OLG Frankfurt a.M.: Mundspüllösung: Begriff “pharmakologische Wirkung” (EuGH-Vorlagebeschluss)

Frage: Kann zur Definition des Begriffs „pharmakologische Wirkung“ auf die Leitlinie „MEDDEV“ zurückgegriffen werden, wonach eine Wechselwirkung zwischen Molekülen der Substanz und einem zellulären Bestandteil erforderlich ist entweder durch eine direkte Reaktion oder Blockieren einer Reaktion eines anderen Agens?

Frage: Genügt zur Bejahung des Begriffes der pharmakologischen Wirkung eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen der infrage stehenden Substanz mit zellulären Bestandteilen des Anwenders oder ist eine Wechselwirkung zwischen der Substanz und einem zellulären Bestandteil, der nicht Bestandteil des menschlichen Körpers erforderlich?

OLG Frankfurt a.M., Beschluss v. 14.06.2011 – 6 U 109/07
Instanzen:
BGH, Urt. v. 05.10.2010 (I ZR 90/08)
OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 29.04.2008 (6 U 109/07)
LG Frankfurt a.M., Urt. v. 11.04.2007 (2/6 O 554/06)
Art. 1 Nr. 2 der RL 2001/83/EG, § 2 I Nr. 2 AMG, § 3 MPG


Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gem. Art. 237 II AEUV zur Auslegung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. EG Nr. L 311 vom 28.11.2001, S. 67-128) in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. EG Nr. L 136 vom 30.4.2004, S. 34-57) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Kann zur Definition des Begriffs "pharmakologische Wirkung" in Art. 1 Nr. 2 lit. b) der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG auf die unter der Federführung der Europäischen Kommission entwickelten Leitlinie zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten "Medical Devices: Guidance document" zurückgegriffen werden, wonach erforderlich ist eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen der infrage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil, gewöhnlich als Rezeptor bezeichnet, die entweder in einer direkten Reaktion resultiert oder die Reaktion eines anderen Agens blockiert?

2. Falls die erste Frage mit ja beantwortet wird: Setzt der Begriff der pharmakologischen Wirkung voraus, dass es zu einer Wechselwirkung zwischen den Molekülen der infrage stehenden Substanz mit zellulären Bestanteilen des Anwenders kommt, oder genügt eine Wechselwirkung der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil, der nicht Bestandteil des menschlichen Körpers ist?

Für den Fall, dass die erste Frage mit nein beantwortet wird oder keine der beiden in der zweiten Frage vorgeschlagenen Definitionen in Betracht kommt: Auf welche andere Definition ist stattdessen zurückzugreifen?

Gründe:

I. Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Markt für Mundspüllösungen, die Chlorhexidin enthalten. Die Beklagte vertreibt die Mundspüllösung "PAROEX 0,12 %" als kosmetisches Mittel in der im Klageantrag wiedergegebenen Verpackung. Darauf ist angegeben: "Mundspülung zur Mundpflege - Reduziert bakteriellen Zahnbelag und hemmt dessen Neubildung - Schützt das Zahnfleisch und trägt zur Erhaltung der Mundgesundheit bei". Im Laufe des Verfahrens ist zwischen den Parteien unstreitig geworden, dass PAROEX 0,12 % tatsächlich die auf der Verpackung angegebene Wirkung hat. Auf dem Beipackzettel heißt es zur Anwendung, man solle den Mund zweimal täglich mit 10 ml unverdünnter Lösung 30 Sekunden lang spülen. Für PAROEX 0,12 % besteht keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Das Mittel enthält zu 0,12 % den Stoff Chlorhexidin.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die von der Beklagten vertriebene Mundspülung sei ein Arzneimittel i.S.v. § 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln - Arzneimittelgesetz (AMG), weil ihr eine pharmakologische Wirkung zukomme. Dies werde u.a. durch eine Monographie über die Eigenschaften, Wirkungen und Einsatzmöglichkeiten von Chlorhexidin aus dem Jahre 1994 belegt. Danach führten Mundspüllösungen mit einer 0,2%igen Chlorhexidin-Lösung zu einer Reduktion von Speichelbakterien und hätten auf diese Weise eine therapeutische bzw. klinische Wirkung bei Gingivitis. Außerdem sei Paroex 0,12 % als sog. Bestimmungs- oder Präsentationsarzneimittel anzusehen, weil es sich aufgrund seiner Verpackung und der beigefügten Produktinformationen für einen durchschnittlich informierten und verständigen Durchschnittsverbraucher als Arzneimittel darstelle.

