sicherheit, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, berechtigterweise erwartet werden kann (§ 3 Abs. 1 Buchst. b ProdHaftG). Die Konstruktion des Cages war nicht geeignet, die erforderliche Bruchsicherheit für den Gebrauch im Bereich der Halswirbelsäule sicherzustellen.

Das materialtechnische Gutachten (B) belegt hierzu, dass es sich um einen Bruch auf Grund zyklischer Belastung handelte und ferner, dass der Cage, weil es zu dem Bruch kam, einer höheren Belastung ausgesetzt war, als es seine Beanspruchbarkeit zuließ (vgl. Prot. vom 20.3.2013, Bl. 543 d.A.).

Zwar hat das LG keine Feststellungen dazu getroffen, welchen Anforderungen hinsichtlich der Bruchsicherheit ein solcher Cage zur Verwendung in der Halswirbelsäule grundsätzlich zu genügen hat. Auf solche Feststellungen kann jedoch verzichtet werden, weil zugunsten der Klägerin ein Anscheinsbeweis für die Fehlerhaftigkeit streitet. Auch im Produkthaftungsrecht finden die allgemeinen Grundsätze des Deliktsrechtes und damit auch die Beweiserleichterungsregeln des Anscheinsbeweises für Ursachen und/oder Folgen typischer Geschehensabläufe Anwendung (vgl. Foerste in: Foerste/Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, 3. Aufl. 2012, § 30 ProdHaftG Rz. 12 ff.).

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins (nur) bei typischen Geschehensabläufen anwendbar, das heißt in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist. Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer bestimmten Tatsache für einen bestimmten Erfolg bei allen Sachverhalten dieser Fallgruppe notwendig immer vorhanden ist; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BGH, Urt. v. 5.4.2006 – VIII ZR 283/05, MDR 2006, 1246 = NJW 2006, 2262).

Schon nach dem äußeren Verlauf des Geschehens kommt eine solche Typizität jedenfalls in Betracht. Immerhin wurde die Klägerin nach der Implantation rasch beschwerdefrei, bis nach wenigen Wochen der Bruch des Cages eintrat. Auch der Umstand, dass der Beklagte auf eine CE-Zertifizierung verzichtet hatte, kann hierbei insoweit herangezogen werden, als sich daraus jedenfalls ergibt, dass er die Konstruktion seines Produkts einer entsprechenden Prüfung nicht unterzogen hat.

Der Sachverständige C hat dem Senat mitgeteilt, dass ein Cage der hier … 2004 implantierten Art eine lebenslange Nutzungsdauer habe und dass es sich bei der Einbringung eines solchen Cages, heute überwiegend – wie hier – in Titan ausgeführt, um ein Standardverfahren der Neurochirurgie aus den 90er Jahren handele. Davon ausgehend, dass der materialtechnische Sachverständige den Bruch des Cages darauf zurückführt, dass dieser den aufgetretenen Belastungen nicht widerstand, und auf Grund der allgemeinen Erfahrung, dass Implantate, die hinreichend belastungsfest für eine lebenslange Nutzung ausgelegt sind, bei gewöhnlicher Belastung nicht innerhalb weniger Wochen brechen, schließt der Senat, dass der vom Beklagten zu 1 hergestellte Cage diesen konstruktiven Anforderungen nicht entsprach.

Die ernsthafte Möglichkeit, dass es zu dem Bruch nicht mangels genügender Bruchfestigkeit, sondern in Folge eines Fehlers bei der Implantation kam, ist nicht anzunehmen. Der Beklagte hat sich insofern auf eine Fehlplatzierung des Cages bei der Operation dergestalt berufen, dass dieser zu weit nach ventral (bauchseits) herausragend eingesetzt worden sei und daraus gefolgert, dass er einer höheren als der zu erwartenden Belastung ausgesetzt worden sei. Das erscheint nicht ernsthaft möglich, weil die beiden vorliegenden, postoperativ gefertigten Röntgenbilder vom … 2004 einen so zu beschreibenden Zustand nicht wiedergeben. Davon hat sich der Senat in der mündlichen Verhandlung durch Augenscheinseinnahme überzeugen können, unterstützt durch den Sachverständigen C. Dieser hat, mit der zuvor genannten Beschreibung des Beklagten zu 1 konfrontiert, die vorliegenden Röntgenbilder erneut auch selbst in Augenschein genommen. Er konnte nicht nur die zuvor geschilderte Beschreibung des Beklagten zu 1 auf den vorhandenen Lichtbildern nicht erkennen, sondern blieb abermals und mit näherer Erläuterung bei seiner Einschätzung, dass die vorhandenen Röntgenbilder eine vollkommen korrekte, einwandfreie Platzierung des Cages dokumentierten, mit der eine Bruchgefahr der streitgegenständlichen Art in keiner Weise „vorprogrammiert“ gewesen sei.

