OLG Stuttgart: Eine unterlassene Thormbozytenzählung stellt einen Verstoß gegen ärztliche Regeln dar.

1. Der Verstoß gegen in Leitlinien von medizinischen Fachgesellschaften niedergelegte Behandlungsregeln ist nicht zwingend ein grober Behandlungsfehler.

2. Beweiserleichterungen wegen einer unterlassenen Befunderhebung setzen voraus, dass der Befund mit Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges Ergebnis gehabt hätte. Daran fehlt es, wenn zwei Befundergebnisse möglich sind und nicht festgestellt werden kann, dass dasjenige, auf das zu reagieren gewesen wäre, wahrscheinlicher ist.

3. Nach der Gabe von Heparin war 1996 die Thrombozytenzahl zu kontrollieren.

OLG Stuttgart, Urt. v. 22.02.2001 – 14 U 62/00 (rechtskräftig)
Instanzen:
LG Ellwangen - 5 O 67/98; BGH, Nichtannahmebeschl. v. 18.12.2001 - VI ZR 108/01
BGB §§ 823 Abs. 1, 847


1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Ellwangen – 5 O 67/98 – vom 16.6.2000 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 30.000 DM abwenden, wenn die Beklagten nicht vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Beschwer der Klägerin: über 60.000 DM
Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 220.000 DM

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einer ärztlichen Behandlung.
Die Klägerin wurde am 22.2.1995 stationär in die chirurgische Abteilung der S.-Klinik in M. zur Behandlung einer Varicosis beidseits aufgenommen. Der beklagte Landkreis ist der Träger der S.-Klinik, der Beklagte zu 2) Chefarzt der chirurgischen Abteilung. Am 23.2.1995 erfolgte eine Crossektomie und Stripping der Vena saphena magna rechts. Ab 24.2.1995 erhielt die Klägerin bis zu ihrer Entlassung aus der stationären Behandlung am 6.3.1995 2 × 7.500 Einheiten Heparin-Natrium pro Tag außer am 27.2.1995, an dem das li. Bein operiert wurde (Babcock-Stripping und Ligatur der Venae perforantes). Für den 4.3.1995 ist in den Krankenakten festgehalten, dass die Klägerin sich nicht wohl fühlte, über Kopfschmerzen klagte und die Temperatur auf 38,6 Grad angestiegen war. Am Abend sank sie wieder auf 37,2 Grad. Die Klägerin erhielt von da an Aspirin. Am 6.3.1995 wurde sie aus der stationären Behandlung entlassen. Am 8.3.1995 klagte sie über Atemnot mit Kurzatmigkeit, Schmerzen li. thorakal, die beim Husten und Einatmen verstärkt waren, sowie Kopfschmerzen. In der chirurgischen Ambulanz der S.-Klinik wurden am 9.3.1995 die Fäden bei reizloser Wunde entfernt. Der Thorax der Klägerin wurde ohne Befund geröntgt. Die Klägerin schilderte die thorakalen Beschwerden gebessert. Bei einer weiteren Untersuchung in der Ambulanz der S.-Klinik am 14.3.1995 wurde ein Hämatom über dem re. Unterschenkel im Bereich einer Perforansligatur festgestellt. Am 17.3.1995 entleerte sich nur noch wenig Hämatom, die Klägerin klagte über bleibende Kopfschmerzen. Eine Computertomographie des Schädels ergab einen altersentsprechenden Befund. Am 19.3.1995 klagte die Klägerin über zunehmende Schmerzen und einen trockenen Husten. In der Ambulanz der S.-Klinik wurden am 20.3.1995 dauernde Kopfschmerzen und Brustschmerzen ohne Druckschmerz an den Rippen festgestellt. Am 21.3.1995 überwies die Hausärztin die Klägerin an eine Röntgenfachärztin, die eine Lungenembolie diagnostizierte. Daraufhin wurde die Klägerin stationär in die innere Abteilung der S.-Klinik aufgenommen, deren Chefarzt der Beklagte zu 3) ist. Die Phlebographie ergab eine frische Thrombose der Tibialis-posterior-Gruppe und der Vena poplitea re., hier mit flottierendem Thrombus. Die Leukozyten lagen mit 11.060 leicht über der Norm, die Thrombozyten mit 83.000 deutlich unter der Norm von 140.000 bis 440.000. Die Klägerin erhielt 5.000 Einheiten Heparin intravenös. Nach chirurgischem Konsil erhielt sie eine Lysebehandlung mit Actilyse, außerdem eine Vollheparinisierung mit 20.000 Einheiten Heparin intravenös pro Tag. Am 22.3.1995 war die Thrombozytenzahl auf 59.000 abgesunken, die Klägerin beklagte Kopfschmerzen. Am 23.3.1995 lag die Thrombozytenzahl zwischen 49.000 und 52.000, die Klägerin klagte auch über Schmerzen im re. Bein und erhielt 50 mg pro Tag Soludecortin. Am 24.3.1995 waren die Thrombozyten leicht auf 53.000 angestiegen, am 25.3.1995 auf 56.000, am 26.3.1995 auf 60.000. An diesem Tag endete die Lysebehandlung, die Klägerin erhielt weiterhin jedoch 20.000 Einheiten Heparin. Am 27.3.1995 war die Thrombozytenzahl auf 64.000 angestiegen. In der Kontrollphlebographie war kein Thrombuszapfen mehr nachweisbar. Gegen 20.00 Uhr konnte die Klägerin bei vollem Bewusstsein plötzlich nicht mehr reden, nach kurzer Zeit trat eine Besserung ein, die Symptomatik war um 20.15 Uhr verschwunden. Die Klägerin beklagte linksfrontale Kopfschmerzen nach Husten. Die Computertomographie des Schädels ergab einen unauffälligenBefund. Am 28.3.1995 betrug die Thrombozytenzahl 67.000, die Klägerin litt unter Sprachbehinderungen, die Wortfindungen waren etwas verlangsamt. Am 29.3.1995 lag die Thrombozytenzahl bei 65.000. Der Beklagte zu 3) führte eine Knochenmarkspunktion durch, die sich als unverwertbar herausstellte, weil bei der Punktion keine Markbröckel aspiriert werden konnten. Am 30.3.1995 lag die Thrombozytenzahl bei 61.000, am 31.3. bei 95.000. An diesem Tag wurde die Knochenmarkspunktion wiederholt. Sie ergab eine Thrombozytopenie infolge einer Thrombozytenumsatzstörung bei fraglicher Immunthrombozytopenie oder parainfektiös oder niedrigmalignem Non-Hodgkin-Lymphom. Zur endgültigen Klärung wartete der Beklagte zu 3) das Ergebnis der Knochenstanze ab. Die Klägerin klagte weiter über Kopfschmerzen. Bis zum 2.4.1995 sank die Thrombozytenzahl auf 58.000, bis zum 4.4.1995 stieg sie auf 80.000. Von diesem Tag an erhielt die Klägerin noch 10.000 Einheiten Heparin pro Tag. Am 5.4.1995 sprach die Klägerin um 9.15 Uhr kein Wort und litt unter einer armbetonten Schwäche re. Der Beklagte zu 2) diagnostizierte eine cerebrale Blutung, die sich in der Computertomographie des Schädels als großflächige Subarachnoidalblutung li. mit Zeichen eines leichten Hirnödems darstellte. Die Heparingabe aus dem Dauertropf wurde abgesetzt, die Klägerin erhielt am 6.4.1995 noch zweimal 7.500 Einheiten Heparin subcutan. Die Thrombozytenzahl lag an den folgenden Tagen um die 60.000. Am 9.4.1995 nahmen die Lähmungszeichen zu, die Klägerin litt auch unter einer Facialisparese. Am 10.4.1995 wurde die Klägerin in G. in der Neurochirurgie vorgestellt. Dort stieg die Thrombozytenzahl am 11.4.1995 auf 109.000 an. Nachdem das CCT kein Subduralhämatom mehr ergeben hatte, wurde die Klägerin am 12.4.1995 von G. wieder in die innere Abteilung der S.