LG München I: Aufgaben Benannter Stellen (PIP)

In dem Verfahren wurden nach der Implantation von Brustimplantaten der französischen Firma “Poly Implant Prothèse” (im Folgenden Fa. PIP genannt) Schadensersatzansprüche gegen insgesamt fünf Beklagte geltend gemacht: Der Beklagte zu 1 setzte die Implantate ein, die Beklagte zu 2 wurde als „Benannte Stelle“ mit der Prüfung zur Erlangung von Zertifikaten, insbesondere zur Qualitätssicherung beauftragt – eine Qualitätskontrolle einzelner Produkte war nicht vorzunehmen. Die Beklagte zu 3 habe, so der Vortrag der Klägerin, das in den Implantaten befindliche Babysilone geliefert. Die Beklagte zu 4 ist Pflichtversicherung der Fa. PIP. Die Vorwürfe gegen die Beklagte 5, die Bundesrepublik Deutschland, betrafen die Maßnahmen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Nach der ausführlichen mündlichen Verhandlung vom 12.10.2013 hatte die Klägerin die Klage gegen die Beklagten zu 3 und 5 zurückgenommen. Die Beklagte zu 5 hatte der Klagerücknahme zugestimmt. Mit Teilurteil vom 11.12.2013 wurde die Klage gegen die Beklagten zu 2 und 3 abgewiesen.

Mit der Klageabweisung gegen die Benannte Stelle bleibt das LG München I im Ergebnis auf der sich etablierenden Linie der nationalen Gerichte.

Insbesondere stellte die Kammer klar, dass die Behörden auch nach den im Jahr 2000 durch die US-Aufsichtsbehörden festgestellten Mängeln an Produkten der Fa. PIP keinen zwingenden Anlass zu unangekündigten Kontrollen gehabt hätten.

Da es die Klägerin im Übrigen jedoch in mehrfacher Hinsicht unterließ, etwaige günstige Tatsachen darzutun und zu beweisen, konnte eine dezidierte (medizinprodukterechtliche) Begründung weitgehend ausbleiben.

Verwiesen sei auf die Entscheidungen des LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 10.09.2013 – 11 O 3900/13, OLG Zweibrücken, Urteil v. 30.01.2014 – 4 U 66/13, LG Frankenthal, Urteil v. 14.03.2013 – 6 O 304/12; s. zudem auch Handelsgericht Toulon (Frankreich), Urteil v. 14.11.2013 – N° RG: 2011F00517 (jew. Kommentierungen in der Rechtsprechungs-Datenbank).

LG München I, Urteil v. 11.12.2013 – 9 O 10603/12
§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 2, 7 MPG i. V. m. Art. 1 Abs. 2 lit. a, Art. 11 Abs. 3, Anhang II 5.3 und 5.4, Anhang IX 2.4 Regel 8 der Richtlinie 93/42/EWG


Tenor

I.  Die Klage gegen die Beklagten zu 2 und 3 wird abgewiesen.

II. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe

A.

Die zulässige Klage gegen die Beklagten zu 2 und 3 erweist sich als unbegründet.

I.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 2 kein Anspruch zu.

1. Ein Anspruch der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 2, 7 MPG i. V. m. Art. 1 Abs. 2 lit. a, Art. 11 Abs. 3, Anhang II 5.3 und 5.4, Anhang IX 2.4 Regel 8 der Richtlinie 93/42/EWG besteht nicht.

Zwar waren die bei der Klägerin verwendeten Implantate Medizinprodukte im Sinne des MPG, § 3 Nr. 1 lit. e MPG. Auch waren die Produkte nach Art. 9 Abs. 1, 11 Abs. 3 i. V. m. Anhang IX 2.4 Regel 8, modifiziert durch § 8 der Medizinprodukteverordnung vom 20.12.2001 (zuletzt geändert am 10.05.2010) aufgrund der Richtlinie 2003/12/EG vom 03.02.2003 Produkte im Sinne der Klasse III, für die nach Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie das Verfahren der EG-Konformitätserklärung nach Anhang II durchzuführen war. Auch war die Beklagte zu 2 die benannte Stelle im Sinne des Abs. 3.1 des Anhangs II der Richtlinie.

