AG Charlottenburg: Produkthaftung bei Fehlerverdacht (“Herzschrittmacher”)

Ein Produktfehler eines “Herzschrittmachers” (im entschiedenen Fall handelte es sich wohl eher um einen Implantierbaren Cardioverter Defibrillator) ist nicht ausreichend substantiiert dargelegt, wenn der Kläger allein die Abgabe inadäquater Schocks mitteilt und die Ursache hierfür in einer Fehlerhaftigkeit der Sonde pauschal behauptet. Denn ursächlich können auch eine fehlerhafte Einbringung der Sonde oder eine Schädigung durch äußere Einflüsse nach Inverkehrbringen durch den Hersteller sein.

Grundsätzlich kann ein Produktfehler auch in einer abstrakten Fehlerwahrscheinlichkeit des Produkts begründet sein, welche die berechtigte Erwartung der betroffenen Patienten in die Sicherheit des Produkts enttäuscht (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 26.10.2010 – 21 U 163/08). Die Operationskosten für das Einsetzen einer neuen Sonde stellen aber dann keinen durch die abstrakte Fehlerwahrscheinlichkeit verursachten Schaden dar, wenn die Operation nicht rein vorsorglich, sondern als Notfallbehandlung erfolgte.

AG Charlottenburg, Urteil v. 06.06.2013 – 202 C 634/12
§ 1 Abs. 1 ProdHaftG
Andere Fundstellen: MPR 2013, 170 mit Anm. Handorn


Tatbestand:

Die klagende Krankenkasse beansprucht Ersatz der Behandlungskosten für eine zum Austausch einer zu einem Herzschrittmacher gehörenden Sonde erforderliche Operation, welche am 25.03.2008 bei der bei der Klägerin versicherten B. F. durchgeführt wurde.

Der Versicherten war am 12.05.2005 unter anderem eine Sonde S F implantiert worden. Hersteller dieses Gerätes ist die in den USA ansässige M. Inc. Alleinige Importeurin der von der M. Inc. in den USA hergestellten Medizinprodukten nach Europa ist die Beklagte. Die Streithelferin übernahm und übernimmt den Vertrieb der entsprechenden Produkte in Deutschland.

Im März 2007 veröffentlichte die M. Unternehmensgruppe zunächst einen „Technical Education Letter", mit welchem sie zur Vermeidung von Brüchen an den von ihr vertriebenen Sonden der S. F. Modellreihe konkrete Empfehlungen in deren Handhabung erteilte.
Mit einer sogenannten „Maßnahmenempfehlung" vom 15.10.2007 stoppte die Streithelferin den Vertrieb der S. F. Sonden sodann in Deutschland und rief noch nicht implantierte Sonden zurück. Einen prophylaktischen Austausch der bereits implantierten Sonden empfahl sie dabei ausdrücklich nicht, da die Risiken einer Extraktion unverhältnismäßig hoch seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten der beiden vorbenannten Mitteilung wird auf die Anlagen B6 und B7 (Bl. 90 ff., Bl. 99 f./Bd. I d.A.) Bezug genommen.

Wegen der Auslösung inadäquater Schocks begab sich die Versicherte in ärztliche Behandlung, in Folge derer sie in der Zeit vom 15.03.2008 bis zum 28.03.2008 stationär behandelt und am 25.03.2008 operiert wurde. Im Rahmen dieser Operation wurde der Versicherten eine neue Sonde eingesetzt. Die ihr ursprünglich implantierte Sonde wurde im Körper der Versicherten belassen, da sich diese nicht zwanglos entfernen Heß. Im Anschluss an die Austauschoperation funktionierte der Herzschrittmacher regelgerecht. Durch die Austauschoperation fielen der Klägerin insgesamt Kosten in Höhe von 4.373,44 € an, welche sich aus 631,16 € für den Transport mit einem Rettungswagen, 771,15 € für den stationären Aufenthalt vom 15. - 16.03.2008 und 2.971,13 € für den stationären Aufenthalt vom 16. - 28.03.2013 zusammensetzen.

Die Austauschoperation erfolgte nicht rein vorsorglich, sondern weil die Versicherte als Notfall stationär aufgenommen worden war.

Nachdem sich die Klägerin zunächst hinsichtlich der von ihr erhobenen Regressansprüche bezüglich der Behandlungskosten an die Streithelferin gewandt hatte, teilte diese der Klägerin mit Schreiben vom 08.10.2010 mit, die Beklagte habe die entsprechende Sonde in den Europäischen Wirtschaftsraum importiert und sei somit Herstellerin. Die Klägerin forderte sodann die Beklagte mit Schreiben vom 15.11.2012 und unter Fristsetzung bis zum 27.11.2012 erfolglos zur Erstattung des obigen Betrages auf.