-Klinik zurückverlegt. Dort erhielt die Klägerin am 13.4.1995 zwei Ampullen Orgaran. Am 14.4.1995 war die Thrombozytenzahl auf 150.000 gestiegen. Am 17.4.1995 fiel sie wieder auf 124.000. Am 19.4.1995 wurde ein HIPA-Test veranlasst, der später das Ergebnis einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) vom Typ II ergab. An diesem Tag lag auch das Ergebnis der Knochenstanze mit einem Ausschluss eines Non-Hodgkin-Lymphoms vor. Eine am 20.4.1996 durchgeführte Kernspintomographie ergab einen Stauungsinfarkt in der Stammganglienregion li. bei Verschluss der Arteria carotis interna li. sowie ein ausgedehntes subdurales Hämatom in der li. Hemisphäre. Außerdem war darauf eine Flussverlangsamung im Sinus transversus mit Teilthrombosierung erkennbar. Am 24.4.1995 sank die Thrombozytenzahl wieder auf 70.000 ab, so dass Orgaran abgesetzt wurde. Am 26.4.1995 wurde die Klägerin in die Universitätsklinik U. verlegt, wo die Medikation mit Orgaran wieder aufgenommen wurde, nachdem ein noch auf Veranlassung der S.-Klinik wiederholter HIPA-Test eine Kreuzreaktivität mit Orgaran ausgeschlossen hatte. Während des Aufenthalts der Klägerin in der Universitätsklinik U. erholten sich die Thrombozytenwerte. Die motorischen Ausfälle besserten sich. Die Klägerin konnte wieder selbstständig gehen und konnte wieder komplette Sätze sprechen, litt jedoch noch an Wortfindungsstörungen und stockendem Sprachablauf. Am 18.5.1995 wurde sie in die neurologische Klinik des Rehabilitationskrankenhauses U. verlegt, wo sie sich bis zur Verlegung in die Rehabilitation in die Sch.-Kliniken in K. am 16.8.1995 befand. Dort wurde sie am 11.10.1995 entlassen. Eine wesentliche Besserung der Hemiparese konnte nicht erreicht werden. Die Klägerin kann den re. Arm nicht aktiv bewegen. Die Facialisparese hat sich nicht vollständig zurückgebildet. Die Klägerin ist zum Gehen längerer Strecken auf den Rollstuhl angewiesen und nicht mehr erwerbsfähig.
Die Klägerin hat vorgetragen, es sei fehlerhaft gewesen, ihr Heparin und Aspirin zu verabreichen. Während des Aufenthalts in der chirurgischen Abteilung der S.-Klinik habe die Thrombozytenzahl kontrolliert werden müssen. Sie habe bei anhaltenden Kopfschmerzen am 6.3.1995 nicht entlassen werden dürfen. Zur Aufklärung der Kopfschmerzen habe sie weiter stationär behandelt werden müssen. Die behandelnden Ärzte der inneren Abteilung der S.-Klinik hätten bei der Einweisung am 21.3.1995 übersehen, dass bei der Klägerin eine Venenoperation durchgeführt worden war. Aus dem Absinken der Thrombozytenzahl hätten sie nicht die richtigen Schlüsse gezogen. Jedenfalls nach der Diagnose einer Lungenembolie habe Heparin sofort abgesetzt werden müssen, zumindest nach dem Ausfall des Sprachvermögens am 27. und 28.3.1995. Gleichzeitig habe ein HIPA-Test veranlasst werden müssen. Heparin habe durch Protamin neutralisiert werden müssen, zusätzlich sei die Gabe eines Thrombozytenkonzentrats indiziert gewesen. Bei regelgerechtem Vorgehen wäre die schwere Gehirnschädigung vermieden worden. Eine Heparinunverträglichkeit sei zu spät in die differentialdiagnostischen Überlegungeneinbezogen worden, zu viel Zeit sei mit anderweitigen Untersuchungen vertan worden. Orgaran habe nicht wieder abgesetzt werden dürfen. Ihr stehe deshalb ein Schmerzensgeld von mindestens 100.000 DM zu, außerdem hätten die Beklagten den Verdienstausfall bis 28.2.1998 und den eingetretenen materiellen Schaden von 39.227,80 DM zu ersetzen. Sie schuldeten ihr auch die Zahlung einer monatlichen Rente von 1.128,25 DM bis zum 31.10.2010 aufgrund der eingetretenen Erwerbsunfähigkeit.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 11,5 % Zinsen seit dem 21.10.1996 zu bezahlen,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 39.227,80 DM nebst 6,5 % Zinsen aus 21.951,08 DM seit dem 3.4.1997 und aus weiteren 17.276,72 DM ab Rechtshängigkeit zu bezahlen,
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ab 1.3.1998 eine 1/4-jährlich vorauszahlbare monatliche Rente i.H.v. 1.128,25 DM, jeweils im Voraus zum 1.1., 1.4., 1.7. und 1.10. eines jeden Jahres bis zum 31.10.2010 zu bezahlen,
4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden, die ihr in Zukunft aus der fehlerhaften Behandlung im Zeitraum vom 22.2.1995 bis 26.4.1995 in der S.-Klinik S.G. entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben vorgetragen, vor der Operation habe kein Hinweis auf eine Heparinunverträglichkeit bei der Klägerin bestanden, die Thrombozytenzahl sei im Normbereich gelegen. Die prophylaktische Gabe von Heparin in der chirurgischen Abteilung wie auch die therapeutische Heparinisierung ab dem 21.3.1995 sei medizinisch indiziert gewesen. Über Kopfschmerzen habe die Klägerin erstmals am 4.3.1995 geklagt. Diese seien später abgeklungen und i.Ü. auch zu unspezifisch, um von ihnen auf einen Infarkt in der Lunge oder im Hirn zu schließen. Die Entlassung der Klägerin am 6.3.1995 sei richtig gewesen, weil sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr über Kopfschmerzen berichtet habe. Die Gabe von Aspirin sei unbedenklich gewesen. Lungenembolien der Klägerin am 8.3. und 17.3.1995 habe der Beklagte zu 2) lediglich im Nachhinein vermutet und als Erklärung für die thorakalen Schmerzen der Klägerin in Erwägung gezogen. Weder die Röntgenaufnahme des Thorax am 3.3.1995 noch das Schädel-CT vom 17.3.1995 hätten jedoch einen Befund ergeben. Bei der erneuten Einweisung der Klägerin am 21.3.1995 sei angesichts des verminderten Thrombozytenwerts eine Thrombozytenumsatzstörung diagnostiziert worden. Für eine hämatologische Systemerkrankung hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben. Die weitere Vorgehensweise sei richtig gewesen. Das atypische Krankheitsbild der Klägerin mit einem niedrigeren Thrombozytenwert noch mehrere Tage nach Absetzen von Heparin habe die Diagnose einer HIT Typ II erschwert. Die Lyse und die Heparintherapie seien im Hinblick auf die festgestellte Beinvenenthrombose richtig gewesen. Zur Abklärung der Thrombozytopenie sei eine Tumorerkrankung in Erwägung gezogen und deshalb eine Knochenstanze gemacht worden, die wegen der Lysebehandlung nicht vor dem 29.3.1995 möglich gewesen sei.
