OLG Hamm: Aufklärender Arzt als Verrichtungsgehilfe des Operateurs

1. Der die Aufklärung durchführende Arzt ist nicht notwendig Verrichtungsgehilfe des Operateurs.

2. Zu den Anforderungen an den überraschend einspringenden Operateur hinsichtlich des Vergewisserns einer wirksamen Einwilligung des Patienten.

3. Kommen sowohl Vollnarkose als auch Periduralanästhesie bei einer Operation als Narkosetechniken in Betracht, ist letzterer in der Regel der Vorzug zu geben.

4. Zu den Vorteilen der Katheter-Periduralanästhesie gegenüber der Single-Shot-Periduralanästhesie.

5. Das Entstehen einer Nervenläsion nach einer Periduralanästhesie läßt nicht den Schluß auf einen Behandlungsfehler zu.

OLG Hamm, Urteil v. 01.07.1991 – 3 U 20/91
Instanzen:
LG Münster - 11 O 96/90
BGB §§ 823, 831, 847


Aus den Entscheidungsgründen:

... Der Beklagte haftet nicht wegen fehlerhafter Aufklärung des Klägers.
Hinsichtlich des eigentlichen Aufklärungsgespräches kann dem Beklagten schon deshalb kein Fehlverhalten vorgehalten werden, weil dieses nicht von ihm, sondern von seinem Kollegen Dr. G vorgenommen wurde. Für ein Verschulden des Dr. G hat der Beklagte nicht einzustehen, da dieser nicht sein Verrichtungsgehilfe i.S.d. § 831 BGB war. Es war nicht so, daß der Beklagte als verantwortlicher Anaesthesist die Aufklärung an einen Kollegen delegiert hatte, sondern Dr. G sollte eigentlich die Anaesthesie vornehmen, war jedoch dann am Morgen der Operation verhindert, so daß der Beklagte überraschend "einspringen" mußte. Allerdings mußte der Beklagte auch unter diesen Umständen in eigener Verantwortung vor Ausführung der Anaesthesie überprüfen, ob eine ordnungsgemäße Aufklärung stattgefunden hatte. Nach den ihm vorliegenden schriftlichen Unterlagen durfte er aber davon ausgehen.
Der Kläger ist ausweislich des von ihm unterschriebenen Einwilligungsformulars über die verschiedenen zur Wahl stehenden Anaesthesiemethoden und ihr Für und Wider aufgeklärt worden. Auf S. 1 des Formulars sind die Unterschiede zwischen Narkose und örtlicher Betäubung dargelegt worden. Innerhalb der örtlichen Betäubung ist die Vorgehensweise bei der Periduralanästhesie erklärt worden. Die Risiken der verschiedenen Anästhesieverfahren sind auf S. 2 des Formulars erläutert worden. Hierbei ist unter anderem auch darauf verwiesen worden, daß Nervenschäden bei der Periduralanästhesie zwar extrem selten, aber immerhin möglich sind. Der aufklärende Arzt hat zusätzlich in dem Formular handschirftlich vermerkt, daß u.a. die Gefahr einer "Nervenläsion" besprochen worden sei.
Die Einwilligung des Klägers erfolgte ausweislich der "Ankreuzungen" auf der letzten Seite des Formulars sowohl für "Narkose" als auch für "Regionalanästhesie". Bei letzterer ist zudem handschriftlich hinzugefügt worden "PDA". Eine Einschränkung der Einwilligung auf bestimmte Anästhesieverfahren ist nicht erfolgt.
Unter diesen Umständen durfte der Beklagte davon ausgehen, daß der Kläger sowohl mit Narkose als auch mit PDA einverstanden war und letztlich die Wahl zwischen den beiden Anästhesieverfahren dem Anästhesisten überlassen hatte. Die Durchfürung der PDA war deshalb durch eine wirksame Einwilligung des Klägers gedeckt.
