VG Düsseldorf: Aufbereitung von “kritisch B” Medizinprodukten (Dentalprodukte)

Die in einer Zahnarztpraxis nach einer Standardanweisung durchgeführte manuelle Reinigung und Desinfektion von kritischen Medizinprodukten entspricht regelmäßig nicht den Vorgaben der Medizinprodukte-Betreiberverordnung.

VG Düsseldorf, Urteil v. 02.09.2009 – 16 K 1693/08 (nicht rechtskräftig)
Instanzen:
OVG NRW, Beschluss v. 29.09.2010 - 13 A 2422/09
§§ 28 Abs. 2, 26 Abs. 2 MPG; § 4 MPBetreibV


Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

[1] Tatbestand:

[2] Die Kläger betreiben eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis in X. Am 22. Januar 2008 führte die Beklagte eine Inspektion der klägerischen Praxis durch. Über die Besichtigung wurde eine Niederschrift gefertigt, die unter Ziffer 6 (Mängel) verschiedene Mängel auflistete, u.a.:

[3]

6.2 schwerwiegende Mängel 6.2.1 Die Reinigung und Desinfektion von Medizinprodukten der Risikoeinstufung "kritischB" erfolgt nicht maschinell thermisch. (§ 4 (2) MPBetreibV i.V.m.Pkt. 2.2.1 der BfArM-/RKI-Empfehlung) 6.2.2 Die manuelle Reinigung und Desinfektion von Medizinprodukten der Risikoeinstufung "kritisch-B" erfolgt nicht mit einem nachweislich geeigneten Verfahren. (§ 4 (2) MPBetreibV i.V.m.Pkt. 2.2.1 der BfArM-/RKI-Empfehlung)

[4] Durch Bescheid vom 30. Januar 2008 ordnete die Beklagte unter Setzung verschiedener Fristen die Beseitigung der im Inspektionsbericht genannten Mängel an und gab den Klägern die Vorlage eines Maßnahmeplanes zur Beseitigung der Mängel bis zum 3. März 2008 auf.

[5] Am 21. Februar 2008 legte der Kläger einen Maßnahmeplan vor, zu dem der Beklagte mit Schreiben vom 26. Februar 2008 Stellung nahm.

[6] Die Kläger haben am 28. Februar 2008 Klage erhoben. Sie machen im Wesentlichen geltend: Ihnen werde zu Unrecht zur Auflage gemacht, ausschließlich das maschinelle Reinigungsverfahren in ihrer Praxis einzusetzen und die damit verbundenen hohen Investitionen für die Anschaffung entsprechender Geräte auf sich zu nehmen. Auch eine manuelle Aufbereitung sei zulässig. Für jede Medizinproduktgruppe sei von dem für das Hygieneregime Verantwortlichen festzulegen, ob, wie oft und mit welchen Verfahren aufbereitet werden solle. Das manuelle Verfahren, das sie in ihrer Praxis praktizierten, sei zwar nicht validierbar; es entspreche jedoch den gesetzlichen Vorgaben dann, wenn nach Standardarbeitsanweisungen (Hygieneplan) die Reinigung und Desinfektion mit auf das jeweilige Medizinprodukt abgestimmten Mitteln und Verfahren durchgeführt werde. Es seien solche Desinfektionsverfahren als geeignet anzusehen, die die Kriterien der VAH-Zertifizierung zur Instrumentendesinfektion sowie der HBV-/HCV-/HIV-Wirksamkeit erfüllten (vgl. DAHZ-Hygieneleitfaden). Das von ihnen praktizierte Aufbereitungsverfahren entspreche in allen Punkten den im Leitfaden gemachten Vorgaben. Die angeordneten Maßnahmen seien weder erforderlich noch verhältnismäßig. Es sei auch nicht zu erkennen, dass die Beklagte von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht habe.

[7] Die Kläger beantragen,

[8]

den Anordnungsbescheid der Beklagten vom 30. Januar 2008 insoweit aufzuheben, als ihnen darin die Beseitigung der unter Ziff. 6.2.1 und 6.2.2 aufgeführten Mängel aufgegeben worden ist.

[9] Die Beklagte beantragt,

[10]

die Klage abzuweisen.

