OLG Dresden: Kostenlose Abgabe von Blutzuckermessgerät ist rechtswidrig

Die kostenlose Abgabe von Blutzuckermessgeräten zu bewerben oder vorzunehmen verstößt gegen § 7 I 1 HWG.

OLG Dresden, Beschluss v. 08.01.2018 – 14 U 1047/17
Instanzen:
LG Dresden 29.06.17, Az.: 44 HKO 200/16
§ 3a UWG, § 7 HWG
Hinweis:

Beschluss betrifft die Abgabe und Bewerbung von Medizinprodukten.

Andere Fundstellen: MPR 2018, 127 m. Anm. Kröner


Gründe:

I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch, die kostenlose Abgabe von Blutzuckermessgeräten zu bewerben oder vorzunehmen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 29.6.2017, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, der Klage antragsgemäß stattgegeben und die Beklagte verurteilt, es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für die kostenlose Abgabe von Blutzuckermessgeräten zu werben und/oder diese ankündigungsgemäß kostenlos abzugeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie macht unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens insbesondere geltend, der Anwendungsbereich des HWG sei nicht eröffnet und die angesprochenen Verkehrskreise Empfänger empfänden eine kostenlose Abgabe der Blutzuckermessgeräte nicht als Werbegeschenk.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des am 29.6.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Dresden,

Az.: 44 HK O 200/16, die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 4.12.2017 die Beklagte darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, ihre Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Auf diesen Hinweisbeschluss und die Ausführungen der Parteien in den gewechselten Schriftsätzen mitsamt Anlagen wird ergänzend Bezug genommen.

II. Die Berufung der Beklagten ist durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

1. Zur Begründung verweist der Senat auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil und in seinem Beschluss vom 4.12.2017.

2. Der Vortrag in den Schriftsätzen vom 5.12.2017 und 22.12.2017 gibt keinen Anlass zu veränderter Bewertung.

a) Die Voraussetzungen für eine Beschlusszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor.

Es ergeben sich keine Gesichtspunkte, die eine Abänderung des Ersturteils aus tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten rechtfertigen. Die aufgeworfenen Tatund Rechtsfragen sind einstimmig und nach gründlicher Prüfung zweifelsfrei zu beantworten (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/6406, S. 9). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Der Beschluss beruht auf der Anwendung anerkannter Rechtsgrundsätze auf den Einzelfall einer kostenlosen Abgabe von Blutzuckermessgeräten und entsprechender Bewerbung. Unterschiedliche Auffassungen hierzu sind in der Rechtsprechung nicht geäußert worden. Im Gegenteil, das LG Bochum (WRP 2017, 1411) vertritt dieselbe Auffassung wie der Senat. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, weil von ihr im Streitfall kein weiterer Erkenntnisgewinn ausgeht, insbesondere eine Beweisaufnahme nicht erforderlich ist. Die Entscheidung des Senats wird nicht auf eine umfassend neue rechtliche Würdigung gestützt. Die Terminsverfügung durch den Vorsitzenden trifft keine Aussage dahin, dass ein Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht komme (BVerfG NJW 2011, 3356).

b) Die Beklagte verstößt gegen § 7 Abs. 1 S. 1 HWG. Dieses Verbot von Werbegaben im Bereich der Heilmittel soll der abstrakten Gefahr begegnen, dass Verbraucher bei der Entscheidung, ob und welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, durch die Aussicht auf Werbegaben unsachlich beeinflusst werden (vgl. BGH GRUR 2012, 1279 Rn. 29 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT). Der Begriff der Werbegabe in § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ist deshalb weit auszulegen und erfasst grundsätzlich jede aus der Sicht des Empfängers nicht berechnete geldwerte Vergünstigung, die im Zusammenhang mit der Werbung für ein bestimmtes Heilmittel gewährt wird (vgl. BGH GRUR 2014, 689 Rn. 14 – Testen Sie Ihr Fachwissen). Es genügt, dass ein Empfänger die Zuwendung als unentgeltlich und damit als Geschenk ansieht (vgl. BGH, GRUR 1990, 1041, 1042 – Fortbildungs-Kassetten).

