VG Meiningen: Publikumswerbung verschreibungspflichtiger Medizinprodukte zur Gewichtskontrolle

1. Der fehlende Hinweis auf die Verschreibungspflicht eines Medizinprodukts bei der (Publikums-) Werbung durch einen Apotheker stellt keine irreführende Werbung und auch sonst keinen Berufspflichtverstoß dar.

2. Ein Apothekenleiter verstößt gegen die ihm obliegende Unterrichtungspflicht, wenn er die Verschreibungspflicht eines Medizinprodukts fahrlässig nicht zur Kenntnis genommen hat, deshalb sein Personal nicht entsprechend unterrichten kann und es daher zur Abgabe dieses Heilmittels ohne Vorlage einer Verschreibung kommt.

VG Meiningen, Urteil v. 18.01.2006 – 7 B 70001/03 Me (nicht rechtskräftig)
BO § 1 Abs. 2 Satz 1
BO § 8 Abs. 1 Satz 1
HWG § 1 Abs. 1 Nr. 1a
HWG § 3
HWG § 4 Abs. 1 Nr. 7a
ApBetrO § 2 Abs. 2 Satz 3


Sachverhalt:

Der Beschuldigte ist Leiter der Apotheke A.M. in H.

In einem Anzeigenblatt der "Südthüringer Rundschau" vom 1.5.2003 ließ er eine Anzeige veröffentlichen, in der neben Waren des sog. Randsortiments auch das apotheken- und verschreibungspflichtige Medizinprodukt CM3-Kapseln "zur Behandlung des Übergewichts und zur Gewichtskontrolle" mit einem Preis von 26,99 EUR beworben wurde. Ein Hinweis auf die - seit Mitte 2002 bestehende - Verschreibungspflicht fehlte. Auch auf seiner Website "www...de" bot er das Produkt CM3-Kapseln mit der Pharma-Zentralnummer (PZN) 293462 ohne Hinweis auf die Verschreibungspflicht an. Am 15.5.2003 wurde von Mitarbeitern einer ebenfalls in H. ansässigen Apotheke, deren Inhaberin sich schließlich in der vorliegenden Angelegenheit an die Landesärztekammer Thüringen (nachfolgend Kammer) wandte, beim Beschuldigten ein verdeckter Testkauf durchgeführt. Hierbei veräußerte die beim Beschuldigten angestellte Pharmazieingenieurin S. das genannte Medizinprodukt ohne Rezept zu einem rabattierten Preis von 26,18 EUR. Auf der Packung befindet sich über dem Strichcode ein Schild mit dem Hinweis "verschreibungspflichtig". Trotz Aufforderung durch die Kammer mit Schreiben vom 16.5.2003, das Produkt nicht ohne ärztliche Verschreibung abzugeben und die Werbung ohne Hinweis auf die Verschreibungspflicht zu unterlassen, blieb diese im Internet noch bis zum 11.6.2003 unverändert.

Mit Schreiben vom 21. 5.2003 teilte der Beschuldigte mit, dass ihm die Verschreibungspflicht von CM3 bisher nicht bekannt gewesen sei. In den ihm vorliegenden Fachzeitschriften, z.B. der Pharmazeutischen Zeitung (PZ), sei keine Änderung der Abverkaufsbestimmungen veröffentlicht worden. Auch beim Verkauf des Produkts habe die von ihm verwendete Kassen-Software, welche regelmäßig gewartet werde, keinerlei Hinweis über die Rezeptpflicht angezeigt. Hierauf erwiderte die Kammer mit Schriftsatz vom 17.6.2003, dass in der PZ Nr. 24 vom 10.6.2002 auf die Verschreibungspflicht von CM3 hingewiesen worden sei. Zum Anderen biete der Beschuldigte das Produkt nach wie vor in seiner Homepage ohne Hinweis auf die Verschreibungspflicht an. Der Hinweis auf die mangelhafte Kassen-Software könne nur nach Mitteilung von Einzelheiten überprüft werden. Ferner wurde dem Beschuldigten mitgeteilt, dass gegen ihn wegen des Verdachts eines Berufsvergehens ermittelt werde. Am 10.6.2003 gab der Beschuldigte ggü. der Wettbewerbszentrale eine Unterlassungserklärung ab. Mit Schreiben vom 19. 6.2003 teilte das Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz der Kammer mit, dass gegen die Pharmazieingenieurin S. ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet und nach Anhörung eine Geldbuße festgesetzt worden sei.

Mit Schreiben vom 23.9.2003 wurde dem Beschuldigten das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt. Dieser äußerte sich nicht. Mit Beschluss vom 13.11.2003 hat der Vorstand der Kammer die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens beschlossen.

