LG Berlin: Auslegung und Reinigung von Röntgenfilmbetrachtungsgeräten

1) Eine Werbung für Röntgenfilmbetrachtungsgeräte mit der Einhaltung der Grundlegenden Anforderungen ist nicht irreführend, wenn ein Verstoß gegen die Vorgaben nicht festgestellt werden kann. Ein Verstoß liegt nicht vor, wenn die Geräte mit einer Kaltgeräte-Steckbuchse ausgestattet sind.

2) Anhang I der Richtlinie 93/42/EWG enthält keine Vorgaben, die die Desinfektion von Medizinprodukten eigens regeln. Es wird lediglich für die normale Anwendung und nicht für die Reinigung von Medizinprodukten verlangt, dass das Risiko von Stromstößen ausgeschaltet sein müsse.

LG Berlin, Urteil v. 27.02.2007 – 16 O 102/06
Instanzen:
KG Berlin - 5 U 42/07
UWG § 3
UWG § 5
MPG § 7
UWG § 8 Abs. 1


Erledigungsvermerk: nicht rechtskräftig

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt der Beklagten zu verbieten, ihre Röntgenfilmbetrachtungsgeräte unter Hinweis auf deren Konformität mit dem Medizinproduktegesetz (MPG) anzubieten, ohne dass dies nach Ansicht der Klägerin, der Fall ist.

Die Parteien stellen Röntgenfilmbetrachtungsgeräte her und vertreiben diese bundesweit. Die Beklagte bewirbt ihre Geräte im Internet mit dem Satz:

"Unsere Produkte werden entsprechend den Anforderungen der VDE 0750/DIN EN 60601, dem MPG und sich daraus ergebenden Harmonisierten Normen und Vorschriften entwickelt und gefertigt und tragen selbstverständlich das CE-Zeichen nach der Richtlinie 93/42/EWG."

Die Röntgenfilmbetrachtüngögeräte der Beklagten sind mit einer sog. Kaltgeräte-Steckbuchse versehen. Die Netzkabel haben eine vorkonfektiohierte Länge von 2 m.

In den Bedienungsanleitungen der Beklagten befand sich der Hinweis, dass die Netzkabel nur trocken abgewischt werden dürften.

Die Klägerin behauptet, in Operationssälen und auf Intensivstationen würden Röntgenfilmbetrachtungsgeräte üblicherweise als Aufputzgeräte verwendet. Die Geräte würden nass/feucht mit Desinfektionsmittel abgewischt. Am Netzanschluss der Geräte der Beklagten könne keine ausreichende Desinfektion stattfinden, weil flüssige Desinfektionsmittel in das Gerät eindringen und zu einem Kurzschluss oder Stromschlag führen könnten.

Die Klägerin behauptet, da in Krankenhäusern nur eine Kabellänge von 0,6 bis 1 m erforderlich sei, würden die Netzstecker bei den Geräten der Beklagten abgekniffen und es werde ein einfacher aufschraubbarer Stecker auf das gekürzte Kabelende aufgeschraubt, der nicht aus vergossenem Kunststoff bestehe, so dass Desinfektionsflüssigkeit eindringen und einen Kurzschluss herbeiführen könne. Das sei der Beklagten bekannt.

Die Klägerin meint, bei den Röntgenfilmbetrachtungsgeräten handelte es sich um Medizinprodukte gem. § 3 Nr. 1a MPG. Bei den Netzkabeln und Zuleitungen handelte es sich um Zubehör für Medizinprodukte nach § 3 Nr. 9 MPG. Die Röntgenfilmbetrachtungsgeräte der Beklagten erfüllten nicht die gem. § 7 MPG grundlegenden Anforderungen gem. Anhang I der Richtlinie 93/42/EWG. Dies treffe insb. auf die Ziffern 7.3, 8.1, 13.6h und 12.6 des Anhangs I zur Richtlinie 93/42/EWG zu, weil die Geräte nicht vollständig desinfizierbar seien.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte wird bei Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Androhung von Ordnungshaft verurteilt, es zu unterlassen, Röntgenfilmbetrachtungsgeräte mit Kaltgerätesteckern und Buchsen ohne Feuchtigkeitsisolation/-dichtung unter Hinweis auf deren Konformität mit dem Medizinproduktegesetz und der Europäischen Richtlinie 93/42/EWG anzubieten und/oder anbieten zu lassen, wie geschehen durch Anbieten der Geräte der Baureihe ... und Kombinationsgeräten auf der Homepage ... wie geschehen am 31.10.2005 und 17.1.2006 mit der Formulierung

"Unsere Produkte werden entsprechend den Anforderungen der VDE 0750/DIN EN 60601, dem MPG und sich daraus ergebenden Harmonisierten Normen und Vorschriften entwickelt und gefertigt und tragen selbstverständlich das CE-Zeichen nach der Richtlinie 93/42/EWG."

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Klage sei unzulässig, weil das Unterlassungsbegehren unbestimmt sei.