Dahin stehen kann, ob die §§ 6 Abs. 2, 7 MPG i. V. m. Art. 1 Abs. 2 lit. a, Art. 11 Abs. 3, Anhang IX 2.4 Regel 8 der Richtlinie 93/42/EWG auch Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind (dagegen LG Frankenthal, Urt. v. 14.0.3.2012, 6 O 304/12, Abs. 32). Jedenfalls fehlt es nämlich an dem Verstoß gegen ein Schutzgesetz.

a. Konformitätsverfahren und Produktauslegung:

Soweit die Klägerin vorgetragen hat, dass die Beklagte zu 2 das Konformitätsverfahren und das Auslegungsverfahren nach Anhang II der Richtlinie nicht ordnungsgemäß durchgeführt hätte, drang sie damit nicht durch.

aa. Durchführung des Konformitätsverfahrens:

Jedenfalls hat die Klägerin nicht nachweisen können, dass die Beklagte zu 2 das Konformitätsverfahren fehlerhaft durchgeführt hätte.

Die Klägerin behauptete in der Klageschrift, die Beklagte zu 2 sei ihren Prüfpflichten offensichtlich nicht oder nur unzureichend nachgekommen. Die CE-Kennzeichnung sei verliehen worden, obwohl die Produkte nicht dem aktuellen Stand von Sicherheit und Technik entsprochen hätten und eine Gefahr für die Sicherheit der Patientinnen dargestellt hätte.

Diesen Sachverhalt hat die Beklagte zu 2 substantiiert in Abrede gestellt. Die Klägerin hatte für ihre Behauptungen keinen Beweis angetreten. Selbst wenn man insoweit von einer sekundären Darlegungslast der Beklagten ausginge, um der Klägerin substantiierteren Vortrag zu ermöglichen, musste der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung einräumen, dass in einem Parallelverfahren vor dem Landgericht Karlsruhe die Auditberichte (Anhang II Abs. 3.3 der Richtlinie) vorgelegt worden seien. Entsprechend wäre es an der Klägerin gewesen, insoweit ggf. weiter vorzutragen.

Auf Grundlage des von der Beklagten behaupteten Sachverhalts hat auch die Klägerin keine – unter Beweis gestellte – Fehlerbehauptung erhoben.

bb. Durchführung der Produktauslegung:

Die Klägerin hat aber auch nicht substantiiert dargetan und bewiesen, dass die Klägerin die Prüfung der Produktauslegung (nach Abs. 4 des Anhang II) fehlerhaft durchgeführt hätte. Insbesondere hat sie ausgeführt, dass die Fa. PIP bei der Prüfung des dortigen Qualitätssicherungssystems einschließlich des Design Dossiers nur die Verwendung des unstreitig zugelassenen Produkts Nusil angegeben habe (substantiiert vorgetragen durch die Klageerwiderung unter Bezugnahme auf die Originaldokumente).

b. Durchführung der turnusmäßigen Kontrollen:

Soweit die Klägerin weiter hat vortragen lassen, die Beklagte zu 2 habe die turnusmäßigen Kontrollen fehlerhaft durchgeführt, hatte dieser Vortrag keinen Erfolg.

aa. Die Klägerin hat insoweit vortragen lassen, dass die falsche Befüllung den Prüfern der Beklagten zu 2 hätte auffallen müssen, wenn sie denn ordnungsgemäß geprüft hätten. Man bestreite, dass den Prüfern der Beklagten zu 2 jeweils nur das ordnungsgemäße Silikon gezeigt worden sei.

Letztere Behauptung war bereits unbehelflich, nachdem es an der Klägerin gewesen wäre, die für sie günstigen Tatsachen darzutun und zu beweisen.

bb. Im Weiteren hat die Klägerin auf den substantiierten, weil durch umfangreiche Unterlagen verdeutlichten Vortrag der Beklagten zu 2, dass jeweils zum Zeitpunkt der Überprüfungen nach Anhang II Abs. 5.3 der Richtlinie keine Auffälligkeiten festzustellen gewesen seien und nach Angaben der Mitarbeiter das Silikon zu diesen Zeiten jeweils ausgetauscht worden sei, keine weiteren substantiierten Behauptungen unter Beweisantritt erhoben.