§ 2 AMG hat folgenden Wortlaut:

(1) Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,

1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder

2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder

a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder

b) eine medizinische Diagnose zu erstellen.

§ 2 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) AMG dient der Umsetzung von Art. 1 Nr. 2 lit. b) der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG.

Die Klägerin hatte in dem vorliegenden Verfahren beantragt, die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken für das Mittel "PAROEX 0,12 %" in Flaschen und/oder Faltschachteln und/oder Gebrauchsinformationen - wie nachstehend wiedergegeben - zu werben und/oder dieses Mittel zu vertreiben, solange es nicht als Arzneimittel zugelassen ist:

Das LG hat die Klage unter Berufung auf die Senatsentscheidung vom 21.9.2006 (6 U 91/05 - OLG Frankfurt v. 21.9.2006 - 6 U 91/05, GesR 2007, 162 = WRP 2007, 216 ff) mit der Begründung abgewiesen, PAROEX 0,12 % komme eine pharmakologische Wirkung nicht zu, weil die dazu erforderliche Wechselwirkung zwischen den Molekülen der infrage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil des Anwenders nicht erwiesen sei. Auch als Präsentationsarzneimittel sei PAROEX 0,12 % nicht anzusehen.

Der vorlegende Senat hat eine pharmakologische Wirkung von PAROEX 0,12 % ebenfalls verneint und die Berufung der Klägerin deshalb mit Urteil vom 29.4.2008 zurückgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der I. Zivilsenat des BGH die Entscheidung des vorlegenden Senats aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (Urt. v. 5.10.2010 - I ZR 90/08). Zur Begründung hat er ausgeführt, dass eine pharmakologische Wirkung auch bei einer Wechselwirkung des infrage stehen Stoffes mit einem zellulären Bestandteil gegeben sein kann, wenn dieser zelluläre Bestandteil nicht zum Körper des Anwenders gehört.

In der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Beklagtenvertreter erklärt, dass die Wirkung des angegriffenen Erzeugnisses im Hinblick auf den antibakteriellen Effekt und die damit verbundene Vorbeugung gegen Gingivitis bei der empfohlenen Anwendung den hierzu gemachten Angaben auf der Verpackung entspricht. Im Übrigen haben beide Parteien übereinstimmend angeregt, die Frage der Definition der pharmakologischen Wirkung dem Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen.

II. Der Erfolg der Berufung, mit der die Klägerin ihren ursprünglichen Klageantrag weiterverfolgt, hängt von der Auslegung des Begriffs "pharmakologische Wirkung" i.S.v. Art. 1 Nr. 2 lit. b der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG und damit von der Beantwortung der im Tenor dieses Beschlusses formulierten Fragen ab. Denn PAROEX 1,2 % ist weder als Präsentationsarzneimittel i.S.v. Art. 1 Nr. 2 lit. a) der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG anzusehen, noch kommt diesem Präparat eine immunologische oder metabolische Wirkung i.S.v. Art. 1 Nr. 2 lit. b) der Richtlinie 2001/83/EG zu.

1) Die in dem Klageantrag wiedergegebene Aufmachung des Produkts PAROEX 0,12 % enthält keine Hinweise, aus denen der verständige Durchschnittsverbraucher auf ein Arzneimittel schließen müsste. Die unmittelbar unter dem Schriftzug "PAROEX 0,12 %" gegebene Erläuterung "Mundspülung zur Mundpflege - Reduziert bakteriellen Zahnbelag und hemmt dessen Neubildung - Schützt das Zahnfleisch und trägt zur Erhaltung der Mundgesundheit bei" deutet eher auf ein Pflegemittel mit kosmetischer Wirkung hin. Auch die Angaben im "Kleingedruckten" und auf dem Beipackzettel ändern daran - wie das LG zutreffend festgestellt hat - nichts. Auch der BGH hat in der Revisionsentscheidung das Vorliegen eines Präsentationsarzneimittels verneint (Tz. 8-10).

2) Eine immunologische Wirkung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass durch Stimulierung bzw. Mobilisierung durch Zellen bzw. Produkte in oder am Körper eine Immunreaktion ausgelöst wird (vgl. Gröning, Heilmittelwerberecht, § 1 HWG Rd 327), wurde weder ausdrücklich geltend gemacht noch sind Anhaltspunkte für eine solche Wirkung ersichtlich. Eine metabolische Wirkung, die eine Verstoffwechslung des Produkts bzw. des darin enthaltenen Stoffes und die so herbeigeführte bestimmungsgemäße krankheitslindernde Wirkung voraussetzen würde (vgl. Gröning, Heilmittelwerberecht, § 1 HWG Rd 327), hat das LG mit zutreffenden und von der Berufung nicht beanstandeten Argumenten abgelehnt: Da Chlorhexadin unstreitig lediglich an den Zähnen und den Mundschleimhäuten anhafte, wird es von den menschlichen Zellen nicht resorbiert. Eine Verstoffwechselung findet somit nicht statt.