Das LG hat nach Beweiserhebung durch die Vernehmung des Zeugen L. (Bl. 163), durch die Einholung eines schriftlichen internistischen Sachverständigengutachtens von Privatdozent Dr. D. (Bl. 100, 152) und eines chirurgischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. R. (Bl. 200) sowie die mündliche Erläuterung dieser Gutachten (Bl. 163, 220) die Klage abgewiesen. Dagegen legte die Klägerin Berufung ein.
Sie trägt vor, es sei fehlerhaft gewesen, dass nach Beginn der prophylaktischen Heparingabe und am Tag der Entlassung am 6.3.1995 die Thrombozytenzahl nicht kontrolliert worden sei. Jedenfalls bei der ambulanten Wiedervorstellung am 9.3.1995 habe der Beklagte zu 2) die Thrombozytenzahlen kontrollieren müssen. Eine Kontrolle hätte eine Thrombozytopenie ergeben, so dass die Gesundheitsschäden der Klägerin vermieden worden wären. Aufgrund der niedrigen Thrombozytenzahl bei der Wiederaufnahme am 21.3.1995 habe kein Heparin mehr gegeben werden dürfen. Jedenfalls hätten die Beklagten die möglichen Nebenwirkungen des erst 15 Tage zuvor abgesetzten Heparins prüfen müssen. Eine Heparinunverträglichkeit habe sich schon aufgrund der Angaben in der roten Liste aufgedrängt. Jedenfalls gleichzeitig zur Abklärung des Tumorverdachts habe die naheliegendste Ursache, eine heparininduzierte Thrombozytopenie vom Typ II, bedacht und diagnostisch abgeklärt werden müssen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LG abzuändern und
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 11,5 % Zinsen seit dem 21.10.1996 zu bezahlen,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 39.227,80 DM nebst 6,5 % Zinsen aus 21.951,08 DM seit dem 3.4.1997 und aus weiteren 17.276,72 DM ab Rechtshängigkeit zu bezahlen,
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ab 1.3.1998 eine 1/4-jährlich vorauszahlbare monatliche Rente i.H.v. 1.128,25 DM, jeweils im Voraus zum 1.1., 1.4., 1.7. und 1.10. eines jeden Jahres bis zum 31.10.2010 zu bezahlen,
4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden, die ihr in Zukunft aus der fehlerhaften Behandlung im Zeitraum vom 22.2.1995 bis 26.4.1995 in der S.-Klinik S.G. entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie tragen vor, die unterlassene Kontrolle der Thrombozytenzahl während des Aufenthalts in der chirurgischen Abteilung der S.-Klinik sei kein Behandlungsfehler. Selbst bei einer Kontrolle hätte sich die Diagnose einer heparininduzierten Thrombozytopenie Typ II nicht aufdrängen müssen. Die unterlassene Diagnose einer heparininduzierten Thrombozytopenie sei nur ein einfacher Diagnosefehler und begründe damit die Haftung nicht. Ein Zusammenhang der niedrigen Thrombozytenzahl mit der Heparingabe habe bei der Wiederaufnahme der Klägerin am 21.3.1995 nicht nahe gelegen.
Zum übrigen Vorbringen der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Das OLG hat Beweis erhoben durch die Einholung eines internistischen Sachverständigengutachtens von Privatdozent Dr. P. (Bl. 317) und durch die mündliche Erläuterung des Gutachtens (Prot. der mündlichen Verhandlung vom 9.1.2001, Bl. 347).

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Sie hat nicht bewiesen, dass die Beklagten die Schädigung als Folge der Behandlung in der S.-Klinik ab dem 22.2.1995 schuldhaft herbeigeführt haben. Die Behandlung war zwar fehlerhaft, weil der Beklagte zu 2) zwischen dem 27.2. und 6.3.1995 eine Kontrolle der Thrombozytenzahl unterlassen hat. Die Klägerin hat aber nicht bewiesen, dass ohne diese Unterlassung die schweren gesundheitlichen Schäden ausgeblieben wären.
1. Die Behandlung durch den Beklagten zu 2) in der chirurgischen Abteilung der S.-Klinik war fehlerhaft, weil die Thrombozytenzahl nicht kontrolliert wurde. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass diese Unterlassung für die Gesundheitsschädigung ursächlich wurde.