Mit bei Gericht am 17.11.2003 eingegangener Anschuldigungsschrift wurde dem Beschuldigten zur Last gelegt, seine Berufspflichten dadurch verletzt zu haben,

1. dass er die ihm obliegende Verpflichtung, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben, nicht erfüllt habe,

2. dass er die für die Ausübung seines Berufes geltenden Gesetze und Verordnungen sowie das Satzungsrecht der Kammer nicht beachtet und eine darauf gegründete Anordnung nicht befolgt habe,

3. dass er in irreführender Weise geworben habe.

Zur Begründung wurde das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen wiederholt und vertieft. Ergänzend wurde ausgeführt, dass dem Beschuldigten ein Verstoß gegen die ihm obliegende Unterrichtungspflicht bezüglich der für die Ausübung seines Berufs geltenden Bestimmungen vorzuwerfen sei, falls er die Verschreibungspflicht für CM3-Kapseln nicht gekannt habe. Der Beschuldigte hat sich wie folgt eingelassen: Die Werbung im Internet für das Medizinprodukt CM3-Kapseln beruhe auf einem Versehen des Presseverlages. Dieser sei nämlich angewiesen worden, für CM3-Alginat zu werben. Dieses Präparat sei nicht verschreibungspflichtig. Zum Nachweis der Richtigkeit dieser Angaben ließ der Beschuldigte ein Auftragsschreiben an die Kurier-Verlag GmbH vom 28.4.2003 (Blatt 17 der Gerichtsakte) vorlegen. Abgesehen davon habe er aber auch angenommen, dass CM3-Kapseln nicht verschreibungspflichtig seien und deshalb keinen Hinweis bei der Bewerbung im Internet aufgenommen. Begünstigt worden sei diese fehlerhafte Annahme dadurch, dass die regelmäßig gewartete Kassen-Software keinen Hinweis auf die Rezeptpflicht angezeigt habe.. Er habe unmittelbar nach Bekanntwerden des Sachverhalts Verbindungen zu seinem Software-Betreiber aufgenommen, um das Problem zu lösen und außerdem dafür Sorge getragen, dass die Werbung aus dem Internet entfernt werde, was jedoch, da ein Fremdunternehmen das Internet warte, mit einer kurzen zeitlichen Verzögerung verbunden gewesen sei. Darüber hinaus habe er die von der Wettbewerbszentrale geforderte Unterlassungserklärung wegen irreführender Werbung abgegeben. Zu berücksichtigen sei schließlich, dass nicht er selbst CM3-Kapseln abgegeben habe, sondern eine Pharmazieingenieurin, die dafür auch mit einer Geldbuße belegt worden sei.

Er räume ein, dass er in Unkenntnis der Verschreibungspflicht im Internet irreführend für CM3-Kapseln ohne Hinweis auf die Verschreibungspflicht geworben habe. Es sei aber zu berücksichtigen, dass die Werbewirkung gering sei, da es sich hierbei um ein passives Werbemedium handele. Ferner treffe es zu, dass er ggü. der "Südthüringer Rundschau" nicht auf der (rechtzeitigen) Übersendung eines Korrekturabzuges bestanden habe, um die Anzeige auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Gleichwohl sei sein Fehlverhalten von geringem Gewicht, so dass das Verfahren einzustellen sei.

Dem trat die Kammer entgegen und führte aus, dass der Verstoß des Beschuldigten nicht als gering anzusehen sei; vielmehr handele es sich um eine Verletzung im Kernbereich apothekerlicher Pflichten. Ferner wurden Ausdrucke von Veröffentlichungen der Arzneimittelkommission (AMK) und eine Pressemitteilung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vorgelegt, die sich seit 2001 mit den Risiken der Anwendung sog. Sättigungskomprimate, wozu auch CM3 gehört, auseinandersetzen.