(1) Dies ist hier der Fall. Die Abgabe des Blutzuckermessgeräts, das ersichtlich einen erheblichen Wert verkörpert, wird als „kostenlos“ oder mit durchgestrichenem Preis (vgl. Anlage K 9) beworben. Schon deshalb nimmt ein Empfänger an, es handele sich um eine geldwerte Vergünstigung. Diesem Herausstellen des Gratischarakters in der Werbung entnimmt der Empfänger, dass für das Blutzuckermessgerät hier kein Kaufpreis zu entrichten ist, der aber normalerweise verlangt wird. Der Besonderheit der werblichen Hervorhebung entspricht die Besonderheit des kostenlosen Erhalts. Würden Blutzuckermessgeräte immer kostenlos zur Verfügung gestellt, wie die Beklagte geltend macht, ergäbe es keinen Sinn und wäre seinerseits irreführend, den Gratischarakter in der Werbung so herauszustellen und sogar nur mit ihm zu werben.

(2) Überdies ist es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht unstreitig, dass Blutzuckermessgeräte in der Vergangenheit den Versicherten immer kostenlos zur Verfügung gestellt worden seien. Bereits in der Klageschrift hat der Kläger darauf abgestellt, dass Blutzuckermessgeräte von vielen Herstellern zu Preisen von 10 EUR bis über 100 EUR angeboten werden. Sogar bei der Beklagten selbst finden sich mehrere Blutzuckermessgeräte, die nicht kostenlos sind. Der Kläger hat überdies vorgetragen und mit Anlage K 9 belegt, dass im Internetshop der Beklagten bei zahlreichen weiteren Geräten der vorherige Preis durchgestrichen ist, so dass auch sie zuvor nicht gratis abgegeben wurden.

(3) Zudem kommt es nicht darauf an, dass Blutzuckermessegräte auch kostenlos abgegeben wurden, sondern dass dies nicht in einem Umfang bei Händlern der Fall war, der die maßgebliche Empfängersicht geprägt hat. Die Beklagte stellt selbst auf Marktüblichkeit und Gewöhnung des Verkehrs ab. Selbst wenn es teilweise – etwa von dem behandelnden Arzt – zu einer kostenlosen Abgabe kam, nimmt der angesprochene Empfänger nicht an, er werde Blutzuckermessegeräte auch von einem spezialisierten Händler stets gratis erhalten. Ein solches Verständnis können die entscheidenden Richter aufgrund eigenen Erfahrungswissens beurteilen, zumal sie zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören (vgl. BGH GRUR 2014, 682 Rn. 29 – Nordjob-Messe).

(4) Es lässt sich auch nicht feststellen, dass einem Versicherten der Gesetzlichen Krankenkasse für jedes Blutzuckermessegerät ein Sachleistungsanspruch zusteht und er deshalb stets nur die Zuzahlung leisten müsste. Erst recht gilt dies nicht für Ersatzgeräte, für deren Kosten die Krankenkasse nicht aufkommt. Die Empfänger sind schon nicht bei Erstgeräten und entgegen der Auffassung der Beklagten erst recht nicht bei Ersatzgeräten an eine kostenlose Abgabe gewohnt; vielmehr fassen sie diese als geldwerte Vergünstigung auf. Für Privatversicherte ergibt sich der schenkweise Vorteil ohnehin schon beim Erstgerät aus dem entfallenden Selbstbehalt.

