OLG Stuttgart: Werbung für metallfreien Zahnersatz

Zahnfüllungs- und Zahnersatzmaterial sind als Medizinprodukte im Sinne von § 3 Nr. 1 MedPrdG keine Arzneimittel im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWG in Verbindung mit § 2 AMG.
Weder die bildliche Darstellung der Zahnsituation nach der Behandlung mit Zahnfüllungs- und Zahnersatzmaterial noch Angaben über Aussagen der Zahnsituation nach der Behandlung mit solchem Material sind Aussagen, die sich im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von menschlichen Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden beziehen.
Das gilt auch für die Wiedergabe Aussagen Dritter, daß bei der Verwendung der genannten Materialien Außenstehende Zahnersatz und Zahnkorrekturen nicht erkennen können.
Für die Abbildung einer Person in weißer Berufskleidung und für Angaben, daß die Materialien erfolgreich angewendet wurden, gilt das gleiche.

OLG Stuttgart, Urt. v. 12.11.1999 – 2 U 98/99
Instanzen:
LG Ellwangen - 1 KfH O 46/99
AMG § 2; HWG § 1; MedPrdG § 3 Nr. 1; UWG § 3


Sachverhalt:

Die Antragstellerin wendet sich im Verfügungsverfahren gegen Werbeaussagen in zwei als „Patienten-Informationen” bezeichneten Broschüren der Antragsgegnerin, in denen diese das von ihr hergestellte Zahnfüllungs- und Zahnersatzmaterial I. und T. bewirbt. Ihrem Text- und Bildinhalt nach dienen die beiden in Zahnarztpraxen zur Verteilung kommenden Broschüren primär dem Hinweis darauf, welche Vorteile die Verwendung der Materialien für die Ästhetik und das Aussehen des Patienten hat.
Die Antragstellerin hat die Ansicht vertreten, die Materialien fielen gem. § 1 I Nr. 1 HWG unter den Anwendungsbereich