3) Unklar ist dagegen, ob der angegriffenen Mundspülung eine pharmakologische Wirkung zukommt. Der Begriff der pharmakologischen Wirkung i.S.v. Art. 1 Nr. 2 lit. b der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG, ist bislang nicht hinreichend definiert.

Der Europäische Gerichtshof hat sich noch nicht abschließend zur Auslegung des Begriffs der pharmakologischen Wirkung im Sinne dieser Richtlinienvorschrift geäußert. In einer zur Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Nahrungsmitteln ergangenen Entscheidung vom 15.11.2007 (Rs. C-319/05 - GRUR 2007, 271 ff - juris-Tz 59 ff) hat der Europäische Gerichtshof lediglich festgestellt, dass die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses als wesentlicher Faktor für die Beurteilung der Frage anzusehen sind, ob diesem die Eignung zur Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen zugesprochen werden kann. Dies soll jedenfalls dann nicht der Fall sein, wenn das Erzeugnis keine nennenswerten Auswirkungen auf den Stoffwechsel des Anwenders hat. Dem in diesem Fall streitgegenständliche Produkt mit der Bezeichnung "Knoblauch-Extrakt-Pulver-Kapsel" hat der Europäische Gerichtshof die Arzneimitteleigenschaft deshalb abgesprochen, weil dessen Auswirkungen auf die physiologischen Funktionen nicht über die Wirkungen hinaus gehen, die Knoblauch, wenn er in angemessener Menge als Lebensmittel verzehrtet wird, ebenfalls auf diese Funktion haben kann (EuGH, a.a.O., Rd 68). Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof in weiteren Entscheidungen (Rs. C-140/07, EuGH v. 15.1.2009 - Rs. C-140/07, GRUR 2009, 511 - Hecht-Pharma/Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg; Rs. C-88/07, ZLR 2009, 321 - Kommission/Königreich Spanien) fortgesetzt und bestätigt, dass eine pharmakologische Wirkung ausscheidet, wenn ein Mittel zwar auf den menschlichen Körper einwirkt, aber keine nennenswerten physiologischen Auswirkungen hat und die Funktionsbedingungen des Körpers somit nicht wirklich beeinflusst (Rs. C-140/07, a.a.O., Tz. 41).

Mit diesen Erwägungen kann im vorliegenden Fall eine pharmakologische Wirkung allerdings nicht verneint werden, weil PAROEX 0,12 % nach der Erklärung der Beklagten in der letzten mündlichen Verhandlung auf Grund der antibakteriellen Wirkung des darin enthaltenen Stoffs Chlorhexidin bei bestimmungsgemäßer Anwendung einer Gingivitis-Erkrankung tatsächlich effektiv vorbeugt. Damit kann dem Mittel eine krankheitsvorbeugende, nennenswerte Auswirkung auf den menschlichen Körper nicht abgesprochen werden. Vielmehr hängt die Beurteilung allein davon ab, wie der Begriff der pharmakologischen Wirkung als solcher zu definieren ist.

a) Der vorlegende Senat hat hierzu im ersten Berufungsurteil die Auffassung vertreten, dass zur Definition dieses Begriffs auf die unter der Federführung der Europäischen Kommission entwickelten Leitlinie zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten "Medical Devices: Guidance document" zurückgegriffen werden kann. Danach setzt die pharmakologische Wirkung voraus eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen der infrage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil, gewöhnlich als Rezeptor bezeichnet, die entweder in einer direkten Reaktion resultiert oder die Reaktion eines anderen Agens blockiert. Auch der BGH hat in seiner Revisionsentscheidung diese Definition zur Bestimmung der pharmakologischen Wirkung zugrunde gelegt (Tz. 12). Gleichwohl erscheint diese Auslegung von Art. 1 Nr. 2 lit. b) der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG nicht frei von Zweifeln, da der genannten Leitlinie keine Rechtsnormqualität zukommt. Die erste Vorlagefrage dient daher der Klärung der Frage, ob zur Definition des Begriffs der pharmakologischen Wirkung überhaupt auf die genannte Leitlinie zurückgegriffen werden kann.

b) Sollte die erste Vorlagefrage zu bejahen sein, stellt sich die weitere Frage, wie die Definition der pharmakologischen Wirkung im Einzelnen zu verstehen ist.

aa) Nach der im ersten Berufungsverfahren vertretenen Auffassung des vorlegenden Senats ist bei Anwendung der genannten Definition Voraussetzung für die Annahme einer pharmakologischen Wirkung i.S.v. Art. 1 Nr. 2 lit. b der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen der infrage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil des Körpers des Anwenders. Danach wäre hier eine pharmakologische Wirkung zu verneinen.