Aus den Gründen:

Nach den Ermittlungen der Landesärztekammer Thüringen und im Ergebnis der Hauptverhandlung steht fest, dass der Beschuldigte gegen die ihm obliegenden Berufspflichten dadurch verstoßen hat, dass er die seit Mitte 2002 bestehende Verschreibungspflicht für das Medizinprodukt CM3-Kapseln nicht kannte, obwohl dieser Tatbestand in der PZ 24/2002 und vor allem unter der Rubrik "Amtliche Bekanntmachungen" der PZ Nr. 39/2002 veröffentlicht worden war, dadurch das bei ihm angestellte Personal nicht unterrichtet hat, so dass es jedenfalls am 15.5.2003 durch die bei ihm angestellte Pharmazieingenieurin S. zur Veräußerung dieses Produkts ohne Vorlage einer Verschreibung kam (§ 2 Abs. 2 Satz 3 Apothekenbetriebsordnung - ApBetrO -, § 1 Abs. 2 Satz 1 Berufsordnung vom 17.9.1997 - BO). Allerdings vermag das erkennende Gericht in dem Umstand, dass der Beschuldigte in einer Anzeige vom 1.5.2003 der "Südthüringer Rundschau" und auf seiner Homepage im Internet für das besagte Medizinprodukt ohne Hinweis auf die Verschreibungspflicht geworben hat, keinen eigenständigen Pflichtenverstoß zu erkennen.

Dieser Sachverhalt erfüllt nicht den Tatbestand des irreführenden Wettbewerbs i.S.v. § 8 Abs. 1 Satz 1 BO. Dies folgt aus dem Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz - HWG), welches auf Grund des am 1.1.2002 in Kraft getretenen 2. MPG-ÄndG ausweislich seines § 1 Abs. 1 Nr. 1a auch für Medizinprodukte i.S.d. § 3 Medizinproduktegesetz (MPG) gilt. Bei CM3-Kapseln handelt es sich um ein Medizinprodukt im Sinne der zuletzt genannten Vorschrift. Das HWG findet nicht nur Anwendung auf der Ebene des Herstellers von Heilmitteln, sondern auf alle Werbungstreibenden (BVerfGE 94, 372, 376; Baumbach/Hefermehl, Komm. UWG, § 4 Rz. 11.134). Unzweifelhaft handelt es sich sowohl bei der Anzeige wie bei dem Internet-Auftritt um Werbung für das in Rede stehende Medizinprodukt, hier in Gestalt der durch § 11 HWG nicht ausgeschlossenen Publikumswerbung. CM3-Kapseln sind seit Mitte 2002 gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Medizinprodukten (MP-VerschrV) und der dazu ergangenen Anlage verschreibungs- und apothekenpflichtig. Der fehlende Hinweis auf die Verschreibungspflicht bei der Bewerbung eines Medizinprodukts stellt keine irreführende Werbung i.S.v. § 3 HWG dar. Irreführend ist eine Werbung, wenn sie geeignet ist, durch objektiv unrichtige Angaben irrige Vorstellungen über solche Umstände und Verhältnisse hervorzurufen, die für die Beurteilung der Wirkung, der Brauchbarkeit und des Wertes des angepriesenen Mittels von Bedeutung sein können. Solche Umstände sind vor allem: Zusammensetzung und Beschaffenheit, Wirkungen, Indikationen, aber auch gewisse persönliche Verhältnisse der Hersteller und deren Gehilfen oder früheren Gehilfen (vgl. Pelchen in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze H 53, § 3 HWG Rz. 4 m.w.N.). Hierzu zählt ein fehlender Hinweis auf die Verschreibungspflicht ersichtlich nicht, auch wenn der Katalog des § 3 HWG nicht abschließend ist. Durch die geregelten Fallgruppen ist jedoch der Anwendungsbereich dessen, was als "Irreführung" anzusehen ist, nach Art und Umfang bestimmt und kann somit nicht auf völlig andersgeartete Sachverhaltsgestaltungen ausgeweitet werden. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht im Übrigen entscheidend, dass gem. § 4 Abs. 1 Nr. 7a HWG für Arzneimittel i.S.d. § 2 ANG die Verschreibungspflichtigkeit im Falle der Werbung als (sonstige) Pflichtangabe vorgesehen ist. Der Gesetzgeber hat damit zu erkennen gegeben, dass er den fehlenden Hinweis auf die Verschreibungspflicht bei der Bewerbung von Medizinprodukten nicht als "Irreführung" i.S.d. § 3 HWG ansieht, aber auch im Übrigen einen Hinweis nicht für notwendig erachtet.