Die Klägerin behauptet, die der Versicherten implantierte Sonde habe einen Produktfehler aufgewiesen, so dass die Beklagte ihrer Ansicht nach, nach § 1 Abs. 1 ProdHaftG die entstandenen Kosten zu ersetzen habe. Die Fehlerhaftigkeit der Sonde folge aus den inadäquaten Schocks, die eine Fehlfunktion der Sonde gewesen seien, ergäbe sich jedoch auch aus der Maßnahmenempfehlung welche in einer medizinischen Zeitschrift verbreitet worden sei.

Die Klägerin meint, aus den dortigen Mitteilungen ergäbe sich, dass die von der Beklagten in den Verkehr gebrachte Sonde nicht die Sicherheit bot, die der Trägereines Herzschrittmachers erwarten dürfe.

Die Klägerin beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.373,44 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.11.2012 zu zahlen und
  2. die Beklagte zu verurteilen, sie von den außergerichtlich entstandenen Anwaltsgebühren in Höhe von 446,13 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, die Klägerin habe einen Produktfehler schon nicht ausreichend substantiiert dargelegt. Darüber hinaus seien eventuelle Ansprüche jedenfalls verjährt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

I.
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der ihr durch den Austausch der Sonde bei ihrer Versicherten entstandenen Behandlungskosten in Höhe von 4.373,44 €, ohne dass es dabei auf die von der Beklagten geltend gemachte Einrede der Verjährung ankäme.

1.
Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 1 Abs. 1 ProdHaftG. a)

Die Klägerin hat einen Produktfehler der implantierten Sonde im Sinne einer tatsächlichen Fehlerhaftigkeit nicht ausreichend substantiiert dargelegt und zudem auch nicht unter Beweis gestellt.

Allein die Mitteilung von inadäquaten Schocks und die pauschale Behauptung, diese seien auf eine Fehlerhaftigkeit der Sonde zurückzuführen, genügt insoweit nicht.
Ursache für inadäquate Schocks können nicht nur eine fehlerhafte Herstellung des implantierten Produktes sondern auch eine falsche Einbringung oder eine nachträgliche Schädigung durch äußere Einflüsse sein. Darauf ist die Klägerin durch die Beklagte mehrfach, auch bereits vorgerichtlich, hingewiesen worden.

Zwar mag der später erfolgte Vertriebsstopp ein Indiz dafür sein, dass die der Versicherten implantierte Sonde nicht ordnungsgemäß hergestellt war. Beweis kann die Klägerin dafür jedoch nicht erbringen, da sich die Sonde weiterhin im Körper der Versicherten befindet.
Entsprechend hat die Klägerin eine Begutachtung der Sonde auch gar nicht als Beweis angeboten, b)
Aber auch aus dem möglichen Produktfehler der nicht ausreichenden Sicherheit des Produktes ergibt sich kein Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte.

Zwar sind grundsätzlich Erstattungsansprüche aus § 1 Abs. 1 ProdHaftG denkbar, wenn der Produktfehler in einer abstrakten Fehlerwahrscheinlichkeit des Produktes begründet ist, die die berechtigte Sicherheitserwartung der betroffenen Patienten enttäuscht (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 26.10.2010 - 21 U 163/08 -, zitiert nach juris).

Allerdings setzt § 1 Abs. 1 ProdHaftG einen durch den Produktfehler entstandenen Schaden und somit Kausalität voraus.

Die durchgeführte Austauschoperation ist jedoch nicht kausal auf die allgemein enttäuschte Sicherheitserwartung zurückzuführen.
Die Klägerin hat nicht ausgeführt, dass der Vertriebsstopp und die mitgeteilte Fehlerwahrscheinlichkeit für die vorgenommen Operation ursächlich war.
Im Gegenteil hat die Klägerin mit der Klageschrift vom 03.12.2012, dort auf Bl. 5 im letzten Absatz, ausdrücklich mitgeteilt, die Operation sei nicht rein vorsorglich, sondern wegen der stationären Aufnahme der Versicherten als Notfall erfolgt. Dies widerlegt jedoch eine Ursächlichkeit der abstrakten Fehlerwahrscheinlichkeit.

Zu der Annahme eines kausalen Schadens kann auch die pauschale Behauptung im Schriftsatz vom 22.03.2013 (Bl. 8, zweiter Absatz) nicht führen, die Kosten seien jedenfalls auch als Gefahrenabwehrmaßnahme kausal angefallen. Diese rechtliche Bewertung der Klägerin steht nicht in Übereinstimmung mit den tatsächlichen Gegebenheiten.

Mangels kausalen Schadens scheiden somit auch Ansprüche aus § 823 BGB aus, zumal aus dem möglichen Produktfehler der bloßen abstrakten Fehlerwahrscheinlichkeit, keine Verletzung eines der geschützten Rechtsgüter folgt.

II.
Gleichfalls nicht gegeben ist somit der geltend gemachte Erstattungsanspruch der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da die Klägerin diese Kosten mangels Schadensersatzanspruches nicht als Teil des Schadensersatzes gelten machen und sich die Beklagte mangels fälliger Forderung auch nicht in Verzug befunden haben kann.

III.
Die Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf den §§ 91, 101 ZPO, hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11,711 ZPO.

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