OLG Koblenz: Inhalt und Form der Aufklärung bei mehrstufigem Eingriff; plausibler Entscheidungskonflikt

1. Wird ein Patient vor einem dreistufigen diagnostischen Eingriff (hier: Angiographie, Embolisation und Occlusionstest) nur über die Risiken der ersten Stufe aufgeklärt und verwirklicht sich in einer späteren Stufe ein Risiko, das auch auf der ersten Sufe hätte eintreten können, haftet der Arzt für das Aufklärungsversäumnis, wenn dem Patienten die Risikokumulation nicht bekannt war.

2. Eine Formularaufklärung zwischen Tür und Angel mit dem beschwichtigenden mündlichen Zusatz, der Arzt sei erfahren und in den zurückliegenden 7 Jahren sei nichts passiert, ist bei einem nicht dringlichen diagnostischen Eingriff unzureichend.

3. An den Nachweis, auch bei umfassender Aufklärung hätte der Patient eingewilligt, sind bei einem nicht vital indizierten diagnostischen Eingriff besonders strenge Anforderungen zu stellen.

OLG Koblenz, Urt. v. 29.11.2001 – 5 U 1382/00 (rechtskräftig)
Instanzen:
LG Mainz - 2 O 171/96
BGB §§ 276, 823, 831, 847


Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24.8.2000 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Mainz teilweise abgeändert.
Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 50.000 DM zu zahlen. Im weitergehenden Hauptantrag wird die Klage abgewiesen.
Der Anspruch auf materiellen Schadensersatz wegen des ärztlichen Eingriffs vom 27.5.1993 ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerin den künftigen materiellen und immateriellen Schaden wegen des ärztlichen Eingriffs vom 27.5.1993 zu ersetzen, soweit diese Schadensersatzansprüche nicht auf die Kranken- und Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte zu 2) kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 50.000 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Sachverhalt:

Die Klägerin beansprucht aus dem Gesichtspunkt ärztlichen Fehlverhaltens den Ausgleich materieller Schäden, die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie die Feststellung, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet ist, künftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen.
Die gegen die Beklagte zu 1), die Universität gerichtete Klage ist rechtskräftig abgewiesen (Senat, Urt. v. 26.6.1997, Bl. 131–139 GA), so dass nur noch die Haftung des Beklagten zu 2), des Leiters des Instituts für Radiologie, infrage steht.
Bei der Klägerin sollte von Prof. Dr. med. M, Leiter der HNO-Universitätsklinik, am 28.5.1993 ein Tumor entfernt werden. Hierbei handelte es sich um einen sog. Glomustumor links im Bereich der Arteria carotis. Nachdem eine Dopplersonographie die mangelhafte Blutversorgung der beiden Hirnhälften ergeben hatte, wurden durch den Beklagten zu 2) zur weiteren diagnostischen Abklärung am 27.5.1993 eine Angiographie, eine Embolisation sowie eine Occlusionstestung durchgeführt. Unmittelbar vor dem Eingriff erhielt die Klägerin von einem Assistenzarzt anhand eines Informationsblattes – „Information über die Angiographie” (Bl. 17, 17 R GA) – Aufklärung.
Der Eingriff hatte eine halbseitige Lähmung der Klägerin und eine Aphasie zur Folge. Der Tumor wurde sodann am 21.6.1993 entfernt.
Die Klägerin hat – zur Haftung des Beklagten zu 2) – vorgetragen:
Dieser habe im Verlauf des diagnostischen Eingriffs einen Fehler begangen. Außerdem habe er sie, Klägerin, vor dem Eingriff nicht ausreichend aufgeklärt.
Wegen der von Dr. F in Freiburg durchgeführten Angiographie sei eine weitere Angiographie nicht notwendig gewesen. Auch habe die Dopplersonographie ausgereicht, um hinsichtlich der mangelhaften Versorgung der linken Hirnhälfte vollständige Klarheit zu erlangen.
Die Embolisation sei ebenfalls nicht indiziert gewesen. Vielmehr hätte der Beklagte zu 2) alles tun müssen, um die Angiographie, wie von ihm geplant, durchzuführen. Das sei, von der überflüssigen Embolisation abgesehen, aber nicht der Fall gewesen. Der Beklagte zu 2) habe den Katheter bei der Occlusionstestung falsch eingeführt. Er habe den Katheter dreimal angesetzt und die Untersuchung mit dem falsch sitzenden Katheter fortgeführt. Dies stelle einen eklatanten Verstoß gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht dar.
Unmittelbar vor dem Eingriff habe sie, Klägerin, von einem Assistenzarzt ein Formblatt erhalten. Ihr sei kurz erklärt worden, dass die Angiographie notwendig sei, damit die am nächsten Tag angesetzte Operation vorgenommen werden könne. Bei einer solchen Untersuchung seien, so sei ihr erklärt worden, in den letzten 7 Jahren keine schwerwiegenden Komplikationen aufgetreten. Eine Aufklärung habe sie vom Assistenzarzt weder über die beabsichtigte Embolisation noch über die Occlusionstestung erfahren. Die durchzuführende Verödung sei ihr erst mitgeteilt worden, als sie sich schon auf dem Operationstisch befunden habe.
Wäre sie sachgemäß umfassend und auch nicht unter zeitlichem Druck aufgeklärt worden, hätte sie vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden und sie hätte ihre Zustimmung zu diesem Eingriff nicht erteilt.
Für die Zeit vom 22.11.1993 bis zum 30.4.1996 betrage ihr Verdienstausfall 61.438,29 DM. Für eine Haushaltshilfe setze sie pauschal 5.000 DM an. Der Feststellungsantrag umfasse auch den künftigen Rentenschaden von hochgerechnet 283.069,71 DM.
Im Hinblick auf ihr Schicksal, die weiteren Behandlungen und die Spätfolgen sei ein Schmerzensgeld von 100.000 DM angemessen (vgl. im Einzelnen Bl. 1–11 GA; Anlagen Bl. 12–14, 21/21 R, 62–66 GA).
