BVerwG: Anforderungen an den Sachverständigen für die technische Prüfung von Röntgeneinrichtungen

Die Rechtsauffassung, dass die notwendige Sachkunde imRahmen der Anerkennung als Sachverständiger nach der RöV nur durch ein Hochschul- oder Fachhochschulstudium der Physik oder der Elektrotechnik nachgewiesen werden kann, findet keine Grundlage im Gesetz. (Amtlicher Leitsatz.)

BVerwG, Urteil v. 27.01.1998 – 1 C 5.97
§ 4 Abs. 1 RöV; § 18 Nr. 4 RöV; § 12 Abs. 1 Nr. 11 AtG; § 12 Abs. 1 GG


Der Kläger absolvierte nach dem Abschluß der Realschule eine Lehre als Elektromechaniker (elektromedizinische Apparate) und war anschließend als Lehrlingsausbilder tätig. Nach zweijährigem Wehrdienst war er zunächst in verschiedenen Handwerksbereichen und sodann von 1970 bis 1985 als Service-Techniker im Bereich der medizinischen Röntgendiagnostik eines größeren Unternehmens eingesetzt. Danach war er in einem städtischen Krankenhaus mit der Betreuung der gesamten Röntgenanlage und des Linear-Beschleunigers betraut. Seit Anfang August 1986 ist er nebenberuflich, seit April 1992 hauptberuflich für einen Betrieb tätig, dessen Geschäftsbereich sich auf Planung, Instandsetzung und Verkauf gebrauchter und neuer Röntgensysteme und die darauf bezogene Beratung erstreckt.

Der Kläger beantragte seine Anerkennung als Sachverständiger nach der Röntgenverordnung. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, für die eigenverantwortliche Sachverständigentätigkeit seien naturwissenschaftliche Grundlagen vorauszusetzen, wie sie durch ein Hochschul- oder Fachhochschulstudium der Fachrichtung Physik oder Elektrotechnik vermittelt würden. Da der Kläger diese Anforderungen nicht erfülle, könne er nicht zum Sachverständigen bestellt werden.

Die Klage mit dem Ziel, den Beklagten zu verpflichten, den Kläger zum Sachverständigen nach § 4 Abs. 1 und § 18 Nr. 4 RöV – beschränkt auf diagnostische Röntgengeräte – zu bestimmen, blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Das OVG hat Beweis durch Sachverständige erhoben und zur Begründung seines U vom 23. August 1996 im wesentlichen ausgeführt: Da eine nach § 12 Abs. 1 Nr. 11 AtG mögliche Rechtsverordnung zur Bestimmung, welche Anforderungen an die Ausbildung, die beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie an die Zuverlässigkeit und Unparteilichkeit der Sachverständigen zu stellen sind, nicht ergangen sei, müßten die Anforderungen an die Qualifikation aus den einschlägigen Rechtsvorschriften abgeleitet werden. Aus dem Regelungszusammenhang der maßgeblichen Bestimmungen ergebe sich, daß von dem Sachverständigen die Sachkunde verlangt werden müsse, die es ihm ermögliche, seinen nach der Röntgenverordnung vorgesehenen Beitrag zur Gewährleistung des Strahlenschutzes zu erbringen. Die von einem Sachverständigen nach der Röntgenverordnung zu treffenden Feststellungen stellten hohe Anforderungen an die Fachkunde. So setzten die vorgeschriebenen Dosisberechnungen eine dem Einzelfall angemessene Einschätzung des Betriebs der Röntgeneinrichtung voraus, um zu verläßlichen und repräsentativen Ergebnissen zu gelangen. Dafür seien eingehende Kenntnisse der Physik der Röntgenstrahlen und der Röntgentechnik zu fordern. Der Sachverständige könne ohne solche Kenntnisse (Hintergrundwissen) die Bedeutung der komplexen Prüfinhalte nicht erfassen. Deshalb gehöre neben der Berufserfahrung in der Röntgentechnik die Ausbildung zum wesentlichen Bestandteil der Fachkunde. Durch ein Abschlußzeugnis des Studiums der Physik oder der Elektrotechnik weise der Sachverständige grundlegende Kenntnisse auf dem Gebiet der Elektrotechnik und Strahlenphysik nach. Schulkenntnisse, Lehre und Berufspraxis seien keine ausreichenden Grundlagen für seine Tätigkeit. Deshalb sei es nicht zu beanstanden, daß der Beklagte den Nachweis der erforderlichen theoretischen Kenntnisse durch ein einschlägiges Studium fordere. Angesichts des durch die Tätigkeit der Sachverständigen zu schützenden Gutes der Gesundheit der Bevölkerung sei eine subjektive Berufszulassungsschranke dieser Art nicht als unverhältnismäßig anzusehen.

