KG: Auslegung und Reinigung von Röntgenfilmbetrachtungsgeräten

1) Medizinprodukte müssen so ausgelegt und hergestellt sein, dass das Risiko von unbeabsichtigten Stromstößen bei sachgemäßer Installation und normaler Anwendung sowie beim Erstauftreten eines Defekts soweit wie möglich ausgeschaltet sind.

2) Es konnte nicht substantiiert dargelegt werden, dass flüssige Desinfektionsmittel im Rahmen der notwendigen und üblichen Desinfektionsvorgänge in Krankenhäusern, insbesondere in Operationssälen oder auf Intensivstationen, in die Geräte eindringen können und Personen der Gefahr eines Stromschlags aussetzen.

KG, Beschl. v. 27.05.2008 – 5 U 42/07
Instanzen:
LG Berlin - 16 O 102/06
UWG § 3
UWG § 5
MPG § 7
UWG § 8 Abs. 1


Gründe:

A. Die Berufung ist gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 und 3 ZPO aus den Gründen der Verfügung des Senats vom 15.4.2008, an denen der Senat nach nochmaliger Prüfung festhält, zurückzuweisen.

B. In der genannten Verfügung hat der Senat ausgeführt:

I. Die Berufung der Klägerin hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat stimmt der angefochtenen Entscheidung im Ergebnis zu.

1. Es ist nicht davon auszugehen, dass in der beanstandeten Werbeaussage der Beklagten irreführende Werbung i.S.d. § 5 UWG liegt, weil die Beklagte mit Qualitätsmerkmalen wirbt, die die beworbenen Geräte nicht einhalten.

Es ist der Klägerin nicht gelungen, ihre Behauptung, dass die im Antrag genannten Röntgenfilmbetrachtungsgeräte aus dem Angebot der Beklagten den Anforderungen gem. § 6 Abs. 1 und 2, § 7 MPG i.V.m. Anlage I der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14.6.1993 nicht genügen, weil sie mit Kaltgerätesteckern und Buchsen ohne Feuchtigkeitsisolation bzw. -dichtung ausgestattet sind, nachvollziehbar mit Tatsachen zu untermauern.

Hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen irreführender Werbung trägt die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Bornkamm in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 26. Aufl., § 5 UWG, Rz. 3.23).

a) Heranzuziehen ist hier jedenfalls die Nr. 12 der Richtlinie 93/42/EWG, in der die Anforderungen an Produkte mit externer oder interner Energiequelle speziell geregelt werden, insb. Nr. 12.6. die zum Schutz vor Risiken durch elektrischen Strom bestimmt, dass die Produkte so ausgelegt und hergestellt sein müssen, dass das Risiko von unbeabsichtigten Stromstößen bei sachgemäßer Installation und normaler Anwendung sowie beim Erstauftreten eines Defekts so weit wie möglich ausgeschaltet wird.

Es ist jedoch auch auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin nicht davon auszugehen, dass flüssige Desinfektionsmittel im Rahmen der notwendigen und üblichen Desinfektionsvorgänge in Krankenhäusern, insb. in Operationssälen oder auf Intensivstationen, an den von der Klägerin bezeichneten Stellen in die von der Beklagten angebotenen Röntgenfilmbetrachtungsgeräte eindringen können und so Personen, die die Geräte desinfizieren oder bedienen, der Gefahr eines Stromschlags aussetzen.

aa) Die Darstellung der Klägerin, dass Röntgenfilmbetrachtungsgeräte in Operationssälen oder auf Intensivstationen dergestalt desinfiziert werden, dass die Reinigungskraft einen Lappen in einen Eimer mit Desinfektionsmittel taucht und sodann mit dem durchtränkten Lappen das Gerät behandelt, wird durch die Unterlagen, auf die die Klägerin sich beruft, nicht bestätigt.

(1) Dies gilt für die von der Beklagten als Anlage B 5 zu ihrem Schriftsatz vom 26.4.2006 vorgelegte "Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut":

Operationssäle und bestimmte Intensivstationen sind danach "Bereiche mit besonderem Infektionsrisiko" (vgl. Tabelle 1 auf S. 54 der Anlage B 5).

Auch in diesen Bereichen sind aber nur Flächen mit häufigem Hand- oder Hautkontakt einer Desinfektion nach Kategorie IB zu unterziehen (vgl. Tabelle 2 auf S. 55 der Anlage B 5). Aus welchen Gründen Röntgenfilmbetrachtungsgeräte in Operationssälen und auf Intensivstationen und vor allem deren Netzkabel zu Flächen mit häufigem Hand- oder Hautkontakt gehören sollen, ist aber nicht nachzuvollziehen. Nach eigenem Vorbringen der Klägerin werden die Röntgenfilmbetrachtungsgeräte dort regelmäßig fest an der Wand montiert. Der Darstellung der Klägerin, dass sich Stecker und Buchsen in dem Bereich des Geräts befänden, in dem sich auch "die Schalter und Knöpfe" befänden, widersprechen die zur Akte gelangten Abbildungen der von der Beklagten angebotenen Geräte (vgl. Anlage K 5 zur Klageschrift, Anlage B 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 26.4.2006, dort insb. S. 3/12 und 4/12, denen sich entnehmen lässt, dass die Geräte offenbar nur über einen (Dreh-)Knopf verfügen).