(5) Deshalb greifen Verbotstenor und –antrag auch nicht zu weit. Sie geben die beanstandete Werbung (Anlage K 1) mit der Formulierung „Kostenlose Abgabe von Blutzuckermessgeräten“ wortwörtlich wieder. Abstrakt formulierte Merkmale werden nicht hinzugefügt. Dadurch wird deutlich gemacht, dass Gegenstand des Antrags die in Rede stehende und wiedergegebene Werbung sein soll. Dem Klagevorbringen lässt sich auch nicht entnehmen, dass von dem Verbot darüber hinaus Handlungen erfasst sein sollen, die wettbewerbsrechtlich zulässig sind oder einen ganz anderen Charakter als die angegriffene Werbung haben. Dies gilt auch für die Gratisangebote im Onlineshop der Beklagten, wie sie in Anlage K 2 wiedergegeben sind. Sie fallen in den Kernbereich des Verbotstenors, da sie kostenlos abgegeben werden. Auf einen Sachleistungsanspruch und Verzicht auf eine Zuzahlung nach § 33 Abs. 8 SGB V kommt es dabei nicht an. Solche Fälle will der Kläger selbst vom Verbot ausgenommen sehen (Schriftsatz vom 1.3.2017, S. 11 f.; Bl. 55 f. dA).

Deshalb kann der Klageantrag nicht teilweise abgewiesen werden. Beantragt der Kläger wie hier Unterlassung der Verletzungshandlung in der konkret begangenen Form, braucht er keine einschränkenden Zusätze anzuführen. Es ist vielmehr Sache der Beklagten, Wege zu finden, die aus dem Verbot herausführen (ständige Rechtsprechung, z.B. BGH GRUR 2011, 82 Rn. 35 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer).

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Das Urteil beruht auf der Anwendung anerkannter Rechtsgrundsätze auf einen Einzelfall. Wie erörtert, hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Revisionsgerichts.

4. Der Streitwert war wie vom Landgericht für die erste Instanz unbeanstandet festgesetzt auch für das Berufungsverfahren auf 15.000 EUR zu bemessen.

Gemäß § 51 Abs. 2 GKG ist in Verfahren nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers (hier: 15.000 EUR) für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Die Streitwertangabe enthebt das Gericht allerdings nicht der Notwendigkeit, diese auch anhand der Aktenlage und sonstiger Gegebenheiten unter Berücksichtigung seiner Erfahrung und in vergleichbaren Fällen erfolgter Wertfestsetzungen selbständig nachzuprüfen, und zwar nicht nur auf eine etwaige Unvertretbarkeit.

Maßgeblich ist beim Unterlassungsbegehren das wirtschaftliche Interesse der Klägerseite an dem mit dem Verfahren erstrebten Rechtszustand, das von der Angriffsschwere der zu untersagenden Handlung abhängt (Senat, Beschluss vom 11.6.2003, 14 W 484/03). Für den Kläger als Verband zur Förderung gewerblicher Interessen ist das Interesse ebenso zu bewerten wie das eines von ihm vertretenen gewichtigen Mitbewerbers (BGH GRUR 1998, 958 – Verbandsinteresse). Dabei sind auch die Unternehmensverhältnisse bei dem Verletzter und dem Verletzten, die Intensität des Wettbewerbs zwischen beiden (in räumlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht), die Auswirkungen zukünftiger Verletzungshandlungen (Ausmaß, Intensität und Häufigkeit, indiziert durch die bereits begangene Verletzungshandlung) und die Intensität der Wiederholungsgefahr (Verschuldensgrad, späteres Verhalten) zu berücksichtigen (vgl. BGH GRUR 1990, 1052 – Streitwertbemessung).

Demnach erscheint der Streitwert mit 15.000 EUR angemessen und ausreichend bewertet. Hierfür spricht der Angriffsfaktor in Form der kostenlosen und mit hohem Anziehungseffekt verbundenen Abgabe von Blutzuckermessgeräten. Ein gewichtiger Mitbewerber hat ein erhebliches wirtschaftliches Interesse daran, dass die Beklagte dies in Zukunft unterlässt. Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob einem Mitbewerber bislang schon ein erheblicher Schaden entstanden ist – ein solcher droht ihm jedenfalls, wenn er das Verhalten der Beklagten nicht unterbinden würde. Die Streitwertbemessung entspricht auch der Wertfestsetzung in vergleichbaren Fällen (vgl. LG Bochum WRP 2017, 1411).

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