Die Revision des Klägers führte zur Zurückweisung der Sache an das OVG.

Einfachgesetzliche Vorschriften des Bundesrechts gewähren dem Kläger keinen ausdrücklichen Anspruch auf die nachgesuchte Bestimmung als Sachverständiger, schließen sie aber auch nicht aus.

Nach § 3 der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung – RöV –) vom 8. Januar 1987 (BGBl. I S. 114) besteht für Röntgeneinrichtungen eine grundsätzliche Genehmigungsbedürftigkeit. Nach § 4 Abs. 1 RöV bedarf dieser Genehmigung nicht, wer eine Röntgeneinrichtung betreibt, deren Röntgenstrahier der Bauart nach zugelassen ist, wenn er die Inbetriebnahme anzeigt und der Anzeige u.a. den Abdruck der Bescheinigung einschließlich des Prüfberichtes eines von der zuständigen Behörde bestimmten Sachverständigen mit näher bezeichneten Feststellungen beifügt. Nach § 18 RöV hat der Betreiber seine Röntgeneinrichtung in Zeitabständen von längstens 5 Jahren durch einen von der zuständigen Behörde bestimmten Sachverständigen überprüfen zu lassen. Die Röntgenverordnung beruht auf Ermächtigungen des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) – AtG – i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565) mit späteren Änderungen. Dieses Gesetz verfolgt nach seinem § 1 Nr. 2 u.a. das Ziel, Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen. Nach § 20 AtG können in Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren nach dem Atomgesetz und den aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen von den zuständigen Behörden Sachverständige zugezogen werden. § 12 AtG ermächtigt zum Erlaß von Rechtsverordnungen u.a. über die Anforderungen an die Ausbildung der in § 20 AtG genannten Sachverständigen (§ 12 Abs. 1 Nr. 11 AtG). Eine solche Verordnung ist bisher nicht erlassen worden. Deshalb kann es auf sich beruhen, ob die Bestimmung eines Sachverständigen nach §§ 4 und 18 RöV als Zuziehung eines Sachverständigen i. S. der §§ 12 und 20 AtG anzusehen ist.

Die Röntgenverordnung ist durch das Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz – MPG –) vom 2. August 1994 (BGBl. I S. 1963) geändert worden. Danach ist u.a. die Genehmigungsfreistellung nach § 4 Abs. 1 RöV für solche Röntgeneinrichtungen entfallen, die in den Anwendungsbereich des Medizinproduktegesetzes fallen; an ihre Stelle ist die Genehmigungsfreistellung nach § 4 Abs. 1 a RöV getreten. Das Prüfprogramm des Sachverständigen erstreckt sich danach grundsätzlich nicht mehr auf die Voraussetzungen, die in dem Konformitätsbewertungsverfahren vorgeschrieben sind. Das Medizinproduktegesetz läßt im übrigen gemäß seinem § 2 Abs. 4 die Vorschriften der Röntgenverordnung unberührt.

