OVG NRW: Meerwasser als MP (Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde)

  1. Die Entscheidung (des VG Köln, Urt. v. 12.4.2016 – 7 K 2347/14), dass es sich bei „Meerwasser der Nordsee” zur Anwendung bei Erkrankungen der Atemwege in Form von Inhalationen, bei Erkrankungen der Haut in Form von Bädern und bei Erkrankungen des Bewegungsapparates in Form von Bädern um ein Medizinprodukt handelt, weil die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Meerwassers bei den genannten Anwendungen auf physikalischem Wege erreicht wird, begegnet keinen ernstlichen Zweifeln (i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
  2. Eine Regelung dahingehend, dass bestimmte Stoffe – etwa Heilwässer als ortsgebundene Heilmittel – kraft Gesetzes als Arzneimittel gelten, enthält § 21 Abs. 2 AMG nicht. Vielmehr ist die Frage, ob ein Arzneimittel vorliegt oder nicht, anhand des Arzneimittelbegriffs des § 2 AMG zu bestimmen. Die Abgrenzung von Arzneimitteln zu Medizinprodukten erfolgt dabei insbesondere nach § 2 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 7 AMG, § 3 Nr. 1, § 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG.
OVG NRW, Beschluss v. 27.06.2017 – 13 A 1253/16
Instanzen:
VG Köln, Urteil vom 12.04.2016 – 7 K 2347/14
§ 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG, § 3 Nr. 1 MPG,
§ 2 Abs. 1 AMG, § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG, § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG, § 4 Abs. 1 AMG, § 21 Abs. 2 Nr. 1e AMG, § 51 AMG

Andere Fundstellen: Pharma Recht 2017, 426-428 (red. Leitsatz und Gründe)


Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Aus den im Zulassungsverfahren dargelegten Gründen ergeben sich nicht die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Bescheid der Beklagten vom 11. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2014, mit dem festgestellt worden ist, dass es sich bei „Meerwasser der Nordsee“ zur Anwendung bei Erkrankungen der Atemwege in Form von Inhalationen, bei Erkrankungen der Haut in Form von Bädern und bei Erkrankungen des Bewegungsapparates in Form von Bädern um ein Medizinprodukt handelt, sei rechtmäßig, weil die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Meerwassers bei den genannten Anwendungen auf physikalischem Wege erreicht werde. Tragfähige Anhaltspunkte für eine pharmakologische Hauptwirkung bestünden nicht.

1. Mit dem Vorbringen, aus der Vorschrift des § 21 Abs. 2 Nr. 1e AMG folge, dass Meerwasser als ortsgebundenes Heilmittel ein Arzneimittel sei, stellt die Klägerin das angefochtene Urteil nicht schlüssig in Frage. Die Vorschrift begründet, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht die Arzneimitteleigenschaft sämtlicher Heilwässer, Bademoore oder anderer Peloide, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind, sondern setzt diese voraus. § 21 Abs. 2 AMG sieht für bestimmte Arzneimittel Ausnahmen von der für das Inverkehrbringen von Fertigarzneimitteln grundsätzlich bestehenden Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 1 AMG vor. Die Zulassungspflicht knüpft dabei an den Fertigarzneimittelbegriff an, wie er in § 4 Abs. 1 AMG definiert ist, und erfasst nur solche Fertigarzneimittel, die Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG sind.

Vgl. Winnands, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 2. Auflage 2016, § 21 Rn. 1, 3.

Erst bei Bejahung der Arzneimitteleigenschaft stellt sich mit anderen Worten (u. a.) die Frage der Zulassungspflicht nach § 21 AMG. Eine Regelung dahingehend, dass bestimmte Stoffe – etwa Heilwässer als ortsgebundene Heilmittel – kraft Gesetzes als Arzneimittel gelten, enthält § 21 Abs. 2 AMG entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Vielmehr ist die Frage, ob ein Arzneimittel vorliegt oder nicht, anhand des Arzneimittelbegriffs des § 2 AMG zu bestimmen. Die Abgrenzung von Arzneimitteln zu Medizinprodukten erfolgt dabei insbesondere nach § 2 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 7 AMG, §§ 3 Nr. 1, 2 Abs. 5 Nr. 1 MPG.

2. Der Hinweis der Klägerin auf die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 2 AMG weckt ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Auch diese Vorschrift setzt das Vorliegen eines Arzneimittels voraus und regelt nicht etwa, dass „Heilwässer und deren Salze in ihrem natürlichen Mischungsverhältnis oder ihre Nachbildungen“ kraft Gesetzes Arzneimittel sind. Die in diesem Zusammenhang von der Klägerin möglicherweise sinngemäß aufgeworfene Frage, ob „Meerwasser der Nordsee“ unter den Begriff der „Heilwässer“ im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 und des § 21 Abs. 2 Nr. 1e AMG fällt, ist für die im vorliegenden Fall allein im Streit stehende Frage, ob „Meerwasser der Nordsee“ ein Arzneimittel oder ein Medizinprodukt ist, nicht entscheidungserheblich.