Vielmehr hat die Klägerin nur schlicht bestritten, dass die von der Beklagten behaupteten Audits (insoweit wohl nicht im Sinne von Anhang II Abs. 3.3 sondern im Sinne von Anhang II Abs. 5.3 gemeint) stattgefunden hätte. Dies war ihr nach eingeräumter Vorlage der Berichte über diese Überprüfungen im Verfahren vor dem LG Karlsruhe aber verwehrt.

Es wäre dann an der Klägerin gewesen, deren nicht ordnungsgemäße Durchführung zu beweisen, nicht aber nur deren ordnungsgemäße Durchführung in Abrede zu stellen.

c. Unangekündigte Kontrollen:

Soweit die Klägerin vorgetragen hat, dass die Beklagte zu 2 die Möglichkeit zu unangekündigten Kontrolle fehlerhaft nicht wahrgenommen hätte, obwohl sie dies hätte tun müssen, hatte sie mit dieser Behauptung keinen Erfolg.

Die Kammer vergegenwärtigte sich insoweit die relevante Bestimmung in Anhang II Abs. 5.4 der Richtlinie führt aus, dass die Benannte Stelle (hier also die Beklagte zu 2) unangekündigte Überprüfungen durchführen könne (sic!). Die Beklagte zu 2 war damit zu einer Kontrolle also nur verpflichtet, wenn sich das ihr obliegende Ermessen auf null reduziert hätte.

aa. Soweit die Klägerin eine Ermessensreduktion aus dem unstreitigen Regelungszweck der Richtlinie abzuleiten versucht, ist die Argumentation bereits ein Zirkelschluss: Der Rat der Europäischen Gemeinschaften hat schließlich gerade im Bewusstsein der eingangs geschilderten und von der Klägerin aufgegriffenen Motive eine Kann-Bestimmung vorgesehen (ebenso LG Nürnberg/Fürth, Urt. v. 10.09.2013, 11 O 3900/13 (unveröffentlicht), Seite 11).

bb. Soweit die Klägerin eine Ermessensreduktion daraus ableitet, dass die Implantate als Klasse-III-Produkte im Sinne von Anhang IX der Richtlinie zu qualifizieren seien, ist auch dieser Umstand allein nicht geeignet, das Ermessen auf Null zu reduzieren. Das gilt bereits aus systematischen Gründen, weil die Richtlinie gerade für die Produkte nach Klasse III eine weitere Überprüfung nach Abs. 4 des Anhangs II vorsieht, aber in Abs. 5 gerade nicht zwischen den Klassen unterscheidet.

cc. Soweit die Klägerin eine Ermessensreduktion daraus herleiten will, dass die Beklagte zu 2 eine Überwachungspflicht treffe, die gerade kein Warten bis zum Schadensfall erlauben könne, ist diese Argumentation wiederum ein Zirkelschluss. Die Richtlinie insgesamt dient nur dem Ansinnen, Schaden von Patienten abzuwenden. Somit kann die Ermessensreduktion aber nicht daraus abzuleiten sein, dass man sich auf einen allgemeinen Richtlinienzweck beruft (siehe dazu letztlich auch schon, insoweit hier wiederholend, unter aa).

dd. Die Klägerin hatte weiter ausgeführt, dass die Beklagte zu 2 aufgrund der im Jahr 2000 durch die US-Aufsichtsbehörde festgestellten Mängeln an Produkten der Fa. PIP Anlass zu unangemeldeten Kontrollen gehabt hätte.

Der von der Klägerin angetragene Vorfall aus dem Jahr 2000 bezog sich – spätestens seit der mündlichen Verhandlung wohl unstreitig, jedenfalls durch die Klägerin nicht substantiiert anders vorgetragen – zwar auf Implantate, nicht jedoch auf silikongefüllte Implantate. Vielmehr ist dort – das Schreiben (hinter Bl. 474 der Akte) wurde nicht auf Deutsch vorgelegt, jedoch insoweit in die mündliche Verhandlung eingeführt – allein von „saline pre-filled“ (also mit Kochsalzlösung gefüllten) Implantaten die Rede.