Das dargestellte Regelungssystem enthält keine Norm, die einen ausdrücklichen Anspruch auf Bestimmung als Sachverständiger begründet. Es setzt aber voraus, daß Sachverständige bestimmt werden können. Daraus folgt zugleich, daß eine Bestimmung solcher Personen ausgeschlossen ist, die nicht über den erforderlichen Sachverstand verfügen. Den Sachverständigen zeichnet eine besondere Sachkunde auf einem – tendenziell eng definierten – Gebiet aus (U vom 11. Dezember 1972 – 1 C 5.71 – s. 451.20 § 36 Nr. 5). Der Sachverständige muß im allgemeinen besonderes Detailwissen und überdurchschnittliche Kenntnisse und Erfahrungen haben (vgl. Pause in: Bayerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, § 1 Rn. 6 und 10). Wenn es auch kein einheitliches Berufsbild des Sachverständigen gibt (vgl. Bleutge, WiVerw 1988, 1, 2), wird doch regelmäßig eine abgeschlossene Berufsausbildung unabdingbar sein (vgl. aber auch U vom 27. Juni 1974 – 1 C 10 73 – s. 451.20 § 36 Nr. 6 = BVerwGE 45, 235, 239). Der Senat hat in Zusammenhang mit der Bestellung von Sachverständigen nach § 36 GewO ferner betont, daß das Erfordernis eines Sachkundenachweises keine starr-schematische Handhabung gebietet, und dabei auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hingewiesen (U vom 26. Juni 1990 – 1 C 10.88 – s. 451.20 § 36 Nr. 9 S. 4; vgl. auch Tettinger/Pielow, GewArch 1992, 1, 5). Die Arbeit eines Sachverständigen im Anwendungsbereich der §§ 4 und 18 RöV ist vor allem eine überprüfende im Bereich des präventiven Gefahrenschutzes, die eine Feststellung tatsächlicher Umstände und der Einhaltung medizinisch-technischer Standards einschließt und eine Prognose über die Sicherheit der Röntgeneinrichtung erfordert. Dabei trägt der Sachverständige eine besondere Verantwortung für die Gesundheit der Menschen. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, daß dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine Schutzpflicht des Staates und seiner Organe für das Leben und die körperliche Unversehrtheit zu entnehmen ist, erscheint es gerechtfertigt, hohe Anforderungen an einen in dieser Weise tätigen Sachverständigen zu stellen, die auch erforderliche Grundlagenkenntnisse einschließen.

Das OVG hat Ermittlungen über die an einen Sachverständigen zu stellenden Anforderungen vorgenommen. Es hat jedoch nicht festgestellt, daß der Kläger ihnen nicht gerecht wird. Feststellungen zum »Sachverstand« des Klägers hat es nicht für erforderlich gehalten, weil es die Rechtsauffassung vertreten hat, die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten könnten nur durch ein Hochschul- oder Fachhochschulstudium der Physik oder der Elektrotechnik nachgewiesen werden. Dies läßt sich aber keiner Bestimmung des einschlägigen Bundesrechts entnehmen. Auch die Systematik des Atomgesetzes läßt einen solchen Schluß nicht zu. Der Gesetzgeber hat nämlich für den Sachverständigen i. S. des § 20 AtG keinen bestimmten Ausbildungsabschluß als vorgegeben angesehen, da er in § 12 Abs. 1 Nr. 11 AtG u.a. zum Erlaß einer Rechtsverordnung darüber ermächtigt, welche Anforderungen an die Ausbildung der in § 20 AtG genannten Sachverständigen zu stellen sind. Verstünde es sich von selbst, daß ein Sachverständiger i. S. des § 20 AtG eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung erfolgreich absolviert haben müßte, bedürfte es einer solchen Ermächtigung nicht. Nichts spricht dafür, daß für den Sachverständigen i. S. der §§ 4 und 18 RöV strengere Anforderungen gelten könnten. Dafür hat das OVG auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte aufgezeigt. Seine Auffassung ist durch keine Darstellung der durch Hochschul- oder Fachhochschulstudien der bezeichneten Art regelmäßig erworbenen Kenntnisse und auch nicht durch nachprüfbare Feststellungen darüber belegt, daß die erforderlichen besonderen Kenntnisse und Erfahrungen des Sachverständigen auf dem hier in Rede stehenden Gebiet nur durch Abschluß eines einschlägigen Studiums erworben und zuverlässig nachgewiesen werden können.