des HWG, da sie aufgrund ihrer Verwendung für Zahnplomben und -prothesen Arzneimittel i.S.d. § 2 I Nr. 1 AMG seien. Eröffnet sei der Anwendungsbereich des HWG außerdem über § 1 I Nr. 2 HWG, weil es um Beseitigung von Körperschäden und krankhaften Zuständen gehe. Die Werbung richte sich jeweils nicht an Fachkreise, sondern an Laien.
Das LG hat den Verfügungsanträgen in vollem Umfang stattgegeben. Es hat das HWG für anwendbar gehalten, weil es sich bei den beworbenen Produkten zwar nicht um Arzneimittel, jedoch um Medizinprodukte und damit um „Gegenstände” i.S.d. § 1 I Nr. 2 HWG handele. Dabei reiche es aus, daß der gesundheitliche Bezug Nebenzweck der Werbeaussage sei. Zwar werde in der Werbung primär auf den ästhetischen Effekt der Produkte hingewiesen, die Werbung beziehe sich jedoch auch auf die „Beseitigung oder Linderung von Leiden und Körperschäden” i.S.d. § 1 I Nr. 2 HWG. Die beanstandeten Aussagen verstießen gegen § 11 Nr. 2, 4, 5b, 11 HWG. Selbst wenn man zugunsten der Antragsgegnerin unterstelle, daß sie die Broschüren nur an Zahnärzte aushändige, wünsche sie doch die Weitergabe an die Patienten. Deshalb sei es unerheblich, ob die Broschüren von den Zahnärzten nur im Zusammenhang mit einem Beratungsgespräch ausgehändigt oder sie in den Wartezimmern ausgelegt würden.
Auf die Berufung der Antragsgegnerin hat das OLG das Urteil des LG abgeändert und den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Aus den Gründen:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die geltend gemachten Unterlassungsansprüche können nicht auf die Verbotstatbestände des § 11 HWG gestützt werden, denn die beanstandete Werbung wird von den Vorschriften des HWG nicht erfaßt. Ein Verbotsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 3 UWG.
… II. Die verfolgten Unterlassungsansprüche sind auch mit dem in der neuesten Antragsfassung konkretisierten Inhalt aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht aus § 11 Nr. 2, 4, 5b, 11 HWG i.V.m. § 1 UWG begründet.
1. Bereits der Anwendungsbereich des HWG ist nicht eröffnet, denn es liegen weder die Voraussetzungen des § 1 I Nr. 1 noch Nr. 2 HWG vor.
a) Die in den Broschüren beworbenen Produkte der Antragstellerin sind keine Arzneimittel (s. § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWG i.V.m. § 2 AMG), sondern „Gegenstände” i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG. Sie fallen als Zahnfüllungswerkstoffe unter § 3 Nr. 1 MedProdG, denn ihr Zweck wird vorwiegend auf physikalischem Weg erreicht, während im Gegensatz dazu Arzneimittel ihren Zweck vorwiegend auf pharmakologischem Weg erfüllen (Bülow/Ring, HWG, § 1 Rz. 107 unter Hinweis auf die amtliche Begründung zum MedProdG in BR-Drucks. 928/93, 71 und in BT-Drucks. 12/6991, 28). Als Medizinprodukte aber sind sie nach dem Negativkatalog des § 2 III AMG, hier Nr. 7, keine Arzneimittel. Wegen der physikalischen Wirkungsweise kann man die Arzneimittel-Eigenschaft auch nicht aus § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG (am/im Körper anzuwendender Stoff mit der Bestimmung, den Körperzustand zu beeinflussen) herleiten.
b) Der Anwendungsbereich des HWG könnte daher lediglich unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG eröffnet sein.
Nach dieser Norm kommen die Vorschriften des HWG dann zur Anwendung, wenn es um Werbeaussagen geht, die sich auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von menschlichen Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden beziehen. Hierfür genügt es, daß einer der genannten gesundheitlichen Zwecke zumindest Nebenzweck der jeweiligen Werbung ist. Vorausgesetzt wird demnach, daß in der jeweils beanstandeten Werbung nach dem Eindruck eines nicht unbeachtlichen Teils der angesprochenen Verkehrskreise wenigstens beiläufig eine auf die gesundheitlichen Zwecke des § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG bezogene Aussage getroffen wird (Doepner, HWG, § 1 Rz. 89). Die Beseitigung von Krankheiten etc. entspricht dabei der Heilung i.S.d. AMG und meint die Rückkehr zum Zustand vor dem Auftreten der Krankheit, des Leidens oder der Beschwerden (Doepner, HWG, § 1 Rz. 35). Lindern bedeutet sowohl das Herabsetzen der durch die Krankheit etc. hervorgerufenen subjektiven Beschwerden als auch die Besserung objektiver Befunde, ohne daß es zu einer vollständigen Heilung kommen muß (Doepner, HWG, § 1 Rz. 36). In der Literatur und Rspr. wird demgemäß die Auffassung vertreten, daß Brillen, Hörgeräte und (Zahn-)Prothesen nicht per se in den Anwendungsbereich der Vorschriften fallen, da es sich dabei um Gegenstände handle, die die körperliche Beeinträchtigung nicht beseitigen oder lindern, sondern lediglich ausgleichen; auch hier könne deshalb erst die Art der Werbeaussage, z.B. „Mit dieser Brille bekämpfen Sie den grauen Star” zur Anwendung des HWG führen (Bülow/Ring, HWG, § 1 Rz. 116 unter Hinweis auf die amtliche Begründung zum MedProdG in BR-Drucks. 928/93, 71 und in BT-Drucks. 12/6991, 28; Doepner, HWG, § 1 Rz. 83; Schneider, WRP 1966, 359 [360]). Das BVerwG hat diese Frage bisher offengelassen (vgl. für Brillen NJW 1966, 1187; für Zahnfüllungswerkstoffe BVerwG v. 30.5.1985 – 3 C 53/84, BVerwGE 71, 318 [321]).
Nach diesen Maßstäben sind vorliegend die Voraussetzungen des § 1 Nr. 2 HWG nicht erfüllt mit der Folge, daß der Anwendungsbereich des HWG nicht eröffnet ist. Zwar mag man annehmen können, daß die Füllung eines durch Karies geschädigten Zahnes und die Schließung einer Zahnlücke durch Zahnersatz der Linderung eines Körperschadens dient. § 1 I Nr. 2 AWG setzt jedoch darüber hinaus eine Werbeaussage in bezug auf die Linderung des Körperschadens voraus. Daran fehlt es hier. Sämtliche hier beanstandeten Werbeaussagen beider Broschüren befassen sich ausschließlich mit dem Schönheitsaspekt des beworbenen Materials. Die Aussagen beziehen sich allein darauf, wie das Material der Antragsgegnerin im Mund des Patienten aussieht. Die Gegenüberstellung von Abbildungen mit metallischem Zahnfüllungsmaterial einerseits und dem Material der Antragsgegnerin andererseits bezieht sich nicht auf die Linderung des Kariesschadens, sondern allein auf das optische Erscheinungsbild