Die Beklagte behauptet, ihre Röntgenfilmbetrachtungsgeräte entsprächen der Harmonisierten Norm EN 6060.1-1. Sie meint, daher liege gem. § 8 MPG eine gesetzliche Vermutung vor, dass die Bestimmungen des MPG eingehalten sind.

Die Beklagte ist der Ansicht, bei den Netzkabeln handelte es sich nicht um Zubehör, sondern um Produktbestandteile. Röntgenfilmbetrachtungsgeräte seien keine sog. wiederaufbereitbaren Medizinprodukte gem. § 3 Nr. 14 MPG. Die von der Klägerin zitierten Normen des Anhangs I der Richtlinie 93/42/EWG seien nicht einschlägig.

Es liege im Ermessen des Herstellers, das Ob und das Wie der Reinigung von Medizinprodukten zu bestimmen.

Für etwaige Kabelkürzungen sei sie nicht verantwortlich.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Klage ist unbegründet. Ein Unterlassungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte gem. § 8 Abs. 1 UWG wegen der angegriffenen Bewerbung ihrer Röntgenfilmbetrachtungsgeräte besteht nicht.

Die Beklagte verstößt nicht gegen §§ 3, 5 UWG. Die angegriffene Werbung ist nicht irreführend. Die von der Beklagten beworbenen Geräte entsprechen jedenfalls unter den hier streitgegenstähdlichen Gesichtspunkten den Vorgaben gem. § 7 MPG i.V.m. Anhang I der RL 93/42/EWG.

Der Netzstecker der Röntgenfilmbetrachtungsgeräte ist ein Produktbestandteil und unterliegt daher grundsätzlich den Anforderungen an ein Medizinprodukt gem. § 3 Nr. 1 MPG, um das es sich bei einem Röntgenfilmbetrachtungsgerät handelt.

Ein Verstoß gegen die von der Klägerin geltend gemachten Anforderungen des über § 7 MPG anwendbaren Anhangs I zur RL 93/42/EWG kann jedoch nicht festgestellt werden.

Vorschriften, die die Desinfektion von Medizinprodukten eigens regelten, sind in dem Anhang der genannten Richtlinie nicht enthalten. Im Übrigen liegt kein Verstoß vor.

Die Ziffern 7.3, 8.1 und 12.6 des Anhangs zur RL 93/42/EWG sind entgegen der Ansicht der Beklagten zwar auch auf in Betrieb befindliche Produkte anzuwenden. Denn die Auslegungsmerkmale eines Medizinproduktes haftet diesem dauerhaft an, also auch während des Betriebs.

Ein Verstoß gegen Ziff. 7.3 scheidet aber aus, weil eine sichere Anwendung i.V.m. Materialien etc., mit denen das Gerät bei normaler Anwendung in Kontakt kommt, gewährleistet ist. Die normale Anwendung meint nicht den Desinfektionsvorgang, worauf die Klägerin abstellt, sondern die dem Produkt zweckgemäße Anwendung, d.h. hier das Betrachten von Röntgenaufnahmen.

Ein Verstoß gegen Ziff. 8.1 scheidet aus, weil die Geräte so ausgelegt sind, dass das Infektionsrisiko für Patienten ausgeschlossen ist. Denn Patienten kommen üblicherweise mit dem Produkt gar nicht in Berührung und im Operationssaal oder auf Intensivstationen auch nicht in deren unmittelbare Nähe. Im Übrigen ist das Produkt wie andere Geräte auch im Operationssaal selbst nach Schilderung der Klägerin zumindest mit Sprühalkohol desinfizierbar. Dass diese Vorgehensweise teuerer ist als eine Desinfektion mit Flüssigkeit, kann einen Verstoß gegen Ziff. 8.1 nicht begründen.

Ein Verstoß gegen 12.6 scheidet ebenfalls aus. Die Klägerin behauptet bereits nur unsubstanziiert, dass die Gefahr von Stromstößen bei den Geräten der Beklagten bestehe. Die technische Einschätzung der ... (Anlage 4) beruht offensichtlich nicht auf der Untersuchung eines Gerätes, sondern stellt abstrakt auf die Eignung einer Kaltgerätesteckdose ab. Darauf kommt es aber letztlich nicht an, weil auch Ziff. 12.6 nur verlangt, dass bei normaler Anwendung das Risiko von Stromstößen ausgeschaltet sein müsse. Eine normale Anwendung ist aber, wie bereits ausgeführt, in dem Vorgang einer feuchten Desinfektion nicht zu sehen.

Ziff. 13.6 macht Vorgaben für die Gestaltung der Gebrauchsanweisung. Die Gebrauchsanweisung für die Produkte der Beklagten wird von der Klägerin aber gar nicht gerügt.

Der Vorwurf, die Kabel der Geräte der Beklagten würden üblicherweise gekürzt und unzureichend mit nicht feuchtigkeitsgeschützen Steckern versehen, ist in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin ausdrücklich fallen gelassen worden. Hierin liegt eine konkludente Teilklagerücknahme. Über diesen Gesichtspunkt war daher nicht mehr zu entscheiden.

B. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO und §§ 708, 709 ZPO.

LG Berlin vom 27.02.2007
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