Nach den Feststellungen des LG, denen sich der vorlegende Senat angeschlossen hat, führt die Anwendung von PAROEX 0,12 % lediglich zu einer Wechselwirkung und mit den in der Mundhöhle des Anwenders befindlichen Bakterien und nicht mit einem zellulären Bestandteil des Anwenders selbst. Denn die Klägerin hat lediglich vorgetragen, PAROEX 0,12 % führe zu einer vollständigen Unterdrückung der Bildung bakterieller Zahnbeläge und verhüte oder lindere auf diese Weise Gingivitis. Dass die Unterdrückung von Zahnbelägen auf eine Wechselwirkung mit zellulären Bestandsteilen des Anwenders zurückzuführen sei, hat die Klägerin hingegen nicht behauptet. Zutreffend und ebenfalls unbeanstandet hat das LG weiter festgestellt, dass eine solche Wechselwirkung nicht durch die von der Klägerin in Bezug genommene Monographie "Chlorhexidin und Chlorhexidin-Salze" des Bundesgesundheitsamts (Anlage K 4) nachgewiesen ist. Denn dort wird lediglich festgestellt, dass Mundspülungen mit 0,2%igem Chlorhexidin zu einer starken Reduktion von Speichelbakterien führen. Wie diese Wirkung eintritt, sagt die Monographie nicht.

Vor diesem Hintergrund kann die Klägerin nach Auffassung des vorlegenden Senats auch nicht mit dem Argument gehört werden, PAROEX 0,12 % sei zumindest wegen der darin enthaltenen (hohen) Konzentration des Stoffes Chlorhexidin als Arzneimittel anzusehen. Die Aussage der Monographie "Mundspülungen mit einer 0,2%igen Chlorhexidin-Lösung führen zu einer starken Reduktion der Speichelbakterienmenge" belegt dies gerade nicht. Denn soweit nach dem oben Gesagten schon nicht angenommen werden kann, dass Chlorhexidin überhaupt in eine Wechselwirkung mit einem zellulösen Bestandteil des Anwenders tritt, kommt es auf Fragen der Dosierungen oder Konzentrationen nicht an. Dabei mag es durchaus vorkommen, dass bestimmte Stoffe, wenn man sie in einer höheren Konzentration zuführt, in eine pharmakologisch relevante Wechselwirkung mit zellulösen Bestandteilen treten (vgl. z.B. OVG NW, Urt. v. 22.1.2008 - 13 A 3308/03 - juris-Tz 38). Dass dies hier der Fall ist, ist allerdings nicht ersichtlich.

Bei dem Verständnis des Begriffs der pharmakologischen Wirkung, wie es der vorlegende Senat in seiner ersten Berufungsentscheidung zugrunde gelegt hat, wäre daher im vorliegenden Fall die Arzneimitteleigenschaft des beanstandeten Mittels zu verneinen.

bb) Demgegenüber hat der BGH in der Revisionsentscheidung - ebenfalls unter Zugrundelegung der Definition des "Medical Devices: Guidance document" - die Auffassung vertreten (Tz. 12-15), dass es zur Feststellung einer pharmakologischen Wirkung bereits ausreichen könne, wenn es zu einer Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil, der nicht Bestandteil des menschlichen Körpers ist, kommt, so dass eine pharmakologische Wirkung von "PAROEX 0,12 %" deshalb in Betracht komme, weil das in diesem Präparat enthaltene Chlorhexidin mit Bestandteilen von Bakterienzellen reagiert. Eine für die Bejahung einer pharmakologischen Wirkung erforderliche Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil (Rezeptor) gemäß der Definition des Begriffs "pharmakologisch" im Abschnitt A. 2.1.1. dieser Leitlinie liege nicht nur dann vor, wenn sie in einer direkten Reaktion (Antwort) besteht, sondern auch dann, wenn sie die Reaktion (Antwort) eines anderen Agens blockiert. Die Leitlinie setze daher nicht eine unmittelbare Wechselwirkung mit zellulären Bestandteilen des Anwenders voraus, sondern lasse jegliche Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil genügen. Im Hinblick darauf, dass Chlorhexidin mit Bestandteilen von Bakterienzellen reagiert, scheide eine pharmakologische Wirkung auch bei Anwendung der in der genannten Leitlinie vorgesehenen Definition der pharmakologischen Wirkung nicht schon von vornherein aus. Dementsprechend ordne die Leitlinie selbst Chlorhexidin im Abschnitt A. 2.1.2 ausdrücklich als arzneilichen Stoff ein. Hinzu komme, dass der in der Mundspüllösung enthaltene Stoff Chlorhexidin in der höheren Konzentration von 0,1 % und 0,2 % nicht nur die Bildung bakterieller Zahnbeläge unterdrücken kann, sondern nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen auch geeignet sei, u.a. Gingivitis zu heilen oder zu lindern, so dass eine verändernde Beeinflussung von Körperfunktionen auf chemischem Weg vorzuliegen scheine. Unter diesen Umständen komme eine pharmakologische Wirkung des Präparats in Betracht. Soweit die Dosierung des Stoffs Chlorhexidin in der Mundspülung der Beklagten hinter der Dosierung in der Monographie des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1994 zurückbleibe, habe die Klägerin dargelegt und unter Beweis gestellt, dass diesen Unterschieden keine maßgebliche Bedeutung zukomme. In der wiedereröffneten Berufungsinstanz werde das Berufungsgericht diesem Vorbringen nachzugehen haben.