Dabei handelt es sich nicht um eine (verdeckte) Gesetzeslücke; vielmehr hat der Gesetzgeber die unterschiedliche Behandlung von Medizinprodukten im Vergleich zu Arzneimitteln damit begründet, dass Erstere im Hinblick auf ihr Gefährdungspotenzial (insb. in Laienhand) nicht generell mit Arzneimitteln gleichgestellt werden könnten (Reinhart in: Fezer [Hrsg.], Komm. UWG, § 4 Rz. 366). Deshalb erfolgte insb. unter dem Gesichtspunkt der Patienteninformation über die Wirkungsweise eine differenzierte Ergänzung des HWG (Gassner, Das Zweite Gesetz zur Änderung des Medizinproduktegesetzes, NJW 2002, 863, 865). Zwar ist ein Rückgriff auf Vorschriften des UWG nicht ausgeschlossen (vgl. § 17 HWG); ein Verstoß gegen das HWG kann also durchaus zugleich einen solchen nach dem UWG darstellen (Baumbach/Hefermehl, a.a.O., § 4 Rz. 11.134; Reinhart, a.a.O., Rz. 353). Doch gilt dies nicht umgekehrt, wenn das HWG ausdrücklich keine Pflicht statuiert. Das MPG (zum Verhältnis MPG - HWG vgl. Reinhart, a.a.O., Rz. 357) beinhaltet keine Regelungen zur Werbung für Medizinprodukte. Der Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 BO kann als untergesetzlicher Norm kein weiterer Anwendungsbereich zugestanden werden, als ihn § 3 HWG eröffnet, auch ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 1 Abs. 1 BO ist demnach ausgeschlossen. Soweit der Bevollmächtigte der Kammer in der Hauptverhandlung geltend gemacht hat, die Werbeaktionen in der "Südthüringer Rundschau" und im Internet anlässlich des Muttertages 2003 dürften nicht isoliert betrachtet werden, sondern seien Teil einer "konzertierten Aktion", die von Anfang an - unter Einbeziehung des Apothekenpersonals - darauf gezielt habe, wissentlich und willentlich die Verschreibungspflicht von CM3-Kapseln zu ignorieren, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Anschuldigungsschrift diesen Vorwurf nicht enthält. Gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 ThürHeilBerG kann das Berufsgericht zum Gegenstand der Urteilsfindung nur die Anschuldigungspunkte machen, die in der Anschuldigungsschrift und ihren Nachträgen dem Beschuldigten als Verstoß gegen Berufspflichten zur Last gelegt werden, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellen. Die unter Nrn. 1 bis 3 genannten Berufspflichtverstöße betreffen keine konkreten Tathandlungen, sondern zählen abstrakt gefasste Verstöße gegen bestimmte Normen auf, unter die eine Fülle völlig verschiedener konkreter Tathandlungen subsumiert werden könnte. Die ersten drei Sätze des Ermittlungsergebnisses befassen sich alsdann hinreichend konkret mit den - vorstehend bereits abgehandelten - Werbemaßnahmen des Beschuldigten. Im Folgenden wird der von Frau H. inszenierte Testkauf wiedergegeben, wonach eine beim Beschuldigten angestellte Pharmazieingenieurin das Medizinprodukt unter Verstoß gegen die Verschreibungspflicht abgegeben hat. Nach dem Hinweis auf die Fortsetzung der Werbung im Internet bis zum 11.6.2003 folgt im letzten Absatz des Ermittlungsergebnisses - gewissermaßen als Hilfsantrag - wiederum ein hinreichend konkretisierter Tatvorwurf, auf den noch einzugehen sein wird.

Weder wird dem Beschuldigten vorgeworfen, er habe das verschreibungspflichtige Medizinprodukt selbst abgegeben, noch, dass er sich den Abverkauf seiner Angestellten zurechnen lassen müsse und es wird ebenso wenig der hinreichend konkretisierte Verdacht geäußert, die Hinweise des Beschuldigten auf die fehlerhafte Kassen-Software und die fehlende Kenntnisnahme von der Verschreibungspflicht durch sonstige Informationsquellen seien reine Schutzbehauptungen, vielmehr habe er die Verschreibungspflicht gekannt und sich trotzdem über diese hinweggesetzt.

Im Übrigen vermag das Gericht keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass sich der Beschuldigte trotz Kenntnis der Verschreibungspflicht über dieselbe von Anfang an hinwegsetzen wollte und hinweggesetzt hat. Insbesondere stellt der Vorwurf des Bevollmächtigten der Kammer eine (weitere) unbewiesene Behauptung dar, es stehe gar nicht fest, ob der Beschuldigte den Auftrag vom 28.4.2003 so an die Kurier-Verlag GmbH gegeben habe, wie er ihn im Gerichtsverfahren vorgelegt hat, vielmehr könne im Nachhinein hinter die Worte "CM3" das Wort "Alginat" eingefügt worden sein.