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu 2) zu verurteilen, an sie einen Betrag von 61.438,29 DM sowie einen Betrag von 5.000 DM und einen Betrag von 100.000 DM zu zahlen zzgl. 12,5 % Zinsen seit dem 27.4.1996,
des Weiteren festzustellen, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet ist, ihr den künftigen materiellen und immateriellen Schaden aufgrund der stationären Behandlung vom 26.5.1993 bis zum 29.6.1993 in Mainz zu ersetzen, soweit diese Schadensersatzansprüche nicht auf die Kranken- und Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Der Beklagte zu 2) hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat vorgebracht:
Behandlung und Aufklärung seien lege artis erfolgt.
Die Embolisation sei deshalb indiziert gewesen, weil die den Tumor versorgenden Gefäße hätten blockiert werden müssen, um den Tumor besser operieren zu können. Dieser Eingriff sei für einen am Folgetag zu entfernenden Tumor reine Routine. Da die Dopplersonographie bezüglich der ausreichenden Versorgung der linken Hemisphäre keine eindeutigen Ergebnisse erbracht habe, sei dies nur durch eine Angiographie mit Ballonocclusionstest zu klären gewesen. Eine andere Alternative habe es nicht gegeben.
Zu der Thromboembolie sei es bei dem Versuch gekommen, den Occlusionstest durchzuführen. Es habe Schwierigkeiten gegeben, den ungebogenen Katheter in die Arteria carotis interna einzuführen. Bei der Einführung eines neuen Katheters seien noch vor der ersten Injektion des Kontrastmittels die Symptome einer Gehirnembolie aufgetreten. Damit habe sich ein Risiko verwirklicht, das mit einer Häufigkeit von 0,5 % zu veranschlagen, schicksalhaft sei und nicht von einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung herrühre.
Der geplante Eingriff sei mit den im Einzelnen vorzunehmenden Schritten ausführlich und auch hinsichtlich der Risiken in aller Ruhe erklärt worden.
Die Klägerin sei auch nicht etwa unerfahren gewesen, sondern habe bereits im April 1993 eine Angiographie erlebt, so dass ihr der Ablauf eines solchen Eingriffs geläufig gewesen sei.
Insbesondere sei die Klägerin auch über die Ballonocclusion aufgeklärt worden und über die dabei aufkommende Risikolage. Dies ergebe sich aus der Illustration des Aufklärungsbogens mit einem Ballon.
Wegen der bereits für den nächsten Tag angesetzten Operation hätten Aufklärung und diagnostischer Eingriff am Tage zuvor durchgeführt werden müssen. Dies widerspreche nicht der Rechtsprechung des BGH zur Rechtzeitigkeit des Eingriffs.
Nach alledem sei von einer sachgerechten Aufklärung und Einwilligung in den Eingriff auszugehen.
Zu den Angaben der Klägerin betreffend die Höhe ihres ursprünglichen Verdienstes sowie das Arbeitslosen- und Krankengeld könne erst bei Vorlage entsprechender Unterlagen Stellung genommen werden. Der Vortrag der Klägerin zur Inanspruchnahme der Haushaltshilfe sei unsubstantiiert.
Das LG hat nach Beweiserhebung (Beweisbeschluss Bl. 75–78 GA; Gutachten Bl. 181–207 GA und Beweisaufnahme gem. Protokoll Bl. 242–249 GA) die gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Klage abgewiesen (Urteil Bl. 255–264 GA), im Wesentlichen mit der Begründung, ein Behandlungsfehler sei nicht erwiesen. Zwar sei die Aufklärung nicht ordnungsgemäß, da zu spät erfolgt; hieraus könne die Klägerin aber keine Rechte herleiten, denn ein ernsthafter Entscheidungskonflikt habe unter Berücksichtigung der gesamten Umstände nicht bestanden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin (Bl. 269–270 GA), die ihr erstinstanzliches Klagebegehren nahezu (Bl. 278/280 GA) in vollem Umfange weiterverfolgt.
Die Klägerin wiederholt im Wesentlichen ihr Vorbringen erster Instanz und vertieft es wie folgt:
Das LG sei zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Aufklärung zu spät erfolgt sei. Es habe jedoch nicht erkannt, dass die Aufklärung auch inhaltlich völlig unzureichend gewesen sei. Diese sei im Wesentlichen nur formularmäßig vorgenommen worden. Von Embolisations- und Occlusionstestung sowie deren Risiken und Folgen sei keine Rede gewesen, ebenso wenig davon, dass der Diagnoseeingriff für die Operation keine zwingende Voraussetzung sei. Gerade das mit der Occlusionstestung verbundene Risiko hätte sie nicht auf sich genommen.
Das schriftliche Informationsblatt erwähne nicht einmal ansatzweise die Eingriffsmethoden der Embolisations- und der Occlusionstestung. Aus dem Text sei auch nur sehr bedingt erkennbar, dass die Angiographie eine dauerhafte halbseitige Lähmung und einen Verlust der Sprache zur Folge haben könne.
Schließlich habe es nicht den Regeln ärztlicher Kunst entsprochen, dass der Beklagte zu 2) mehrere Versuche zur Durchführung der Occlusionstestung vorgenommen habe, denn das steigere die Gefahr einer Gewebeabspaltung unvertretbar.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des LG Mainz vom 24.8.2000 – 2 O 171/96, abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie einen Betrag i.H.v. 60.955,50 DM sowie einen weiteren Betrag i.H.v. 5.000 DM und einen Betrag i.H.v. 100.000 DM zu zahlen nebst 12,5 % Zinsen seit dem 27.4.1996;
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr den künftigen materiellen und immateriellen Schaden aufgrund der stationären Behandlung vom 26.5.1993–29.6.1993 in Mainz zu ersetzen, soweit diese Schadensersatzansprüche nicht auf die Kranken- und Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Der Beklagte zu 2) beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er wiederholt sein Vorbringen erster Instanz und ergänzt es wie folgt:
Die Klägerin sei hinsichtlich der Angiographie, deren Risiken und möglichen Schadensfolgen nicht aufklärungsbedürftig gewesen. Eine hierauf bezogene Aufklärung habe sie von Dr. F in Freiburg erfahren und am Tag vor dem diagnostischen Eingriff von Dr. W. Im Übrigen habe Dr. A. umfassend über alle Schritte aufgeklärt.