a) Nach dem anerkannten und gesicherten Stand der ärztlichen Wissenschaft 1995 war die Thrombozytenzahl nach Beginn einer Heparingabe zu kontrollieren. 1995 war in der medizinischen Wissenschaft bekannt, dass die Gabe von Heparin zu einer Thrombozytopenie und in der Folge zu Thrombosen mit schwerwiegenden Folgen führen konnte. Das ergibt sich aus dem Gutachten von Privatdozent Dr. P. (GA S. 17), der unter einer Gesamtwürdigung der damals vorliegenden Veröffentlichungen zu dem Ergebnis gelangte, dass die Gefahr einer heparininduzierten Thrombozytopenie vom Typ II in Fachkreisen im März 1995 grundsätzlich bekannt war. Dies entspricht den Angaben des Sachverständigen Privatdozent Dr. D. in seinem Ergänzungsgutachten für das LG Ellwangen vom 15.5.1999 (Ergänzungs-GA S. 2). Um Schädigungen durch eine heparininduzierte Thrombozytopenie zu vermeiden, muss Heparin beim Erkennen der Krankheit sofort abgesetzt werden. Die gebotene, 1995 nach gesichertem ärztlichem Wissen mögliche medizinische Maßnahme war die Kontrolle der Thrombozytenzahl. Dass durch die Kontrolle der Thrombozytenzahl nicht alle Fälle einer heparininduzierten Thrombozytopenie erkannt werden können, weil es Patienten gibt, bei denen die Zahl der Thrombozyten trotz Heparingabe nicht, jedenfalls nicht in den ersten Tagen nach Heparingabe abfällt, macht die Thrombozytenkontrolle nicht zu einer untauglichen Maßnahme. Wie der Sachverständige Privatdozent Dr. P. dargelegt hat, kommt es bei der überwiegenden Zahl der Patienten nach fünf bis vierzehn Tagen zu einem signifikanten Abfall der Thrombozytenzahl (GA S. 14). Bei der überwiegenden Zahl der Patienten ist die Thrombozytenkontrolle damit eine taugliche Maßnahme zur Entdeckung einer heparininduzierten Thrombozytopenie. Dass deshalb eine Kontrolle der Thrombozytenzahl nach Heparingabe vorzunehmen ist, war 1995 allgemein bekannt. Diese Kenntnis konnte auch von dem Beklagten zu 2) als Facharzt für Chirurgie erwartet werden. Wie der chirurgische Sachverständige Prof. Dr. R. (GA S. 2) dargelegt hat, gab es eine Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, nach der die Bestimmung der Thrombozytenzahl nach Beginn der Heparingabe empfohlen war. Im Deutschen Ärtzeblatt, das jedem deutschen Arzt zugänglich ist, hat die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft 1992 (Deutsches Ärzteblatt 1989, Heft 41, vom 9.10.1992 B – 2119) einen Hinweis von 1989 auf heparininduzierte Thrombosen wiederholt und empfohlen, vor einer Heparin-Therapie die Thrombozytenwerte zu bestimmen und die Bestimmung zwischen dem dritten und siebten Tag der Therapie und auch später zu wiederholen. 1994 wiederholte sie diesen Hinweis (Deutsches Ärzteblatt 1991, Heft 24, vom 7.6.1994 B – 1293). Der Sachverständige Privatdozent Dr. D. hat darauf hingewiesen, dass diese Empfehlungen nicht in Frage gestellt wurden, sondern in Leserbriefen lediglich darüber diskutiert wurde, ob nicht eine engmaschigere Kontrolle erforderlich sei (Prot. der mündlichen Verhandlung vor dem LG Ellwangen vom 14.7.1999 S. 4).
Dass der Befund auch an anderen Kliniken nicht erhoben wurde, lässt die Bewertung als Behandlungsfehler nicht entfallen. Dass die weit überwiegende Zahl der Ärzte 1995 die Thrombozytenzahl nicht kontrollierte, haben die Sachverständigen PD Dr. D., Prof. Dr. R. und PD Dr. P. übereinstimmend angegeben. Es kommt aber nicht darauf an, ob eine medizinisch zur Abwendung eines erheblichen Gesundheitsrisikos für erforderlich gehaltene Behandlungsmaßnahme in der Praxis allgemein durchgeführt wird, sondern nur darauf, ob von dem behandelnden Arzt die Kenntnis der gesundheitlichen Gefahren und der dagegen nach gesichertem Wissen möglichen ärztlichen Maßnahmen verlangt werden kann und die Möglichkeit besteht, mit vorhandenen technischen Mitteln diese Behandlung durchzuführen (BGH v. 10.5.1983 – VI ZR 270/81, MDR 1983, 1012 = NJW 1983, 2080 = VersR 1993, 729).
Damit hatte der Beklagte zu 2) entsprechend den Regeln der Medizin 1995 die Thrombozytenzahl zwischen dem dritten und siebten Tag, also zwischen dem 26.2. und dem 2.3.1995 zu kontrollieren. Zwar unterschieden sich die Empfehlungen der Arzneimittelkommission und die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, weil sie einerseits eine Thrombozytenkontrolle zwischen dem dritten und siebten Tag (PD Dr. D., Prot. der mündlichen Verhandlung vom 14.7.1999 S. 4), andererseits zwischen dem dritten und fünften Tag (GA Prof. R. S. 2) vorsahen. Außerdem bestand keine Einigkeit, ob und ggf. in welchen Abständen die Befunderhebung zu wiederholen war. Jedenfalls zwischen dem dritten und siebten Tag war damit aber eine Thrombozytenkontrolle erforderlich.
b) Die Klägerin konnte nicht beweisen, dass bei einer Thrombozytenkontrolle zwischen dem 27.2. und 2.3.1995 oder auch später während des Aufenthalts in der chirurgischen Abteilung der S.-Klinik die Beinvenenthrombose, die Lungenembolie sowie die schweren Beeinträchtigungen durch die Subarachnoidalblutung, die Sinusvenenthrombose und der Verschluss der Arteria carotis interna vermieden worden wären. Die Beklagte hat nicht bewiesen, dass die Thrombozytenzahl zwischen dem 27.2.1995 bis zur Entlassung am 6.3.1995 abgefallen war. Wenn die schweren Folgen auf der Gabe von Heparin nach dem möglichen Befunderhebungszeitpunkt, dem 27.2.1995 beruhen, setzt die Ursächlichkeit der unterlassenen Thrombozytenkontrolle für den Eintritt der Schädigung voraus, dass ihr Ergebnis das sofortige Absetzen von Heparin geboten hätte. Der Abbruch der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe wäre nur dann angezeigt gewesen, wenn die Thrombozytenkontrolle einen deutlichen Abfall der Thrombozytenzahl ggü. dem Ausgangswert von 327.000 ergeben hätte.
Die Sachverständigen PD Dr. P. und Prof. Dr. R. haben übereinstimmend angegeben, dass nicht festgestellt werden kann, dass eine Thrombozytenkontrolle bei der Klägerin während des stationären Aufenthalts in der S.-Klinik einen Abfall der Thrombozytenzahl gezeigt hätte. Ein deutlicher Abfall der Thrombozytenzahl nach dem 27.2.1995 ist nicht deshalb anzunehmen, weil bei der Klägerin eine heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II festgestellt wurde. Zwar hat der Sachverständige PD Dr. D. nach dem Prot. der mündlichen Verhandlung vor dem LG Ellwangen vom 14.7.1999 (S. 4) erklärt, bei Durchführung entsprechender Kontrollen wäre der Abfall der Thrombozytenzahlen vor der Entlassung am 6.3.1995 festgestellt worden. Dabei hat er jedoch nicht berücksichtigt, dass nach neueren medizinischen Untersuchungen heparininduzierte Thrombozytopenien auch ohne Veränderung der Thrombozytenzahl mit Thrombozytenwerten im Normbereich vorkommen können (GA Prof. Dr. R. S. 3; PD Dr. P. GA S. 14). Der Sachverständige PD Dr. P. hat auch dargelegt, dass nicht sicher zu klären ist, ob es bei der Klägerin nicht zunächst zu einer nicht immunologischen HIT Typ I gekommen ist, die durch einen milden und unproblematischen Thrombozytenabfall gekennzeichnet ist, und die fatale HIT Typ II-Reaktion erst nach der erneuten Heparinexposition ab dem 21.3.1995 auftrat, so dass die an diesem Tag gemessene niedrige Thrombozytenzahl auf dem Thrombozytenverbrauch der Thrombose und der Lungenembolie und nicht auf einer HIT Typ II beruht (GA S. 20). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass bei der Klägerin bereits bei der ersten Gabe von Heparin in der chirurgischen Abteilung der S.-Klinik eine HIT Typ II auftrat, der Thrombozytenabfall aber erst nach der Entlassung und dem Absetzen von Heparin auftrat. Bei einer HIT Typ II ist es auch möglich, dass ein signifikanter Thrombozytenabfall erst nach bis zu 15 Tagen auftritt (PD Dr. P. GA S. 19).