[11] Sie macht im Wesentlichen geltend: Die Anordnung finde ihre Rechtsgrundlage in §§ 26 Abs. 2, 28 Abs. 2 MPG i.V.m. § 4 MPBetreibV. Wenn die gesetzliche Vermutung einer ordnungsgemäßen Aufbereitung nicht greife, müsse dies anhand der Anforderungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 MPBetreibV im Einzelnen festgestellt werden. Die von den Klägern praktizierte Aufbereitung der bestimmungsgemäß keimarm und steril zur Anwendung kommenden Produkte genüge den Vorgaben des § 4 Abs. 2 Satz 1 MPBetreibV nicht. Diese Vorschrift setze zwingend voraus, dass die Aufbereitung der Medizinprodukte mit geeigneten validierten Verfahren so durchzuführen sei, dass der Erfolg dieser Verfahren nachvollziehbar gewährleistet sei. Damit werde für die Aufbereitung von Medizinprodukten verlangt, dass die Eignung der zur Anwendung kommenden Aufbereitungsverfahren und die Wirksamkeit im Rahmen einer produkt-/produktspezifischen Prüfung und Validierung belegt würden. Nur mit der Validierung der Aufbereitungsprozesse würden die Parameter definiert, die erforderlich seien zu beweisen, dass der jeweilige Prozess in einer Form durchlaufen worden sei, die die effektive Reinigung, Desinfektion und Sterilisation garantiere. Weiche der Betreiber von der RKI-Empfehlung ab, habe dieser nachzuweisen, dass das angewendete Verfahren zu den gleichen Ergebnissen führe. Von Medizinprodukten der Einstufung "kritisch-B" gehe ein besonderes Risiko aus, da sie zum einen bei Anwendung die Haut oder Schleimhaut des Patienten durchdrängen und dabei in Kontakt mit Blut, inneren Geweben oder Organen kommen. Zum anderen stellten diese Produkte besondere Anforderungen an die Aufbereitung, weil sie oft feine Hohlräume besäßen, die nur schwer zu reinigen und zu sterilisieren seien. Der Erfolg der Aufbereitungsverfahren könne bei diesen Instrumenten nicht durch eine Inaugenscheinnahme überprüft werden Statt dessen müsse er verfahrenstechnisch sichergestellt werden. Das verwendete Desinfektionsverfahren müsse nach der RKI/BfArM-Empfehlung nachweislich bakterizid, fungizid und viruzid sein. Eine begrenzte Viruzidie, d.h. eine Wirksamkeit lediglich gegen behüllte Viren wie HBV, HCV oder HIV sei nicht ausreichend, sie müssten vielmehr auch gegen unbehüllte Viren wie etwa Noroviren wirken. Im Hinblick auf den Schutz von Leben und Gesundheit der Patienten sei die Anordnung vom 30. Januar 2008 auch ermessensfehlerfrei erfolgt.

[12] Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

[13] Entscheidungsgründe:

[14] Die angefochtene Verfügung ist in dem streitigen Umfang rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

[15] Gemäß § 26 Abs. 2 des Medizinproduktegesetz (MPG) trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter oder zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Maßnahmen; gemäß § 28 Abs. 2 trifft sie alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherheit von Patienten, Anwendern und Dritten vor Gefahren durch Medizinprodukte. Sie kann die Anwendung von Medizinprodukten untersagen, beschränken oder von der Einhaltung bestimmter Auflagen abhängig machen, § 28 Abs. 2 Satz 2 MPG. Die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Beklagten zur Beseitigung von Gefahren, die von steril zur Anwendung kommenden, nichtordnungsgemäß aufbereiteten Medizinprodukten ausgehen, sind erfüllt.

[16] Die Kläger führen in ihrer Praxis die Aufbereitung von Medizinprodukten der Klasse kritisch-B (Medizinprodukte, die Haut oder Schleimhaut durchdringen und dabei in Kontakt mit Blut, inneren Geweben oder Organen kommen, mit erhöhten Anforderungen an die Aufbereitung) unter Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) durch. Nach dieser Vorschrift ist die Aufbereitung von bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur Anwendung kommenden Medizinprodukten unter Berücksichtigung der Angaben des Herstellers mit geeigneten validierten Verfahren so durchzuführen, dass der Erfolg dieser Verfahren nachvollziehbar gewährleistet ist und die Sicherheit und Gesundheit von Patienten, Anwendern oder Dritten nicht gefährdet wird. Bei der Validierung handelt es sich um ein dokumentiertes und reproduzierbares Verfahren zum Erbringen, Aufzeichnen und Interpretieren der Ergebnisse, die für den Nachweis benötigt werden, dass ein Verfahren beständig Produkte liefert, die den vorgegebenen Zielen (insbesondere Sauberkeit, Keimarmut/Sterilität und Funktionalität) entsprechen.

[17] Ein solches zwingend vorausgesetztes validiertes Verfahren gibt es für das von den Klägern verwendete manuelle Reinigungs- und Desinfektionsverfahren nicht; die von ihnen praktizierte standardisierte Methode entspricht den gesetzlichen Vorgaben nicht.

