OLG Köln: Bond-on 4 ist 1992 zahnmedizinischer Standard

1. Die Verwendung von Bond-on 4, einer Palladium-Kupferlegierung, für eine Prothetik mit Metallkeramikkronen entsprach jedenfalls bis Dezember 1992 zahnmedizinischem Standard.

2. Dies gilt auch bei einer Patientin, die an Multipler Sklerose leidet.

3. Eine Verwendung von Bond-on 4 wie oben beschrieben ist auch nicht behandlungsfehlerhaft gewesen neben dem Einsatz von Goldinlays.

OLG Köln, Urt. v. 29.10.1997 – 5 U 124/96 (rechtskräftig)
Instanzen:
LG Köln - 25 O 95/94
BGB §§ 611, 631


Sachverhalt:

Die 1955 geborene, gesetzlich krankenversicherte Beklagte, die an Multipler Sklerose litt und leidet – die Erkrankung war ihr seit Ende 1991/Anfang 1992 bekannt –, wurde im Jahre 1992 von den Klägern, die in K. gemeinschaftlich eine Zahnarztpraxis betreiben, behandelt. Die Beklagte, deren Gebiß im wesentlichen mit Amalgamfüllungen versorgt war, wünschte deren Entfernung, weil sie – wie sie den Klägern erläuterte – annahm, das Amalgam könne sich verschlimmernd auf ihre vorgenannte Grunderkrankung der Multiplen Sklerose auswirken. Der klägerische Ehemann riet der Beklagten, die Amalgamfüllungen entfernen zu lassen und – soweit möglich – durch Goldgußfüllungen zu ersetzen; einige Zähne aber könnten nur durch Überkronung saniert werden. Die Beklagte stimmte dem zu. Die näheren Einzelheiten zu den Vorgesprächen sind zwischen den Parteien streitig.
In einem ersten Behandlungsabschnitt versorgten die Kläger den Oberkiefer der Beklagten wie folgt: Mit zwei Brücken von 13 auf 15 und von 25 auf 27, einer Einzelkrone auf Zahn 16 sowie mit Inlays bei den Zähnen 17 und 24. Für die Inlays verwandten die Kläger das Material Degulor M, für die Kronen und Brückenglieder das Material Bond-on 4 (eine Legierung, die zu 80 Masseprozent aus Palladium, zu 7 Masseprozent aus Zinn, zu 6 Masseprozent aus Gallium, zu 5 Masseprozent aus Kupfer sowie aus weiteren Metallen besteht). Für die Versorgung des Oberkiefers stellten die Kläger der Beklagten einen Eigenanteil von 4.939,50 DM in Rechnung. Die Beklagte zahlte diesen Betrag.
In der Folgezeit versorgten die Kläger in einem zweiten Behandlungsabschnitt – im Zeitraum vom 16.11. bis 30.12.1992 – den Unterkiefer der Beklagten; die Zähne 44-47 und 34-37 wurden jeweils mit metallkeramisch verblendeten Einzelkronen versorgt. Wiederum wurde für die Kronen als Material Bond-on 4 verwandt.
Unter dem 7.12.1992 rechneten die Kläger über den für die Versorgung des Unterkiefers auf die Beklagte entfallenden Eigenanteil ab; ihre Liquidation schloß mit einem Betrag von 5.691,86 DM.
Die Kläger begehren Zahlung des vorgenannten Rechnungsbetrages durch die Beklagte.
Die Beklagte macht geltend, schon zur Zeit der Behandlung im Jahre 1992 sei bekannt gewesen, daß Palladium-Kupfer-Legierungen, zu denen sie Bond-on 4 rechnet, gesundheitlich jedenfalls bedenklich seien. Die Beklagte ist der Auffassung, die Kläger hätten zumindest hierauf hinweisen müssen. Die Beklagte behauptet, falls ein solcher Hinweis erfolgt wäre, hätte sie, die Beklagte, die Verwendung von Bond-on 4 abgelehnt.
Mit ihrer Widerklage begehrt die Beklagte zum einen Rückzahlung der von ihr auf die Versorgung des Oberkiefers gezahlten 4.939,50 DM, des weiteren die Verurteilung der Kläger zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, und zwar bezüglich der Versorgung von Ober- und Unterkiefer, wobei die Beklagte als Größenordnung ihrer Schmerzensgeldforderung 5.000 DM angibt, sowie schließlich Feststellung hinsichtlich zukünftiger Schäden.
Das LG hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.
Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Die Beklagte ist nicht berechtigt, die Zahlung des mit der Klage verlangten Honorars für die Versorgung ihres Unterkiefers zu verweigern; ebensowenig konnte sie mit ihrer Widerklage Erfolg haben. Denn Schadensersatzansprüche vertraglichen oder deliktsrechlichen Ursprungs, welche der Durchsetzung der Honorarforderung entgegenstünden und der Widerklage zur Durchsetzung verhelfen würden, stehen der Beklagten nicht zu, weil den Klägern keine Behandlungs- oder Aufklärungs- bzw. Beratungsfehler zur Last zu legen sind.
1.) Auch nach dem Ergebnis der in der Berufungsinstanz ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme kann den Klägern die Verwendung der Legierung „Bond-on 4” für die bei der Beklagten im Ober- und Unterkiefer angepaßten Kronen und Brücken nicht als Behandlungsfehler vorgeworfen werden. Der Arzt bzw. Zahnarzt schuldet seinen Patienten bei der jeweiligen Diagnose und Behandlung diejenige Sorgfalt, welche dem zum Zeitpunkt der Behandlung anerkannten und gesicherten