Die Klägerin hat auch nicht bewiesen, dass die weitere Gabe von Heparin nach dem 27.2.1995, dem frühesten Datum einer möglichen Thrombozytenkontrolle, die schweren, erst nach dem 21.3.1995 aufgetretenen Folgen bei der Klägerin herbeigeführt hat. Es ist nicht auszuschließen, dass die heparininduzierte Thrombozytopenie nicht auf der subcutanen, prophylaktischen Gabe von Heparin in der chirurgischen Abteilung der S.-Klinik, sondern auf der therapeutischen Heparinisierung in der Inneren Abteilung ab dem 21.3.1995 beruht. Das hat der Sachverständige PD Dr. P. überzeugend in seinem schriftlichen Gutachten dargelegt (S. 22) und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt (Prot. S. 12).
c) Beweiserleichterungen für die Ursächlichkeit kommen der Klägerin nicht zugute.
aa) Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass das Unterlassen einer Thrombozytenkontrolle während des stationären Aufenthalts in der chirurgischen Abteilung ein grober Behandlungsfehler war. Beweiserleichterungen kommen der Klägerin zugute, wenn die unterlassene Behandlungsmaßnahme als grober Behandlungsfehler zu werten ist. Ein solcher schwerer Behandlungsfehler ist anzunehmen, wenn ein medizinisches Fehlverhalten vorliegt, das aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Das setzt einen Verstoß gegen elementare medizinische Behandlungsstandards oder elementare medizinische Erkenntnisse voraus (BGH, Urt. v. 3.11.1998 – VI ZR 253/97, MDR 1999, 229 = NJW 1999, 862 = VersR 1999, 231). Ein Indiz gegen die Annahme eines solchen Verstoßes gegen eine elementare Behandlungsregel ist schon, dass sich nach den Angaben aller gerichtlichen Sachverständigen die Thrombozytenkontrolle in der Praxis noch nicht durchgesetzt hatte und die weit überwiegende Zahl der behandelnden Ärzte keine Thrombozytenkontrolle nach Heparingabe vornahmen. Der Sachverständige PD Dr. P. hat die Zahl der Kliniken, in denen eine Thrombozytenkontrolle erfolgte, auf vielleicht 5 % geschätzt. Ein Indiz dafür, dass eine unterlassene Maßnahme kein Behandlungsfehler ist, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf, ist es, wenn in den meisten Kliniken diese Maßnahme nicht durchgeführt wird (BGH, Urt. v. 10.5.1983 – VI ZR 270/81, NJW 1983, 2080 = VersR 1983, 729). Die zögerliche Haltung der Ärzteschaft ist, wie der Sachverständige PD Dr. P. dargelegt hat, dadurch erklärbar, dass Heparin gerade prophylaktisch gegen die Gefahr einer Thrombosierung gegeben wird, eine thrombosierende Wirkung von Heparin widersprüchlich erscheint und nicht ohne weiteres aufgenommen und geglaubt wird. Dem entspricht, dass auch in den einschlägigen chirurgischen Lehrbüchern bis 1995 zwar teilweise das Krankheitsbild einer HIT II beschrieben war, eine Kontrolle der Thrombozytenanzahl jedoch nur vereinzelt gefordert wurde. Zwar mag es dafür Gründe auch in der zeitlichen Erscheinungsweise der Lehrbücher geben, doch ist auch dies ein Indiz dafür, dass die Thrombozytenkontrolle 1995 noch nicht zu den elementaren Standards gehörte. Auch aus den Hinweisen der Medikamentenhersteller ergab sich das Erfordernis einer Thrombozytenkontrolle nicht. Soweit in der Roten Liste unter Anwendungsbeschränkungen für das vom Beklagten zu 2) verwendete Heparin aufgeführt ist „ältere Patienten, insbesondere Frauen, bei gleichzeitiger Behandlung mit Fibrinolytika oder oralen Antikoagulantien und/oder ASS. Thrombozytenkontrollen sind erforderlich” war dies medizinisch nach dem Sachverständigen PD Dr. P. dahin zu verstehen, dass Thrombozytenkontrollen nur bei älteren Patienten unter den genannten Bedingungen erforderlich waren. Die damals 49 Jahre alte Klägerin zählte nach dem medizinischen Sprachgebrauch nicht zu den älteren Patientinnen. Die Formulierung bei den Nebenwirkungen unter „Blut”, „Antikörper vermittelte schwere Thrombozytopenie (Typ II) mit Thrombozytenwerten unter 80.000 oder schneller Abfall auf weniger als 50 % des Ausgangswerts … in solchen Fällen ist das Präparat sofort abzusetzen. Der Patient ist darüber zu informieren, dass künftig keine Heparinisierung stattfinden darf (Kontrolle der Blutblättchen in regelmäßigen Abständen)” ist nach dem Sachverständigen Dr. P. dahin zu verstehen, dass bei einer Verdachtsdiagnose auf eine HIT Typ II die Blutblättchen zu kontrollieren sind. Dass die Thrombozytenkontrollen auch in Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie empfohlen waren, führt nicht dazu, dass ihr Unterlassen als schwerer, nicht mehr verständlicher Behandlungsfehler zu werten ist. Der Verstoß gegen in Leitlinien niedergelegte Behandlungsstandards ist nicht zwingend als unverständlicher Fehler zu werten (Dressler, Ärztliche Leitlinien und Arzthaftung, in FS Geiß, 379 [386]). Allein aus der Aufnahme einer Behandlungsregel in eine Leitlinie ergibt sich noch nicht, dass eine Behandlungsmaßnahme zu den elementaren medizinischen Standards gehört und ein Unterlassen medizinisch schlechterdings unverständlich ist.