Im übrigen würde selbst ein Verschulden des Beklagten im Bereich der Aufklärung nicht zu seiner Haftung führen, da davon auszugehen ist, daß der Kläger sich bei korrekter Durchführung der Aufklärung auch für die Katheter-Periduralanästhesie entschieden hätte. Wie der Sachverständige Dr. M vor dem Senat überzeugend dargelegt hat, ist diese Art der Anästhesie diejenige, die für den Patienten bei weitem die geringsten Risiken mit sich bringt. Gerade im Bereich der Urologie werden seiner Erfahrung nach die erwachsenen Patienten ausschließlich so anästhesiert. Auch diejenigen, die zunächst Vollnarkose wünschen, entschließen sich nach Belehrung über die Vorteile der PDA letztlich für diese lokale Anästhesie. Unter diesen Umständen ist die Erklärung des Klägers, er habe auf jeden Fall Vollnarkose haben wollen, da er lieber im Rollstuhl aufwachen wolle als überhaupt nicht, nicht geeignet, einen Entscheidungskonflikt bei ordnungsgemäßer Aufklärung plausibel darzulegen. Denn es ging nicht um die Wahl zwischen verschiedenen Risikoarten - hier Tod, dort Lähmung -, sondern darum, daß bei einer Vollnarkose das Risiko für die unterschiedlichsten Komplikationen deutlich höher lag, als bei der Katheter-PDA.
Der Beklagte haftet auch nicht wegen fehlerhafter Behandlung.
Die Katheter-PDA war die Anästhesiemethode der Wahl. Wie der Sachverständige Dr. M bereits in seinem schriftlichen Gutachten überzeugend dargelegt hat, war zunächst der Lokalanästhesie gegenüber der generellen Anästhesie der Vorzug zu geben. Bei der generellen Anästhesie werden Anästhetika im Grammbereich gegeben, vitale Funktionen ausgeschaltet und vom Anästhesisten übernommen. Dies kann zur Verletzung der Zähne, Läsion der Stimmbänder und der Trachea, zu hyperergen Reaktionen, malignen Hyperthermien, postoppereativem Erbrechen, hypoxämischen Folgezuständen, Amnesieen und Merkschwächen führen und birgt sogar eine Gefahr für das Leben in sich. Diese Folgen, die immer wieder beschrieben werden, können bei einer Regionalanästhesie nicht auftreten. Bei dem Kläger kam noch hinzu, daß gerade der Umstand, daß er bei der vorangegangenen Operation Vollnarkose bekommen hatte, es angeraten sein ließ, diese Anästhesieart nicht zu wiederholen. Der Sachverständige hat insoweit auf die in jüngster Zeit mehrfach beschriebene Möglichkeit allergische Reaktionen hingewiesen.
Innerhalb der Lokalanästhesie war die Katheter-PDA für die bei dem Kläger durchzuführende Opperation geboten. Gegenüber der "Single-Shot-PDA" hat die Katheter-PDA den Vorteil unbegrenzter Fortsetzung und Herstellung der Schmerzfreiheit, ohne damit eine systemische Wirkung auf den Gesamtorganismus auszuüben. Gerade im Bereich operativer Eingriffe, die länger dauern können, ist so jederzeit durch Nachinjektionen über den liegenden PDA-Katheter eine unbefristete Operationsdauer gewährleistet

Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, daß bei dem Kläger u.a. eine Orchidopexie durchgeführt werden sollte. Angaben über die Dauer der Operation lagen dem Beklagten nicht vor. Dies ist auch nicht üblich. Ein Eingriff dieser Art kann aber bis zu 4 Stunden dauern. Die Katheter-PDA war deshalb medizinisch indiziert.
Die Katheter-PDA ist - wie der Sachverständige bestätigt hat - von dem Beklagten sachgerecht und "lege artis" durchgeführt worden. Insbesondere ergibt sich nicht aus dem Umstand, daß sich das als extrem selten beschriebene Risiko einer Nervenläsion verwirklicht hat, der Schluß, da müsse ein ärztlicher Fehler vorgelegen haben. Zu Recht hat der Sachverständige darauf verwiesen, hier habe sich das geringe Restrisiko eben - bedauerlicherweise - einmal verwirklicht. ...

OLGReport Hamm 1991, 8
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