Die Angiographie mit Occlusionstest sei erforderlich gewesen. Dass die Operation später ohne Halsschlagader-Verschluss gelungen sei, besage nicht, dass für den Eingriff keine zwingende Notwendigkeit bestanden habe.
Da eine Ablehnung der Untersuchung höchst unvernünftig gewesen wäre, fehle es an einem nachvollziehbaren Entscheidungskonflikt.
Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 2.5.2000 wiederum einen Behandlungsfehler in den Prozess einführe, könne sie damit gem. § 519 Abs. 3 ZPO nicht mehr gehört werden.
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie auf die im Berufungsverfahren zu den Akten gereichten Schriftsätze und auf die Krankenakten Bezug genommen.
Der Senat hat auf der Grundlage des Beschlusses vom 28.5.2001 (Bl. 321–326 GA) Beweis erhoben durch eine schriftliche Aussage des Zeugen Prof. Dr. F (Bl. 337, 338 GA), durch Vernehmung der Zeugen Dr. A und H (Ehemann der Klägerin) sowie durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. S. Die Klägerin ist angehört worden. Auf die Sitzungsniederschrift vom 7.11.2001 (Bl. 356–371 GA) wird verwiesen.

Gründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG, welches die gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Klage abgewiesen hat, ist zulässig.
Das Rechtsmittel hat – bislang – den Erfolg, dass die Rechtfertigung materieller Schadensersatzansprüche durch Grundurteil ausgesprochen wird, dass ein Teil des verlangten Schmerzensgeldes zugesprochen und dass die Feststellung der Ersatzpflicht zukünftiger Schäden getroffen wird.
Die Haftung des Beklagten zu 2) ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB.
Ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit stellt nach der Rechtsprechung (vgl. schon BGH VersR 1972, 154) auch dann eine Körperverletzung dar, wenn er durch einen Arzt in heilender Absicht erfolgt und objektiv als Heilmaßnahme allgemein geeignet ist. Der Eingriff kann daher im Regelfall nur durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gerechtfertigt sein.
Hieran fehlt es.
Der am 27.5.1993 ohne hinreichende Aufklärung der Klägerin und ohne ihre wirksame Einwilligung vorgenommene Eingriff führte zu einer Risikoverwirklichung, für deren Schadensfolgen der Beklagte zu 2) deliktsrechtlich einzustehen hat.
Seine Haftung kann daneben aber nicht auf einen Behandlungsfehler gestützt werden.
I. 1. Die Klägerin hat hierzu außerhalb der Berufungsbegründung und nach Ablauf der Begründungsfrist in zweiter Instanz erstmals vorgetragen (Bl. 311, 312 GA), das Vorgehen bei der Occlusionstestung habe nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen, denn wenn eine Occlusionstestung nicht auf Anhieb gelinge, seien alle weiteren Bemühungen sofort einzustellen, da andernfalls die Gefahr einer Gewebeabspaltung unvertretbar gesteigert werde.
Dieses (schlüssige) Vorbringen ist zu berücksichtigen.
Es ist nicht notwendig, dass sich die Rechtfertigung der Berufung (§ 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) auf alle Streitpunkte (§ 537 ZPO) erstreckt.
Ist die Berufung – wie hier – ausreichend gerechtfertigt, können weitere Ausführungen auch nach Ablauf der Begründungsfrist nachgebracht werden (BGH NJW 1984, 177/178; ausführlich Münchener Kommentar, ZPO, 2. Aufl., § 519 Rz. 41 m.w.N.). Die Ergänzung steht dann nur unter dem hier nicht greifenden Vorbehalt des § 527 ZPO (Verspätung).
Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass dem Beklagten zu 2) beim Occlusionstest ein schadensauslösender Fehler unterlaufen ist.
In seinem schriftlichen Gutachten vom 1.4.1999 hat der Sachverständige Prof. Dr. S ausgeführt (Bl. 196ff GA), die Schwierigkeiten ließen sich nachvollziehen, die beim Vorschieben des Katheters entstanden seien. Die Untersuchung sei wegen dieser Probleme beim ordnungsgemäßen Plazieren des Ballonkatheters nicht fortgesetzt worden. Bereits vor der ersten Injektion durch den Ballonkatheter sei es zur neurologischen Komplikation gekommen (Bl. 196 GA). Beim Vorschieben des Katheters sei ein Embolus abgeschwemmt worden. Hierbei handele es sich um das typische Risiko dieses Eingriffs, das etwas unter 1 % liege (Bl. 200 GA).
Auf Vorhalt des Beweisthemas B 3) im Hinweis- und Beweisbeschluss vom 28.5.2001 (Bl. 324, 312 GA) hat der Sachverständige im Termin vom 7.11.2001 ergänzt (Bl. 364 GA), es sei durchaus üblich, es zwei- bis dreimal zu versuchen, bis der Ballon richtig sitze; aus dem hier zutage getretenen Ablauf könne er nicht schließen, dass es zu einem Zeitpunkt erforderlich gewesen wäre, den Eingriff abzubrechen.
Damit kann nach den Ausführungen des Sachverständigen in den mehrfachen Versuchen der „Ballonplazierung” und dem Nichtabbruch des Vorgehens nach dem ersten Versuch kein fehlerhaftes ärztliches Verhalten gesehen werden.
2. Die Klägerin hat auch das Vorhandensein eines weiteren Behandlungsfehlers nicht bewiesen.
Sie stützt ihr Klagebegehren nach wie vor (Bl. 284, 285, 307 GA) darauf, für den diagnostischen Eingriff habe keine Indikation bestanden.