bb) Der Klägerin kommen auch keine Beweiserleichterungen zugute, weil mit der Thrombozytenkontrolle eine Befunderhebung unterlassen wurde. Wenn der Arzt einen medizinisch gebotenen Befund nicht erhoben hat, kommt dem Patienten eine Beweiserleichterung bereits unterhalb der Schwelle zum groben Behandlungsfehler für das Kausalitätsband zum Schaden zugute. Diese Beweiserleichterung greift Platz, wenn der gebotene, nicht erhobene Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein medizinisch positives und deshalb aus medizinischer Sicht reaktionspflichtiges Ergebnis gehabt hätte, und das Unterlassen der Reaktion nicht anders als durch einen groben Fehler zu erklären wäre (BGH, Urt. v. 6.7.1999 – VI ZR 290/98, MDR 1999, 1265 = NJW 1999, 3408 = VersR 1999, 1282). Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass die unterlassene Thrombozytenkontrolle wahrscheinlich einen Abfall der Thrombozytenzahl ergeben hätte. Davon ist zwar der Sachverständige PD Dr. D. bei seiner Anhörung vor dem LG Ellwangen ausgegangen. Er hat jedoch – wie bereits dargelegt – dabei nicht berücksichtigt, dass bei der Klägerin möglicherweise zunächst nur eine HIT Typ I vorlag, bei manchen Patienten trotz einer HIT Typ II die Thrombozytenzahlen erst nach mehr als 15 Tagen signifikant abfallen und bei anderen überhaupt kein Abfall zu beobachten ist. Wie der Sachverständige PD Dr. P. vor dem Senat dargelegt hat, hätte man im typischen Verlauf bei einer Kontrolle allerdings erwartet, dass die Thrombozytenwerte bis zu einer Kontrolle nach dem 27.2.1995 abgefallen waren. Bei der Klägerin war der Verlauf jedoch atypisch. Der atypische Verlauf zeigt sich bereits darin, dass sich die Thrombozytenwerte nicht alsbald und schnell nach dem Absetzen von Heparin mit der Entlassung der Klägerin am 6.3.1995 erholten. Auf den atypischen Verlauf bei der Klägerin insoweit hat auch der Sachverständige Privatdozent Dr. D. in seinem Ergänzungsgutachten vor dem LG hingewiesen (Ergänzungsgutachten S. 5). Noch am 21.3.1995, also zwei Wochen später, wies die Klägerin mit 83.000 eine Thrombozytopenie auf. Zwar lässt sich diese auch durch andere Ursachen, beispielsweise durch einen Thrombozytenverbrauch durch die Thrombose und die Lungenembolie erklären. Doch kann damit nicht mehr von einem typischen Verlauf mit schnellem Abfall der Werte nach Heparingabe und Anstieg nach Absetzen des Heparins ausgegangen werden. Unter der erneuten Heparinisierung ab dem 21.3.1995 verminderte sich die Thrombozytenzahl wieder, doch nicht sehr deutlich. Nach dem Absetzen von Heparin erholten sich die Thrombozytenwerte zunächst, fielen dann aber, obwohl nicht wieder Heparin gegeben wurde, erneut ab. Insgesamt sah sich der Sachverständige PD Dr. P. deshalb außerstande, anzugeben, ob bei einer Thrombozytenkontrolle in der chirurgischen Abteilung der S.-Klinik eine merklich gesunkene Thrombozytenzahl wahrscheinlich war. Er konnte noch nicht einmal Angaben dazu machen, ob ein Abfall der Thrombozytenzahl wahrscheinlicher ist oder eher ein jedenfalls nicht signifikant abgefallener und damit nicht zu Reaktionen Anlass gebender Thrombozytenwert festzustellen gewesen wäre. Er hat eine Einschätzung als reine Spekulation bezeichnet (Prot. der mündlichen Verhandlung vor dem Senat S. 11). Als spekulativ hat das Ergebnis auch der chirurgische Sachverständige Prof. Dr. R. vor dem LG (Prot. der mündlichen Verhandlung vom 10.5.2000 S. 6) bezeichnet. Der Senat kann sich damit insgesamt nicht davon überzeugen, dass eine Kontrolle der Thrombozyten nach dem 27.2.1995 während des stationären Aufenthalts in der S.-Klinik mit Wahrscheinlichkeit einen merklichen Abfall ergeben hätte.
2. Weitere Behandlungsfehler durch den Beklagten zu 2) bei der Behandlung in der chirurgischen Abteilung der S.-Klinik hat die Klägerin nicht bewiesen.
a) Die Heparingabe war nach der Varizenoperation zur Thromboembolieprophylaxe indiziert (Gutachten PD Dr. P. S. 10 und S. 15).
b) Die von der Klägerin noch während des stationären Aufenthalts beklagten Kopfschmerzen gaben keine Veranlassung zu weiteren diagnostischen Maßnahmen im Hinblick auf eine HIT Typ II (Ergänzungsgutachten PD Dr. D. S. 3 und 4). Insbesondere waren sie vom Beklagten zu 2) nicht als Anhaltspunkte für die Sinusvenenthrombose zu interpretieren. Nach den überzeugenden Angaben des Sachverständigen PD Dr. P. können Kopfschmerzen zwar ein Zeichen für eine Sinusvenenthrombose sein. Sie sind jedoch viel zu unspezifisch, um allein daraus auf eine Sinusvenenthrombose schließen zu können (Prot. der mündlichen Verhandlung vor dem Senat S. 12). Auch der Sachverständige PD Dr. D. hat ihnen keine Bedeutung beigemessen (Prot. der mündlichen Verhandlung vor dem LG v. 14.7.1999 S. 7, schriftliches Gutachten S. 8).
c) Die Verschreibung von Aspirin war nicht wegen der Gabe von Heparin kontraindiziert. Das ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. P. im schriftlichen Gutachten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Die frühere Empfehlung, bei der Gabe von ASS eine Kontrolle der Thrombozyten vorzunehmen, beruhte auf der Annahme, dass die Thrombozytopenie zu einer Blutungsneigung führt. Das hat sich als nicht richtig herausgestellt (Prot. der mündlichen Verhandlung vor dem Senat S. 4). Ein Zusammenhang mit der HIT der Klägerin besteht nicht (Gutachten PD Dr. P. S. 20). Allerdings erhöht Aspirin – unabhängig von der Heparingabe und einer HIT Typ II – die Blutungsgefahr. Dabei handelt es sich jedoch um ein für Aspirin typisches Risiko. Die Gabe von Aspirin hatte bei der Klägerin keine nachteiligen Folgen. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Subarachnoidalblutung durch Aspirin verursacht worden ist (Prot. der mündlichen Verhandlung vor dem Senat S. 5).
d) Die Klägerin konnte am 6.3.1995 aus der stationären Behandlung entlassen werden, nachdem bis dahin keine weiteren Komplikationen aufgetreten waren.
Die von der Klägerin beklagten Kopfschmerzen waren, wie schon PD Dr. D. in seinem erstinstanzlichen Gutachten dargelegt hat (S. 8), kein Hinderungsgrund. Für eine Beinvenenthrombose oder eine Lungenembolie bestanden zu diesem Zeitpunkt keine Anhaltspunkte (Gutachten PD Dr. D. S. 17).
e) Auch in der ambulanten Nachbehandlung hat die Klägerin keine Behandlungsfehler bewiesen. Als sie über Thoraxschmerzen berichtete, veranlasste der Beklagte zu 2) eine Röntgenaufnahme, die keinen Befund ergab. Nachdem die Klägerin über eine Zunahme der Kopfschmerzen berichtete, veranlasste der Beklagte zu 2) zur Abklärung eine Computertomographie des Schädels. Damit war das unspezifische Symptom der Kopfschmerzen soweit abgeklärt, dass eine lebensbedrohliche, raumfordernde Erkrankung und eine Gehirnblutung ausgeschlossen werden konnten (Gutachten PD Dr. D. S. 20). Eine Veranlassung zu einer Kontrolle der Thrombozytenzahlen bestand nach dem Absetzen von Heparin mit der Entlassung aus der stationären Behandlung nicht mehr. Wie der Sachverständige PD Dr. P. in seinem schriftlichen Gutachten in Übereinstimmung mit den oben unter 1. a) zitierten Veröffentlichungen ausgeführt hat, bestand die Empfehlung einer Thrombozytenkontrolle während der Gabe von Heparin. Nachdem der Klägerin nach dem Ende der stationären Behandlung kein Heparin mehr gegeben wurde, hatte eine weitere Kontrolle keine therapeutische Bedeutung mehr. Die einzige Therapie besteht im Absetzen von Heparin, wie schon PD Dr. D. dargelegt hat (Gutachten S. 7, S. 10). Hinzu kommt, dass im Normalfall nach dem Absetzen von Heparin ein Ansteigen der Thrombozytenzahl bis in den Normbereich zu erwarten ist und deshalb von einer Thrombozytenkontrolle nach dem Absetzen von Heparin im Hinblick auf eine HIT Typ II keine Erkenntnisse zu erwarten sind.