Stand der Medizin entspricht (vgl. dazu Geiß, Arzthaftungsrecht, 2. Auflage, S. 65). Diesen Sorgfaltsanforderungen sind die Kläger nach der Überzeugung des Senats gerecht geworden. Wie der Sachverständige Prof. Dr. S. – an dessen hoher fachlicher Qualifikation ebensowenig Zweifel besteht wie an seiner persönlichen Unvoreingenommenheit – in seinen insoweit keiner Ergänzung bedürftigen erstinstanzlichen Gutachten eingehend dargelegt hat, entsprach die Verwendung von Palladium-Kupfer-Legierungen, wozu Bond-on 4 gehört, den im Behandlungszeitraum gültigen Richtlinien des Bundesausschusses für die kassenzahnärztliche Versorgung mit Zahnkronen und Zahnersatz vom 1. April 1986. Danach sollten Palladium-Silber- oder Palladium-Kupfer-Legierungen als Regelversorgung zur Anwendung kommen, woraus auch deutlich wird, daß seinerzeit in der Zahnmedizin die Überzeugung herrschte, daß derartige Legierungen gesundheitlich grundsätzlich unbedenklich seien. Palladium-Kupfer-Legierungen entsprachen damit dem zahnmedizinischen Standard. An dieser Beurteilung hat sich auch bis zum Ende der Behandlung durch die Kläger im Dezember 1992 nichts Entscheidendes geändert. Die in der Novemberausgabe des Bundesgesundheitsblatts 1992 wie auch in dem am 16. November 1992 erschienenen Heft Nr. 22 der Zeitschrift „Zahnärztliche Mitteilungen” abgedruckte Empfehlung der Mitarbeiterin des Bundesgesundheitsamtes Dr. Z., zukünftig keine Palladium-Kupfer-haltigen Dentallegierungen ohne Nachweis ihrer Bioverträglichkeit mehr zu verwenden, war zwar, wie sich aus der Rückschau nachvollziehen läßt, eine richtunggebende Stimme für die weitere Entwicklung, die im August 1993 zu der Empfehlung des Bundesgesundheitsamtes führte, Palladium-Kupfer-Legierungen nur noch bei Nachweis ihrer Korrosionsfestigkeit und Bioverträglichkeit anzuwenden, und in die entsprechende Änderung der Zahnersatz-Richtlinien im Januar 1994 mündete. Die Zielrichtung ist dabei, wie Prof. S. bei seiner mündlichen Anhörung durch den Senat noch einmal verdeutlicht hat, eine Risikominimierung; ob tatsächlich ein Gesundheitsrisiko besteht, sei bis heute nicht geklärt. Aus all dem erhellt, daß von einer Änderung des zahnmedizinischen Standards bis zum Abschluß der Behandlung durch die Kläger Ende Dezember 1992 keine Rede sein kann.
Die Kläger waren nicht gehalten, im Hinblick auf den Aufsatz von Dr. Z. von der Verwendung der Legierung Bond-on 4 abzusehen. Zu dem Zeitpunkt, als dieser Aufsatz erschien, also am 16. November 1992 – wobei den Klägern nach Auffassung des Senats auch noch eine angemessene Frist von etwa zwei Wochen zur Kenntnisnahme zugebilligt werden muß – war die Behandlung des Oberkiefers abgeschlossen und die Ende Oktober 1992 von der Krankenkasse der Beklagten entsprechend dem Heil- und Kostenplan gebilligte Unterkieferversorgung nahe vor dem Abschluß. Um einer medizinischen Behandlung in einem solchen Stadium eine völlig andere Richtung zu geben – hier hätte die gesamte Versorgung des Unterkiefers und überwiegende Teile der Oberkieferversorgung neu geplant und angefertigt werden müssen – hätte es nach Auffassung des Senats entschieden nachhaltigerer Hinweise bedurft, nämlich einer als gesichert dargestellten wissenschaftlichen Erkenntnis, aus der sich eine Gesundheitsgefährdung der Patientin ergeben hätten. Diesen Anspruch konnte der Aufsatz von Dr. Z. nicht für sich erheben. Dies gilt im übrigen auch für den von der Beklagten beigebrachten Aufsatz aus dem Jahre 1986 in der Zeitschrift „D.” Nr. 5/86 wie auch die Veröffentlichung von S. aus August/Oktober 1992, welche zwar von einem ungünstigen Korrosionsverhalten verschiedener Palladium-Legierungen – darunter Bond-on 4 – berichteten, jedoch mangels seinerzeit vorliegender Grenzwerte für den Praktiker keine zwingenden Schlußfolgerungen lieferte, wie auch das Landgericht mit Recht gemeint hat. Dabei ist vorliegend auch zu berücksichtigen, daß Bond-on 4 in dem hier entscheidenden Zeitraum zu den empfohlenen Materialien für die Regelversorgungen gehörte und es sich hierbei um eine in der Praxis vielfach verwendete, seit 1983 eingeführte und von einem namhaften Hersteller stammende Legierung handelte. Die Sorgfaltsanforderungen eines niedergelassenen Zahnarztes würden überspannt, wenn er sich im Hinblick auf solche wissenschaftliche Diskussionen überhaupt erst initiierende Veröffentlichungen, mit der Zusammensetzung erprobter Legierungen auseinandersetzen müßte und dies auch noch, nachdem die Planungsphase der Versorgung beendet und die Ausführung fast beendet ist. …
Die den Klägern bekannte Erkrankung der Beklagten an einer Frühform der sogenannten Multiplen Sklerose gibt zu einer anderweitigen Beurteilung keinen Anlaß. Wie Prof. S. in der Berufungsinstanz noch einmal verdeutlicht hat, liegen bis heute keine wissenschaftlichen Beweise dafür vor, daß durch Palladium oder Palladium-Legierungen die Entstehung und der Verlauf einer MS-Erkrankung beeinflußt wird, so daß eine zahnprothetische Versorgung mit Palladium-Legierungen aus objektiver medizinischer Sicht nicht zu beanstanden sei. Tatsächlich ist, wie der Senat aus seiner verschiedentlichen Befassung mit Prozessen um MS-Erkrankungen selbst weiß, diese Krankheit von ihrer Ätiologie her noch gänzlich ungeklärt; neben Virusinfektionen wird eine Autoimmunisierung als Ursache diskutiert (vgl. dazu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Aufl., Stichwort: „Multiple Sklerose”). Die von der Beklagten beigebrachte Literatur – das Schreiben des Dr. med. dent. K. vom 1.12.1993; der Aufsatz von Schleicher/Bannasch „Immunschäden durch Toxine” wie insbesondere auch der Artikel in der „Z.” 37/95 – liefert denn auch allenfalls Hinweise, jedoch keinerlei konkrete Belege für einen Zusammenhang zwischen Schwermetallen wie Palladium und der Entstehung bzw. Förderung einer MS-Erkrankung. Der akute Schub der Beklagten nach Abschluß der Behandlung durch die Kläger läßt seinerseits keinerlei Rückschlüsse auf einen kausalen Zusammenhang zu, wie sich bereits daraus ergibt, daß nach dem von der Beklagten eingereichten Bericht des praktischen Arztes N. vom 19. Juli 1994 bei Laboruntersuchungen keine über das Normalmaß hinausgehenden Schwermetallwerte – Palladium ist ausdrücklich erwähnt – gefunden wurden.
Die Tatsache, daß die Legierung Bond-on 4 bei der Beklagten als weitere Legierung neben zwei Inlays aus einer Goldlegierung (hier: Degulor) verwendet wurde, ist, wie das in der Berufungsinstanz eingeholte Ergänzungsgutachten von Prof. Dr. S. überzeugend ergeben hat, bedenkenfrei.

Beide Legierungen sind auf der Basis von Edelmetallen hergestellt – Palladium rechnet ebenso wie Gold zur Gruppe der Edelmetalle – und von daher sehr ähnlich im Korrosions- bzw. Lösungsverhalten. Von Prof. S. selbst durchgeführte Versuche haben dies bestätigt: In der für die Tests verwendeten künstlichen Speichelflüssigkeit fand sich kein Nachweis gelöster Ionen. Es erschien dem Senat unter diesen Umständen absolut plausibel, daß Prof. S. die verschiedentlich verlautbarte Forderung, daß in einer Mundhöhle nur ein Legierungstyp verwendet werden solle, als werbewirksam für den Absatz der Zahnmetallhersteller, aber im übrigen in ihrer Allgemeinheit unsinnig bezeichnet hat. …

OLGReport Köln 1998, 27
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