Die Auffassung des OVG wird darüber hinaus dem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht. Sie führt auf eine nicht normativ begründete Berufsbeschränkung. Nach Art. 12 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen; die Berufsausübung kann durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Dabei ist der Begriff Beruf weit auszulegen. Er erfaßt grundsätzlich jede auf Dauer berechnete und nicht nur vorübergehende Betätigung, die der Schaffung und Unterhaltung einer Lebensgrundlage dient bzw. dazu beiträgt (vgl. U vom 23. August 1994 – 1 C 18 und 19.91 – s. vorst. Nr. 230 = BVerwGE 96, 293, 296 bzw. Nr. 231 = BVerwGE 96, 302, 307). Die Betätigung als Sachverständiger i. S. der §§ 4 und 18 RöV erfüllt diese allgemeinen Anforderungen. Dies gilt auch dann, wenn die angestrebte Tätigkeit als Zweitberuf ausgeübt werden soll (vgl. U vom 28. Mai 1965 – 7 C 116.64 – s. 451.45 § 7 Nr. 9 = BVerwGE 21, 195, 196 f.; BVerfG, U vom 1. Juli 1980 – 1 BvR 247/75 – BVerfGE 54, 237, 245; B vom 4. November 1992 – 1 BvR 79/85 u.a. – BVerfGE 87, 287, 316; Kammerbeschluß vom 2. Dezember 1994 – 1 BvR 1643/92 – NJW 1995, 951, 952).

Die in Rede stehende Betätigung ist allerdings durch eine gewisse Nähe zu einem öffentlichen Amt gekennzeichnet. Aber auch dieser Umstand schließt sie nicht aus dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG aus. Im Anwendungsbereich des § 4 RöV führt die Vorlage der dort genannten Bescheinigung des Sachverständigen dazu, daß der Betrieb einer Röntgeneinrichtung von dem sonst gegebenen Genehmigungserfordernis freigestellt wird. Die Tätigkeit des Sachverständigen tritt damit an die Stelle einer sonst erforderlichen behördlichen Maßnahme. Nichts anderes gilt für die regelmäßige Überwachung nach § 18 RöV, die ohne Einbeziehung eines Sachverständigen durch die Behörde erfolgen müßte. Auch Betätigungen in Berufen, die in dieser Weise gebunden sind, stehen grundsätzlich unter dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG, wobei unter Umständen Einschränkungen in Anlehnung an Art. 33 Abs. 5 GG bestehen können (vgl. U vom 6. November 1986 – 3 C 72.84 – s. 451.55 Nr. 84 = BVerwGE 75, 109, 114; U vom 23. September 1992 – 6 C 2.91 – s. 11 Art. 12 Nr. 215 = BVerwGE 91, 24, 30; BVerfG, B vom 18. Juni 1986 – 1 BvR 787/80 – BVerfGE 73, 280, 294).

Fällt danach die vom Kläger vorgesehene Betätigung in den Schutzbereich aus Art. 12 Abs. 1 GG, müssen die hier allein zu beurteilenden Anforderungen an die Vorbildung von Bewerbern eine normative Grundlage i. S. des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG haben. Denn diese Vorschrift gilt für alle Tätigkeiten, die Berufe i. S. des Art. 12 GG sind, auch für solche, die in sachlich bedingter Nähe zum öffentlichen Dienst stehen. Auch wenn für diese Berufe Sonderregelungen in Anlehnung an Art. 33 Abs. 5 GG zulässig sind, ergibt sich daraus keine Einschränkung für die formellen Anforderungen nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG; lediglich der Inhalt einer Regelung kann durch die Nähe zum öffentlichen Dienst beeinflußt sein (vgl. BVerfG, B vom 21. Juni 1989 – 1 BvR 32/87 – BVerfGE 80, 257, 265).

Für die Forderung, die Sachkunde durch den erfolgreichen Abschluß eines Hochschul- oder Fachhochschulstudiums nachzuweisen, fehlt es an einer normativen Grundlage. Es spricht auch nichts dafür, daß dies die Funktionsfähigkeit des Regelungssystems beeinträchtigen könnte und deswegen der Mangel für eine Übergangszeit hingenommen werden müßte. Abgesehen davon, daß die Tätigkeit der Sachverständigen nur ein sonst erforderliches staatliches Genehmigungs- und Prüfungsverfahren substituiert, kann verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, B vom 25. März 1992 – 1 BvR 298/86 – BVerfGE 86, 28, 40) die Qualifikation des Bewerbers im Einzelfall festgestellt werden.

Die Sache ist danach zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen, damit das OVG die Anforderungen an die Kenntnisse und Erfahrungen der Sachverständigen nach §§ 4 und 18 RöV und etwaige sonst erforderliche Voraussetzungen für die Bestimmung als Sachverständiger feststellen und sodann ermitteln kann, ob der Kläger sie erfüllt.

BVerwG vom 27.01.1998
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