3. Die Klägerin hat keine Behandlungsfehler in der Behandlung durch den Beklagten zu 3) nach der Aufnahme in die innere Abteilung der S.-Klinik am 21.3.1995 bewiesen.
a) Die Lysebehandlung ab dem 21.3.1995 mit Actilyse und einer Vollheparinisierung war indiziert. Wie der Sachverständige PD Dr. P. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dargelegt hat, war nach der Diagnose einer Beinvenenthrombose und einer Lungenembolie die Lysebehandlung 1995 die Standardbehandlung. Dazu gehörte auch eine therapeutische Heparinisierung. Zwar war es grundsätzlich möglich, statt einer Begleitmedikation mit Heparin eine mit Refludan vorzunehmen. Dieses Medikament war jedoch noch nicht zugelassen und es gab damals noch keine Erfahrungen mit Refludan als Begleitmedikation, so dass die Begleitmedikation mit Heparin dem üblichen und regelgerechten Vorgehen entsprach.
Die Thrombozytenzahl von 83.000 war keine Kontraindikation für die Lysebehandlung. Wie der Sachverständige PD Dr. P. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (Prot. S. 6) dargelegt hat, kommen für eine Thrombozytopenie verschiedene Ursachen in Betracht. Am wahrscheinlichsten war hier eine medikamenteninduzierte Thrombozytopenie oder eine tumorbedingte Thrombozytopenie. Als Ursache der medikamenteninduzierten Thrombozytopenie kam zwar auch die Gabe von Aspirin in Betracht, doch sind insoweit nur vereinzelte Fälle beschrieben. In der Diagnostik spielen aspirininduzierte Thrombozytopenien deshalb eine nur untergeordnete Rolle. Sie konnten deshalb auch für den Beklagten zu 3) keine besondere Bedeutung erlangen. Möglich war jedoch eine tumorbedingte Thrombozytopenie, bei der die Gabe von Heparin möglich ist. Eine niedrige Thrombozytenzahl ist damit allein noch keine Kontraindikation gegen eine Lysetherapie.
Objektiv war die Heparintherapie aber nicht indiziert, weil die Klägerin an einer heparininduzierten Thrombozytopenie litt. Dass der Beklagte zu 3) die richtige Diagnose nicht stellte, begründet jedoch keinen Behandlungsfehler. Diagnoseirrtümer, die lediglich auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, sind nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler zu werten. Irrtümer bei der Diagnosestellung sind nicht zwingend die Folge eines vorwerfbaren Versehens des behandelnden Arztes, weil die Symptome einer Erkrankung nicht immer eindeutig sind, sondern auf verschiedene Ursachen hinweisen können (BGH, Urt. v. 14.6.1994 – VI ZR 236/93, AHRS 1815, 102). Erst bei Abweichung von einer klar zu stellenden Diagnose ist ein Diagnoseirrtum auch als Behandlungsfehler zu qualifizieren (BGH, Urt. v. 16.6.1998 – 14 U 67/97, AHRS 1815, 115). Dagegen ist die objektive Fehlerhaftigkeit einer Diagnose nicht vorwerfbar, wenn es sich um eine in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der Befunde handelt. Die Fehldiagnose einer tumorbedingten Thrombozytopenie war kein Behandlungsfehler, weil sie vertretbar war und nicht eindeutig die Diagnose einer HIT Typ II zu stellen war. Eine HIT Typ II war nicht die naheliegendste Ursache, wie der Sachverständige PD Dr. P. in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt hat, in Übereinstimmung mit der Bewertung des Sachverständigen PD Dr. D. vor dem LG. Der Sachverständige PD Dr. P. hat vor dem Senat dazu ausgeführt, dass nach dem heutigen Kenntnisstand die Kombination aus Thrombozytopenie, Thrombose und Lungenembolie den Verdacht auf eine HIT nahe lege und insofern keine optimale Behandlung vorliege, 1995 die HIT aber noch nicht so bekannt gewesen sei. Erst in den Jahren 1994 bis 1996 wurden genauere Kenntnisse über die pathophysiologischen Mechanismen einer HIT Typ II, ihr klinisches Erscheinungsbild und ihre Häufigkeit im allgemeinen Krankengut und in der Fachliteratur publiziert. Hinzu kommt, dass bei der Klägerin ein atypischer Verlauf vorlag, weil im typischen Verlauf ein Anstieg der Thrombozytenzahlen fünf bis zehn Tage nach Absetzen von Heparin zu beobachten ist. Bei der Aufnahme in die innere Abteilung der S.-Klinik lag das Absetzen der prophylaktischen Heparingabe bereits mehr als zehn Tage zurück. Zwar lässt dies keinen Rückschluss darauf zu, dass keine HIT Typ II vorlag, weil es atypische Fälle gibt und die Thrombozytenzahl mit 83.000 ggü. möglicherweise noch niedrigeren Werten bereits wieder angestiegen sein kann. Diese zeitliche Distanz zum Absetzen von Heparin erschwerte jedoch eine richtige Diagnose. Der Beklagte zu 3) war vor Beginn einer Lysebehandlung mit Heparin in dieser Situation auch nicht verpflichtet, durch einen HIPA-Test eine heparininduzierte Thrombozytopenie auszuschließen. Nach den Angaben des Sachverständigen PD Dr. P. vor dem Senat entsprach es 1995 nicht den Regeln der Medizin, in jedem Fall zur Abklärung einer heparininduzierten Thrombozytopenie ggf. auch parallel zu einer Abklärung anderer Ursachen einen HIPA-Test durchzuführen. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, entsprach und entspricht es den Regeln der Medizin, den HIPA-Test erst durchzuführen, wenn differentialdiagnostisch eine HIT diagnostiziert wurde. Auch der Sachverständige PD Dr. D. wies in seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten für das LG (S. 4) darauf hin, dass der Labortest zum Nachweis der spezifischen Antikörper seinen Platz in der Diagnosesicherung habe, aber in der akuten Behandlungssituation schon wegen der Dauer von mehreren Tagen bis zum Vorliegen eines Ergebnisses wenig hilfreich sei. Der HIPA-Test war nach den Regeln der Medizin damit erst zu erheben, wenn diese Diagnose einer HIT zu stellen war.