Damit bezieht sich die Klägerin auf die sog. Indikationsstellung, an die die Rechtsprechung vor allem bei den der Diagnose dienenden Eingriffen strenge Anforderungen stellt (vgl. Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl., § 41 Rz. 3 m.w.N.).
Führt ein Arzt eine medizinisch nicht indizierte (hier: invasive) Maßnahme durch, begeht er einen Behandlungsfehler, für dessen Folgen er haftet (Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl., § 41 Rz. 3 m.w.N.).
Alle drei Schritte der Untersuchung – Angiographie, Embolisation und Occlusionstest – waren medizinisch indiziert.
Die dopplersonografische Untersuchung hatte keine hinreichende Aufklärung gebracht.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S hat die Ultraschalluntersuchung lediglich einen schlecht funktionierenden basalen Gefäßkranz gezeigt (Bl. 195 GA). Fragestellung an die funktionelle Angiographie sei nicht gewesen, so der Gutachter, ob und inwieweit eine Arterie verschlossen sei, sondern, ob der während der Operation eventuell erforderlich werdende Verschluss eines Gefäßes ohne Schäden von der Patientin toleriert werden könne. Zur Beantwortung dieser Frage habe die Dopplersonographieuntersuchung nicht ausgereicht, wobei hinzu trete, dass die erforderliche Embolisationsbehandlung nur über eine konventionelle Angiographie durchgeführt werden könne.
War wegen dieser der geplanten Operation dienenden Angiographie eine Indikation gegeben, wird sie auch nicht dadurch infrage gestellt, dass eine Angiographie bereits von Dr. F. in Freiburg vorgenommen worden war.
Dr. F. hatte eine Angiographie der Halsgefäße (eine Aorten-Bogen-Angiographie) durchgeführt (Bl. 337, 338 GA). Damit ist die hier infrage stehende selektive Angiographie nicht zu vergleichen. Bei der erstgenannten Maßnahme wird ein Katheter in die Aorta descendens (absteigender Teil der Schlagader) eingeführt. Die Kontrastmittelinjektion an diesem Ort füllt lediglich die Brustaorta und die dort versorgten Gefäße (vgl. Gutachten Prof. Dr. S., Bl. 199 GA oben).
Diagnostisch indiziert und damit erforderlich war aber eine selektive Sondierung des Tumors durch eine Kontrastmittelinjektion an Ort und Stelle durch Einführen eines Katheters in den Bereich der Tumorgefäße (Arteria carotis externa – Bl. 197 GA), wie es in M über die tumorversorgende Arteria pharyngea ascendens (aufsteigend) stattgefunden hat (vgl. Prof. Dr. S, Gutachten Bl. 188, 189, 199 und Protokoll Bl. 365 GA unten).
War diese Maßnahme also indiziert, so war es – wie oben angesprochen – auch der weitere Schritt, nämlich die Embolisation (Verödungsbehandlung).
Der Sachverständige bejaht eine generelle Indikation, denn wegen der Verödung haben sich die Operationsergebnisse durch komplette Resektion und Minderung des introoperativen Blutverlustes verbessert (Bl. 197 GA).
Auch die Indikation des Occlusionstests ist zu bejahen.
Durch den Ballonkatheter in der Arteria carotis interna soll die Hirnschlagader für mindestens 20 Minuten blockiert werden. Hierdurch wird geklärt, ob der während der Operation unter Umständen erforderlich werdende Verschluss eines Gefäßes ohne Schäden vom Patienten toleriert werden kann (Gutachten Bl. 195, 196, 199, 200 GA).
Der Sachverständige bezeichnet dieses Vorgehen als medizinischen Standard („Das muss man so machen” – Bl. 363 GA), unabhängig davon, ob man zuerst die Embolisation und dann die Occlusion vornimmt oder umgekehrt vorgeht (Bl. 363 GA).
3. Schließlich war der vom Beklagten zu 2) durchgeführte Eingriff auch nicht etwa deshalb nicht indiziert, weil die eigentliche Operation des Tumors nicht angezeigt gewesen wäre.
Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, auch wenn der Glomustumor schon recht groß gewesen sei, habe keine akute Indikation bestanden, sondern eine generelle (Bl. 363 GA). Zur Operation habe es keine Alternative gegeben. Wenn der Tumor verblieben wäre, hätte es zu Schädigungen der umliegenden Nerven kommen können und zu weitergehenden Beeinträchtigungen wie extremen Blutdruckveränderungen (Bl. 365 GA). Diese „allgemeine” oder „relative” Indikation, zu operieren, ist eine ausreichende Indikationsstellung für Diagnose- und Heileingriff.
Diese „Relativität” erhält aber weitergehende Bedeutung bei der Beurteilung der ärztlichen Aufklärung und des Entscheidungskonflikts des Patienten.
II. Die vom Assistenzarzt Dr. A. gegebene Aufklärung war sowohl inhaltlich als auch nach den äußeren Umständen unzureichend.
1. Für die fehlerhafte Aufklärung durch den Zeugen Dr. A. hat der Beklagte zu 2) nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB einzustehen.
Da es sich im vorliegenden Fall um einen totalen Krankenhausaufnahmevertrag mit Zusatzvertrag handelt (Bl. 16, 45, 46 GA – vgl. im Übrigen dazu Urteil des Senats vom 26.6.1997, S. 6, 7) sind die Ärzte, die der selbstliquierende Arzt zur Erfüllung der insofern übernommenen ärztlichen Wahlleistungen einsetzt, auch als Verrichtungsgehilfen des selbstliquidierenden Arztes zu qualifizieren (vgl. im Einzelnen Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl., § 104 Rz. 8–11 m.w.N.).
Für die fehlerhafte Aufklärung haftet der Beklagte zu 2) aber auch wegen Organisationsverschuldens unmittelbar aus § 823 Abs. 1 BGB.
Er ist Leiter des Instituts für Radiologie. Als solcher war er verpflichtet, im Hinblick auf die Patientenaufklärung dafür Sorge zu tragen, dass nach den Umständen eine sachgerechte Information gewährleistet war. Dies wird noch ausgeführt.