[18] Zudem greift auch die in § 4 Abs. 2 Satz 3 MPBetreibV normierte Vermutung einer ordnungsgemäßen Aufbereitung nach Satz 1 nicht ein. Denn die von den Klägern praktizierte Aufbereitung beachtet nicht die gemeinsame Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert-Koch-Institut und des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte zu den Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten (RKI-Empfehlung). Auf die RKI-Empfehlung "Infektionsprävention in der Zahnheilkunde – Anforderungen an die Hygiene" kann hingegen nicht abgestellt werden, da die Medizinprodukte-Betreiberverordnung gerade nicht auf diese Empfehlung Bezug nimmt (obwohl dies spätestens mit der letzten Änderung der Verordnung hätte erfolgen können, wenn der Normgeber dies beabsichtigt hätte). Greift die gesetzliche Vermutung – wie hier – nicht, hat dies zur Folge, dass anhand der Anforderungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 MPBetreibV die Ordnungsgemäßheit der Aufbereitung von bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur Anwendung kommenden Medizinprodukten im Einzelfall festzustellen ist. Eine derartige Feststellung kann vorliegend für die von den Klägern praktizierte manuelle Aufbereitung nicht getroffen werden. Die bloße Vermutung, dass das manuelle Aufbereitungsverfahren möglicherweise genauso wirksam ist wie eine maschinelle Aufbereitung mit einem geeigneten validierten Verfahren, genügt nicht. Selbst dem vom Prozessbevollmächtigten der Kläger in einem anderen Verfahren (16 K 823/08) vorgelegten Gutachten über die Eignung des L CLEANspray zur Reinigung von L-Winkelstücken zufolge kann eine exakte Reproduzierbarkeit bei der Anwendung dieses Verfahrens durch den Menschen nicht garantiert werden (vgl. S. 3 des Gutachtens). Angesichts des Umstandes, dass jeder Aufbereiter, der von der RKI-Empfehlung abweicht, belegen muss, dass und wie er das Schutzziel des § 4 Abs. 2 MPBetreibV auf andere Art und Weise eingehalten hat, bedurfte es keiner Vertagung des Verfahrens, um die Veröffentlichung einer von der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe eingeholten wissenschaftlichen Studie über einen Vergleich der Wirksamkeit maschineller und manueller Aufbereitungsverfahren abzuwarten. Unabhängig davon, zu welchen Ergebnissen diese Studie kommt und unabhängig von der Frage, ob durch eine einzige derartige Studie ein Nachweis im Sinne des § 4 MPBetreibV überhaupt erbracht werden kann, bleibt festzustellen, dass der erforderliche Nachweis von den Klägern jedenfalls weder zum Zeitpunkt der Inspektion noch bis zur mündlichen Verhandlung erbracht worden ist. Die beiden von den Klägern durchgeführten, den Arbeitsanleitungen der Firma Miele sowie der Firma Hybeta folgenden, stichprobenartigen Überprüfungen auf Proteinreste und mikrobielle Keime, die in beiden Fällen ergaben, dass die Proben protein- und keimfrei waren, können einen Nachweis dafür, dass das Reinigungs- und Desinfektionsverfahren beständig derartige Ergebnisse liefert, nicht erbringen. Auch die von den Klägern vorgelegten Schreiben der Firma L machen deutlich, dass es ein RKI-geeignetes manuelles Aufbereitungsverfahren nicht gibt.

[19] Die Aufbereitung von bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur Anwendung kommenden Medizinprodukten mit nicht validierten Verfahren stellt – unabhängig von der Frage, ob die aufgearbeiteten Medizinprodukte im konkreten Einzelfall steril sind – eine drohende Gefahr im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 MPG dar. Denn der Verordnungsgeber geht davon aus, dass das erhebliche Gefährdungspotenzial von derartigen Medizinprodukten nur bei einer ordnungsgemäßen Aufbereitung mit validierten Verfahren hingenommen werden kann, weil bereits ein einmaliger Kontakt mit einem infektiösen Medizinprodukt zur Infektion führen und damit für den Patienten mit gravierenden Gesundheitsfolgen verbunden sein kann.

[20] Die Aufforderung zur Beseitigung der im Inspektionsbericht genannten Mängel ist auch hinreichend bestimmt. Sie legt in ihrer Begründung mit der Bezugnahme auf die im Inspektionsbericht enthaltenen Ausführungen hinreichend dar, was von den Klägern gefordert wird, nämlich eine den Vorschriften entsprechende Aufbereitung der kritisch-B Produkte. Zwar lässt die Beklagte offen, in welcher Weise Abhilfe geschaffen werden kann; gerade dies entspricht aber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, denn damit bleibt den Klägern die Auswahl überlassen, auf welche Weise sie der Aufforderung nachkommen möchten, beispielsweise durch Anschaffung eines neuen Reinigungs- und Desinfektionsgerätes, durch eine externe Aufbereitung oder durch Einstellung der nach Angaben des Klägers zu 1. in ihrer Praxis ohnehin nicht sehr häufig durchgeführten Behandlungen, die die geforderte Aufbereitung der kritisch-B Produkte erforderlich machen.

[21] Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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