Eine Haftung des Beklagten zu 3) wegen einer Fehldiagnose bei der Aufnahme in die S.-Klinik und wegen der Lysebehandlung mit einer Vollheparinisierung scheitert auch daran, dass die Klägerin nicht bewiesen hat, dass die Heparinisierung ab dem 21.3.1995 für die Sinusvenenthrombose und den Verschluss der Arteria carotis interna ursächlich war. Wie der Sachverständige PD Dr. P. in seinem schriftlichen Gutachten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dargelegt hat, kommt es auch noch Wochen nach dem Absetzen von Heparin zur Thrombosierung und zum Auftreten schwerer Folgen, auch unter der Ersatztherapie mit Orgaran. Die Sinusvenenthrombose und der Verschluss der Arteria carotis interna können deshalb auch bereits durch die prophylaktische Heparinisierung in der chirurgischen Abteilung der S.-Klinik verursacht worden sein und sind nicht sicher der Vollheparinisierung ab dem 21.3.1995 zuzuordnen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist allerdings die Subarachnoidalblutung durch die Lysebehandlung verursacht worden. Insoweit fehlt aber der Pflichtwidrigkeitszusammenhang zu einem Behandlungsfehler. Die Lysebehandlung mit einer Vollheparinisierung war allenfalls wegen einer HIT Typ II kontraindiziert. Die Klägerin sollte damit vor den Folgen der Unverträglichkeitsreaktion aufgrund einer HIT Typ II geschützt werden, nicht jedoch vor den typischen Gefahren der Lysebehandlung, zu denen die Subarachnoidalblutung zählt.
b) Die Klägerin hat auch keine fehlerhafte Behandlung bis zum Absetzen von Heparin mit Ablauf des 6.4.1995 bewiesen.
aa) Dem Kläger ist kein Diagnosefehler in der weiteren Behandlung nachgewiesen. Die einmal gestellte Deutung von Befunden ist dann nicht mehr vertretbar und wird zum Diagnosefehler, wenn sie nicht nur objektiv fehlerhaft, sondern vorwerfbar wird, weil Krankheitserscheinungen auftreten, die für die angenommene Erkrankung untypisch sind oder auch für eine andere Erkrankung sprechen können (BGH, Urt. v. 14.6.1994 – VI ZR 236/93, AHRS 1815, 102), oder weil die Überprüfung der gestellten Diagnose ergibt, dass sie fehlerhaft ist, und der Arzt weiteren möglichen Differentialdiagnosen nicht nachgeht. Auch wenn die Diagnose einer HIT Typ II objektiv verspätet gestellt wurde und, wie der Sachverständige PD Dr. P. dargelegt hat, bei einer optimalen Medizin die Diagnose früher in Erwägung hätte gezogen werden können, ist dem Beklagten zu 3) kein vorwerfbarer Diagnosefehler bewiesen worden.
Krankheitssymptome, die die differentialdiagnostische Einordnung als tumorbedingte Thrombozytopenie in Frage stellten oder auf eine heparininduzierte Thrombozytopenie hinwiesen, traten nicht auf. Beim ersten Auftreten von Sprachbehinderungen und Wortfindungsstörungen am 27.3.1995 ergab ein Schädel-CT einen unauffälligen Befund und damit keinen Hinweis auf Krankheitssymptome, die eine HIT Typ II nahe legten. Der Beklagte zu 3) erwog auch nicht, wie der Sachverständige PD Dr. P. in seinem schriftlichen Gutachten noch gemutmaßt hatte, eine eventuell medikamentenbedingte Immunthrombozytopenie, weil er die Klägerin ab 23.3.1995 mit Cortisonpräparaten behandelte. Der Beklagte zu 3) hat klargestellt, dass er Soludecortin ex iuvantibus zur Vermeidung von Blutungskomplikationen der Lysetherapie verordnete. Die am 5.4.1995 diagnostizierte Subarachnoidalblutung war ebenfalls kein Krankheitssymptom für eine HIT, sondern die Verwirklichung eines Risikos der Lysebehandlung.
Der Beklagte zu 3) hat die zunächst gestellte Diagnose einer tumorinduzierten Thrombozytopenie auch weiter abgeklärt. Dazu war eine Knochenmarksuntersuchung erforderlich, wie der Sachverständige PD Dr. P. bestätigt hat. Diese war wegen der Gefahr von Blutungskomplikationen vor dem Ende der Lysetherapie nicht möglich. Die Knochenmarkspunktion ergab am 29.3.1995 zunächst kein Ergebnis, weil keine Markbröckel aspiriert werden konnten. Bei der umgehenden Wiederholung am 31.3.1995 ergab die Punktion noch Hinweise auf ein parainfektiöses oder niedrigmalignes Non-Hodgkin-Lymphom, also eine Tumorerkrankung. Das Ergebnis der gleichzeitig entnommenen Knochenstanze, dass ein Lymphom auszuschließen ist, lag erst am 19.4.1995 und damit nach dem Absetzen des Heparins vor.
bb) Die Vollheparinisierung der Klägerin war nicht bereits deshalb abzubrechen, weil die Thrombozytenzahl bereits am 22.3.1995 von 83.000 weiter auf 59.000 abgesunken war. Zwar enthielt die Rote Liste für Heparin unter den Nebenwirkungen einen Hinweis auf die antikörpervermittelte schwere Thrombozytopenie u.a. mit Thrombozytenwerten unter 80.000. Wie der Sachverständige PD Dr. P. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat, ist Heparin jedoch nicht mechanisch abzusetzen, wenn die Thrombozytenzahl 80.000 unterschreitet. Die Lysebehandlung diente der Abwehr einer akut lebensbedrohlichen Situation aufgrund der Thrombose und der Lungenembolie. Heparin ist erst beim Verdacht auf eine HIT Typ II abzusetzen, nicht allein aufgrund der Thrombozytenzahl.
cc) Die Gabe von Thrombozytenkonzentraten war nicht indiziert. Allein der numerische Wert der Thrombozyten ist keine Indikation dafür. Die Gabe von Thrombozytenkonzentraten ist bei einer HIT Typ II nach den Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. P. sogar eher schädlich.
dd) Der Beklagte zu 3) war auch nicht zu einem HIPA-Test verpflichtet. Es entsprach, wie bereits unter 3a) dargelegt, nicht den Regeln der Medizin, parallel zur Abklärung eines Tumorverdachts ohne die Diagnoseeiner HIT einen HIPA-Test durchzuführen.
ee) Schließlich hat die Klägerin auch nicht bewiesen, dass ein möglicher Behandlungsfehler in der Zeit bis zum Absetzen des Heparins am Morgen des 7.4.1995 für die Sinusvenenthrombose oder den Verschluss der Arteria carotis interna ursächlich war.
Es ist schon nicht möglich festzustellen, ob die Folgen aufgrund der prophylaktischen Heparinisierung in der chirurgischen Abteilung der S.-Klinik oder erst aufgrund der Heparintherapie in der Inneren Abteilung eingetreten sind. Da außerdem bei manchen Patienten auch nach Absetzen der Heparintherapie thromboembolische Komplikationen auftraten, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass trotz einem früheren Absetzen des Heparins die Sinusvenenthrombose und der Verschluss der Arteria carotis interna eingetreten wären.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

OLG Stuttgart vom 22.02.2001
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