2. Die Selbstbestimmungsaufklärung schafft die Voraussetzungen für eine rechtfertigende Einwilligung. Der Patient muss im Großen und Ganzen erfahren, welche Krankheit vorliegt, welcher Eingriff geplant ist, wie dringlich er ist, wie er abläuft und welche Nebenwirkungen und Risiken damit verbunden sind. Um dem ärztlichen Eingriff die Rechtswidrigkeit zu nehmen, ist vorher aufzuklären. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um diagnostische oder therapeutische Maßnahmen handelt.
a) Die Verlaufsaufklärung erstreckt sich auf Art, Umfang und Durchführung des Eingriffs. Der Patient muss wissen, was mit ihm geschehen soll und auf welche Weise der Eingriff vorgenommen wird. Dem Aufklärungsempfänger ist, sofern er nicht auf eine solche Erläuterung ausdrücklich verzichtet hat, der beabsichtigte Eingriff in einer seinem Verständnisvermögen angepassten Weise so zu erläutern, dass er, wenn auch nur im Großen und Ganzen, weiß, worin er einwilligt (BGH NJW 1971, 1887).
Die vom Assistenzarzt Dr. A. gegebene Verlaufsaufklärung war unzureichend.
Allein die Unterzeichnung des Informationsblattes „Information über die Angiographie” (Bl. 17, 17 R GA) genügt nicht für die Beweisführung des Arztes (BGH 14.1.1997 – VI ZR 30/96, NJW 1997, 1637 = MDR 1997, 352), den Patienten ausreichend unterrichtet zu haben. Im Vordergrund steht das Gespräch zwischen Arzt und Patient. Der schriftlichen Einwilligungserklärung kommt insoweit allenfalls Indizwirkung zu (BGH v. 29.9.1998 – VI ZR 268/97, NJW 1999, 863 = MDR 1999, 37).
Das von der Klägerin unterzeichnete Formblatt verhält sich nicht über die Embolisierung und den Occlusionstest mit Ballonkatheter.
Es wird (Bl. 17, Abs. 2 und 3 GA) der erste Schritt des Eingriffs beschrieben, indem das Einführen des Katheters in die Blutbahn, das Spritzen des Kontrastmittels und das Entfernen des Kunststoffschlauchs dargestellt werden. Die übrigen Erläuterungen beziehen sich auf Unannehmlichkeiten und auf mögliche Risiken.
Der Zeuge Dr. A. hat keine Erinnerung mehr an das konkrete Aufklärungsgespräch (Bl. 358 oben GA). Er kann insbesondere nichts dazu sagen, ob vor der Angiographie auch die weiteren Schritte mit der Klägerin erörtert worden sind. Wenn er im Vorfeld der Angiographie – so der Zeuge – über weitere diagnostische Maßnahmen aufgeklärt hätte, hätte er das wahrscheinlich auch dokumentiert. Zu dem angeblich von ihm gemalten „Kringel” falle ihm nichts mehr ein (Bl. 358, 359 GA).
Der Zeuge H., Ehemann der Klägerin, ist sich sicher, dass vor dem Eingriff nur über die Angiographie, nicht aber über die weiteren Maßnahmen gesprochen worden ist.
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Klägerin substantiiert nichts über die beabsichtigte Embolisation und den Occlusitionstest vor dem Eingriff an sich etwas gesagt worden ist.
Das Formblatt hat schon deshalb nicht die genannte Indizwirkung, weil es sich nur allgemein auf die Angiographie bezieht. Der Zeuge Dr. A. hat keine konkrete Erinnerung. Eine verwertbare Dokumentation („Kringel”) fehlt. Im Übrigen hat der Zeuge H nachvollziehbar und widerspruchsfrei zum Umfang der Verlaufsaufklärung ausgesagt.
b) Die Risikoaufklärung vermittelt Informationen über die Gefahren eines ärztlichen Eingriffs, nämlich über mögliche dauernde oder vorübergehende Nebenfolgen, die sich auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt, bei fehlerfreier Durchführung des Eingriffs nicht mit Gewissheit ausschließen lassen (Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl., § 64 Rz. 1ff).
Der BGH stellt bei der Beurteilung der „richtigen” Aufklärung seit langem (NJW 1962, 675) auf die Umstände des Einzelfalles ab. Bei dieser Betrachtung sind Umstände einzubeziehen wie die Dringlichkeit des Eingriffs, die Art des Eingriffs, dessen Risikodichte und die Verständigkeit des Patienten.
Die Klägerin wurde über die Risiken der Embolisation und der Occlusionstestung, letzteres führte zu ihrer Schädigung, nicht aufgeklärt.
Wie oben zur Verlaufsaufklärung unter Würdigung des verwandten Formblattes und unter Heranziehung des Ergebnisses der Beweisaufnahme ausgeführt, hat man der Klägerin vor der Angiographie nichts über die beabsichtigte Embolisation und den Occlusionstest mitgeteilt. Daraus lässt sich zwanglos schließen, dass auch über die zusätzlichen gesundheitlichen Risiken dieser Maßnahmen keine Aufklärung stattfand.
Die Klägerin war in dieser Hinsicht jedoch aufklärungsbedürftig.
Das Informationsblatt (Bl. 17 R, 1. Abs.) nennt zwar das Risiko einer Blutung, einer örtlichen Gerinnselbildung und einer eventuellen Verschleppung des Gerinnsels mit dem Blutstrom in andere Regionen, was möglicherweise zu Lähmungserscheinungen oder Sprachstörungen führen könne, also Risiken, die sich auch bei der Embolisation sowie der Occlusionstestung verwirklichen können.
Diese formularmäßige Information enthebt aber nicht von einer spezifisch auf diese Maßnahmen bezogenen Aufklärung.
Es muss nämlich gesehen werden, dass es in allen drei Stufen des Eingriffs, jeweils für sich, zur Komplikation eines sich lösenden Blutgerinnsels kommen kann (vgl. Gutachten Prof. Dr. Schumacher, Bl. 197, 198 GA zur Embolisation und Bl. 200 GA zur Occlusion).