Der Senat hat in dem Zusammenhang keinen Anlass gesehen, die Beklagte zu 2 des ersten Rechtszugs auf die Anträge des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 vom 5.8.2014 und vom 13.8.2014 aufzufordern, weitere Röntgenaufnahmen vorzulegen. Der Anordnung, glaubhaft zu machen, dass es weitere postoperative Röntgenaufnahmen der Klägerin gebe, die eine deutlich ventral hervorragende Platzierung des Cages dokumentierten (Senat, Beschl. v. 16.9.2014, Bl. 809f d.A.), ist der Beklagte zu 1 nicht nachgekommen (vgl. den Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 10.10.2014, Bl. 823f d.A.). Einer solchen Glaubhaftmachung hätte es bedurft, nachdem sich seit 27.12.2007 insgesamt 15 Röntgenaufnahmen der Klägerin bei den Akten befinden, davon zwei unmittelbar postoperativ am … 2014 gefertigte, und weil der Senat keinen Anhalt dafür hat, dass sich eine weitere postoperative Röntgenaufnahme der Klägerin in Händen der Beklagten zu 2 des ersten Rechtszuges befindet, die eine postoperative Fehlplatzierung des Cages dokumentiere könnte. So findet sich in den Behandlungsunterlagen, die die Beklagte zu 2 des ersten Rechtszugs zu den Akten gereicht hat, im Hinblick auf die unmittelbare postoperative Situation auch lediglich ein Befund der Instituts für Neuroradiologie der Beklagten zu 2 vom … 2004 (Folgetag) betreffend „Röntgenaufnahmen der HWS“ der Klägerin „in 2 Ebenen vom … 2004 (Folgetag)“ (im Anlagenkonvolut „Krankenakten“), womit exakt die beiden Röntgenaufnahmen beschrieben sind, die dem Senat und dem Sachverständigen vorlagen, nicht aber Hinweise auf die Anfertigung weiterer Röntgenaufnahmen unmittelbar postoperativ. Der Sachverständige C hat außerdem beizutragen vermocht, dass er sich nicht vorstellen könne, dass ein Cage, der einwandfrei implantiert worden sei, so wie das auf den vorliegenden Bildern vom … 2004 (Folgetag) zu sehen sei, nach kurzer Zeit verrutsche. Der Stellungnahme des Prozessbevollmächtigen des Beklagten zu 1 vom 10.10.2014 insoweit folgend, als dieser nicht ausschließen will, möglicherweise eine Röntgenaufnahme gesehen zu haben, die nicht den postoperativen Zustand der Klägerin, sondern den eines anderen Patienten zeigte, ergibt sich aus alledem kein Anhaltspunkt dafür, dass bei der Klägerin ernsthaft die Möglichkeit einer intraoperativen Fehlplatzierung des Cages in Betracht zu ziehen ist.

Soweit der Beklagte zu 1 behauptet und behauptet hat, E habe in seinem Auftrag Materialprüfungen vorgenommen, ist dieser Vortrag auch nach dem Hinweis des Senats vom 5.8.2014 (ungeachtet etwaiger Verspätung) unerheblich, weil ohne erforderliche Substanz geblieben. Wie der Auftrag des E lautete, welcher Art die Tests waren, welche Vorgaben abgeprüft wurden und mit welchem Ergebnis, legt der Beklagte zu 1 nicht dar. Auch ein Gutachten des E wurde nicht vorgelegt. Aus den in der Berufungsinstanz präsentierten Grafiken (Bl. 688 ff. d.A.) erschließt sich für den Senat kein weiterer Informationsgehalt. Der Beklagte zu 1 kann sich insoweit auch nicht auf Darlegungserleichterungen etwa der Art berufen, wie sie Patienten im Arzthaftungsprozess für medizinische Fragen zuzugestehen sind, weil es um technische Fragen geht, für die er sich als Hersteller eines Produkts nicht mit Aussicht auf Erfolg auf strukturelle Informationsdefizite berufen kann.

5) Der Beklagte zu 1) hat zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten, dass die Klägerin nach der Revisions-Operation vom … 2005 weiterhin an den behaupteten körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen leidet. Das steht der Annahme eines Feststellungsinteresse wegen der vorliegenden Verletzung eines absoluten Rechtsguts nicht entgegen, weil damit auch eine nur entfernt mögliche künftige Schadensfolge ausreicht, auf deren Wahrscheinlichkeit es nicht ankommt (vgl. Zöller/Greger § 256 Rz. 9 m.w.N.). Dass es zukünftig zu weiteren Schäden kommen kann, steht außer Frage.

Es besteht ferner die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die geltend gemachten weiteren Ansprüche (Schmerzensgeld als Kapital und/oder Rente, bezifferte materielle Schadensersatzforderung) in irgend einer Höhe bestehen, nachdem die Klägerin sich wegen des Cage-Bruches einer Re-Operation mit ventraler Verplattung unterziehen musste.

Der Beklagte zu 1 hat die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Nebenintervention zu tragen (§§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO).

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO).

Der Wert des Berufungsverfahrens beträgt in Ansehung der geänderten Vorschriften des Gerichtskostengesetzes für den Wert von Rentenanträgen unter Zugrundelegung der erstinstanzlichen klägerischen Interessen 72.180 €, gebildet aus materieller Schadensersatzforderung (8.780 €), Schmerzensgeldkapital (50.000 €), Schmerzensgeldrente (8.400 €, vgl. §§ 48 Abs. 1 GKG n.F., 9 ZPO) und dem Feststellungsinteresse (5.000 €). Die erweiterten klägerischen Interessen, wie sie im Betragsverfahren nunmehr verfolgt werden, finden entgegen der Vorstellung des Klägervertreters hierbei keine Berücksichtigung, weil der Streitgegenstand der Berufung gegenüber dem Wert des ersten Rechtszugs nicht erweitert wurde (§ 47 Abs. 2 GKG).

Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung sind nicht gegeben.

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