Medizinische Geräte einschließlich der Kabel werden auch in der "Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut" unter 3.1 nur beispielhaft aufgeführt (vgl. S. 53 der Anlage B 5).

Sind die Röntgenfilmbetrachtungsgeräte aber "sonst. Flächen", reicht auch, auch wenn sie in "Bereichen mit besonderem Infektionsrisiko" aufgestellt sind, eine bloße Reinigung aus (vgl. Tabelle 2 auf S. 55 der Anlage B 5).

(2) Dem entsprechen auch die von der Klägerin als Anlagen K 12, K 13 und K 14 zu ihrem Schriftsatz vom 18.1.2007 eingereichten Stellungnahmen aus drei Krankenhäusern. Nach den Mitteilungen aus dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden (K 12, Bl. 83 d.A.) und aus der Charite in Berlin (K 13, Bl. 84 d.A.) werden die Kabel der Röntgenfilmbetrachtungsgeräte feucht abgewischt. Nach der Mitteilung aus dem Universitätsklinikum Freiburg (K 14, Bl. 85 d.A.) wird lediglich trocken staubgewischt, wenn keine Verunreinigung vorliegt.

bb) Dass bei einer Reinigung - die etwas anderes ist als ein Nass-Wischen zur Desinfektion (vgl. Anlage B 5 Ziff. 5.4.1) - der Röntgenfilmbetrachtungsgeräte in der oben beschriebenen Weise Feuchtigkeit in die Geräte eindringen und Anwender oder Dritte der Gefahr eines Stromschlages aussetzen kann, hat die Klägerin auch mit dem Schreiben der MedCert vom 30.12.2005 (Anlage K4 zur Klageschrift) nicht substantiiert dargetan.

Solches kann die Klägerin auch nicht mit dem ursprünglichen Inhalt der Gebrauchsanweisung der Beklagten für die streitgegenständlichen Geräte (Anlage B 4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 26.4.2006) belegen.

Auf S. 5/12 der Ausgabe der Gebrauchsanweisung (Ausgabe vom 14.10.2005) heißt es zwar: "Die Netzanschlussleitung darf nur mit einem trockenen Tuch gereinigt werden!" In der Ausgabe der Gebrauchsanweisung vom 20.10.2006 findet sich dieser Satz jedoch nicht mehr (vgl. Anlage K 11 zum Schriftsatz der Klägerin vom 18.1.2007, Bl. 72ff, dort S. 9/11, Bl. 80 d.A.).

Die Änderung der Gebrauchsanweisung hat die Beklagte damit begründet, dass Tests des VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. ergeben hätten, dass Personen auch bei einer feuchten Reinigung des Netzkabels nicht gefährdet werden.

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auch auf die Anlage B 8 zum Schriftsatz der Beklagten vom 14.2.2007 (Bl. 115ff d.A.) und dort auf die unter 5.4 enthaltene Anweisung verweist, bei einer feuchten Reinigung der Röntgenfilmbetrachtungsgeräte die Stromversorgung zu unterbrechen, d.h. das Netzkabel zu ziehen und die Haussicherung zu trennen (Bl. 117 d.A.), übersieht sie offensichtlich, dass es sich nicht um eine Gebrauchsanweisung für Geräte der Beklagten, sondern für Geräte der Klägerin handelt.

Warum das Bestreiten der Beklagten danach nicht hinreichend substantiiert sein soll, ist nicht nachzuvollziehen.

b) Soweit die Klägerin zur Begründung des Vorwurfs irreführender Werbung durch die Vorspiegelung nicht vorhandener Qualitätsmerkmale auf die Verletzung weiterer Bestimmungen des MPG und der Anlage I der Richtlinie 93/42/EWG verweist, erscheint in vielen Fällen zweifelhaft, ob die herangezogenen Vorschriften überhaupt einschlägig sind.

Dies kann jedoch dahingestellt bleiben. Da die Klägerin ihren Vortrag zur Verletzung weiterer Bestimmungen nicht auf andere Tatsachen, sondern ebenfalls auf die Ausstattung der Röntgenfilmbetrachtungsgeräte der Beklagten mit Kaltgerätesteckern und -buchsen ohne Feuchtigkeitsisolation bzw. -dichtung, stützt, gelten die obigen Ausführungen jedenfalls entsprechend.