Ein solches Risiko nimmt also der Patient im Verlauf des Eingriffs auf jeder Stufe neu auf sich. Es liegt auf der Hand, dass diese Risikomehrung dem Patienten offenbart werden muss.
Unterstellt werden kann, dass Dr. F. über die Risiken einer Aorten-Bogen-Angiographie „in üblicher Weise” (vgl. Bl. 337 Ga) aufgeklärt hat.
Seine Aufklärung würde sich nur auf den cerebral weit weniger risikoreichen Eingriff der nicht selektiven Angiographie beziehen (vgl. Prof. Dr. S., Bl. 365 GA unten), so dass Raum und Notwendigkeit bestand, über die Risiken des vom Beklagten zu 2) durchgeführten Eingriffs insgesamt und über das Formblatt hinaus mündlich aufzuklären.
Hierfür bestand umso mehr Veranlassung, als ein nur diagnostischer, aber invasiver Eingriff bevorstand und weil die Heilmaßnahme, die Operation des Glomustumors, nur relativ indiziert war.
Bei diagnostischen Eingriffen ohne therapeutischen Eigenwert gelten strengere Maßstäbe für die Aufklärung des Patienten über die mit der medizinischen Maßnahme verbundenen Gefahren, sofern der invasive Schritt nicht gerade dringend oder sogar vital indiziert erscheint. Hier hat der Arzt dem Patienten selbst entfernt liegende Komplikationsmöglichkeiten in angemessener Weise darzutun. Dieser hohe Grad der Aufklärungspflicht ergibt sich daraus, dass jedes dem Patienten zugemutete Eingriffsrisiko seine Rechtfertigung durch die von dem Eingriff erhofften Vorteile bedarf. Diese wiegen gerade beim medizinisch nicht angezeigten Eingriff eher weniger schwer (vgl. Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl., § 64 Rz. 8, 9 m.w.N.).
Die Folgen, die durch die Angiographie selbst eintreten können, sind erheblich (vgl. zur Carotisangiographie OLG Köln v. 18.3.1985 – 7 U 117/84, NJW 1987, 2302). Mag auch das Formblatt mit der Darstellung der Folgen allgemein eine gewisse Indizwirkung entfalten, reicht diese Wirkung zum Umfang der Aufklärung nicht aus (BGH v. 29.9.1998 – VI ZR 268/97, NJW 1999, 863 = MDR 1999, 37).
Der Senat ist der Überzeugung, dass nicht nur nicht über die Risiken der Embolisation und der Occlusionstestung ausreichend aufgeklärt worden ist, sondern auch nicht über die Risiken der selektive Angiographie, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Instrumente weiter in die Blutbahn eingeführt werden, so dass hierdurch eine erhöhte Verletzungsgefahr für die Gefäße besteht (Prof. Dr. S., Bl. 365 GA unten).
Der Zeuge Dr. A. hat an das Aufklärungsgespräch keine konkrete Erinnerung. Der Zeuge H. schildert die Aufklärung so (Bl. 361 GA), dass Dr. A. das Formblatt der Klägerin vorgelegt habe, damit es durchgelesen und unterschrieben würde. Seine Frau, so der Zeuge, sei aufgeregt gewesen und habe wissen wollen, „was denn da passieren könne, ob denn etwas passieren könne”. Ihr sei sinngemäß gesagt worden, seit 7 Jahren sei hier kein Vorfall gewesen; sie könne beruhigt sein; der Arzt kenne sich mit dieser Sache aus (Bl. 361 GA).
Eine solche „Aufklärung” erfüllt nicht die Mindestanforderungen, die an eine Risikoaufklärung über einen diagnostischen Eingriff bei nur relativer Indikation der therapeutischen Maßnahme zu stellen sind.
Für das Patienten-Arzt-Gespräch war die Informationsdichte auch nicht dadurch herabgesetzt, dass das Risiko des Ablösens eines Embolus bei der Angiographie deutlich unter 1 %, im Falle des erweiterten Eingriffs um 1 % liegt.
Über Risiken, die mit der Eigenart eines Eingriffs spezifisch verbunden sind, ist unabhängig von der Komplikationsrate aufzuklären, denn entscheidend ist weniger die quantitative Verwirklichung des Risikos, als vielmehr die qualitative Auswirkung. Diese kann hier – auf allen drei Stufen – eine Halbseitenlähmung und/oder eine Aphasie mit vorübergehendem oder dauerhaftem Bestand sein, eine Folge, für die der Arzt die Entscheidung dem Patienten überlassen muss, ob er das Risiko auf sich nehmen will (BGH v. 7.7.1992 – VI ZR 211/91, NJW-RR 1992, 1241; vgl. ausführlich Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl., § 64 Rz. 3 und N. in Fn. Nrn. 5 und 6).
Weist er aber hierauf nicht hin, ist dem Patienten, der Klägerin, die selbstverantwortliche Entscheidung nicht ermöglicht.
3. Nach der st. Rspr. des BGH (vgl. Nachw. BGH v. 17.3.1998 – VI ZR 74/97, NJW 1998, 2734 = MDR 1998, 716) muss der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahren kann.
Das gilt auch für diagnostische Eingriffe.
Ebenso wie bei ambulanten Operationen reicht es auch hier zwar grundsätzlich aus, wenn die Aufklärung am Tag des Eingriffs erfolgt. In einem solchen Fall muss jedoch dem Patienten im Zusammenhang mit der Aufklärung über die Art des Eingriffs und seine Risiken auch verdeutlicht werden, dass ihm eine eigenständige Entscheidung darüber, ob er den Eingriff durchführen lassen will, überlassen bleibt. Das ist nicht der Fall, wenn die Aufklärung im Untersuchungsraum oder vor dessen Tür dergestalt stattfindet, dass dem Patienten erklärt wird, ohne den Eingriff könne die Operation am nächsten Tag nicht durchgeführt werden, er schon während der Aufklärung mit einer sich nahtlos anschließenden Durchführung des Eingriffs rechnen muss und deshalb unter dem Eindruck steht, sich nicht mehr aus einem bereits in Gang gesetzte Geschehensablauf lösen zu können (BGH v. 4.4.1995 – VI ZR 95/94, NJW 1995, 2410 [2411] = MDR 1995, 908; v. 14.6.1994 – VI ZR 178/93, NJW 1994, 3009 [3010] = MDR 1995, 159; vgl. auch v. 14.11.1995 – VI ZR 359/94, NJW 1996, 777 [779] = MDR 1996, 367; Hoppe, NJW 1998, 782 [783]).
