Hessisches Finanzgericht: Zolltarifliche Einordnung eines Rückenstützgurtes

Ein Rückenstützgurt mit einsetzbarer Pelotte und thermoplastischer Einlage, dessen Einsatz eine individuelle Anpassung erfordert und dessen gesundheitsfördernde Wirkung nicht allein von der Elastizität des Gewebes hervorgerufen wird ist in die Position 9021 der Kombinierten Nomenklatur einzuordnen.

Hessisches Finanzgericht, Urteil v. 18.09.2003 – 7 K 4004/02 (nicht rechtskräftig)
EG-VO Nr. 834/95
KN 9021


Die zum Gegenstand des Klageverfahrens gemachte verbindliche Zolltarifauskunft der Beklagten … vom 26. November 1999 (Rückenstützgurt) wird aufgehoben.

Die Beklagte wird zur Erteilung einer neuen verbindlichen Zolltarifauskunft verpflichtet, mit der der Rückenstützgurt sog. ..., Rückenbandage, durch Zusammennähen konfektioniert, überwiegend aus bis zu 1,5 mm dicken, elastischen durchbrochenen Spinnstoffgewirken mit ca. 87 cm Länge und 23 cm Breite bestehend, vorn mit einem Klettverschluss zu schließen und außen mit zwei zusätzlichen, zugelastischen Bändern aus Gewirken versehen, die nach vorn gezogen, gespannt und auf dem Klettverschlussteil befestigt werden können, wobei sich in der (rückwärtigen) Mitte ein schmaler eingenähter Kunststoffstab befindet und im Rückenteil eine sogenannte Pelottentasche vorgesehen ist, in die Position 9021 der Kombinierten Nomenklatur eingereiht wird.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Beteiligten streiten um die zolltarifliche Einordnung eines überwiegend aus elastischen Material bestehenden Rückenstützgurtes mit einem im rückwärtigen Teil eingenähten starren Kunststoffstab und einer Pelottentasche in die Pos. 9021 der kombinierten Nomenklatur.

Die Klage ist begründet, denn der streitgegenständliche Rückenstützgurt ist in Anwendung der dem entscheidenden Senat durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorgegebenen Kriterien in die Position 9021 KN einzureihen.

Da die streitige Ware weder in den Positionen der Kombinierten Nomenklatur noch in den Anmerkungen zu ihren Abschnitten oder Kapiteln ausdrücklich genannt ist, hat der Gerichtshof aus den in den Erläuterungen zum Harmonisierten System enthaltenen Hinweisen die Abgrenzungskriterien entwickelt, die für die Entscheidung des konkreten Falles nunmehr anzuwenden sind. Dabei leitet der Gerichtshof aus den Erläuterungen zum Harmonisierten System ab, dass zu Kapitel 90 KN eine Reihe von Instrumenten und Apparaten gehörten, die sich im allgemeinen vor allem durch ihre sorgfältige Fertigung und ihre große Präzision kennzeichneten. So zeigten auch die Erläuterungen zu Position 9021 KN, dass dort keine gewöhnlichen Waren eingereiht werden dürften, also einfache Waren, denen die Kennzeichen fehlten, die in der Erläuterung I zu Position 9021 erwähnt werden.

Nach dieser Erläuterung wird für einige der in der Auflistungen enthaltenen Beispiele gefordert, dass die fragliche Ware maßgerecht gefertigt sein müsse. Dies gilt z.B. für orthopädische Schuhe und Spezialeinlagen. Für die meisten aufgezählten Waren hingegen sei dieses Erfordernis einer maßgerechten Anfertigung nicht vorgesehen.

So werde für die medizinisch chirurgischen Korsette und Gürtel in der Erläuterung I zu Position 9021 ausgeführt, dass zu dieser Position diejenigen gehörten, die sich durch Komponenten kennzeichnen, die den Bedürfnissen des Patienten angepasst werden können. Der Gerichtshof zitiert insoweit wörtlich die unter 20.1 enthaltene Erläuterung, wonach die spezielle Konzeption dieser Waren einer bestimmten orthopädischen Funktion entspricht, woraus sich dann die Unterscheidung zu den gewöhnlichen Korsetten und Gürteln ergibt.

Der Gerichtshof hält es hinsichtlich der Frage, wann die Anpassung an Funktionsschäden erfolgt, für nicht ausschlaggebend, ob dies bereits bei der Herstellung der Ware der Fall ist. Bei vorgefertigten Waren kann es auch später, insbesondere bei ihrem Einsatz, mit Hilfe besonderer Mechanismen, die die Ware hierfür vorsieht, erfolgen. Dabei genügt es sogar, dass der Patient selbst diese Anpassung vornimmt.

Den vorstehend aufgezeigten Vorgaben sowie den Kriterien, wie sie sich aus dem Leitsatz der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ergeben, entspricht der Rückenstützgurt.