Der Beschuldigte hat in der Hauptverhandlung ausführen lassen, dass der Kurier-Verlag auf die bei früheren Werbeaufträgen eingereichte Software, insb. von Fotografien entsprechender Präparate, habe zurückgreifen können; daher habe der jetzige Auftrag sehr wohl ausgeführt werden können. Angesichts der Tatsache, dass die Kammer einen solchen Sachverhalt nicht angeschuldigt, die Richtigkeit dieser Urkunde vielmehr mit keinem Wort in Zweifel gezogen hat, braucht dieser Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt zu werden. Eine Einvernahme der Frau H., die als Angestellte einer konkurrierenden Apotheke am 15.5.2003 das in Rede stehende Produkt in der Apotheke des Beschuldigten käuflich erworben hat, war nicht veranlasst, da diese nur das bezeugen kann, was im vorliegenden Verfahren gar nicht bestritten ist, nämlich, dass die beim Beschuldigten angestellte Pharmazieingenieurin S. ihr an diesem Tag eine Packung CM3-Kapseln ohne Vorlage eines Rezepts zu einem rabattierten Preis verkauft hat. Frau S. selbst hat im Ordnungswidrigkeitverfahren angegeben, von der Verschreibungspflicht der CM3-Kapseln nichts gewusst und von der Kassen-Software hierauf auch nicht hingewiesen worden zu sein. Der ihr hiernach allein zur Last gelegte Verstoß der fehlenden Unterrichtungspflicht ist vom Thüringer Landesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz mit einem Bußgeld i.H.v. 50 EUR geahndet worden. Entsprechende oder weitergehende strafrechtliche Ermittlungen gegen den Beschuldigten hat es nicht gegeben und sie sind auch von der Kammer nicht angeregt worden.

Der Beschuldigte hat jedoch gegen § 2 Abs. 2 Satz 2 ApBetrO i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 BO verstoßen. Nach der zuerst genannten Vorschrift ist der Beschuldigte (als Apothekenleiter) dafür verantwortlich, dass die Apotheke unter Beachtung der geltenden Vorschriften betrieben wird. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 BO hat er sich über die für seine Berufsausübung geltenden Bestimmungen zu unterrichten. Nach seinen eigenen Einlassungen war dem Beschuldigten die seit Mitte 2002 bestehende Verschreibungspflicht der CM3-Kapseln nicht bekannt. Allerdings war diese jedenfalls unter der Rubrik "Amtliche Bekanntmachungen" der PZ 39/2002 veröffentlicht worden, was der Beschuldigte nicht zur Kenntnis genommen hat. Dieser Pflichtenverstoß hat auch zu einem "Erfolg" geführt, dem die gesetzliche in der Berufungsordnung statuierte Unterrichtungspflicht entgegenwirken will. Denn jedenfalls am 15.5.2003 hat die bei ihm angestellte Pharmazieingenieurin S. das verschreibungspflichtige Präparat ohne Vorlage einer Rezeptur abgegeben. Frau S. hat in dem gegen sie eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahren ausgesagt, ebenfalls keine Kenntnis von der Verschreibungspflicht gehabt zu haben. Den Beschuldigten entlastet nicht die Tatsache, dass eine Pharmazieingenieurin gem. § 3 ApBetrO zum Apothekenpersonal gehört und den Apothekenleiter unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 6 ApBetrO bis zu vier Wochen im Jahr vertreten kann (vgl. dazu Cyran/Rotta, Komm. Apothekenbetriebsordnung, § 3 Rz. 33). Es blieb seine Aufgabe, das Apothekenpersonal unverzüglich über einschlägige Änderungen von Vorschriften zu unterrichten. Dieser Pflicht konnte der Beschuldigte nicht nachkommen, da er selbst über die Verschreibungspflicht nicht informiert war.

Diesen Verstoß hat der Beschuldigte auch rechtswidrig und schuldhaft begangen. Allerdings ist dem Beschuldigten kein Vorsatz nachzuweisen. Daher verbleibt es bei einem Fahrlässigkeitsvorwurf; bei entsprechender Sorgfalt hätte sich der Beschuldigte mühelos und in zumutbarer Weise über die Verschreibungspflicht des Medizinprodukts informieren können. Die Tatsache, dass seinen Angaben zu Folge auch die Kassen-Software keinen Hinweis auf die Verschreibungspflicht angezeigt hat, entlastet ihn nicht, da elektronische Sicherungsvorkehrungen rechtlich nicht an die Stelle sonstiger Informationsquellen treten können. Zu den primären Informationsquellen eines Apothekers zählen nach wie vor die amtlichen Bekanntmachungen in einschlägigen Fachzeitschriften. Aus diesem Grunde sah sich das Gericht auch nicht veranlasst, der Einlassung des Beschuldigten, seine Kassen-Software habe versagt, nachzugehen.

VG Meiningen vom 18.01.2006
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