In einer solchen Situation befand sich die Klägerin.
Die nur relativ indizierte Glomusoperation war für den nächsten Tag, den 28.5.1993, fest vorgesehen. Hierauf verweist der Beklagte zu 2) selbst, indem er ausführt, die Überweisung an ihn habe erst am Tag der Untersuchung stattgefunden, so dass die Angiographie nebst entsprechender Aufklärung noch an demselben Tage habe durchgeführt werden müssen (Bl. 43 GA).
Der Zeuge H. hat hierzu ausgesagt, es sei davon gesprochen worden, „dass am nächsten Tag die Operation sei und dass die nicht am nächsten Tag stattfinden könne, wenn heute nicht die Untersuchung gemacht werde” (Bl. 362 GA).
Stand die Klägerin so schon unter Druck, wurde dieser noch verstärkt durch die äußeren Umstände, indem das Aufklärungsgespräch nur kurz und in einem Durchgangsraum stattfand (Bl. 362 GA) und der Eingriff unmittelbar nachfolgte. Unter solchen Verhältnissen war die Entscheidungsfreiheit der Klägerin nicht gewährleistet.
4. Der Beklagte zu 2) kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Klägerin hätte bei vollständiger und rechtzeitiger Aufklärung über die Risiken des diagnostischen Eingriffs in die vorgeschlagene Behandlung eingewilligt.
Der Nachweis der hypothetischen Einwilligung unterliegt strengen Voraussetzungen, damit nicht das Recht des Patienten zur Aufklärung auf diesem Wege unterlaufen wird (BGH v. 17.3.1998 – VI ZR 74/97, NJW 1998, 2734 = MDR 1998, 716).
Hat die Behandlungsseite substantiiert vorgetragen, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung den Eingriff in gleicher Weise hätte durchführen lassen, muss der Patient plausible Gründe dafür darlegen, dass er sich in diesem Falle in einem echten Entscheidungskonflikt befunden haben würde. Abzustellen ist auf die persönliche Entscheidungssituation des Patienten. Was aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre und wie sich ein „vernünftiger” Patient verhalten haben würde, ist deshalb grundsätzlich nicht entscheidend (BGH v. 17.3.1998 – VI ZR 74/97, NJW 1998, 2734 = MDR 1998, 716). Auch kann nicht verlangt werden, dass der Patient genaue Angaben darüber macht, wie er sich wirklich verhalten oder entschieden hätte. Einsichtig machen soll er nur, dass ihm die vollständige Aufklärung über das Für und Wider des ärztlichen Eingriffs ernsthaft vor die Frage gestellt hätte, ob er zustimmen solle oder nicht (vgl. BGH v. 11.12.1990 – VI ZR 151/90, VersR 1991, 315 [316] = MDR 1991, 603; v. 16.4.1991 – VI ZR 176/90, VersR 1991, 812m. Anm. von Schlund = MDR 1991, 844).
Der von der Klägerin geltend gemachte Entscheidungskonflikt ist plausibel.
Die der Klägerin gegebene Aufklärung war verspätet. Die Lebenserfahrung legt daher bereits nahe, dass die Entscheidungsfreiheit der Klägerin im Hinblick auf den psychischen und organisatorischen Druck eingeschränkt war. Daher hätte es schon keines näheren Vortrags bedurft, dass sie durch die Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre (BGH v. 4.4.1995 – VI ZR 95/94, NJW 1995, 2410 [2411] m.w.N. = MDR 1995, 908).
Darüber hinaus ist der Entscheidungskonflikt überzeugend begründet.
Die Klägerin hat bei ihrer Anhörung (§ 141 ZPO) die äußeren Umstände geschildert – die Wartezeit im Flur, den Betrieb durch Ärzte, Patienten und Besucher (Bl. 366 GA). Sie wusste, dass die für den nächsten Tag angesetzte Operation nur relativ indiziert war. Sie hat durch den Glomustumor, der irgendwann einmal hätte operiert werden müssen (Bl. 368 GA) keine gravierenden Beschwerden, und so ist es nachvollziehbar und plausibel, wenn die Klägerin ausführt, dass sie bei umfassender Aufklärung über den diagnostischen Eingriff und dessen Risiken sicher noch länger hätte überlegen und die Operation ein wenig hinausschieben wollen. Damit stand die Klägerin nach ihren persönlichen Verhältnissen bei gehöriger Aufklärung vor einem echten Entscheidungskonflikt, demgegenüber die Behauptung der hypothetischen Einwilligung nicht durchgreift.
Der Senat kann nach alledem feststellen, dass die Pflicht zur Verlaufsaufklärung verletzt worden ist und zwar auch insoweit, als der Klägerin auf dem Operationstisch gesagt wurde, die Adern würden verödet und man setze jetzt den Ballon (Anhörung der Klägerin, Bl. 367 GA). Dies stellt keine eine Selbstbestimmung des Patienten zulassende Aufklärung dar.
Darüber hinaus ist die Klägerin nicht hinreichend über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt worden.
III. Da keine wirksame Einwilligung vorliegt, ist der Eingriff insgesamt rechtswidrig, so dass der Beklagte zu 2) für alle Folgen der Behandlung einzustehen hat, gleich, ob sich ein aufklärungspflichtiges Risiko oder eine sonstige Schadensfolge verwirklicht (vgl. BGH VersR 2001, 592 m. Anm. von Gehrlein).