Nach den von der Klägerin vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen wird der Rückenstützgurt zur Entlastung der Muskulatur und entsprechenden Abstützung bei lumboischialgieformen Beschwerden sowie nach Bandscheibenoperationen eingesetzt. Bandscheibenoperationen und Rückenbeschwerden insgesamt stellen nicht nur eine schmerzhafte Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens dar, sondern führen auch zu einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit des Rückgrades und damit der Bewegungsmöglichkeiten. Der stets ärztlich verordnete Rückenstützgurt gibt insbesondere bei Verwendung der thermoelastischen Pelotte der Wirbelsäule Halt. Es kommt hinzu, dass die Zusammensetzung des für diesen Rückentstützgurt verwendeten Materials diesen Körperbereich wärmt, ohne dass sich zwischen dem Stützgurt und der Haut Feuchtigkeit ansammeln kann. Die Wärme wiederum trägt maßgeblich zum Heilungsprozess bei. Die stützende und haltende Wirkung des Gurtes und der Pelotte vermindern die Schmerzen, sodass dadurch die Bewegungsfreudigkeit einschließlich der Möglichkeit, trotz der Rückenbeschwerden Sport auszuüben, gefördert wird.

Dies gilt in vergleichbarer Weise für den Rückenstützgurt mit eingesetzter Soft-Pelotte. Hier wirkt der durch die relativ starre Pelotte ausgeübte Druck im jeweiligen Bereich schmerzlindernd.

Die vorstehend beschriebenen Wirkungen könnten allein von der Elastizität des Gewebes nicht hervorgerufen werden.

Der Einsatz des Rückenstützgurtes fordert jeweils eine individuelle Anpassung. Dabei sieht der Senat in dem Rückenstützgurt und insbesondere der thermoplastischen Einlage eine Einheit. Die spezielle Konzeption dieses Rückenstützgurtes ist darauf ausgerichtet, dass er entweder mit der thermoplastischen Pelotte oder aber mit der Soft-Pelotte verwendet wird. Eine starre Verbindung insbesondere mit der thermoplastischen Einlage ist schon deswegen ausgeschlossen, weil diese zunächst erhitzt werden muss, um sie dann den jeweiligen Körperkonturen des Patienten anpassen zu können. Die hierfür erforderliche Temperatur würde das Gewebe des Rückenstützgurtes beeinträchtigen. Da je nach Fortschritt des Genesungsprozesses dann anstelle der thermoplastischen Einlage die Soft-Pelotte zum Einsatz kommen kann, macht es Sinn, diese ebenfalls einzeln bereit zu halten. Für ihren Einsatz ist es zwar nicht erforderlich, sie vorher zu erhitzen, wäre sie aber fest in den Rückenstützgurt eingenäht, so müsste ggf. ein zweiter kompletter Rückenstützgürtel beschafft werden. Diese zusätzliche finanzielle Belastung der Sozialsysteme ist durch die Kombinationsmöglichkeit vermeidbar.

Der Senat hält es insoweit nicht für schädlich, falls dieser Rückenstützgurt außerhalb des medizinisch indizierten Einsatzes evtl. ohne Verwendung einer der beiden Pelotten getragen wird, denn dies ist nicht der Einsatzbereich, zu dem die jeweilige Verschreibung erfolgt.

Weder die Pelotte noch der Zuggurt haben die Aufgabe zu verhindern, dass der Rückenstützgurt als solcher nachgibt oder sich aufrollt. Die Wirkung von Pelotte und Zuggurt sind mithin auf den Körperteil und nicht auf das elastische Gewebe ausgerichtet.

Soweit die Kommission in der von der Beklagten mitgeteilten vorgesehenen Ergänzung zu der Verordnung (EG) Nr. 834/95 unter anderem darauf abstellt, dass die Ware kein hohes Maß an Präzision aufweise, stellt dies einen Gesichtspunkt dar, der jedenfalls nach der hier vorliegenden und vom Senat zu beachtenden Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nicht maßgeblich ist.

Abschließend sei noch angemerkt, dass die Klägerin anscheinend den Delegationsbericht vom März 2003 missverstanden hat, denn die Mitglieder des Ausschusses für den Zollkodex hatten sich insoweit nicht für eine Einreihung in die Position 9021 ausgesprochen. Dies war vielmehr der HS-Ausschuss der Weltzollorganisation gewesen.

Die Kosten des Verfahrens waren gemäß § 135 Abs. 1 FGO der beklagten Verwaltungsbehörde aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO sowie - wegen der Abwendungsbefugnis - aus § 711 ZPO.

Verweis auf Parallelverfahren: Hessisches FG, Urteil v. 18.9.2003 7 K 4003/02
Hessisches FG, Urteil v. 18.9.2003 7 K 4006/02
Hessisches FG, Urteil v. 18.9.2003 7 K 4005/02

Hessisches Finanzgericht vom 18.09.2003
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