3. Auch der weitere, pauschale Hinweis der Klägerin auf eine „Empfehlung der Kommission vom 12. Mai 2010 zur Verwendung einer harmonisierten Methodik zur Klassifizierung und Meldung von Verbraucherbeschwerden und Verbraucheranfragen“, in der als Gesundheitsdienstleistungen auch Thermalbäder oder Meerwasserbehandlungen für ambulante Patienten aufgeführt seien, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Es ist weder dargelegt noch erkennbar, dass und inwiefern diese Empfehlung Relevanz für die rechtliche Abgrenzung zwischen Arzneimitteln i. S. d. § 2 AMG einerseits und Medizinprodukten i. S. d. § 3 Nr. 1 MPG andererseits haben sollte.

4. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ergeben sich auch nicht aus dem Vorbringen der Klägerin, die Auffassung des Verwaltungsgerichts entspreche nicht vorliegenden Doppelblindstudien, die mit Konzentrationen äquimolarer Ionen, wie sie im Nordseewasser vorlägen, durchgeführt worden seien; diese Studien zeigten, dass Meerwasser neben seiner physikalischen eine überwiegend pharmakologische Wirkung besitze. Das Verwaltungsgericht hat ausführlich, differenziert nach den hier in Rede stehenden unterschiedlichen Anwendungen von „Meerwasser der Nordsee“, begründet, dass und warum die Hauptwirkung von „Meerwasser der Nordsee“ jeweils auf physikalischem Wege erreicht wird. In Bezug auf das balneologische Gutachten vom 20. Juli 2007 hat das Verwaltungsgericht insbesondere darauf hingewiesen, dass das Gutachten nichts darüber aussage, ob die im Meerwasser unstreitig vorhandenen Magnesium-, Strontium- und Selenionen in so großer Menge konzentriert seien, dass sie eine Reaktion im Sinne einer pharmakologischen Hauptwirkung auszulösen vermögen. Soweit Studien die Wirksamkeit von Magnesiumionen insbesondere bei Hauterkrankungen beträfen, seien sie mit Wasser des Toten Meeres durchgeführt worden, das einen wesentlich höheren Salzgehalt als Meerwasser der Nordsee aufweise. Mit diesen Ausführungen setzt sich das Zulassungsvorbringen, das im Übrigen die benannten Doppelblindstudien weder konkret bezeichnet noch vorlegt und auch keine Angaben zur Vergleichbarkeit der dortigen Ionen-Konzentrationen mit den im „Meerwasser der Nordsee“ enthaltenen Konzentrationen enthält, nicht auseinander.

Sollte die Klägerin mit ihrem unter Ziffer 4 weiter vorgebrachten Einwand, das Verwaltungsgericht hätte nicht ohne sachverständige Unterstützung entscheiden dürfen, den Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers – in Gestalt eines Aufklärungsmangels (§ 86 Abs. 1 VwGO) – geltend machen wollen, liegt dieser nicht vor. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts erst dann, wenn es von einer weiteren Sachverhaltsermittlung oder Beweiserhebung absieht, die sich ihm – ausgehend von seinem materiell-rechtlichem Standpunkt – auch ohne einen ausdrücklich gestellten Beweisantrag hätte aufdrängen müssen oder sonst geboten gewesen wäre.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. März 2017 – 9 A 232/15 –, juris, Rn. 53; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 124 Rn. 191.

Das zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf. Einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens oder auf Vernehmung eines Sachverständigen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Da ein balneologisches Gutachten bereits vorlag, musste sich dem Verwaltungsgericht die Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens auch nicht aufdrängen.

5. Der Einwand der Klägerin, es hätte geprüft werden müssen, ob für die Abgrenzung bei Grenzprodukten nicht die Entscheidung des EuGH vom 6. September 2012 – C-203/11 – (gemeint wohl C-308/11) zu berücksichtigen gewesen wäre, wonach es für das Vorliegen einer pharmakologischen Wirkung einer Substanz schon ausreiche, wenn eine Wechselwirkung zwischen dieser Substanz und einem beliebigen im Körper des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteil bestehe, greift ebenfalls nicht. Die vom Verwaltungsgericht unter Rückgriff auf die Leitlinien der Europäischen Kommission über Medizinprodukte (MEDDEV 2.1/3 rev 3) angenommene Definition einer pharmakologischen Wirkungsweise (vgl. Urteilsabdruck, S. 9) entspricht der vom EuGH im Jahr 2012 getroffenen und mit dem Zulassungsvorbringen wiedergegebenen Auslegung zu Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG.

Vgl. EuGH, Urteil vom 6. September 2012 – C-308/11 –, juris, Rn. 36.

Soweit die Klägerin weiter meint, dass bei „dermatologischen Anwendungen des Meerwassers“ eine pharmakologische Wirkung „zweifelsfrei“ vorliege, fehlt es erneut an jeglicher Begründung, worin die pharmakologische Wirkung von „Meerwasser der Nordsee“ zu sehen sein soll, sowie an einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen einer physikalischen Hauptwirkung. Die von der Klägerin angeführten Entscheidungen des BGH (Beschluss vom 18. Oktober 2012 – I ZR 38/12 –, Darmreinigungspräparat, und Urteil vom 8. Januar 2015 – I ZR 141/13 –, Mundspüllösung) enthalten keinerlei Aussagen zu einer etwaigen pharmakologischen Wirkung von „Meerwasser der Nordsee“.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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