Selbst wenn man daraus ableiten wollte, dass diese Feststellungen der US-amerikanischen Behörde eine weitere Kontrollpflicht ausgelöst hätten, so sieht die Kammer die Pflicht zu einer unangekündigten Untersuchung schon deshalb nicht als gegeben an, weil vor der amerikanischen Inspektion (11.05.2000 bis 17.05.2000) unter dem 18./19.01.2000 sowie nach der Inspektion am 21./22.11.2000 und am 06.02.2011 beanstandungsfrei Überprüfungen stattfanden. Die Behörden hatten damit keinen zwingenden Anlass zu einer unangekündigten Kontrolle.

Gleiches gilt, soweit die britischen Gesundheitsbehörden (Medical Devices Agency, MDA) im Jahr 2000 Hydrogel gefüllte Produkte beanstandeten, hat die Beklagte zu 2 zum einen unbestritten dargetan, dass sich die Untersuchungen der MDA nicht herstellerspezifisch, sondern materialabhängig gegen alle Hydrogelprodukte richtete, nicht jedoch speziell gegen ein Produkt der Fa. PIP. Bereits dies entbindet die Beklagte zu 2 von einer pflichtigen unangekündigten Kontrolle bei der Beklagten zu 2. Hinzu kommt, dass auch insoweit ein anderer Füllstoff betroffen war.

Damit stellt die Kammer natürlich nicht in Abrede, dass eine solche Überprüfung sinnvoll gewesen wäre; indes war sie nicht obligatorisch.

Selbst wenn man mit der Klägerin – wie nicht – eine solche unangekündigte Kontrolle für erforderlich gehalten hätte, so hätte die Klägerin doch nicht nachgewiesen, dass man eine fehlerhafte Produktion nicht nur möglicherweise hätte feststellen können, sondern auch tatsächlich festgestellt hätte. Es ist für eine deliktische Haftung jedoch nicht ausreichend, dass die Vornahme einer – wie nicht – pflichtwidrig unterlassenen Handlung geeignet gewesen wäre, den Schaden abzuwenden. Es wäre vielmehr an der Klägerin gewesen, konkret nachzuweisen, dass eine oder mehrere Kontrollen – wann auch immer – zu einer tatsächlichen Feststellung der Missstände geführt hätten. Dies ist zwar behauptet; Beweis hat die Klägerin jedoch nicht angetreten.

Insoweit war auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte zu 2 lediglich das Qualitätssicherungssystem der Klägerin zu kontrollieren hatte, nicht aber die Produkte selbst.

2. Ein Anspruch gegen die Beklagte zu 2 besteht auch nicht aus § 823 Abs. 1 BGB.

Eine deliktische Handlung aufgrund aktiven Tuns behauptet auch die Klägerin nicht. Die Haftung aufgrund eines pflichtwidrigen Unterlassens ist nicht nachgewiesen, da die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass die Beklagte eine gebotene Handlung unterlassen hat: Insoweit gilt das zuvor ausgeführte.

II.

Auch gegen die Beklagte zu 3 besteht kein Anspruch

1. Ansprüche aus dem ProdHG scheiden aus, da die Klägerin nicht bewiesen hat, dass es die Beklagte zu 3 war, die das verwendete Silikon hergestellt hat.

2. Aus eben diesem Grund scheiden auch die Ansprüche aus § 823 Abs. 1 und 2 i. V. m. Schutzgesetzen aus. Die Klägerin hat nicht nachweisen können, dass die Beklagte zu 3 an der Herstellung und/oder dem Handel des in ihr eingebrachten Implantats beteiligt war. Dabei konnte dahinstehen, ob die Beklagte zu 3 im Wege der sekundären Darlegungslast verpflichtet war, sich zu weiteren Firmen der Brenntag Gruppe zu äußern. Jedenfalls hat die Klägerin nicht beweisen können, dass es die Beklagte zu 3 war, die Kenntnis von der zweckwidrigen Verwendung des Materials hatte und hätte haben müssen.

B.

Die Kostenentscheidung hat einheitlich zu ergehen; sie war daher dem Endurteil vorzubehalten.

Das Teilurteil hat keinerlei vollstreckbaren Inhalt, so dass auch eine Vollstreckbarkeitsanordnung zu unterbleiben hatte.

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