2. Entsprechendes gilt auch, falls die Klägerin den Unterlassungsanspruch auch auf §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. den Vorschriften stützen will, gegen die verstoßen zu haben sie der Beklagten im Laufe dieses Rechtsstreits vorgeworfen hat.

II. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine

Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil.

C. An den vorstehenden Ausführungen hält der Senat auch in Ansehung der Stellungnahme der Klägerin vom 14.5.2008 fest.

1. Die Klägerin hat auf Seite 3 ihres erstinstanzlichen Schriftsatzes vom 24.7.2006 (Bl. 49 d.A.) unter Beweisantritt (Sachverständigengutachten) vorgetragen:

"Die Desinfektion erfolgt vorschriftsmäßig mit einer Desinfektionsflüssigkeit, welche mit einem Lappen aus einem Eimer heraus mit Hände-Druck auf die zu desinfizierenden Geräte und Flächen aufgebracht wird. Dies ergibt sich aus Ziff. 5.4.1, S. 57 der Anlage B 5. Röntgenfilmbetrachtungsgeräte werden daher im Alltag auf Intensivstationen oder in Operationssälen mit einem nassen, mit Desinfektionsflüssigkeit getränkten Lappen aus einem Eimer heraus abgewischt. Dies sind die üblichen Anforderungen an diese Geräte."

Unter Nr. 5.4.1 der Anlage B 5 zum Schriftsatz der Klägerin vom 26.4.2006 (Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut) heißt es unter der Überschrift "Wischdesinfektion":

"Lediglich 'nebelfeuchtes' Wischen oder 'Feuchtreinigen' führt nicht zu einer ausreichenden Benetzung. Für eine ausreichende Desinfektionswirkung muss genügend Wirkstoff auf die Fläche gelangen."

Dieses Vorbringen kann nicht Grundlage für eine Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachten sein, da es im Widerspruch zu den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen steht.

Aus den in der Verfügung vom 15.4.2008 genannten Gründen ist auf der Grundlage dieser Unterlagen weder davon auszugehen, dass es den Vorschriften entspricht, Röntgenfilmbetrachtungsgeräte in Operationssälen und auf Intensivstationen in der von der Klägerin beschriebenen Weise zu desinfizieren, noch dass dieses Vorgehen der täglichen Praxis in Krankenhäusern entspricht.

2. Das Vorbringen der Klägerin, dass bei dem Bedienen der Röntgenfilmbetrachtungsgeräte, insb. bei der Justierung der Helligkeit mit Hilfe des vorgesehenen Drehknopfes, typischerweise der Bereich berührt werde, in dem sich die fragliche Buchse befinde, ist weiterhin nicht nachzuvollziehen.

Der Helligkeitsregler (Drehknopf) befindet sich an der Vorderseite des Rahmens der Röntgenfilmbetrachtungsgeräte am linken Ende des horizontal verlaufenden Rahmenteils. Die Buchse, um die es geht, befindet sich demgegenüber an der Seite des vertikal verlaufenden Rahmenteils. Da davon auszugehen ist, dass die Drehknöpfe nur mit den Fingern bedient werden, ist eine Berührung des Bereichs der Buchse bei der Bedienung des Gerätes gerade nicht zu erwarten.

3. Über die Klageerweiterung ist nicht zu entscheiden. Mit der Zurückweisung der Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO wird die Klageerweiterung unwirksam.

Für den vergleichbaren Fall der Anschlussberufung ist dies im Gesetz ausdrücklich geregelt. Gemäß § 524 Abs. 4 ZPO verliert die Anschlussberufung ihre Wirkung, wenn die Berufung im Beschlussverfahren zurückgewiesen wird. Nichts anderes gilt für die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz, da der Berufungskläger es sonst in der Hand hätte, durch eine - bloß formell erhobene, geringfügige - Klageerweiterung bzw. durch eine Widerklage eine mündliche Verhandlung über seine Berufung zu erzwingen, obwohl diese selbst keine Aussicht auf Erfolg hat. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck des § 522 Abs. 2 ZPO (OLG Nürnberg, MDR 2003, 770 und MDR 2007, 171; OLG Rostock, NJW 2003, 3211; OLG Frankfurt, NJW 2004, 165; KG, NJW 2006, 3305 und BauR 2007, 1928; OLG Düsseldorf, OLGR 2007, 465; Ball in Musielak, ZPO, 5. Aufl., § 522, Rz. 28a; Gummer/Heßler in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 522, Rz. 37).

D. Die Nebenentscheidungen zu den Kosten und zum Wert des Berufungsverfahrens beruhen auf § 97 Abs. 1, § 3 ZPO.

KG vom 27.05.2008
Dieser Beitrag wurde unter MPG, Wettbewerbsrecht abgelegt und mit verschlagwortet. Setzen Sie ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.