1. Die Klägerin hat dem Grunde nach einen Anspruch darauf, dass ihre Erwerbsausfälle und ggfls. die Kosten der Haushaltshilfe ausgeglichen werden. Das bedarf keiner weiteren Darlegung.
Die Höhe der hierauf gerichteten Ansprüche bedarf aber noch näherer Darlegung und Klärung. Der Ausspruch über den Grund folgt aus § 304 Abs. 1 ZPO.
2. Die Klägerin hat Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld gem. § 847 ZPO.
a) Sie hat vorgetragen, sie habe sich vom 1.2. bis zum 2.3.1995 zur Rehabilitation in einer Klinik befunden. Sie leide an Antriebslosigkeit bis hin zu suizidalen Gedanken und sei in der Reha-Klinik hauptsächlich mit verhaltenstherapeutisch orientierten Einzelgesprächen behandelt worden. Die psychischen Probleme seien auf die hirnorganisch bedingte Leistungsschwäche zurückzuführen. Es liege noch immer eine Störung der Feinmobilität der rechten Hand sowie eine Auffassungstörung vor. Sie leide unter Kopfschmerzen und Depressionen, die ständig behandelt würden. Auch werde sie logopädisch betreut (Bl. 9, 10 GA). Diese Folgen und diesen Zustand hat die Klägerin bei ihrer Anhörung näher erläutert (Bl. 369 GA).
Das Vorbringen ist unstreitig.
Der Beklagte zu 2) hat lediglich die Höhe des materiellen Ersatzanspruchs bestritten (Bl. 43, 44, 299 GA).
Sein Bestreiten im Termin vom 7.11.2001 bezieht sich nur auf die Angaben der Klägerin, die sie im Verlauf der Anhörung zum Eingriff, zur Aufklärung sowie zum Entscheidungskonflikt gemacht hat (Bl. 370 GA).
b) Der Senat hält ein Schmerzensgeld i.H.v. 50.000 DM für angemessen.
Nach der grundlegenden Entscheidung des großen Senats für Zivilsachen (BGH GrZS 18, 149) soll das Schmerzensgeld dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenigen Lebenshemmungen, die nicht vermögensrechtlicher Art sind. In erster Linie bilden die Größe, die Heftigkeit und die Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentliche Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung.
Zugleich soll das Schmerzensgeld dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet.
Der Umfang des Dauerschadens ist einer der wichtigsten Faktoren (vgl. zu den Bemessungsgrundlagen im Einzelnen Palandt, BGB, 60. Aufl., § 847 Rz. 11 m.w.N.).
Bei der zur Zeit des Eingriffs 46-jährigen Klägerin verwirklichte sich im Verlauf der Occlusionstestung ein Risiko. Es löste sich ein Embolus, der zu einer Halbseitenlähmung und zu einer Aphasie führte. Diese Ausfallerscheinungen haben sich weitgehend und nach intensiven Behandlungen zurückgebildet und zwar schon alsbald nach der Operation des Tumors. Allerdings leidet die Klägerin heute noch an Kopfschmerzen, Auffassungsstörungen und Depressionen und ist in der Feinmobilität der rechten Hand beeinträchtigt. Mit Bescheid vom 7.6.1995 hat die BfA die Klägerin wegen Erwerbsunfähigkeit seit dem 24.5.1993 berentet (Bl. 12–14 GA).
Die Leiden der Klägerin, die anfänglich vollständige Halbseitenlähmung sowie die Aphasie, ihre langandauernde Behandlung die zurückgebliebenen vor allem psychischen Probleme und der Verlust der Erwerbsfähigkeit im Alter von 46 Jahren rechtfertigen kein Schmerzensgeld i.H.v. 100.000 DM, wie es die Klägerin verlangt.
Eine solche Entschädigung wird bei erheblichen und dauerhaften Hirnschädigungen zuerkannt (vgl. Nachweise bei Slizyk, Schmerzensgeld, 3. Aufl., „Von Kopf bis Fuß”, S. 100ff).
Haben sich – wie hier – die Folgen weitestgehend zurückgebildet, gebietet die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes, auch wenn die Klägerin heute noch unter psychischen Störungen leidet und Frührentnerin wurde, keine Bemessung in diesem Bereich.
Darüber hinaus ist im Rahmen der Genugtuungsfunktion zu berücksichtigen, dass die Haftung des Beklagten zu 2) lediglich wegen der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht besteht. Andererseits ist zu bedenken, dass von Seiten des Beklagten zu 2) keinerlei Regulierungsbereitschaft besteht.
Unter Berücksichtigung aller genannten Umstände hält der Senat ein Schmerzensgeld von 50.000 DM für angemessen. Er hält es für angemessen, über Zinsen auf diese Forderung im Schlussurteil zu entscheiden.
3. Der zulässige Feststellungsantrag (§ 256 ZPO) ist begründet.
a) Für das rechtliche Interesse genügt schon die bloße Möglichkeit des künftigen Eintritts weiterer Schäden (BGH NJW 2001, 3414; v. 23.4.1991 – X ZR 77/89, NJW 1991, 2707 = MDR 1992, 76).
Im vorliegenden Fall entfällt das Feststellungsinteresse auch nicht deswegen, weil die Klägerin im Verlauf des Prozesses die Möglichkeit gehabt hätte, einen Großteil des Erwerbsschadens zu beziffern (BGH NJW 1978, 210).
b) Der Feststellungsantrag ist begründet, soweit er sich auf das Ereignis vom 27.5.1993 bezieht, denn bei den Verletzungen, die die Klägerin erlitten hat, ist das Entstehen weiterer materieller und immaterieller Schadensfolgen hinreichend wahrscheinlich (BGH v. 15.7.1997 – VI ZR 184/96, VersR 1997, 1508 [1509] = MDR 1997, 1052).
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze des Beklagten zu 2) (Bl. 382 – 385, 388 – 390, 391, 392 GA) geben keine Veranlassung, zum Grund der Ansprüche die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (§ 156 ZPO).
Kaltenbach Weller Stein

OLG Koblenz vom 29.11.2001
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