des Zahnes. Die Abbildung einer Person in weißer Berufskleidung besagt für sich allein genommen nichts über die Linderung. Dasselbe gilt für die Aussage, daß die Materialien erfolgreich angewendet würden, denn der damit angesprochene Erfolg bezieht sich ebenfalls nur auf das vorteilhafte Aussehen, nicht jedoch auf die Linderung des Schadens. Jeglicher Krankheitsbezug fehlt auch den Aussagen abgebildeter Personen, die uneingeschränkt ihre Zähne zeigen und berichten, daß sie mit gutem Gefühl lachen könnten. Keinerlei Bezug auf Linderung von Körperschäden enthalten auch die angegriffenen Aussagen Dritter. Allen angegriffenen Aussagen und Abbildungen ist vielmehr gemeinsam, daß mit ihnen hervorgehoben wird, daß bei Verwendung der Materialien der Antragsgegnerin Außenstehende Zahnersatz und -korrekturen nicht erkennen können. Die vergleichenden Fotografien und die den abgebildeten Personen zugeordneten Aussagen dienen allein dem Hinweis auf das unauffällige Aussehen des Materials. Nirgends wird ausgedrückt, daß bei der Anwendung des Materials der ursprüngliche, natürliche Zustand wieder hergestellt werde, wie er vor der Karieserkrankung bzw. vor dem Zahn (Teil-)Verlust bestanden hat. Beseitigung/Linderung einer Krankheit oder eines Schadens durch das Material findet nicht nur nicht statt, sondern dahingehend wird auch nicht geworben. Mit Recht betont die Berufung, daß der Zahnarzt Karies mit anderen Methoden beseitigt.
Zwar ist der Antragstellerin einzuräumen, daß Zahnfüllungs- bzw. Zahnersatzmaterial dem Zweck nach der „Beseitigung oder Linderung von Körperschäden” dient. Solange es aber, wie in den beanstandeten Aussagen der Fall, nur um den Ausgleich des durch Karies/Zahnverlust eingetretenen optischen Aussehens geht, ist der auf Heilung, Linderung oder Beseitigung abstellende Schutzzweck des HWG nicht berührt. Die Maßnahmen, die unter Heranziehung des beworbenen Materials getroffen werden, verbessern den objektiven Befund, daß es sich um geschädigte Zähne handelt, nicht. Der Ausgangszustand kann nicht wieder hergestellt werden, nur dieser Erfolg aber wäre eine „Beseitigung eines eingetretenen Körperschadens”, nicht aber dessen bloß optische Kaschierung durch Ersatzmaterial, wie es hier unter Hervorhebung dessen unauffälligen Aussehens beworben wird.
Da keine der konkret beanstandeten Darstellungen oder Aussagen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG krankheitsbezogen ist, ist der Anwendungsbereich des HWG schon insgesamt nicht eröffnet. Es ist deshalb unerheblich, ob die mit den 7 Unterlassungsanträgen herausgegriffenen Darstellungen und Aussagen die von der Antragstellerin als verletzt angesehenen Verbotstatbestände des § 11 HWG erfüllen.
c) An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts dadurch, daß die Antragsgegnerin ihre Produkte als Alternative zu den Werkstoffen Amalgam und Gold herausstellt. Damit wird ebenfalls nur das Thema Zahnfüllung und Zahnersatz als solches angesprochen. Da aber weder bei Zahnfüllungen noch bei Zahnersatz noch bei Reparaturen von abgebrochenen Zähnen eine Rückkehr zum Ausgangszustand möglich ist, scheidet auch unter diesem Aspekt eine Beseitigung oder Linderung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG aus. Die Verbesserung des objektiven Befundes wird allein durch das der Füllung vorangehende Entfernen der von Karies befallenen Zahnsubstanz erreicht. Auch subjektive Beschwerden werden durch die Füllungen nicht herabgesetzt. Stattdessen wird allein der Körperschaden ausgeglichen, indem der Zahn oder die Zahnlücke verfüllt werden. …

OLGReport Stuttgart 2000, 105
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