Bei Zugrundelegung dieser (weiter gefassten) Definition der pharmakologischen Wirkung wäre im vorliegenden Fall die Arzneimitteleigenschaft der beanstandeten Mundspüllösung zu bejahen; insbesondere bedürfte es nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Parteien im wiedereröffneten Berufungsrechtszug in diesem Fall keiner weiteren Beweisaufnahme zur Frage des Wirksamkeitsgrades des Mittels der Beklagten. Soweit der BGH dem vorlegenden Senat aufgegeben hat, der Frage nachzugehen, welche Folgen die konkrete Dosierung des Mittels für die physiologischen Wirkungen haben könnte, könnte dieser Gesichtspunkt nach dem Inhalt der letzten mündlichen Verhandlung an der Bejahung einer pharmakologischen Wirkung - soweit man den Begriff in der vom BGH vorgenommenen Weise definiert - nichts ändern. Denn wie bereits ausgeführt, besteht auch nach der Behauptung der Beklagten kein Zweifel daran, dass PAROEX 0.12 % bakteriellen Zahnbelag reduziert und dessen Neubildung hemmt; damit wird der Entstehung von Gingivitis wirksam vorbeugt und es werden zugleich die physiologischen Funktionen des Körpers in nennenswerter Weise beeinflusst.

cc) Die Frage, welcher der beiden unter aa) und bb) dargestellten Auffassungen zur Definition des Begriffs der pharmakologischen Wirkung der Vorzug zu geben ist, ist daher für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erheblich.

In dem nach der Entscheidung des BGH wieder aufgenommenen Berufungsverfahren zieht die Beklagte in Zweifel, ob der Auslegung des Begriffs der pharmakologischen Wirkung, wie sie der BGH vorgenommen hat, zu folgen ist. Die Annahme einer pharmakologischen Wirkung schon dann, wenn es zu einer Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil kommt, der nicht Bestandteil des menschlichen Körpers ist, sei zum einen aus der Definition des "Medical Devices: Guidance document" nicht (zwingend) abzuleiten. Zum anderen führe diese Auslegung zu einer Ausweitung des Begriffs der pharmakologischen Wirkung, die von der Intention der Richtlinie, einen wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten (Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 2001/83/EG), nicht gedeckt werde. Denn bei dieser Auslegung könnten grundsätzlich auch solche Mittel als Arzneimittel i.S.v. Art. 1 Nr. 2 lit b) der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG angesehen werden, die durch die Einwirkung oder Vernichtung von Bakterien (lediglich) der Reinigung des menschlichen Körpers dienen und auf diese Weise Erkrankungen vorbeugen.

Diesen Bedenken vermag sich der vorlegende Senat nicht zu verschließen und macht deshalb - entsprechend der Anregung beider Parteien in der letzten mündlichen Verhandlung - von der durch Art. 267 II AEUV eröffneten Möglichkeit Gebrauch, den Europäischen Gerichtshof um die Beantwortung der zweiten Vorlagefrage zu ersuchen.

c) Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage verneint wird oder keine der beiden in der zweiten Frage vorgeschlagenen Definitionen in Betracht kommt, erscheint es sinnvoll, den Europäischen Gerichtshof mit der dritten Vorlagefrage um eine Antwort darauf zu bitten, auf welche andere Definition des Begriffs der pharmakologischen Wirkung stattdessen zurückzugreifen ist.

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